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5 Vorstellungen von Patienten- und Bürgerbeteiligung in der politischen Diskussion 161

5.2 Die Diskussion von Patienten- und Bürgereinbindung in Finnland

5.2.5 Einbindung/Beteiligung

Die Beteiligung von Patienten an Behandlungs- und Pflegeentscheidungen gilt zusammen mit dem Recht auf Gesundheitsversorgung und Beschwerderechten als grundrechtsähnliches und unanfechtbares individuelles Recht. Patientenbeteiligung wird angesprochen unter den Gesichtspunkten der Stärkung der Patientenposition, der Rechtssicherheit in den Beziehungen zwischen Ärzten, Pflegern und Patienten, aber auch der Sicherung eines gleichen Niveaus der Gesundheitsversorgung in den Gemeinden, das in Gefahr gewähnt wird infolge der Staatszuschussreform von 1993. Die damit verbundene gesetzliche Stärkung der Gemeinden durch Machtdevolution von der zentralstaatlichen auf die lokale Ebene galt in den frühen 1990er Jahren zugleich einer Förderung bürgernaher Politik und der lokalen Demokratie.

Direkte Bürgerbeteiligung in den Gemeinden wird diskutiert im Zusammenhang einer perzipierten Krise der repräsentativen Demokratie in den Gemeinden, die sich in geringer Wahlbeteiligung ausdrückt.

Nicht zuletzt wird Bürgerbeteiligung aber auch thematisiert als eine Form der Aktivierung und Verantwortungsübertragung für Wohlfahrtsprojekte. Damit verbunden sind auch Sparpotentiale für die öffentlichen Haushalte als Antwort auf die finnische Rezession ab 1993 und unter dem Einfluss von Ökonomisierungstrends im öffentlichen Sektor seit den 1980er Jahren.385

5.2.4 Patient und Bürger

In der finnischen Beteiligungsdebatte ist von Patienten in der individuellen Gesundheitsversorgung, von Kunden in Gesundheitseinrichtungen, von Gemeindebewohnern als Nutzern oder Kunden der kommunalen Versorgungsangebote und als Bürger in der Politik die Rede. Die vermehrte Verwendung des Kundenbegriffs ist Ausdruck des in den 1980er Jahren aufgekommenen Dienstleistungsgedankens in der öffentlichen Sozial- und Gesundheitsversorgung im Sinne einer stärkeren Ausrichtung der Art und Weise der Leistungserbringung an Nutzerwünschen und damit einer besseren Versorgungsqualität.

5.2.5 Einbindung/Beteiligung

Bürgerbeteiligung meint im finnischen Diskurs zunächst indirekte Beteiligung an Entscheidungen über politische Wahlen und Abgeordnete sowie über die Lobbyaktivitäten von Bürgerorganisationen bzw. Wohlfahrtsverbände. Direkte Bürgerbeteiligung könne darüber hinaus, quasi in einem zweiten Schritt, innerhalb der bestehenden demokratisch-repräsentativen Ordnung oder organisationsintern indirekte Beteiligung ergänzen. Dazu

385 Diese ökonomischen Ursachenzusammenhänge betonen insbesondere Kettunen/Kiviniemi 2000, S. 46-47.

Auch Rättilä 2001, S. 197; Sutela 2001, S. 382.

werden (beratende) Bürgerabstimmungen, Bürgerbegehren, Anhörungen, die Einbindung von Bürgerorganisationen im Planungsprozess, d.h. im administrativ geprägten Vorfeld von Entscheidungen oder Gesetzesinitiativen, und weiterhin Veranstaltungen zum Informationsaustausch oder auch die Einräumung von Meinungsforen für Bürger im Internet gezählt. Hier wird vor allem auf Umfrage-, Verfahrens- und Beratungsbeteiligung gesetzt.386 Außerdem werden Patienten und Bürger als Kunden in einer „Kundendemokratie“

(asiakasdemokratia) in Verwaltungen und Versorgungseinrichtungen angesprochen, in der ihnen die Möglichkeit zur Einwirkung auf Versorgungsmodalitäten und -qualität über Beschwerdemöglichkeiten und Umfragebeteiligung (Fragebögen) gegeben werden soll.387 Beteiligung an der Verwaltung wird definiert als Dialog und Informationsausstausch, indem Kunden bessere Rückmeldungen auf ihre Eingaben und Anregungen erhalten, genauer über den Stand der Entwicklung der Verwaltung und von Entscheidungsprozessen informiert werden und Antworten auf ihre Anfragen bekommen.

Eine Beteiligung von Patienten an Entscheidungsprozessen wird allein auf persönliche Fragen und die medizinische Behandlung bezogen, über die Patienten und Ärzte im „gemeinsamen Einvernehmen“ (yhteisymmärryksessä) entscheiden.

Auch Wahlmöglichkeiten bezüglich des Arztes oder der Versorgungseinrichtung werden immer wieder von allen Akteuren gefordert und wurden in den 1990er Jahren relativ breit diskutiert.388

5.2.6 Ziele

Mit Bürgerbeteiligung sind ebenso unterschiedliche und zum Teil widersprüchliche Zielsetzungen verbunden wie es die dahinter aufscheinenden Konzepte und Rollenvorstellungen sind.389

Der Ausbau von Bürgerbeteiligung in der Politik wurde angestrebt mit dem Ziel, die repräsentative Demokratie in Finnland funktionstüchtig zu erhalten und damit zu sichern.

Durch direkte Bürgereinbindung, mehr Transparenz des politischen Entscheidungsprozesses

386 Unterschieden werden insgesamt vier verschiedene Beteiligungsweisen, die Patienten und Bürger in bestimmten Rollen und Funktionen ansprechen (STM 1998, S. 18; VM 2001, S. 9): Wissens- und Umfragebeteiligung (tietoosallisuus), Beratungsbeteiligung (konsultaatio-osallisuus), Entscheidungsbeteiligung (päätösosallisuus), Umsetzungsbeteiligung (toimeenpano-osallisuus). Vgl. Koski 1995, S. 19-39; Mutanen 2002, S. 107-108.

387 Vgl. Sutela (in: Spåre 2001, S. 33) zum Verhältnis zwischen direkter Bürgerbeteiligung und Kundendemokratie, wobei Beteiligung über Umfragebeteiligung hinausgeht bis hin zur Entscheidungsbeteiligung.

388 Pekurinen/Punkari/Pokka 1997, S. 1.

389 Niiranen 1997a. S. 137-138; 1997b, S. 244-245.

und der Stärkung der Position von Bürgerorganisationen als Mittler zwischen Gesellschaft und Politik soll dem Desinteresse der Bürger an der Kommunalpolitik begegnet werden, das sich in den 1990er Jahren in sinkender Wahlbeteiligung widerspiegelte. Die repräsentative Demokratie, so wird argumentiert, müsse sich auf eine lebendige Zivilgesellschaft und die Partizipation und Integration aller Bürger stützen, um attraktiv zu bleiben.

Die Erweiterung von Bürgereinbindungsmöglichkeiten in der Kommunalpolitik durch das Gemeindegesetz zielte auf die Sicherung der Akzeptanz und Legitimität von Entscheidungen und der politischen und administrativen Ordnung als Folge einer besseren Responsivität gegenüber Bürgerwünschen, wenn Bürger stärker in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Es gelte, eine solche Entscheidungs- und Vorbereitungskultur zu schaffen, „in der das repräsentative System vor der Entscheidungsfindung ausreichend sorgfältig und gleichgewichtig die Ansichten der unterschiedlichen Interessengruppen und Bürger ermittelt.“390

Kunden- und Bürgerbeteiligung an der Planung und an Entscheidungen zur Gesundheitsversorgung dient ebenso der Erhöhung des öffentlichen Interesses an Fragen zur Bereitstellung und Finanzierung der Versorgungsangebote wie auch der Verantwortung für die Erhaltung der eigenen Gesundheit. Kundenorientierung in den öffentlichen Diensten und der Verwaltung stellt darauf ab, Anregungen der Kunden aufzugreifen, um so Qualität und Effektivität der Leistungsprozesse zu verbessern.

Das Patientenrechtsgesetz zielte auf die Stärkung der rechtlichen Stellung des einzelnen Patienten in der Gesundheitsversorgung und langfristig auf einen Einstellungswandel der Ärzte und Pfleger gegenüber dem Patienten. Indem der Patient seiner Entscheidungsmitverantwortung bewusst wird, sollen die Bindung an Behandlungsentscheidungen (compliance), Behandlungserfolge und Zufriedenheit erhöht werden. Auch das explizit genannte Ziel, Rechtssicherheit sowohl für Patienten als auch für Ärzte und Pfleger zu schaffen und dadurch „vertrauensvolle Beziehungen“ zwischen Patienten und ihren Ärzten oder Pflegern zu erhalten, steht im Zeichen der Systemstabilisierung.

390 Regierungsvorlage zum Gesetzentwurf des Gemeindegesetzes, Yleisperustelut I/II, Punkt 3.6.2: „…, jossa vastuunsa kantava edustuksellinen järjestelmä selvittää ennen päätöksentekoa riittävän huolellisesti ja tasapuolisesti eri intressipiirien ja kuntalaisten näkemykset.“ (eigene Übersetzung, IMR).

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