• Keine Ergebnisse gefunden

4. Diskussion

4.4. Krematoriumsleichenschau – Beschlagnahmungsgrund

Bei der ärztlichen Leichenschau muss der Arzt auf Anhaltspunkte für einen nicht natürlichen Tod achten. Dabei handelt es sich um anamnestische Hinweise, wie

beispielsweise einen unerwarteten Tod während bzw. nach ärztlichen Eingriffen, sowie um auffällige Befunde an der Leiche, die auf Unfall, Suizid, strafbare Handlung oder sonstige Gewalteinwirkung hindeuten. Zu den Hinweisen gehören Verletzungszeichen, Injektionsmale, Erstickungszeichen, Strommarken, Vergiftungszeichen und Farbe/

Form/ Lage der Totenflecken oder von Hautdruckstellen (Mattern und Pedal 2004).

Aber nicht nur bei der ersten ärztlichen Leichenschau muss ein Arzt nach solchen Anhaltspunkten suchen, sondern auch bei der zweiten Leichenschau vor Kremation ist dieses Vorgehen von entscheidender Bedeutung. Sind Anhaltspunkte für einen bisher nicht festgestellten nicht natürlichen Tod vorhanden oder ergeben sich Zweifel an der Richtigkeit der im Totenschein eingetragenen natürlichen Todesart, so hat der Arzt unverzüglich die zuständige Polizeidienststelle zu benachrichtigen und ihr den Totenschein zu übergeben (Mattig et al. 2000). Die Leiche darf dann nicht zur Kremation freigegeben werden.

Im vorliegenden Untersuchungszeitraum konnte in 387 Fällen der 59.149 durchgeführten Krematoriumsleichenschauen (0,7 %) die Freigabe zur Kremation der Verstorbenen nicht erteilt werden. Da bisher keine einheitlichen Anhaltekriterien definiert wurden, ist die Freigabe der Leiche zur Kremation, die Durchführung von Rücksprachen mit dem ersten Leichenschauer oder behandelnden Arzt sowie die Meldung suspekter Todesfälle an die Ermittlungsbehörden subjektiv von der Motivation und der rechtsmedizinischen Erfahrung des Untersuchers abhängig, der die Krematoriumsleichenschau durchführt (Tsokos 2000).

Trotz einer abweichenden Einteilung der Beschlagnahmungsgründe kam Tsokos bezüglich der nicht erteilten Freigaben zur Kremation zu einem vergleichbaren Ergebnis. Zwischen Januar 1998 und September 1999 wurde in Hamburg in 0,9 % aller Krematoriumsleichenschauen die Freigabe nicht erteilt. In dieser Studie waren die häufigsten Anhaltekriterien „Schenkelhalsfraktur“, nicht ausgefüllte Rubrik

„Todesursache“ bzw. „Todesart“, „Sturzanamnese“ und „suspekte Leichenveränderungen“ (Tsokos 2000). Im Vergleich dazu zeigte sich im Rahmen der vorliegenden Untersuchung, dass die Leiche am häufigsten bei „Verdacht auf ärztlichen/ pflegerischen Behandlungsfehler“ (57,9 %), „suspekten Leichenbefunden“

(20,9 %), „Verdacht auf Sturzgeschehen“ (8,3 %) und „Fäulnis mit fehlender Beurteilbarkeit“ (5,4 %) beschlagnahmt wurde.

Gerade bei Tötungsdelikten oder Suiziden durch Vergiftung oder Strangulation sind die Befunde häufig nur diskret ausgebildet und durch Fäulnis erschwert oder nicht zu erkennen. Damit ist die Krematoriumsleichenschau zwar ein wichtiges Instrument, aber weniger effektiv als die deutlich früher stattfindende erste Leichenschau. Trotzdem wird

nach Brinkmann et al. nur jeder 10. bis 20. ungeklärte oder nicht natürliche Todesfall nach staatsanwaltschaftlicher Beschlagnahmung und kriminalpolizeilicher Ermittlungs-tätigkeit einer Obduktion zugeführt (Brinkmann et al. 1981). Aber auch die Obduktion erfolgt mit zeitlicher Verzögerung, was zu eingeschränkter Beurteilbarkeit durch Fäulniserscheinungen führen kann. So erfolgte zwischen 1998 und 2007 eine Obduktion im Mittel nach 11-20 Tagen nach Todeseintritt. Das führte dazu, dass in 3,6 % der Fälle eine Klärung der Todesursache durch eine Leichenöffnung nicht mehr möglich war.

4.5. Todesart: Vergleich Obduktionsergebnis und 1. Leichenschau

In allen Aufgabenbereichen der ärztlichen Leichenschau werden Fehler beklagt, wobei die Fehlklassifikation der Todesart am gravierendsten ist (Madea 2009).

Die Qualifikation der Todesart als natürlich setzt voraus, dass der Verstorbene an einer bestimmten Krankheit aus innerer Ursache gelitten hat, deshalb behandelt wurde und aufgrund des Grundleidens mit dem Ableben zu rechnen war. Im Gegensatz dazu ist ein nicht natürlicher Todesfall ein durch von außen verursachtes, ausgelöstes oder beeinflusstes Geschehen. Doch schon 1984 beklagten Berg und Ditt, dass 30 % der leichenschauhaltenden Ärzte auch bei Fremdeinwirkungen, Vergiftungen, Suiziden oder ärztlichen Eingriffen einen natürlichen Tod bescheinigten (Berg und Ditt 1984).

Der Vergleich der auf der Todesbescheinigung angegebenen Todesart des leichenschauhaltenden Arztes mit der bei der Obduktion festgestellten Todesart ergab, dass diese in 78 Fällen (20,2 %) nicht übereinstimmte. Im Zeitraum von 1998-2002 war in 15,4 % der Fälle eine Abweichung der Todesart erkennbar, von 2003-2007 in 29,9 % der Fälle. Die Diskrepanz dieser Werte zu den in der Literatur angegeben Werten lässt vermuten, dass eine hohe Dunkelziffer an nicht natürlichen Todesfällen vorliegt, welche sowohl auf Sorgfaltsmängel bei der Leichenschau als auch auf Fehler bei der Klassifizierung der Todesart zurückzuführen sind.

Im vorliegenden Untersuchungszeitraum zeigte sich ein leichter Rückgang der attestierten natürlichen Todesfälle von 98,4 % auf 96,8 %. Dennoch werden „nicht natürliche“ (0,3 %) und „ungeklärte“ (0,8 %) Todesfälle zu selten bescheinigt. Diese Tatsache wird auch von Püschel et al. (1987) bestätigt. Diese bemängeln, dass bei ätiologisch unklaren Krankheitsverläufen und nicht gesicherten Todesursachen viel zu wenig von der Möglichkeit der „ungeklärten“ Todesart-Klassifikation Gebrauch gemacht wird (Püschel et al. 1987). Auch in der von Eckstein et al. (2010) durchgeführten Studie

zeigte sich, dass in 99,8 % der Fälle ein natürlicher Tod bescheinigt wurde. Hierdurch entsteht außerdem ein jährliches Meldedefizit verdächtiger Todesfälle. Die Rate der Todesfälle, bei denen Ärzte in vergleichbaren Ländern einen „ungeklärten“ bzw. „nicht natürlichen“ Tod attestierten, wurde hingegen mit 15-25 % beziffert (Brinkmann und Püschel 1991).

Nach Brinkmann et al. ist davon auszugehen, dass jährlich mit insgesamt 11000 - 22000 nicht-natürlichen Todesfällen zu rechnen ist, die bei der Leichenschau als natürlich klassifiziert werden, darunter 1200 - 2400 unerkannt bleibende Tötungsdelikte (Brinkmann et al. 1997). In einer von Bajanowski et al. durchgeführten Studie erwies sich bei 1,1 % der Fälle, bei denen eine laut Todesbescheinigung ausgewiesene natürliche Todesart vorlag, im Rahmen der Krematoriumsleichenschau eine nicht natürliche bzw. ungeklärte Todesart (Bajanowski et al. 2010). In der vorliegenden Studie stellte sich bei 55 Verstorbenen (14,2 %) eine nicht natürliche nach zuvor bescheinigter natürlicher Todesart heraus. Hierunter ist ein Fall hervorzuheben, in dessen Todesbescheinigung ein „natürlicher“ Tod bescheinigt wurde, im Rahmen der Leichenschau vor Kremation jedoch Anzeichen stumpfer Gewalteinwirkung gegen den Kopf sowie Zeichen komprimierender Gewalt gegen den Hals festgestellt wurden:

Bei der äußeren Leichenbesichtigung im Krematorium fielen im Kopfbereich, in den Augenbindehäuten und Lidhäuten punktförmige Blutaustritte auf. Oberhalb des rechten Auges fand sich eine unregelmäßige oberflächliche Hautdefektstelle sowie an der Außenseite des rechten Augenhöhlenrandes Hämatomverfärbungen. Außerdem zeigten sich in der vorderen linken Halspartie parallel begrenzte horizontal-streifige Hautrötungen. Von dem leichenschauhaltenden Arzt, welcher auch der behandelnde Arzt zu Lebzeiten war, konnte in Erfahrung gebracht werden, dass die Wohnung der Frau im Beisein der Schutzpolizei geöffnet wurde. Über die Schließverhältnisse konnte der Hausarzt keine Angaben machen. Der Leichnam befand sich in Bauchlage, trug keine auffallend geformte Kleidung am Hals und lag nicht auf einem geformten Gegenstand auf. Da aus rechtsmedizinischer Sicht eine todesursächliche Gewalteinwirkung gegen den Hals nicht ausgeschlossen werden konnte, musste eine Obduktion vor der Kremation erfolgen.

Die bei der Obduktion festgestellten Befunde ließen sich damit vereinbaren, dass Frau G. an den Folgen komprimierender Gewalteinwirkung gegen den Hals unter Verwendung eines Drosselwerkzeuges auf gewaltsame Weise verstorben ist.

Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit sowie vergleichbarer Studien unterstreichen die Bedeutung einer sorgfältigen und kundigen Durchführung der Leichenschau und

lassen ansatzweise die Existenz eines entsprechenden Dunkelfeldes erahnen. In diesem Zusammenhang ist stellvertretend als ein wesentlicher Aspekt die Bedeutung der Inaugenscheinnahme „der vollständig entkleideten Leiche“ (Niedersächsisches Bestattungsgesetz (BestattG)) hervorzuheben. Madea und Dettmeyer zitierten das Ergebnis einer Befragung zufällig ausgewählter Leichenschauärzte, wonach lediglich ein Viertel der Ärzte angab, die Leichenschau in jedem Fall am unbekleideten Leichnam vorzunehmen (Madea und Dettmeyer 2003). Die Entstehung von Fehleinschätzungen bzw. das Nichterkennen der zutreffenden Todesart basiert allgemein auf einer multifaktoriell beeinflussten Entscheidungsfindung. Unter dem Aspekt der Gewährleistung einer sachgemäßen Durchführung der Leichenschau forderte Geerds, die Wahrnehmung der Leichenschau dem Rechtsmediziner zu übertragen (Geerds 1997).

Die folgenden konkreten Fälle zeigen exemplarisch, dass nach wie vor bei vielen Ärzten keine Klarheit über die korrekte Bestimmung der Todesart herrscht:

 82-jährige Frau stürzt als Fahrgast in einer Straßenbahn aufgrund einer Gefahrenbremsung und zieht sich Schädelhirntrauma zu und verstirbt. Der leichenschauhaltende Notarzt gibt einen natürlichen Tod an.

 90-jährige Frau stürzt nach Implantation einer Knie-Schlittenprothese in Rehabilitationsklinik. Trotz Quetschrisswunde am Kopf und Erbrechen erfolgt keine Computertomographie des Kopfes (CCT) und die Patientin stirbt. Der behandelnde Arzt attestiert einen natürlichen Tod.

 81-jährige Frau wird im Schwimmbad bäuchlings an der Wasseroberfläche treibend, mit dem Kopf unter Wasser, aufgefunden. Eine Reanimation erfolgt und die Patientin wird auf der Intensivstation überwacht. Sie verstirbt an einer Bronchopneumonie und der Krankenhausarzt stellt einen natürlichen Tod fest.

 39-jähriger Mann erleidet im Rahmen eines Betriebsunfalls durch eine Metallstange ein Schädelhirntrauma III°. Seitdem lag der Patient im Koma und erlangte zu keiner Zeit das Bewusstsein wieder. Der ärztliche Leichenbeschauer bescheinigt einen natürlichen Tod.

 82-jährige Frau unterzieht sich einem operativen Minimaleingriff zur Entfernung der Gallenblase. Es folgt eine Peritonitis bei Perforation des oberen Dünndarms, eine Entfernung des Dünndarm-Segmentes und mehrfache Nahtinsuffizienzen. Die

Patientin erleidet eine Sepsis mit Multiorganversagen und stirbt. Es wurde ein natürlicher Tod bescheinigt.

4.6. Todesursache: Vergleich Obduktionsergebnis und 1. Leichenschau

Bei der ärztlichen Leichenschau ist der Arzt verpflichtet eine Todesursache auf der Todesbescheinigung anzugeben. Die sich eventuell anschließende Obduktion dient der definitiven Feststellung von Grund- und Nebenerkrankungen sowie der Todesursache.

Am häufigsten (40,1 %) wurde ein kardiales Geschehen bei der ersten Leichenschau als Todesursache angenommen. Da es sich bei den Verstorbenen meist um ältere Personen (Mittelwert 78,5 Jahre) handelte, wurde diese Todesursache als das Wahrscheinlichste angenommen. Aber auch das Statistische Bundesamt ermittelte 2007, dass die meisten Sterbefälle auf Krankheiten des Herzkreislaufsystems (31,61 %) entfallen (Madea und Rothschild 2010a). Eine zusätzliche Schwierigkeit ergibt sich dadurch, dass bei einigen Todesbescheinigungen mehrere Krankheiten angegeben wurden und so das am unmittelbarsten zum Tode führende Grundleiden als Todesursache angenommen wurde. Dieses spiegelt eigentlich nur die Wirklichkeit wieder, denn das Nebeneinander mehrerer Krankheiten ist insbesondere bei älteren, multimorbiden Verstorbenen ein spezifisches Merkmal. Aus diesem Grund sollten die diagnostizierten und zum Todeseintritt beitragenden Krankheiten zwar auf der Todesbescheinigung aufgelistet, aber „Verlegenheitsdiagnosen“ vermieden werden.

Auch bei der Obduktion der insgesamt 387 Leichen, welche nicht zur Feuerbestattung freigegeben werden konnten, wurde mit 50,7 % am häufigsten eine kardiale Todesursache festgestellt. Ein ähnliches Ergebnis zeigt auch die im Jahr 2007 erfolgte Erhebung des Niedersächsischen Landesamtes für Statistik sowie des Bundesamtes für Statistik (www1.nls.niedersachsen.de; www.destatis.de).

Todesursache

Tabelle 14: Prozentuale Verteilung der autoptisch festgestellten Todesursachen

Der geringe Anteil an bösartigen Erkrankungen mit 5,9 % in der vorliegenden Untersuchung lässt sich am ehesten dadurch erklären, dass sich in einigen Obduktionen zwar maligne Neoplasien als Nebenbefund jedoch nicht als todesursächlich führend anzusehen waren (Goertchen 2009).

Eine ähnliche Verteilung der Todesursachen fand sich auch 1987 in der sogenannten Görlitzer Studie (Modelmog et al. 1989). Hier wurde am häufigsten eine kardiale Todesursache (40,0 %) bei der Obduktion festgestellt, gefolgt von bösartigen Erkrankungen (25,0 %) und respiratorischem Versagen (13,0 %).

Durch den Vergleich der eingetragenen Todesursache auf der Todesbescheinigung mit dem Obduktionsbefund konnte festgestellt werden, dass es im gesamten Untersuchungszeitraum in 230 Fällen (59,4 %) keine Übereinstimmung gab. Diese Diskrepanz konnte zwischen 1998 und 2002 in 165 Fällen (63,5 %) und zwischen 2003 und 2007 in 65 Fällen (51,2 %) festgestellt werden. Ähnliche Ergebnisse fanden sich 1987 in der Görlitzer Studie. In dieser Studie lag die teilweise Übereinstimmung bei 15 % und in 37 % der Fälle kam es zu einer kompletten Fehleinschätzung der Todesursache (Modelmog et al. 1989). In einer vergleichbaren Untersuchung - basierend auf 507 Obduktionen eines Jahres im Pathologischen Institut der Universität Erlangen-Nürnberg - wurde der Anteil der Fälle, in denen keine Übereinstimmung zwischen der in der Todesbescheinigung ausgewiesenen Todesursache und dem Ergebnis der Obduktion vorlag, mit 26,6 % beziffert (Drescher 1988).

So fließen falsch benannte Grundleiden und Todesursachen in die Statistiken ein, womit die Validität der Todesursachenstatistiken sinkt. Diese ist jedoch eine wichtige Informationsquelle für das Erlangen wissenschaftlicher Erkenntnisse, welche die Grundlagen bieten für die Planung gesundheitspolitischer Maßnahmen. Darüber hinaus ist eine durch Obduktionen fundierte Mortalitätsstatistik unabdingbar für eine Qualitätskontrolle der medizinischen Diagnostik und Therapie, eine qualitativ hochwertige Aus- und Fortbildung der Ärzte, eine Kontrolle der Angaben zur Todesursache in den Todesbescheinigungen sowie für das Aufdecken unerkannter nicht natürlicher Todesfälle mit eventuell strafprozessualen oder versicherungs-rechtlichen Konsequenzen (Dettmeyer und Madea 2002).

Aus rechtsmedizinischer Sicht wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass die äußere Leichenschau auch bei kompetenter Durchführung eine oberflächliche Untersuchung mit eingeschränkter Aussagekraft sei. Eine Besserung könne durch eine Erhöhung der Obduktionsrate erreicht werden (Große Perdekamp et al. 2009). Außerdem können durch eine Leichenöffnung mit anschließenden molekularpathologischen, chemischen

und toxikologischen Zusatzuntersuchungen rein funktionelle, durch eine Obduktion allein nicht klärbare Todesursachen, einer eindeutigen Aufklärung zugeführt werden (Madea 2009).

4.7. Ergebnisse der Ermittlungsverfahren

Die Ermittlungsakten der Staatanwaltschaft Hannover wurden für den Zeitraum 2003 bis 2007 im Hinblick auf die Ausgänge der Verfahren gesichtet. Mit 50,5 % der 97 Ermittlungsverfahren wurde am häufigsten aufgrund einer attestierten ungeklärten oder nicht natürlichen Todesart bei der Leichenschau ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Erst an zweiter Stelle folgte der Verdacht auf Pflege-/ Behandlungsfehler (15,5 %) sowie auf fahrlässige Tötung (15,5 %). Es gibt sicherlich Fälle, in denen durch Bescheinigung eines natürlichen Todes versucht wird eine Fehlbehandlung zu verschweigen oder die Meldepflicht zu umgehen (Berg 1992). Bekanntlich entstehen ebenso Fehler bei der Bestimmung der Todesart durch Unaufmerksamkeit und Oberflächlichkeit bei der Leichenschau. Es fehlen jedoch valide epidemiologische Untersuchungen zur Dunkelziffer des nicht natürlichen Todes (Madea 2006).

Ob einem Arzt ein vermeintlich vermeidbarer Fehler als Sorgfaltspflichtverletzung zur Last gelegt werden kann, hängt von seinen persönlichen Verhältnissen, vor allem der Ausbildung und der Erfahrung ab. Übernimmt ein Arzt allerdings eine Behandlung, ohne auf dem Gebiet über die nötige Fachkompetenz zu verfügen, kann ihn die fehlende Kompetenz nicht entlasten. In einer solchen Situation handelt es sich um ein Übernahmeverschulden (Boll und Bär 2000).

Der Anteil der erfassten Vorwürfe, die sich auf Pflege-/ Behandlungsfehler bezogen, lag in dieser Untersuchung bei 15,5 %. Bruns stellte fest, dass durch wirtschaftlichen Druck Gesundheitsrisiken für Patienten und Sanktionierungsrisiken für Ärzte von der Geschäftsführung eines Krankenhauses bewusst in Kauf genommen werden, so dass das Strafrecht faktisch nur den Arzt als letztes Glied der Kette erfasst. Die Geschäftsführung werde weder zivil- noch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen, obwohl auch sie durch Einführung schadensgeneigter Organisationsformen Risiken zu verantworten habe (Bruns 2003).

Erst auf der Grundlage einer gerichtlichen Obduktion, in der Todesart und Todesursache abgeklärt werden, kann zur Frage eines Pflichtverstoßes, eines dadurch bedingten Schadens und der Kausalität Stellung genommen werden. Die Obduktion in der Pathologie des Krankenhauses durchzuführen, in dem sich der Todesfall ereignete, erweist sich als nicht sinnvoll, da hier der Verdacht entstehen könnte, ein Behandlungsfehler solle verschwiegen werden. Außerdem ist davon auszugehen, dass

die Pathologen bezüglich forensischer Aspekte nicht ausreichend ausgebildet sind (Boll und Bär 2000). Das Sektionsergebnis ist von großer Bedeutung, da sich über die Feststellung der Todesursache auf einen möglichen Behandlungsfehler schließen lässt. Umgekehrt kann durch eine Obduktion festgestellt werden, dass der Schaden nicht durch einen Behandlungsfehler verursacht wurde, sondern sich als Folge einer zugrundeliegenden Erkrankung ergab (Bove und Iery 2002). Deshalb sollte bei unklaren Todesfällen auf der Todesbescheinigung eine ungeklärte Todesart attestiert werden, um die Basis für eine objektive Klärung der Todesursache durch eine gerichtliche Obduktion zu ebnen (Madea et al. 2006a).

4.7.1. Ausgang der Verfahren

Die Mehrzahl der Ermittlungsverfahren (73,2 %) wurde mangels nachweisbaren Behandlungsfehlers, Fremdverschuldens oder nicht ersichtlicher Kausalität eingestellt.

Ulsenheimer sieht den Grund bei vielen Freisprüchen darin, dass der Nachweis der Kausalität nicht erbracht werden kann (Ulsenheimer 1984).

In 23,7 % der Fälle lagen nach der Obduktion keine ausreichenden Ergebnisse zur Klärung der Fragestellung vor, so dass weiterführende Untersuchungen in Auftrag gegeben wurden. Entscheidend für das Einstellungsverhalten der Staatsanwaltschaft waren medizinische Gutachten sowie Vernehmungen oder Einlassungen von Beschuldigten und Zeugen. Allerdings widmen sich die medizinischen Gutachter zu häufig den medizinischen Detailfragen aus ihrem Fachgebiet, ohne die Behandlung als Ganze im Blick zu haben. Sie sollten die engen Grenzen ihres Fachgebietes verlassen, um aufgrund ihrer beruflichen Erfahrung auch die weniger offensichtlichen Zusammenhänge und Verursachungsketten zu sehen (Bruns 2003). Auch aus gutachterlicher Sicht ist ein eingestelltes Verfahren nicht ineffizient oder nutzlos, da es der Identifizierung von Fehlerquellen, der Fehleranalyse, dem Risikomanagement und letztlich der Patientensicherheit dient. Die in der praktischen Begutachtung gesammelten Erfahrungen aus der Rechtsmedizin könnten künftig in Kliniken und Praxen zu einer Diskussion über Fehlervermeidung und damit zur Erhöhung der Patientensicherheit beitragen.

In nur 3,1 % der Fälle wurden die Verfahren nach Zahlung einer Geldstrafe eingestellt.