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2 Literaturübersicht

2.1 Der Labmagen

2.1.1 Anatomie des Labmagens

Der rechts vom Pansen gelegene Labmagen besteht aus drei Teilen: Fundus, Corpus und Pars pylorica. Während sich der dilatierte Fundus nahezu in der Medianen direkt kaudal der Haube befindet, schiebt sich das eher konische Corpus hinter und unter den Blättermagen und wendet sich nach rechts. Die Pars pylorica zieht im Bereich des rechten Rippenbogens nach dorsal und geht schließlich am Musculus sphincter pylori in das Duodenum über (VOLLMERHAUS u. ROOS 1999).

Über das Omentum minus ist der Labmagen mit der ventralen, über das Omentum majus mit der dorsalen Bauchwand verbunden (KÖNIG et al. 1999). Die Labmagenwand besteht aus fünf verschiedenen Schichten:

Tunica serosa

Tela subserosa

Tunica muscularis

- Longitudinale Muskulatur

- Zirkuläre Muskulatur

Tela submucosa

Tunica mucosa (LIEBICH 1999).

Die Tunica muscularis besteht aus zwei Lagen glatter Muskulatur. Die äußere Längsmuskulatur zieht vom Blättermagen her den gesamten Labmagen entlang, wird in der Pars pylorica kräftiger und geht letztlich nahtlos ins Duodenum über. Auch die innere Ringmuskulatur ist Bestandteil aller drei Labmagenabschnitte und bildet, bevor auch sie in den Dünndarm übergeht, den Musculus sphincter pylori (VOLLMERHAUS u. ROOS 1999). Die Innervation des Labmagens ist vegetativ. Der Plexus coeliacus entlässt sympathische Fasern, die u. a. den Plexus gastricus bilden, der die sympathische Versorgung des Labmagens übernimmt. Die parasympathischen Äste entstammen dem Nervus vagus und zwar sowohl aus dem dorsalen als auch aus dem ventralen Truncus vagalis (KÖNIG et al. 1999).

2.1.2 Enterisches Nervensystem

Das in der Wand des Magen-Darmtrakts lokalisierte enterische Nervensystem verfügt über eigene sensorische Neurone, Interneurone und Motoneurone, so dass es in der Lage ist, Reflexe (wie z. B. den Transport des Chymus durch Kontraktion oral gelegener Muskulatur bei gleichzeitiger aboraler Relaxation) unabhängig vom ZNS oder dem vegetativen Nervensystem zu vermitteln (GERSHON et al. 1994).

Sensorische Neurone registrieren über Chemo- oder Mechanorezeptoren verschiedene Stimuli wie Nährstoffgehalt, Osmolarität oder pH-Wert bzw.

Wandspannung, intraluminale Drücke, Scherreize oder Volumenänderungen (WOOD 1994). Vermutlich kodieren dabei afferente Nervenzellen lediglich die sensorischen Stimuli, während die Aufgabe der eigentlichen Sensorfunktion anderen Zellen, z. B.

enterochromaffinen Zellen, obliegt (SCHEMANN 2000). Interneurone stellen die Kommunikation innerhalb des enterischen Nervensystems sicher (WOOD 1994). Die hemmenden und erregenden Motoneurone schließlich modulieren Effektoren, wie die glatte Muskulatur (vor allem über ICC, interstitielle Zellen nach Cajal), sekretorische Zellen oder Blutgefäße (WOOD 1994). Bis heute sind über 20 Neurotransmitter und noch mehr Neuromodulatoren identifiziert, die an der Vermittlung der synaptischen Vorgänge im enterischen Nervensystem beteiligt sind (MC CONALOGUE u.

FURNESS 1994).

2.1.3 Glatte Muskelzellen (Textus muscularis nonstriatus)

Die glatte Muskulatur erhielt ihren Namen durch das Fehlen einer erkennbaren geordneten Myofibrillenstruktur. Bei den in der Labmagenwand vorkommenden glatten Muskelzellen handelt es sich um den „Single-unit“-Muskeltyp, bei dem die Zellen über sogenannte Nexus (gap junctions) in direkter Verbindung stehen (LIEBICH 1999).

Der Zellkern befindet sich stets zentral im Sarkoplasma, das neben zahlreichen Sarkosomen auch ein unterschiedlich stark ausgebildetes sarkoplasmatisches Retikulum enthält, das als Kalziumspeicher dient (LIEBICH 1999). Nicht kontraktile intermediäre Mikrofilamente (Desmin) bilden das Zytoskelett der Zelle. Die Myofilamente (Aktin-, Myosin- und Intermediärfilamente) verlaufen netzartig ohne

erkennbare regelmäßige Anordnung. Während die Aktin- und Intermediärfilamente an sogenannten Haftplatten inserieren, bestehen die Myosinfilamente aus löslichen Proteinen, die sich während der Kontraktion verdichten, so dass die Aktinfilamente über sie hinweggleiten können (RÜEGG 2000). Auf der Oberfläche der glatten Muskelzelle befindet sich ein Netz aus überwiegend Kollagen- und Retikulinfasern, in dem auch Fasern des ENS verlaufen. Diese ziehen direkt an das Plasmalemm der Muskelzelle, die auf der Zelloberfläche eine Vielzahl von adrenergen und cholinergen Rezeptoren aufweist.

2.1.4 Kontraktionsmechanismus

Bei einer Erregung der glatten Muskelzelle erhöht sich die intrazelluläre Kalziumkonzentration einerseits transient durch einen Einstrom von Kalzium über rezeptorgesteuerte Kanäle und durch eine IP3-vermittelte Freisetzung von Kalziumionen aus dem sarkoplasmatischen Retikulum und andererseits langfristig durch Öffnen spannungsabhängiger Kalziumkanäle. Kalmodulin bindet das Kalzium und kann nun zum einen die Myosin-Kinase, die ihrerseits durch Phosphorylierung der Myosinfilamente die Myosin-ATPase aktiviert, und zum anderen eine Proteinkinase aktivieren, die das Hemmprotein Caldesmon der Myosinbindungsstelle des Aktins phosphoryliert und somit eine Bindung an den Kalzium-Kalmodulin-Komplex ermöglicht (RÜEGG 2000). In der Folge kommt es zu einer Interaktion zwischen Aktin und Myosin, wobei die so gebildeten Myosinquerbrücken unter ATP-Spaltung zyklisch tätig sind. Die Trennung der Filamente erfolgt durch Abkopplung der an das Myosin angehängten Phosphatgruppen durch die Myosinphosphatase.

Bei der Muskelrelaxation wird Kalzium in das sarkoplasmatische Retikulum zurückgepumpt und durch ATP-getriebene Kalziumpumpen und Na+/Ca2+ -Austauscher in den Extrazellulärraum befördert (SOMLYO u. SOMLYO 1994).

Bei den glatten Muskelzellen vom single-unit-Typ entstehen die zur Kontraktion führenden Aktionspotentiale nicht neurogen sondern myogen in sogenannten Schrittmacherzellen, den interstitiellen Zellen nach Cajal (ICC) (SANDER 1996). Man unterscheidet zwei ICC-Typen: ICC-MY, die zwischen Zirkulär- und Längsmuskulatur anzutreffen sind, und die ICC-IM, die innerhalb der Muskelbündel liegen (BURNS et al. 1995). ICC haben kein gleichbleibendes Ruhepotential sondern weisen langsame

rhythmische Schwankungen auf (SANDER 1996). Verantwortlich für die Entstehung dieser sogenannten slow waves ist die Erhöhung der intrazellulären Kalziumkonzentration, die u. a. auf einer Freisetzung aus den Mitochondrien beruht, da eine Hemmung mitochondrialer Aktivität die Frequenz der slow waves reduziert (SUZUKI et al. 2006). Slow waves führen bei den ICC zu schnellen Depolarisationen mit anschließender Plateauphase, aber nicht zwangsläufig zu Kontraktionen der glatten Muskelzellen. Allerdings konnte eine positive Korrelation zwischen der Amplitudenhöhe der slow waves und dem Auftreten von Kontraktionen der zirkulären Muskelschicht festgestellt werden (THUNEBERG 1989). Kommt es jedoch Acetylcholin-vermittelt zu einem extrazellulären Kalziumeintritt in die Schrittmacherzelle, folgt eine Depolarisation mit einem weiteren Einstrom von Kalzium durch potentialgesteuerte Kanäle, was zu einer Erhöhung und Verbreiterung des Plateaus führt. Die Dauer des Plateaus bestimmt die Dauer der Kontraktion (EHRLEIN 2000).

Über die gap junctions (Nexus) genannten niederohmigen Zellkontakte kann sich die Depolarisation einer bereits erregten Zelle elektrotonisch auf benachbarte Muskelzellen übertragen (KOMURO et al. 1999). Sobald deren Membran durch den lokal über die gap junctions fließenden Strom bis zur Schwelle der spannungsabhängigen Kalziumkanäle depolarisiert ist, erfolgt ein Aktionspotential, das daraufhin weitere elektrotonisch gekoppelte Muskelzellen erregt (RÜEGG 2000).

2.1.5 Labmagenmotilität

2.1.5.1 Physiologie der Labmagenmotilität

Unter dem Aspekt der motorischen Funktion wird am Labmagen ein Magenspeicher und eine Magenpumpe unterschieden. Die Motorik des Labmagens besteht aus Spannungsänderungen des Magenspeichers und peristaltischen Wellen, die am Magenkörper beginnen und zum Pylorus hin verlaufen. Im Bereich des Magenspeichers sind sie jedoch nur schwach an der Oberfläche bemerkbar, an der Magenpumpe hingegen werden sie zu stärkeren Einschnürungen, die sich in Ringen auf den Pylorus zubewegen (PFEFFER 1987). Bei dem Entleerungsmechanismus der Magenpumpe können drei Phasen unterschieden werden:

1. Phase des Vorschubs: während des Ablaufs der peristaltischen Wellen über die proximale Magenpumpe erschlafft der zuvor kontrahierte distale Abschnitt (EHRLEIN 2000).

2. Phase der Entleerung und Durchmischung: Erreichen die Wellen die Mitte der Magenpumpe, öffnet der M. sphincter pylori reflektorisch, während er sich bei Ankunft der Kontraktionen am Sphincter bereits verschlossen hat (HILL 1969), der Mageninhalt wird also nicht in den Darm gepresst, sondern gespült.

3. Phase der Rücktreibung und Zerkleinerung: durch den nicht vollständigen Verschluss am mittleren Abschnitt der Magenpumpe, kommt es zu einem Rückfluss von Chymus in den proximalen Teil (EHRLEIN 2000).

Diese Phasen treten aufgrund der den peristaltischen Wellen zu Grunde liegenden slow waves zwar im Allgemeinen zyklisch ein, werden jedoch in erster Linie durch vago-vagale Reflexschaltkreise moduliert (COTTRELL u. STANLEY 1992;

COTTRELL 1994). Die abomasale Effluxmenge ist durch Auslösung dieser Reflexe u. a. abhängig von der Relaxation des Magenspeichers, der Einschnürungstiefe der peristaltischen Wellen, der Weite des Pylorus, der rezeptiven Erschlaffung des Duodenums, der Art der Duodenalkontraktionen und der Intensität der Fütterung (MALBER u. RUCKEBUSCH 1991; LESTER u. BOLTON 1994). Zu einem verzögerten Übertritt von Chymus ins Duodenum kommt es z. B. durch eine langandauernde Erschlaffung des Magenspeichers, eine geringe Einschnürungstiefe der Kontraktionen, eine ungenügende Relaxation von M. sphincter pylori oder Duodenum und eine geringe Aktivität der duodenalen Muskelkontraktionen, die den Chymus von oral nach aboral transportieren (EHRLEIN 2000). Neben der Aktivität der Muskulatur des Magens selber ist also auch die des Dünndarms von Bedeutung für die Entleerung des Magens (VAUPEL 2000).

2.1.5.2 Labmagenverlagerung

Das Krankheitsbild der Labmagenverlagerung wurde 1950 das erste Mal an einem sechs Jahre alten Shorthorn-Rind (FORD 1950) beschrieben und tritt seither zunehmend häufiger vor allem bei hochleistenden Milchrindern in den ersten Wochen nach der Abkalbung auf (CONSTABLE et al. 1992). Als wesentliche, die Entstehung der Labmagenverlagerung bedingende Voraussetzung gilt eine

abomasale Gasansammlung in Kombination mit einer Atonie der Labmagenmuskulatur bei ausreichendem abdominalen Platzangebot (z. B.

großrahmige Tiere) (GEISHAUSER 1995; STÖBER u. SARATSIS 1974). Die ursächlichen Faktoren für die Entstehung von Gas und verminderter Motorik sind jedoch bislang nur unzureichend geklärt, vermutet wird ein multifaktorielles Geschehen. Als mögliche Auslöser der Atonien der Labmagenmuskulatur werden neben hohen Plasmakonzentrationen an kurzkettigen Fettsäuren (LE BLANC et al.

2005; ZADNIK 2003), Ketonkörpern (ROHRBACH et al. 1999), Hypokalzämien (DANIEL 1983), Endotoxinen (ROHRBACH et al. 1999; VLAMINCK et al. 1985), Alkalosen (POULSEN 1976) und Hyperglykämien (HOLTENIUS et al. 2000) auch hohe Insulinkonzentrationen im Zuge von Insulinresistenzen diskutiert (VAN MEIRHAEGHE et al. 1988 a). Außerdem werden im Zusammenhang mit Labmagenverlagerungen häufig niedrige Kaliumkonzentration im Blut nachgewiesen (ESPERSEN u. SIMENSEN 1961), die durch reduzierte Nahrungsaufnahme (RABINOWITZ et al. 1988), hohe Insulinkonzentrationen (VAN MEIRHAEGHE 1988) und/oder abomasalen Reflux mit folgender Alkalose bedingt sein können (ROSSOW 1995).

Die Rollen von Kalium und Insulin im Stoffwechselgeschehen mit Hinblick auf eine mögliche Beteiligung an der Pathogenese der Labmagenverlagerung werden im Folgenden ausgeführt.