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Legitimierung von Entscheidungs- und Handlungsprozessen durch Betroffenenbeteiligung

2 Theoretische Konzepte

2.5 Ziele von Patienten- und Bürgerbeteiligung im Gesundheitssystem

2.5.2 Legitimierung von Entscheidungs- und Handlungsprozessen durch Betroffenenbeteiligung

und Wirtschaftlichkeit der Gesundheitsversorgung – eingesetzt.100 Diesen doppelten Begrün-dungs- und Legitimationsschwerpunkt setzen auch Reibnitz/Litz101 und grundsätzlich Fran-cke/Hart102, die von einer demokratischen Basislegitimation für Beteiligung ausgehen, die durch funktionale Begründungen im konkreten Sachzusammenhang ergänzt würden.

2.5.2 Legitimierung von Entscheidungs- und Handlungsprozessen durch Betroffe-nenbeteiligung

Patienten- und Bürgerbeteiligung als Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele verweisen auf die Legitimierung prekärer Versorgungsentscheidungen der verschiedenen im Gesundheits-system agierenden staatlichen und nicht-staatlichen Akteure – und damit auf die Legitimität des gesamten Systems.

Legitimität bezeichnet allgemein die Rechtmäßigkeit einer politischen, gesellschaftlichen oder anderen Ordnung, von Entscheidungs- und Handlungsbefugnissen und ihrer Ausübung.103 Diese allgemeine Definition verweist darauf, das sich Legitimität im Kern auf die normative Frage nach der „richtigen“ bzw. „guten“ Ordnung bezieht: Legitimiert ist das, was Recht ist und für recht gehalten wird.

Legitimität ist doppelt verankert, indem sie sich auf konstitutiv geregelte Verfahren von Herr-schaftsbildung und Entscheidungsfindung sowie auf Wertüberzeugungen und Grundnormen bezieht.104 Diese beiden Elemente, Verfahrensregeln und Grundwerte, sind untrennbar mit-einander verknüpft und aufmit-einander bezogen, weshalb Legitimität auch rechtspositivistisch als Legalität – die Übereinstimmung des Handelns mit den bestehenden Gesetzen und insbeson-dere der Verfassung – gedeutet wird. Die Einhaltung von festen Regeln, d.h. Verfahrenslegi-timität ist aber noch nicht alles, es geht auch und vor allem um die Wechselbeziehung zwi-schen gesellschaftlichen Wertvorstellungen (der „Beherrschten“ oder Betroffenen) und den Wertvorstellungen und Normen, an die sich Akteure halten und die in der jeweiligen Ordnung zum Ausdruck kommen. So wird zwischen Legitimitätsglauben105 und Legitimität im norma-tiven Sinn bzw. Westle106 zufolge zwischen Einstellungen und Einstellungsobjekten107 unter-schieden. Diese Trennung zwischen Legitimitätsglauben und normativem

Legitimitätsan-100 „Beteiligung kann die Funktion haben, Versorgungsgerechtigkeit, Effektivität und Effizienz der Versorgung und eine demokratische Organisation des Gesundheitswesens zu unterstützen.“ (Francke/Hart 2001, S.47)

101 Reibnitz/Litz 1999; außerdem Mosebach 2005.

102 Francke/Hart 2001, S. 52, 49; Hart 2001; Hart/Francke 2002. Außerdem Hart 2005, S. 8.

103 Stichwort „Legitimität“, in: Sachwörterbuch der Politik, hrsg. v. R. Beck, S.550.

104 Hier und im Folgenden: Westle 1989, S. 22-25.

105 Genauer: Überzeugung der Beherrschten von der Rechtmäßigkeit bzw. Richtigkeit der politischen Ordnung.

Auch: Akzeptanz oder politische Unterstützung.

106 Westle 1989.

107 Gemeint sind – normative – Eigenschaften des politischen Systems. Westle 1989, S. 25.

spruch sucht Habermas durch Verknüpfung zu überwinden, wonach er Legitimität als Aner-kennungswürdigkeit einer (politischen) Ordnung definiert.108 Die Verbindung von Legitimi-tätsanspruch und -glauben stellt sich dar als die Übereinstimmung zwischen gesellschaftlichen und institutionalisierten Wertvorstellungen – oder im empirischen Zugriff: als die Überzeu-gung der Bürger, dass das Funktionieren der politischen Ordnung, Handlungs- und Entschei-dungsprozesse weitgehend mit ihren Wertvorstellungen und Ansichten, vom dem, was richtig und falsch sei, übereinstimmt.109 Anders formuliert: Im Prinzip gilt das als rechtmäßig, was den Vorstellungen einer Gesellschaft von der „richtigen“ bzw. „guten“ Ordnung entspricht.

Demokratie ist gekennzeichnet als eine aus dem Volk hervorgehende, durch das Volk selbst und in seinem Interesse ausgeübte Herrschaft.110 Daran anschließend, lässt sich formulieren:

Politische Ordnung und politische Machtausübung ist demokratisch legitimiert und wird für legitimiert gehalten, wenn bestimmte Verfahrensregeln eingehalten werden, die eine Reprä-sentation der Bürger sichern, wenn Wertüberzeugungen und Grundnormen der Mehrheit der Bürger in der politischen Ordnung zum Ausdruck kommen und wenn Bürgerinteressen be-friedigend umgesetzt und vollzogen werden.111 Darin wird deutlich, dass neben der Gewähr-leistung demokratischer Verfahren politische Entscheidungen nicht nur toleriert werden, son-dern moralisch überzeugen müssen. Eine solche „moralische Legitimität“112 wird, wie schon erwähnt, vor allem über die (Sicherung der) Übereinstimmung von Wertvorstellungen und Normen zwischen Herrschenden und Beherrschten erreicht.113 Damit verweist die Aussage aber auch auf die Bedeutung der Leistungsfähigkeit der politischen Ordnung und hier insbe-sondere des Wohlfahrtsstaates für (den Glauben an) deren Legitimität.114

Daraus ist zu schließen, dass die demokratische Legitimität eines Systems auf 1.) demokrati-schen Verfahrensregeln (Repräsentation und Partizipation) und 2.) auf der Effektivität seiner Leistungen beruht, die zusammen die Responsivität gegenüber Bürgerinteressen sichern bzw.

zum Ausdruck bringen. Mit Bezug auf den Politikprozess kann die verfahrensbezogene de-mokratische Legitimität mit Scharpf115 auch als Input-Legitimierung bezeichnet werden. In-sofern, als es um die Ergebnisse und die Leistungsfähigkeit des politischen Systems geht,

108 Habermas 1976, Greiffenhagen 1997, S. 44-45.

109 Nohlen 2003, S.284; Easton 1979.

110 Schultze 2003, S.52.

111 Westle 1989, S. 27; Weber 1977, S.356-357.

112 Pardo 2000.

113 Pardo 2000, S. 4.

114 Weber1977, S. 357; Greiffenhagen 1997, S.43; Berg-Schlosser/Stammen 2003, S. 211.

115 Scharpf 1999, van Waarden 2003, S.267.

lässt sich wiederum der zweite Legitimitätsaspekt als Output-Legitimierung bezeichnen.116 Die zugrundeliegenden Orientierungen (Verfahrensorientierung vs. Ergebnisorientierung) verweisen auf unterschiedliche Demokratiekonzepte, die als Process Democracy und Content Democracy vorgestellt worden sind.117 Bezüglich der Akzeptanz des Systems bei der Bevöl-kerung bzw. des Legitimitätsglaubens, unterscheidet Easton118 entsprechend zwischen diffu-ser (grundsätzlicher Loyalität) und spezifischer (Politikergebnis und Leistungs bezogener) Unterstützung des Systems.

Auch Bürgerbeteiligung an Entscheidungs- und Kommunikationsprozessen ist in diese Dop-pelperspektive auf die Demokratie bzw. demokratische Legitimierung von Entscheidungen einzureihen. Zum einen ist Beteiligung als mehr oder weniger direkte Einbindung der Bürger in diese Prozesse zu betrachten, zum anderen kann sie als Mittel eingesetzt werden, um die Funktionsfähigkeit des Entscheidungs- und Durchführungsystems zu verbessern und schließ-lich gute Ergebnisse bzw. Leistungen für die Bürger zu erzielen. Die Gefahr besteht jedoch, dass die Funktionsfähigkeit des Durchführungssystems höher bewertet wird als die Responsi-vität gegenüber den Bürgern und damit funktionale Interessen über Bürgerinteressen dominie-ren.

Beteiligung als Demokratisierung des Gesundheitssystems: verstärkte direkte Einbindung von Bürgern und Patienten

Patienten- und Bürgerbeteiligung gilt in dieser Sichtweise als Hauptzweck zur Sicherung der Autonomie des Einzelnen und seiner Würde ebenso wie zur direkten – als Ergänzung zu indi-rekten – Repräsentation von Bürger- und Patienteninteressen in Entscheidungsprozessen.

Beteiligung als Demokratisierung zielt auf eine Erweiterung der Kreise der entscheidungsbe-fugten Akteure auf unterschiedlichen Entscheidungs- und Handlungsebenen im Gesundheits-wesen, um durch direkte und personale Anwesenheit von Patienten und Bürgern deren Inte-ressen und Bedürfnisse dort präsent zu halten und so die Responsivität von Entscheidungen und Entscheidungsinhalten gegenüber den direkt Betroffenen zu garantieren. Diese normative Zielsetzung von Beteiligung steht hauptsächlich in einer universalistischen Rollenperspektive mit Blick auf den (Staats-)Bürger.

116 Scharpf 1999, S. 6-21.

117 Saltman/von Otter 1989.

118 Easton 1979.

Beteiligung zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit und/oder der Leistungen des Gesund-heitssystems: Systemverbesserung mit Hilfe der Bürger und Patienten und/oder gute Versor-gung für Bürger und Patienten

Betroffenen- und Nutzerbeteiligung dient hier als Mittel, um Entscheidungs- und Handlungs-prozesse im Gesundheitsversorgungssystem zu verbessern und so schließlich den Patienten und Bürgern eine ausreichende, qualitativ hochwertige, umfangreiche und kostengünstige Versorgung zu gewähren. Beteiligung bezieht sich dabei darauf, verwertbare Informationen bei den Nutzern in Form von Meinungen, speziellem Wissen, Bewertungen und Prioritäten einzuholen, selbst zu informieren und das Verhalten der Patienten, Nutzer und Bürger zu steuern.

Dieses funktionale Ziel von Beteiligung kann sowohl universalistisch – auf die Bürger – als auch partikularistisch – auf Patienten, Nutzer, Kunden u.a. ausgerichtet sein.

Generell besteht bei der funktionalen und ergebnisorientierten Ausrichtung von Beteiligung die Gefahr, dass sich die verschiedenen Handlungsbereiche bzw. Subsysteme des Gesamtsys-tems von der Bürgerorientierung abkoppeln und eigenen Handlungslogiken und mit ihnen verknüpften Legitimationsmustern folgen.

Legitimität könnte unter Berufung auf die allgemeine Definition (bestimmte Verfahrensre-geln, befriedigende Umsetzung) auch nicht-demokratisch, das heißt z.B. nach ökonomischen, naturwissenschaftlichen oder medizinischen Kriterien definiert bzw. ausgefüllt werden. Legi-timiert bzw. rechtmäßig ist eine Ordnung, ein System, sind Entscheidungen und Handlungen danach dann, wenn Angebot und Nachfrage den Preis aushandeln, der zu zahlen ist, um eine Leistung zu erhalten, oder wenn nur die effizienteste Verwendung von Ressourcen oder die effektivste Verwendung eines Arzneimittels oder einer ärztlichen Behandlung verwirklicht wird. Nicht möglichst alle Patienten und Bürger ohne Unterschied, sondern die Kränksten oder die Finanzkräftigsten würden medizinisch behandelt werden. Nicht jede Krankheit wür-de wissenschaftlich erforscht werwür-den, sonwür-dern die interessantesten owür-der die unbekanntesten.

Grundlagenforschung wäre interessanter, da innovativer, als Anwendungsforschung. Entspre-chend können Betroffene eingebunden werden, um das Angebot zu optimieren bzw. besser an die Nachfrage anzupassen, die Qualität der Leistungen zu verbessern, um versteckte Reserven und Ressourcen zu erschließen, oder um die Wirksamkeit einer Behandlung zu erhöhen, ihr Ergebnis zu verbessern. In dieser Perspektive werden Betroffene in bestimmten Rollen in ein verstärkt ökonomisch, wissenschaftlich oder medizinisch geprägtes Gesundheitssystem inte-griert.

Patienten- und Bürgerbeteiligung werden zum Teil realiter funktional in bestehende Struktu-ren des Gesundheitssystems integriert: So setzt das Verwaltungssystem auf eine effektive Ge-setzes- und Planerfüllung, deren Zielgenauigkeit und Effektivität noch durch Bürgerbeteili-gung, und das heißt durch Informationssammlung, durch Öffentlichkeitsstrategien oder durch Zufriedenheitsbefragungen gesteigert werden kann. Das finanzplanerische und das ökonomi-sche System treffen sich in der Absicht, Überschüsse oder Gewinne zu erzielen oder zumin-dest die Ausgaben zu decken. Beteiligung kann in dem einen System als Mittel interpretiert werden, Steuerzahler, Versicherte oder Kunden zu kostenbewussterem Verhalten zu veranlas-sen, während Beteiligung in dem anderen System vor allem auf Kundenzufriedenheit und eine bessere Anpassung des Angebots an die Nachfrager zielt. Im medizinischen System ist das Handeln seiner Akteure auf Lebenserhaltung und Heilung von Krankheit ausgerichtet, wobei Patientenbeteiligung helfen kann, diese Maßnahmen und Prozesse zu beschleunigen, indem der Patient Verantwortung mitträgt, mithilft und medizinische Anweisungen befolgt. Schließ-lich kann Bürgerbeteiligung in Form einer zusätzSchließ-lichen direkten Beteiligung an Entscheidun-gen neben repräsentativen Formen auch der effektiven und dauerhaften (Partei-)Programmumsetzung im politischen System dienen, indem Verantwortung auch hier geteilt und politische Entscheidungen zusätzlich abgesichert werden.

Eine gleichzeitige Ausrichtung an den Bedürfnissen der Patienten und Bürger ist damit nicht ausgeschlossen, muss jedoch nicht vorrangig sein.

Sowohl in der Demokratisierungsperspektive als auch aus funktionaler Sicht dient Beteiligung der Systemstabilisierung, stellt im ersten Fall jedoch umfassend auf Patienten- und Bürgerin-teressen und -bedürfnisse ab, während im zweiten Fall Patienten und Bürger und ihre Bedürf-nisse nur ausschnittsweise unter Nutzenaspekten gesehen werden.

2.5.3 Funktionale Bestimmung politischen Handelns und Ziele von Patienten- und

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