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C) Die konkrete Kritik Ickstatts an den vorherrschenden Verhältnissen

I. Lehrprogramm

Diese These wird schon durch Ickstatts Aussagen zum Lehrprogramm belegt.

1. Fehlende Praxistauglichkeit und überflüssige Themen bei der traditionellen Unterrichtung des „Römischen Rechtes“

So müsse man etwa bei der Materie des „Römischen Rechts“ die Studenten von der irrigen Meinung befreien, dass alles und jedes, was in den römischen Gesetzen vorkomme oder nach der Verfassung des römischen Staates für gut befunden wurde, im aktuellen Recht der Praxis unverändert übernommen werden könne.143

Im Zusammenhang mit dem römischen Recht sah Ickstatt also bereits das Problem der Zeiteinteilung im Studium. Das auf einem falschen System beruhende traditionelle Lehrprogramm des „Römischen Rechts“ halte durch seine Weitschichtigkeit mit unnützen Subtilitäten die Studenten derartig auf,

138 von Ickstatt, Johann Adam - Kurtzer Entwurff Einer Vernünfftigen Lehr-Art (im Folgenden: „Kurtzer Entwurff“), München 1746, §. 3.

139 Hammerstein, Notker - Aufklärung und katholisches Reich, wie Fn. 3, S. 49.

140 Kurtzer Entwurff, §. 29.

141 Kluckhohn, August - Der Freiherr von Ickstatt und das Unterrichtswesen in Bayern unter dem Churfürsten Maximilian Joseph, München 1869, S. 19.

142 Hammerstein, Notker - Aufklärung und katholisches Reich, wie Fn. 3, S. 64.

143 Kurtzer Entwurff, §. 9.

dass zu befürchten sei, „es möchten die von Universitäten kommende Canditati vielmehr für die alte Römer in deren Elysäischen Feldern, als für die Teutschen, Richter abzugeben tüchtig erfunden werden“.144 Allerdings darf man diesen Hieb gegen das römische Recht nicht falsch verstehen.

Insbesondere wollte Ickstatt den Unterrichtsstoff der römischen Rechte keineswegs in die Bedeutungslosigkeit verbannen, wofür als Beweis seine Beschwerde gegen den vom Kurfürsten Maximilian III. Joseph angeordneten Verzicht auf das „Römische Recht“ angeführt werden kann.145 Ferner berief sich Ickstatt zur Rechtfertigung seiner eigenen Vorgehensweise selbst gerne auf die römische Lehrpraxis.146 Ickstatts Kritik gegen das „Römische Recht“ erfolgte also punktuell und ging nur soweit, als ein Mangel eines zeitgemäßen sowie didaktisch wertvollen Inhalts bestand. Sehr konkret beanstandete er etwa, dass im Rahmen des zeitgenössischen Religionsverfassungsrechtes abgenutzte Titel des justinianischen Rechts herangezogen würden, die darüber hinaus nur mit Mühe ins Gedächtnis zu übertragen wären.147

2. „Fehlerhafte“ Themenfelder aufgrund strittiger Glaubenslehren

Abgesehen von diesen Beanstandungen an römisch geprägten Inhalten vollzog sich ein ähnlicher sowie indirekter Tadel Ickstatts bezüglich der gegensätzlichen und uneinheitlichen Lehren zwischen bzw. innerhalb der Glaubensrichtungen, wobei er die Irrungen und Zwistigkeiten der deutschen Religionsverfassung aufgriff.148 Daneben bemängelte er auch im Rahmen des Themenkreises „Religionsverfassung“ die zu ausführliche Behandlung gewisser Materien wie zum Beispiel des Passauer Vertrages, die dadurch zustande kommen sollte, dass ein zwar praxisrelevanter, aber eben über andersartige Anwendungen allgemein bekannter Inhalt übergebührlich

144 Ebd., §. 14.

145 Siehe dazu ausführlich unten S. 183 ff.

146 Vgl. von Ickstatt, Johann Adam - Programma. Quo Praemissa Succincta Disquisitione De Necessitate Studii Juris Naturalis Et Gentium, Publici Universalis Et Particularis Imperii R.

Germanici Lectiones suas In Jus Naturae, Gentium, Et Publicum Imperii R. G. Cum Mense Novembri 1732. auspicandas Indicat (im Folgenden: „Programma de necessitate“), Wirceburgum 1732, Cap. I., §§. 17 u. 21.

147 Programma de necessitate, Cap. II., §. 8.

148 Kurtzer Entwurff, §. 12.

unterrichtet werde.149 Eine zentrale Schuld für die uneinheitlich gestaltete Wissensvermittlung an den von den Konfessionen geprägten Hochschulen gab Ickstatt den verwendeten Kompendien. Gerade bei den katholischen Juristen ergebe sich hinsichtlich der Kompendien der Mangel, dass „die meiste sind so weitschichtig und mit so vielen ohnnutzen Grillen-Stängereyen angefüllt, dass es nicht möglich in einem oder 2en Jahren fertig zu werden, ausser ein studiosus juris lege alle andere eben so nöthige Theile der Rechtsgelehrsamkeit völlig bey Seiten und suche nur den Kopf mit ohnnüzem Stoff anzufüllen, der in dem Praxi zu nichts tauget und nur in spem futurae oblivionis erlernt wird“.150 Während viele Themen einerseits also zu umfangreich ausgebreitet wurden, fehlte es andererseits an grundlegenden Darstellungen. So kritisierte Ickstatt, dass die „wahren principia Catholicorum in keinen Commentariis zu finden“ wären und es ebenfalls an den erforderlichen „praejudicia“ mangeln würde.151 Ferner attestierte Ickstatt den „gemeinen Compendiis fürkommende häuffige Irrthümer“.152 An anderer Stelle führte er aus: „Von sothaner Wissenschaft sind zwar viele Compendia herausgegeben worden, weilen jedoch die meiste Autores sich mit allzuvielen und öffters ohnnöthigen theoretischen Dingen aufhalten, theils auch irrige Lehren zum Grund haben und an Deutlichkeit mangeln, so wird dieses Compendium von mir selbsten verfertiget und zum Gebrauch Seiner Hoheit ausgearbeitet werden müssen, ... .“153 Gezielt die mit einer mageren und pedantischen Schreibart versehenen Kompendien, die weder auf „historia“ noch auf „jus naturae et gentium“, sondern lediglich auf einer „armseligen wortsprecherischen Philosophie“ beruhen würden und bei denen nichts ausgestaltet und nichts verfeinert sei („in quibus nihil ornati et nihil exculti“), befand Ickstatt als schädlich.154 Darüber hinaus bemängelte er bei den „allzuweitläufftige zum Nachlesen verdrießliche, und für die Gedächtnuß beschwerliche

149 Programma de necessitate, Cap. II., §. 8.

150 Kluckhohn, August, wie Fn. 141, S. 49.

151 von Ickstatt, Johann Adam - Ohnvorgreifflicher Entwurff (im Folgenden:

„Ohnvorgreifflicher Entwurff“), München 1742, 13.; dieser individuelle Studienplan für den Prinzen Maximilian Joseph befindet sich als Handschrift (Deutsche Schreibschrift) im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, Abt. III – Geheimes Hausarchiv, Hofhaushaltsakten Nr.

530.

152 Kurtzer Entwurff, §. 34.

153 Ohnvorgreifflicher Entwurff, wie Fn. 151, 10.

154 Kluckhohn, August, wie Fn. 141, S. 49.

Commentarii“ die Verhinderung des Wissenserwerbs in wichtigen Rechtsgebieten.155 Daher kritisierte Ickstatt auch, dass an katholisch geprägten Hochschulen in der Regel keine protestantischen Lehrbücher benutzt wurden: „Den Abgang eines tüchtigen catholischen compendii von der Kayser- und Reichs-Historien habe ich bereits vor vielen Jahren, da ich noch auf der hohen Schul zu Wirzburg die teutsche Staatsrechte docirt, empfunden und derohalben, da ohne gründliche Reichs-Historie in dem jur.

publ. ohnmöglich fortzukommen, mich genöthiget gesehen, über Struvens Reichs-Historie mit obbemerkter Bescheidenheit zu lesen, eben wie der grundgelehrte Professor juris Kammer auf der hohen Schul zu Bamberg über Böhmers compendium juris canonici ehemalen ohne einiges Bedenken gelesen hat.“156 Entsprechend dieser Ausführungen erkannte Ickstatt (zugleich) eine Rückständigkeit des katholisch orientierten Lehrprogramms, die es zu überwinden galt:

„Was vor 100 oder 200 Jahren bey damals noch dunklen Zeiten gut gewesen, ist bey unserm aufgeklärten Weltalter, wo die Wissenschaften sehr

hoch gestiegen, eben nicht nöthig bey zu behalten, und wann die theologische Facultät (die doch eben so vieler, wo nicht weit mehrerer Verbesserungen, als die Juristenfacultät bedürftig wäre) bei ihrem alten

Schlendrian zu beharren gedenket, so folget ja nicht, dass wir Juristen derselben nachahmen und anstatt schmackhaften Früchten uns nur mit Eicheln nähren sollen, und wir bey der nemblichen rauhen Denkens-Art wie

sie beharren müssen.“157

3. Der Mangel an naturrechtlichem Grundwissen

Diese Argumentation Ickstatts zielte auch auf die in seinen Augen notwendige Unterrichtung im Naturrecht ab, deren bisherige Missachtung unter Heranziehung rhetorischer Fragen an anderer Stelle ebenso moniert wurde. Sei etwa bisher eine aufrechtzuerhaltende Rechtspflege hervorgebracht worden, wer habe die breiten bürgerlichen Gesetze mit

155 Kurtzer Entwurff, §. 18.

156 Kluckhohn, August, wie Fn. 141, S. 50.

157 Ebd.

diesen Begriffen verstanden bzw. wurden Letztere sowohl gemäß einer billigen Gerechtigkeit als auch entsprechend dem öffentlichen Zustand dargelegt?158 Ickstatt wird in diesem Zusammenhang noch deutlicher. Die Kapitel des Naturrechts, in denen eine Darstellung über Herrscher, Verträge usw. erfolge, könnten durch ein „proletario studio“ nicht erschlossen werden.159 In Bezug auf erforderliche Definitionen bemängelte er: „Vor allem hieran fehlt es in unserer Rechtswissenschaft, so dass sie, wenn irgendwo, hier eine verbessernde Hand nötig hat.“160 Die Folgen, die sich kraft eines fehlenden oder falschen Hintergrundwissens naturrechtlicher Art ergaben, verschwieg Ickstatt ebenfalls nicht. So werde das höchste Recht an der Stelle, in welcher im Fall kollidierender Gesetze billige Gerechtigkeit zu verlangen sei, oft in höchstes Unrecht verwandelt, wenn der Richter nicht mit einem Studium des Naturrechts vertraut sei.161

4. Gewisse Einseitigkeit im Studium

In Verbindung mit der Kritik am veralteten Lehrprogramm missbilligte Ickstatt zudem, dass im rechtswissenschaftlichen Studium hauptsächlich nur eine Vorbereitung auf das Advokaten- und Richteramt erfolgen würde und man die angehenden Juristen ohne Berücksichtigung neuer Wissenschaften wie dem Ökonomie-, Kameral- oder Polizei-Wesen somit nicht zum Wohle ihres Herrn sowie ihres Landes vernünftig ausbilde.162 Angesichts dieser Worte darf man Ickstatt allerdings nicht als einen Gegner von Schwerpunktsetzung oder Spezialisierung begreifen. Wie noch zu zeigen sein wird, ist vielmehr eine gegenteilige Einschätzung sachgerecht.

Dennoch ist nach Ickstatts Meinung eine völlig einseitige Ausbildung ohne fächerübergreifende Grundkenntnisse dem Verständnis generell abträglich.

Diejenigen etwa, die im Lehrfach des allgemeinen öffentlichen Rechts weniger vorbereitet sind, würden beim Studium des riesigen Umfangs bürgerlicher Gesetze geschwächt sein und mit führungsloser Unklarheit zu

158 Programma de necessitate, Cap. I., §. 19.

159 Ebd.

160 Schröder, Jan - Rechtswissenschaft in der Neuzeit, wie Fn. 53, S. 187 mit der entsprechenden Bezugnahme auf Meditationes praeliminares, Cap. IV., §. VI.

161 Programma de necessitate, Cap. I., §. 22.

162 Meditationes praeliminares, Cap. III., §. XXXVI.

kämpfen haben.163 Folglich sollte das Optimum in der Lehre eine Mischung aus angemessener Grundlagenbildung und soliden Spezialkenntnissen beinhalten, wobei zugunsten des dafür konzipierten Unterrichtsablaufs ein festes Raster erforderlich war. Bei einer diesem Ideal widersprechenden Einteilung machte sich Ickstatt sogar Sorgen um den Staatskörper.

Schließlich unterstand die Führung eines Regimes der Verwaltung durch Juristen, die ihre Befähigung aufgrund einer einschlägigen Ausbildung erhielten. Insofern sah Ickstatt keine Abhilfe bei gewissen Fehlern, wenn nicht das Studium des allgemeinen öffentlichen Rechts mit Ernst in den Universitäten bearbeitet werde.164