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Die naturrechtliche Philosophie als geistiges Fundament aller Überlegungen

E) Ickstatts Vorstellungen von einem Rechtsstudium

I. Die naturrechtliche Philosophie als geistiges Fundament aller Überlegungen

Den Anfang dieser Übersicht über die Visionen Ickstatts muss natürlich die naturrechtliche Philosophie bilden, welche als zentrales geistiges Fundament für die Neuerungen fungieren sollte.

Wie oben schon erörtert wurde, stand Ickstatt ganz unter dem Einfluss seines Lehrmeisters Christian Wolff und dessen Philosophie (bzw.

Methode).272

Die Notwendigkeit zur Beschäftigung mit diesen philosophischen Lehren beschrieb Ickstatt äußerst anschaulich, indem er unter anderem zu verstehen gab, dass mit der Kenntnis des Naturrechts einleuchtend zu beweisen sei, wie der Mensch durch das Gesetz der unveränderlichen Natur zur Vollkommenheit seines Zustands und zu einer genauen Beachtung der sich zu widmenden Aufgaben verpflichtet werde.273 Sinngemäß existiert damit ein naturrechtlicher Ausgangspunkt, der in der Form einer Bindung das menschliche Handeln festlegt.

Die Basis des Naturrechts sei dabei in jeder Hinsicht brauchbar, da die Pflichten des Menschen sowohl gegenüber sich selbst, gegenüber seinem Schöpfer als auch gegenüber den Anderen deutlich gemacht werden

272 Siehe oben S. 33 ff. und beispielhaft für die zahlreichen Verweise auf philosophische Werke Wolffs in den Meditationes praeliminares unten Fußnote 746; weitergehende Ausführungen zur mathematisch-demonstrativen Methode erfolgen unmittelbar im Anschluss an diesen Abschnitt unter II.

273 Programma de necessitate, Cap. I., §. 3.

würden.274 Der Nutzen des dadurch erlangten Wissens könne zudem in unmittelbarer oder mittelbarer Weise erfolgen.275 Dementsprechend können die naturrechtlichen Grundsätze in allen Lebenslagen von Bedeutung sein.

Wie diese Nützlichkeiten wissenschaftlich eruiert werden sollten, demonstrierte Ickstatt ausführlich in seiner Schrift „Meditationes praeliminares“.

Dabei signalisierte er bereits mit den Bezeichnungen der ersten drei Kapitel

„De Fundamento & Cognitione Juris in genere“ (Cap. I.), „De Partibus Juris earum Principiis, & Ordine“ (Cap. II.) sowie „De Principiis Partium Juris &

earundem ordine“ (Cap. III.),dass es ihm primär immer auf das Fundament und die Prinzipien einer Thematik ankam. Zur Verdeutlichung dieser Maxime benutzte er über mehrere Dutzend Male die lateinischen Begriffe

„fundamentum“ und „principiis“ als inhaltliche Gliederungspunkte.276 Es ging also am Anfang stets um die Gewinnung von Grundlagenkenntnissen, die in ihrer elementaren Form sogar in verschiedenen Wissenschaften Anwendung finden konnten. Dies galt nach Ickstatt unter anderem auch für die Theologie, in welcher die christlichen Gesetzmäßigkeiten im Naturrecht feste Stützen finden würden, so dass eigentlich gleichzeitig der Theologe auf die Prinzipien des Naturrechts nicht verzichten könne.277 Diese umfassende Verwendung des philosophischen Naturrechts in sämtlichen Wissenschaften entsprach generell dem Zeitgeist des 18. Jahrhunderts.278 Allerdings gebrauchte Ickstatt die allgemeingültige Anwendbarkeit des Naturrechts grundsätzlich nur argumentativ im Rahmen seiner speziellen Abhandlungen bezüglich der Rechtswissenschaft. Was etwa die Wesensmerkmale einer guten juristischen Definition anginge, so dürfe diese

274 Ebd., Cap. I., §. 10.; das Naturrecht wurde von Ickstatt auch als eine „obligatio“

begriffen, siehe dazu Ebd., Cap. I., §. 11. bzw. die identische Auslegung von Bamberger, Rudolf, wie Fn. 3, S. 87.

275 Ebd., Cap. I., §§. 7. u. 10. ff. (bzgl. des unmittelbaren Nutzens) bzw. §§. 8. u. 15. ff. (bzgl.

des mittelbaren Nutzens); zu den Erläuterungen der Begriffe „unmittelbar“ – „mittelbar“

siehe ferner S. 154 f.

276 Vgl. Meditationes praeliminares, wobei sich vor allem Cap. I. und II. überwiegend den einzelnen Grundlagen widmet, während sich Cap. III. hauptsächlich mit den erforderlichen Prinzipien auseinandersetzt.

277 Programma de necessitate, Cap. I., §§. 13. u. 16.

278 Schmidt-Biggemann, Wilhelm, wie Fn. 106, S. 391 (422).

„nur innere Begriffsmerkmale enthalten und müsse vollständig, zugespitzt sowie als Prinzip für weitere Demonstrationen fruchtbar sein“.279

Davon unabhängig nahm er zum Beispiel im ersten Kapitel seiner

„Meditationes praeliminares“, welches er den übersetzten Titel „über das Fundament und die Kenntnis des Rechts im Allgemeinen“ gab, fast ausschließlich eine Grundlegung durch die naturrechtliche Philosophie vor.280 Egal ob von moralischen Handlungen (§. I.), vom moralischen bzw.

physikalischen Sein (§. V.), vom natürlichen oder positiven Recht (§§.

VIIII. u. XII. f.), von den „rationes“ (§§. XV.-XXV. u. XXVIII.) oder direkt von der Erkenntnis des philosophischen Rechts (§§. XXXI.-XXXIII., XXXVI.-XXXIX. u. XLI.f.) geschrieben wird, die zentrale Grundlage der gesamten Rechtslehre bleibt die naturrechtliche Philosophie. Letztere erfährt in den übrigen drei Kapiteln der „Meditationes praeliminares“ über zahlreiche Verweise auf das erste Kapitel (z. B. in Cap. IV. §§. III. oder XXVIII.) und spezielle Erklärungspunkte (wie etwa in Cap. II. §§. XLVI. ff.

oder Cap. III. §§. VI. ff.) auch eine fortlaufende ständige Beziehung zu allen getroffenen Aussagen des Eröffnungskapitels. Doch selbst ohne diese Art von Auslegung des Textinhalts ist es offensichtlich, dass Ickstatt das

„Fundament“ seiner Rechtslehre in der naturrechtlichen Philosophie sah.

Ganz ausdrücklich stellt er nämlich in Kapitel 3 selbst klar, dass für ihn als Ausgangspunkt zur Erlernung spezieller Rechte, also im Sinne einer den Denkprozess schulenden Einführung, jeweils nur die praktische Philosophie des Naturrechts in Betracht komme. Demnach beginnen die Ordnungen des Völkerrechts (Cap. III., §. XX.), des privaten bürgerlichen Rechts (Cap. III.,

§. XXII.), des Lehnsrechts (Cap. III., §. XXX.) und des Öffentlichen Rechts (Cap. III., §. XXXIV.) mit den Weisheiten des philosophischen Naturrechts.

Lediglich bei der Ordnung des kanonischen Rechts sind am Anfang vor bzw. neben dem Naturrecht auch geschichtliche Studien zu betreiben (Cap.

III., §. XXVII.).

Aufgrund dieser Feststellungen ist es schließlich nur noch eine Bestätigung der gemachten Schlussfolgerungen, wenn Ickstatts Äußerungen das

279 Schröder, Jan - Rechtswissenschaft in der Neuzeit, wie Fn. 53, S. 187, Meditationes praeliminares, Cap. IV., §. 6.; Ickstatt verwies in diesem Zusammenhang abermals auf seinen Lehrmeister Christian Wolff.

280 Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich alle auf das genannte Werk.

Naturrecht in einer Definition als „jenen Teil der universellen Rechtsgelehrsamkeit“ bezeichnen, „aus dem alle übrigen Prinzipien und Grundlagen entlehnt sind sowie hervorleuchten“.281

Die ständig auf dem philosophischen Naturrecht basierende Herangehensweise Ickstatts, kann man aber nicht nur hier erfahren. So lässt insbesondere auch sein speziell für den rechtswissenschaftlichen Unterricht geschaffener „Kurtzer Entwurff Einer Vernünfftigen Lehr-Art“ (Kurtzer Entwurff – 1746) eine identische Bewertung zu. Dabei ist es nicht nur der Titel, der mit den Schlagwörtern der Vernunft und des Nutzens das naturrechtliche Programm nach außen vorgibt. Vielmehr wird extra für den angehenden Juristen bereits in §. 5. nach den ersten Paragraphen, in denen Ickstatt philosophische Studien für irgendein danach folgendes Studium der oberen Fakultäten voraussetzte, ein Start der juristischen Studien mit dem Naturrecht als der wahren Philosophie eines jeden Rechts propagiert.

Dieser Intention gemäß formulierte Ickstatt in seinen „Positiones iuris Naturalis“ von 1746 frei übersetzt folgendes:

„Der ausgezeichnete Nutzen des Studiums des natürlichen Rechts wird in jedem Leben, vor allem im Studium des privaten Rechts, ohne

Schwierigkeiten bewiesen.“282

Das wahrscheinlich zentralste Prinzip, welches Ickstatt für seine Reformen aus der naturrechtlichen Philosophie entnahm, war ferner, dass die Natur selbst oder die natürliche Vernunft uns (Menschen) verpflichte, unsere Handlungen zu organisieren.283 Demnach ist es nur konsequent, wenn man den Wunsch hegt, in den Wissenschaften eine vernünftige Ordnung einzurichten. Letzteres war auch eine der wichtigsten Intentionen bei den Reformbemühungen Ickstatts, was im Rahmen des Gliederungspunktes E) V. 7. noch etwas ausführlicher dargestellt wird.

281 Meditationes praeliminares, Cap. II., §. III.; siehe auch die identische Auslegung bei Bamberger, wie Fn. 3, S. 86 f.

282 von Ickstatt, Johann Adam - Positiones iuris naturalis (im Folgenden: „Positiones iuris naturalis“), Ingolstadium 1746, Prolegomena, §. 42.

283 Programma de necessitate, Cap. I., §. 10.

Dies spiegelt dann auch den Neubeginn der deutschen Jurisprudenz im 18.

Jahrhundert wider, die mit der Natur der Sache und mit der als Autorität auftretenden gesunden Vernunft ihre Leitbegriffe hatte.284

Unabhängig von der nunmehr festgestellten naturrechtlichen Grundlegung bei Ickstatt, die explizit ebenso mit dem Werk „Programma de necessitate“

zum Ausdruck kommt, wird unten bei Abschnitt E) V. 2. a) überdies ausgeführt werden, was Ickstatt zusätzlich im speziellem Rechtsgebiet

„Naturrecht“ vermitteln mochte.

II. Die mathematisch-demonstrative Lehrart als methodisches