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1. Einleitung

1.2. Die obligatorische ärztliche Leichenschau

1.2.1. Grundlagen der ärztlichen Leichenschau

Nach den Bestattungsgesetzen der Bundesländer ist in jedem Todesfall eine Leichenschau vorgeschrieben, wobei die Feststellung des Todes nur von einem approbierten Arzt vorgenommen werden darf. Sie dient der Vermeidung irrtümlicher Todesfeststellungen, gesundheitspolitischen und epidemiologischen Zwecken, sowie der Aufdeckung strafbarer Handlungen und ist somit der letzte Dienst des Arztes am Patienten (Madea und Dettmeyer 2003).

Die Aufgaben der ärztlichen Leichenschau sind (Tröger 2008):

 Sichere Feststellung des Todes

 Identifikation des Verstorbenen

 Beurteilung der Todesursache

 Beurteilung der Todesart

 Feststellung der Todeszeit

Jeder approbierte Arzt ist grundsätzlich zur Durchführung einer Leichenschau verpflichtet. Die Leichenschau ist unverzüglich an der vollständig entkleideten Leiche durchzuführen. Sie erfolgt unter Einbeziehung aller Körperregionen einschließlich aller Körperöffnungen, des Rückens und der behaarten Kopfhaut. Außerdem müssen alle Verbände entfernt werden, da sie Verletzungen verdecken könnten (Helbing 2004).

Falls ein Arzt fahrlässig oder vorsätzlich die Leichenschau nicht entsprechend der Vorgaben des Leichenschaugesetzes durchführt oder die Todesbescheinigung nicht oder nur unzureichend ausfüllt, begeht er eine Verletzung der Sorgfaltspflicht und handelt damit ordnungswidrig (Birkholz 2003). Die Ausstellung einer Todes-bescheinigung ohne vorgenommene Leichenschau kann den Tatbestand einer Falschbeurkundung erfüllen (§ 348 Abs. 1 StGB).

Auf ein Entkleiden der Leiche darf nur verzichtet werden, wenn es das Umfeld, wie beispielsweise beim Auffinden der Leiche an einem öffentlichen Platz, nicht erlaubt oder ein nicht natürlicher Tod offensichtlich ist, um eine Veränderung oder Vernichtung wichtiger Spuren zu vermeiden. Eine Leiche, die in der Öffentlichkeit gefunden wird, sollte nach der Todesfeststellung an einen Ort verbracht werden, an dem der Arzt ungestört die Leichenschau vornehmen kann. In diesem Fall kann er sich am Auffindeort zunächst auf die Feststellung und Dokumentation des Todes beschränken (Madea und Brinkmann 2003).

Mit der Durchführung der Leichenschau übernimmt der Arzt eine Verantwortung im Verhältnis (Brinkmann und Raem 2007)

- zum Verstorbenen: Aufklärung der Todesumstände

- zu den Angehörigen: Entschädigungs- und Rentenansprüche - zur Gesellschaft: verlässliche Todesursachenstatistik

Sollten dem leichenschauhaltenden Arzt Angaben zur Vorgeschichte des Verstorbenen fehlen, kann dieser den behandelnden Arzt kontaktieren, welcher gesetzlich zur Auskunft verpflichtet ist (Schneider 2004). Bei dieser gesetzlich normierten

Auskunftspflicht handelt es sich um eine zulässige Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht.

Der Notarzt befindet sich in einer gesonderten Stellung. Grundsätzlich ist er zur Leichenschau verpflichtet. Allerdings kann er sich auf die Feststellung des Todes und des Todeszeitpunktes bzw. des Zeitpunktes der Leichenauffindung beschränken, wenn er durch die Durchführung der vollständigen Leichenschau an der Wahrnehmung der Aufgaben im Notfall- oder Rettungsdienst gehindert wäre (Nieders. BestattG § 3 (4)).

Eine solche Situation läge vor, wenn der Notarzt während der Leichenschau einen anderen Notruf zu einem potentiell gefährdeten Patienten erhielte. Verlässt er den Ereignisort, nachdem er den Tod festgestellt hat, muss er durch Information der Polizei dafür Sorge tragen, dass ein anderer Arzt die Leichenschau vollständig durchführt.

Besonders bei dem Verdacht auf einen nicht natürlichen Todes ist es wichtig, dass er alle ärztlichen Maßnahmen dokumentiert und keine Veränderungen an dem Leichnam vornimmt. Hierzu ist der Notarzt nach Feststellen eines nicht natürlichen oder ungeklärten Todes nach § 94 StPo verpflichtet (Madea und Brinkmann 2003).

1.2.2. Todesfeststellung

Die erste und wichtigste Aufgabe bei der ärztlichen Leichenschau ist die sichere Feststellung des Todes. Hierzu dienen dem Leichenschauer die sicheren und unsicheren Todeszeichen, wobei die letzteren allein in keinem Fall die Todesfeststellung rechtfertigen dürfen (Madea und Dettmeyer 2003). Solange der Arzt nicht mindestens ein sicheres Todeszeichen feststellen kann, ist er, selbst bei nur geringen Erfolgsaussichten, verpflichtet mit Reanimationsmaßnahmen zu beginnen (Spann 1979).

 Sichere Todeszeichen

o Totenstarre (Rigor mortis) o Totenflecken (Livores) o Fäulnis

 Unsichere Todeszeichen o Blässe der Haut o Bewusstlosigkeit o Atemstillstand

o Absinken der Körperkerntemperatur o Pulslosigkeit

o Areflexie

o Lichtstarre, weite Pupillen o Atonie

Ergeben sich Hinweise auf eine Vita minima oder Vita reducta, beispielsweise bei Verdacht auf eine Intoxikation, Unterkühlung oder Stromunfall, darf die Attestierung des Todes nicht erfolgen (Pioch 1978).

1.2.3. Todeszeit

Für die Feststellung der Todeszeit stehen dem leichenschauhaltenden Arzt folgende Befunde und Untersuchungen zur Verfügung

 Frühe Leichenerscheinungen (Totenflecken, Totenstarre, Abkühlung)

 Späte Leichenerscheinungen (Fäulnis, Verwesung, konservierende Leichenveränderungen)

 Prüfung supravitaler Funktionen (idiomuskulärer Wulst, pharmakologische Pupillenreaktion, elektrische Muskelreizung)

Angaben von Angehörigen, Zeugen oder Bekannten sollten auch berücksichtigt werden. Die Bestimmung der Todeszeit hat nicht nur eine Bedeutung für die Angehörigen, sondern ist auch wichtig bei strafprozessualen und zivilrechtlichen Fragestellungen. Allerdings kann sie immer nur eine Schätzung des Zeitintervalls sein, innerhalb dessen der Tod eingetreten sein dürfte (Madea 2007).

Können keine verlässlichen Angaben zur Todeszeit gemacht werden, so sollte zumindest der Zeitpunkt des Auffindens der Leiche angegeben werden. In der niedersächsischen Todesbescheinigung kann neben dem Todeszeitpunkt oder dem Zeitpunkt der Leichenauffindung auch das vermutete Zeitintervall, in dem der Tod eingetreten ist, eingetragen werden.

1.2.4. Todesart

Neben der Todesfeststellung kommt dem leichenschauhaltenden Arzt eine wesentliche Bedeutung bei der Qualifikation der Todesart zu. Auf der niedersächsischen Todesbescheinigung finden sich die folgenden Möglichkeiten, die Todesart zu klassifizieren (Tröger 2008):

 Natürlich: Tod aus innerer krankhafter Ursache

 Nicht natürlich: Tod, der auf ein von außen verschuldetes oder beeinflusstes Geschehen zurückzuführen ist; selbst- oder fremdverschuldet

o Gewalteinwirkungen, Unfälle, Tötungsdelikte o Vergiftungen

o Suizide

o Behandlungsfehler

o Tödlich verlaufende Folgezustände der ersten vier genannten Punkte

 Ungeklärt: Weder Hinweise auf ein Grundleiden noch äußere Zeichen einer stattgehabten Gewalteinwirkung

Durch die Angaben der Todesart werden die Voraussetzungen für eine Entscheidung geschaffen, ob ein Todesfall strafrechtlich weiter verfolgt werden muss (Pioch 1978).

Bescheinigt der leichenschauhaltende Arzt einen natürlichen Tod, so kann der Leichnam erdbestattet werden und eine zusätzliche behördliche Kontrolle findet nicht statt. Soll der Verstorbene allerdings eingeäschert werden, ist vor der Kremation in allen Bundesländern, ausgenommen Bayern, eine zweite amtsärztliche Leichenschau durchzuführen.

Dem Arzt obliegt eine Meldepflicht an die Polizei bei Anhaltspunkten für einen nicht natürlichen oder ungeklärten Tod, sowie bei nicht geklärter Identität. Er muss bis zum Eintreffen der Polizeibeamten dafür Sorge tragen, dass am Leichnam und in der Umgebung keine Veränderungen vorgenommen werden. Danach liegt es im Ermessen der Staatsanwaltschaft, ob im Verlauf der Ermittlungen eine Obduktion angeordnet wird (Brinkmann und Raem 2007).

Für den Arzt gilt im Rahmen der Leichenschau die gleiche Sorgfaltspflicht wie bei der Erhebung einer medizinischen Diagnose (Oehmichen und Saternus 1985). Er sollte demnach nur einen natürlichen Tod bescheinigen, wenn dieser für ihn unter Berücksichtigung aller Befunde und anamnestischen Daten zweifelsfrei ist.

1.2.5. Todesursache

Die Todesursache wird auf der Todesbescheinigung in Form einer Kausalkette des Krankheitsverlaufes angegeben (z.B.: hämorrhagischer Schock als Folge einer Ösophagusvarizenblutung als Folge einer Leberzirrhose). Todesart und –ursache sind zunächst voneinander getrennt zu halten, auch wenn es gegenseitige Bedingungen geben kann (Madea und Dettmeyer 2003).

Bei der Todesursache handelt es sich um alle Krankheiten, Leiden und Verletzungen, die entweder den Tod zur Folge hatten oder den Tod begünstigten, sowie die Umstände des Unfalles oder der Gewalteinwirkung, die diese Verletzungen hervorriefen.

Nur in seltenen Fällen kann der leichenschauhaltende Arzt durch die äußere Leichenschau eine sichere Todesursache bestimmen, insbesondere dann nicht wenn er den Verstorbenen zu Lebzeiten nicht behandelt hat und somit auch die Krankenvorgeschichte nicht kennt. Im Grunde genommen ist nur der lückenlose klinische Verlauf bzw. eine Obduktion geeignet, eine sichere Todesursache zu benennen. Der Arzt sollte durch seine bei der Leichenschau erhobenen Befunde, Gespräche mit den Angehörigen und dem behandelnden Arzt, sowie gegebenenfalls durch Einsicht der Krankenakten versuchen, eine plausible Todesursache bzw.

Kausalkette auf der Todesbescheinigung anzugeben. Lässt sich anhand der Leichenschau und Vorgeschichte keine konkrete Todesursache benennen, muss dieses auf der Todesbescheinigung vermerkt werden (Madea und Brinkmann 2003).

Die Attestierung einer falschen Todesursache und -art kann als Beihilfe zum Betrug gewertet werden, wenn sich die Hinterbliebenen durch bewusste Falschangaben Leistungen der Versicherung erschleichen wollen (§ 263 StGB).