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Die mathematisch-demonstrative Lehrart als methodisches Fundament des

E) Ickstatts Vorstellungen von einem Rechtsstudium

II. Die mathematisch-demonstrative Lehrart als methodisches Fundament des

Wie Ickstatt in der naturrechtlichen Philosophie sein geistiges Fundament für sein reformatorisches Wirken erblickte, so sehr war er davon überzeugt, dass die nötigen Lehrinhalte nur über eine richtige Methodik vermittelt werden könnten.

Sein Motto lautete folglich:

„Dabei bin ich mir sicher, dassdie Kommilitonen mit der Kenntnis nützlicher Dinge unter Heranziehung der Überlegung und des Beweises

durch die richtige Methode sachkundige Wahrheiten lernen.“285

Nicht überraschend erkannte er dabei die von Christian Wolff übernommene mathematisch-demonstrative Lehrart als methodisches Fundament seines Gesamtkonzepts an. Schließlich hatte Wolff sein angewandtes System in Gestalt des rationalistischen Naturrechts ja auch auf eine höchst mögliche Stufe geführt.286 Ferner strebten sowohl Wolff als auch sein Schüler Ickstatt übereinstimmend nach einer Demonstration, die „einen Beweis, bei dem kein Zweifel übrig bleibt“, hervorbringt.287 Die Anwendung der mathematisch-demonstrativen Methode hatte für Ickstatt trotzdem vor allem

284 Neusüß, Wolfgang, wie Fn. 197, S. 24 f.

285 Programma de necessitate, Elenchus, zweiter Absatz, letzter Satz.

286 Voppel, Reinhard, wie Fn. 210, S. 191.

287 Bamberger, Rudolf, wie Fn. 3, S. 130 f.

zentrale sachliche Gründe und war weniger der persönlichen Verbundenheit zu seinem Lehrer geschuldet.

So war die methodische Vorgehensweise Wolffs gerade in katholischen Territorien akzeptiert und konnte somit leichter Eingang in die dortigen Universitätsbetriebe finden.288 Ickstatt selbst erläuterte diesen Vorzug ziemlich deutlich, indem er klarstellte, dass gerade mithilfe der demonstrativen Methode das Ende aller natürlichen Verpflichtungen bei Gott gesucht und lückenlos bewiesen werden könne.289 In dieser systematischen Darstellung hatte damit die Offenbarung als fundamentale Erkenntnisquelle der Jurisprudenz fortwährend Bestand, was der katholischen Doktrin genehm war.

Darüber hinaus benötigte Ickstatt gleichsam eine passende Technik, um die soeben beschriebene naturrechtliche Grundlegung in den rechtswissenschaftlichen Studien zu verankern. Dieses perfekte systematische Werkzeug, welches als Bindeglied zwischen den naturrechtlichen Prinzipien und den Inhalten der juristischen Lehrgebiete eine lückenlose und bindende Einheit herstellen sollte, konnte nach Ickstatts Auffassung nur die demonstrative Verfahrensweise bieten. Jedenfalls müssten die deutlich zu zeigenden Regeln und Quellen des Naturrechts, die für einen richtigen und gerechten Pfad im Recht erforderlich seien, unter Verwendung der demonstrativen „ratio“ abgeleitet werden.290 An diesen Ausführungen kann man erkennen, dass Ickstatt sich bewusst für die Anwendung der mathematisch-demonstrativen Methode entschieden hatte und diesbezüglich durchaus sachliche Argumente vorzubringen wusste.

Dies kann zwar die kritischen Elemente daran nicht völlig auslöschen, macht die Vorgehensweise Ickstatts aber verständlich.

Am ausführlichsten beschrieb Ickstatt die ihm genehme Technik in den

„Meditationes praeliminares“, in denen er gerade in Kapitel 4, das von der Methode, wie die Rechtswissenschaft zu lehren und zu lernen sei, handelt, schwerpunktmäßig die mathematisch-demonstrative Lehrart propagierte und

288 Siehe zur Methode Wolffs und ihrer Verwendung oben S. 33 ff.

289 Programma de necessitate, Cap. I., §. 11.

290 Ebd., Cap. I., §. 10.

erklärte.291 Wie die Prinzipien im Recht zu demonstrieren sind (Cap. IV., §.

V.), wie die Definitionen im Recht sein sollen (Cap. IV., §. VI.), wo der Ort von Definitionen im Recht ist (Cap. IV., §. VIII.), was die Regeln (Cap. IV.,

§. XXIII.), die Axiome (Cap. IV., §. XII.) oder die Stoffteile des Rechts sind und wann sie ohne Nachweis nicht anzunehmen sind (Cap. IV., §. XXV.), lauten folglich die Fragen, welche dem Leser zum besseren Verständnis gestellt werden. Freilich gab Ickstatt entweder direkt bei den aufgeworfenen Fragen oder im Anschluss in eigenen Paragraphen stets die entsprechenden Antworten. Danach müssen die Axiome des Rechts sicher sein (Cap. IV., §.

XVI.) oder unsichere und zweifelhafte Axiome im Recht beseitigt werden (Cap. IV., §. XVII.). Ferner ist eine Definition des Rechts zu fordern (Cap.

IV., §. XX.). Darüber hinaus sind die Gesetze in determinierte Satzinhalte aufzulösen (Cap. IV., §. XXVII.). Diese und weitere Ausführungen im 4.

Kapitel sind somit gleichzeitig eine Erklärung der wichtigsten begrifflichen sowie logischen Hilfsmittel der mathematisch-demonstrativen Methode, wie etwa der Definition, des Axioms, des Lemmas oder des Systems.292 Zusammenfassend formulierte Ickstatt schließlich sogar neun einzuhaltende Grundregeln, welche die Vorgehensweise unter Verwendung der mathematisch-demonstrativen Methode plastisch werden lassen.293 Dabei machte Ickstatt mit dem von ihm häufig benutzten Begriff „propositiones“

hier besonders deutlich, dass es ihm um die Behandlung von Vordersätzen im syllogistischen Stil ging.

Neben dieser umfassenden Erläuterung der Merkmale der mathematisch-demonstrativen Lehrart im 4. Kapitel, griff Ickstatt bereits im 1. Kapitel der

„Meditationes praeliminares“ diese Methode auf. Auf die Fragen, was die Erkenntnis des Rechts durch die Mathematik ist (Cap. I., §. XXXIV.) und wann die Erkenntnis des philosophischen Rechts sicher ist (Cap. I., §.

XXXVIII.), gab er unter einem Eingehen auf die mathematisch-demonstrative Methode strukturierte Antworten. Ausdrücklich wird dabei in einem eigenen Paragraphen (Cap. I., §. XXXV.) der Nutzen der Erkenntnis des Rechts durch die Mathematik erwähnt.

291 Meditationes praeliminares; die nachfolgenden Ausführungen haben ihre Quellen ebenfalls in diesem Werk.

292 Kreh, Fritz, wie Fn. 4, S. 43.

293 Meditationes praeliminares, Cap. IV., §. XXXIII.; diese neun Regeln sind in möglichst wörtlicher Übersetzung im Anhang 3 (S. 215) abgedruckt.

Unabhängig von den expliziten Ausführungen zur mathematisch-demonstrativen Lehrart ist freilich das gesamte Werk der „Meditationes praeliminares“ im Stile der Wolff„schen Methode abgefasst. Sämtliche Elemente des Rechts sowie der Rechtswissenschaft werden vollumfänglich erfasst, aufgeteilt und definiert, wobei alle rechtswissenschaftlichen Denkprozesse durch eine stufenweise Methodik strukturiert sind.294 Aufgrund dieser Darstellungsweise ist es durchaus berechtigt, wenn die Publikationen von Ickstatts „Meditationes praeliminares“, von Cramers

„Programma de optima iura docendi methodo“ und von Schierschmidts

„Specimen iuridicum de servitutibus eorumque specibus, ad ductum institutionum Iustineanearum“ im Jahre 1731 als die Geburtsstunde einer Wolff„schen Richtung in der deutschen Rechtswissenschaft deklariert werden.295 Die „Meditationes praeliminares“ allein werden seit ihren ersten Beurteilungen zudem als juristische Enzyklopädie und Methodologie aufgefasst, in welcher die gesamte Rechtswissenschaft erläutert wird.296 Eine geradezu modellhafte Darstellung des von Ickstatt praktizierten syllogistischen Stufenaufbaus findet sich in anschaulicher und gut nachvollziehbarer Weise auch in der Schrift „Specimen iuris publici Imperii Romano-Germanici de iure statuum Imperii expellendi, atque transplantandi subditos, diversam a territorii domino religionem amplectentes“ (1735). Im Rahmen dessen zeigt Ickstatt verschiedene Konstellationen für seinen favorisierten Argumentationsstil auf. Danach können bestimmte Gesamtaussagen aus optionalen Baustein-Ketten erschlossen werden, die Oberbegriffen wie der Definition, der Anmerkung, dem Axiom, dem Lemma, der Hypothese, dem Theorem, der Demonstration oder dem Korollar untergeordnet sind.

Was wiederum insgesamt die Bedeutung der zum Ursprungszustand zurückzuverfolgenden Methodik betrifft, erläuterte Ickstatt, dass ein richtiges „judicium“ durch die Suche nach der Naturanlage in der natürlichen Verpflichtung und bei Gott zu erlangen sei.297 Dieser auf den naturrechtlichen Quellen aufgebaute Argumentationkreis, der letztendlich

294 Kreh, Fritz, wie Fn. 4, S. 43.

295 Landsberg, Ernst, wie Fn. 95, Text – S. 272 f.

296 Schubart, Christian Friedrich Daniel - Leben des Freyherrn von Ikstadt, churfürstl.

Bairischen Geheimden Raths, Ulm / Stettin 1776, S. 87.

297 Programma de necessitate, Cap. I., §. 11.

auf ein bindendes Ergebnis hinaus will, benötigt aber dann eben auch eine lückenlos determinierende Systematik.

Im Jahre 1746 scheint für Ickstatt die Bekanntheit dieser mathematisch-demonstrativen Methode schon selbstverständlich gewesen zu sein.

Zumindest erwähnt er das System in dem „Kurtzen Entwurff“ direkt nicht und schreibt lediglich in §. 18.:

„Deutliche Begriffe, ohnlaugbare Grund-Wahrheiten, und in einer systematischen Ordnung erwiesene Sätze sind es, warum man sich auf

Academien hauptsächlich zu bekümmern hat.“

Diesen Absichten entsprechend musste sich Ickstatt vor allem im Rahmen seiner öffentlichen Vorlesungen freilich auch didaktischen Zwängen unterordnen, die beim Gebrauch bestimmter Lehrbücher nicht immer eine durchgehende und strikte Anwendung der demonstrativen Methode erlaubten. Jedenfalls gab er selbst zuweilen zu erkennen, dass die von ihm bevorzugte Verfahrensweise bei seinen öffentlich und privat gehaltenen Kursen unterschiedliche Berücksichtigung fand. Während er nämlich öffentlich die „Jurisprudentia publica“ nach Burkhard Gotthelf Struve (1671 – 1738) ohne besondere Anmerkungen ankündigte, gab er für sein Privatkollegium folgendes vor: „Privat im öffentlichen Recht des römisch-deutschen Reiches habe ich die Jurisprudentia publica desselben Burkhard Gotthelf Struve ausgewählt, wobei ich jedoch in der demonstrativen Methode alle Paragraphen in abgegrenzte Vordersätze auflösen werde … .“298 Eine ähnliche Handhabung Ickstatts dürfte bei seiner Verwendung des Lehrbuchs „Elementa Juris Civilis secundum ordinem pandectarum“ von Johann Gottlieb Heineccius (1681 – 1741) vorgelegen haben. Einerseits wird für dieses Werk neben deutlichen und angenehmen Darlegungen nämlich allgemein die Verfolgung einer systematischen Methode angenommen, die sich von dem „demonstrativen“ Stil eines Christian Wolff derartig unterschied, dass sie in Gestalt lediglich „axiomatischer“ Technik nicht jeden automatischen Grundsatz durch syllogistische Schlüsse herleiten wollte, sondern gewisse Leitgedanken als gegeben voraussetzte und dadurch

298 Ebd., Elenchus.

eine unangemessene Weitschweifigkeit vermied.299 Ganz im Sinne dieser Bewertung hat andererseits auch Ickstatt selbst seine Auswahl von Heineccius folgendermaßen begründet: „Wen ich als Autor deswegen vor Anderen, die das Recht der Digesten in ein Kompendium gebracht haben, bevorzuge, weil er nicht die Grenzen des akademischen Kompendiums verlässt, ebenso einen wunderbaren Bestand der Angelegenheiten sich anvertraut, von den unnützen und meistens bei den zu prüfenden Gegenständen nicht oder nicht zu wenig auf hergestellte Rechtfertigungen verzichtet … .“300 Im Rahmen seiner akademischen Vorlesungen war Ickstatt zum Wohle einer sachgerechten juristischen Ausbildung somit durchaus im Stande, sich im Bedarfsfall von dem durchgängigen Gebrauch der Wolff„schen Strategie zu lösen. Lediglich daneben erstrebte er, soweit es didaktisch sinnvoll war, eine Berücksichtigung des mathematisch-demonstrativen Verfahrens.

Doch auch bei Anwendung dieser syllogistischen Technik sollte in Kombination mit der naturrechtlichen Grundlegung primär nur ein zentraler Hauptzweck erfüllt werden. Dieser ergibt sich aus seiner folgernden Aussage: „… mithin wird unser neue Anfänger in den Stand gesetzt, von allem und jeden, …, gründlich zu urtheilen, und aus denen gesunden Vernunffts-Reguln überall einen hinreichenden Grund anzuführen, warum dieses oder jenes von denen Gesetz-Gebern viel mehrers auf diese als auf eine andere Art determinirt worden, oder determinirt und gesetzt werden sollen.“301 Auffällig ist hier wiederum die für den „Kurtzen Entwurff“

typische rudimentäre Erwähnung des mathematisch-demonstrativen Systems.

Abgesehen davon und den soeben gemachten Ausführungen blieb die Wolff„sche Struktur für Ickstatt natürlich dennoch sein methodisches Fundament, das er so häufig wie möglich empfahl und in der Praxis anwenden wollte.

299 von Stintzing, Johann August Roderich - Heineccius, Johann Gottlieb, in: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), Band 11, Leipzig 1880, S. 361 – 363 (362 f.).

300 von Ickstatt, Johann Adam - Specimen iuris publici Imperii Romano-Germanici de iure statuum Imperii expellendi, atque transplantandi subditos, diversam a territorii domino religionem amplectentes (im Folgenden: „Specimen iuris publici Imperii Romano-Germanici“), Wirceburgum 1735, Anhang („lectiones suas“), 5.

301 Kurtzer Entwurff, §. 5.

Wie ein dementsprechender Unterrichtsablauf dann konkret aussehen konnte, gab Ickstatt durchaus genau an. So verlautbarte er in einer Vorlesungsankündigung zugunsten der Abhandlung „De jure belli ac pacis“

frei übersetzt Folgendes: „Den Freunden des Natur- und Völkerrechts von Hugo Grotius werde ich die Erörterung über das Recht des Krieges und des Friedens so erklären, dass die Paragraphen in alle ihre beiwohnenden Definitionen und in ihre abgegrenzten Themen aufgelöst werden, die aufgelösten und die abgegrenzten Inhalte sowohl anhand der eigentümlichen Prinzipien des Verfassers selbst als auch, wo es nötig sein wird, anderswoher zur Hilfe der Bezeichnung dauerhaft bewiesen werden, die Darlegungen mit Beispielen der neuen Geschichte veranschaulicht werden und gleichsam durch diese Gestikulation eine Methode zur selben Anwendung aufrechtzuerhaltender Prinzipien von uns erklärt wird.“302 Von den positiven Wirkungen durch eine bestimmte Lehrordnung, insbesondere durch die mathematisch-demonstrative, zeigte sich Ickstatt also vollkommen überzeugt.

Eine grundsätzliche Abkehr des von ihm verinnerlichten Systems konnte daher gar nicht eintreten. In der Konsequenz fallen in der Untersuchung danach in allen seinen Schriften sofort die Verweisungsketten auf, die ihren Ausgangspunkt fast immer in der Bestimmung eines Grundbegriffs haben und die von Ickstatt dadurch in für die Leser didaktisch sinnvoller Weise eingesetzt wurden, dass die einzelnen Aussagen von ihrem Ursprung aus mitverfolgt und logisch nachvollzogen werden können.303

Im Ergebnis nahm Ickstatt damit die beiden Grundsätze der mathemathisch-demonstrativen Methode mustergültig in sein Programm auf. Diese Grundsätze waren der Satz des Widerspruchs mit Abstraktionsstufen, welcher vorsah, „kein Wort zu verwenden, das nicht erklärt ist, sofern bei seinem Gebrauch eine Zweideutigkeit entstehen kann“, und der Satz vom zureichenden Grund mit Begründungsketten, welcher bestimmte, „jeden

302 von Ickstatt, Johann Adam - Arctos iuris talionis limites in statu hominum gentiumque naturali Programmate (im Folgenden: „Arctos iuris talionis limites“), Wirceburgum 1733, Anhang („lectiones suas“), 3.

303 Bamberger, Rudolf, wie Fn. 3, S. 127.

Satz aus dem vorangegangenen in logischer Schlussfolgerung zu entwickeln“.304

Die umfassende Kritik, die schon die Zeitgenossen an der bis ins kleinste Detail zu stark determinierenden mathematisch-demonstrativen Methode übten,305 blieb Ickstatt freilich nicht verborgen. Relativ frühzeitig versuchte er wohl deshalb in Ansätzen seine Vorgehensweise zu rechtfertigen. So sei es eben schon Heineccius in seinem Zeitalter erlaubt gewesen, das Recht entsprechend der Lehre von „rationes“ etymologisch zu erklären. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass Heinneccius, wie eben schon erwähnt keineswegs ein mathematisch-demonstratives Lehrsystem im Sinne Wolffs anwandte, sondern lediglich eine vergleichbare Systematik praktizierte.

III. Eine historische Betrachtungs- und Begründungsweise der