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4. Diskussion

4.3. Angegebene Todesart in Abhängigkeit von der Fachrichtung des

Durch die Klassifikation der Todesart auf der Todesbescheinigung entscheidet der leichenschauhaltende Arzt darüber, ob die Ermittlungsbeamten Kenntnis über einen Todesfall erhalten, da bei bescheinigter „ungeklärter“ oder „nicht natürlicher“ Todesart der Arzt verpflichtet ist, diese zu benachrichtigen. Damit stellt die Leichenschau und die sich anschließende Qualifikation der Todesart eine außerordentlich verantwortungsvolle Aufgabe hinsichtlich strafrechtlicher Aspekte sowie der Interessen der Hinterbliebenen dar (Madea und Rothschild 2010a). Außerdem ist eine möglichst schnelle Aufnahme der Ermittlungen für die Rechtspflege und das Sicherheitsgefühl

der Bevölkerung von herausragender Bedeutung, denn je eher ein nicht natürlicher Todesfall bekannt wird, desto größer sind die Chancen ein mögliches Tötungsdelikt aufzuklären (Gerg und Baier 2009).

Die „niedergelassenen Ärzte“ scheinen auf den ersten Blick für die Durchführung der Leichenschau die kompetentesten Ärzte zu sein, da sie mit der Krankengeschichte des Verstorbenen vertraut sind. Allerdings bescheinigten sie in 184 Fällen (98,9 %) der 186 von ihnen durchgeführten Leichenschauen einen natürlichen Tod. In nur einem Fall war eine ungeklärte Todesart angegeben, in einem weiteren Fall war keine Angabe zur Todesart gemacht worden. Die Hausärzte sind oft während der Praxiszeiten durch Notfallpatienten und allgemeine Praxisauslastung nicht verfügbar, was zu langen Wartezeiten bis zur Durchführung einer Leichenschau oder zu oberflächlicher Durchführung führen kann (Fieseler et al. 2009). Bereits 1975 bemängelte Kanne, dass die von niedergelassenen Ärzten durchgeführte Leichenschau in nur 20% der Fälle an der entkleideten Leiche durchgeführt wird. Zwei Drittel der Leichenschauen erfolgten ohne Entfernen der Kinnbinde, die mögliche Würgemale verdecken könnte (Kanne 1975). Auch eine durch Gerg und Baier im Jahr 2007 durchgeführte Umfrage im Regierungsbezirk Stuttgart ergab, dass nur in 41,4 % der Fälle die Leiche vollständig entkleidet wurde. Diese Zahlen lassen vermuten, dass bei den durch niedergelassene Ärzte durchgeführten Leichenschauen eine hohe Dunkelziffer an unentdeckten nicht natürlichen Todesfällen vorliegt (Gerg und Baier 2009). Allerdings wird eine korrekt klassifizierte Todesart für den niedergelassenen Arzt möglicherweise zu einer existenziellen Frage, wenn die Hinterbliebenen des Verstorbenen, die eventuell ebenfalls zum Patientenkollektiv des leichenschauenden Arztes gehören, direkt oder indirekt Einfluss auf die Entscheidung bezüglich der Todesart ausüben. Die Todesfeststellung stellt sich als ein letzter Dienst am Patienten dar, was sowohl für die Angehörigen als auch für den Arzt selbst zu einer psychisch belastenden Aufgabe werden kann. Damit ist es schwer für den niedergelassenen Arzt, welcher von den Angehörigen als eine Vertrauensperson angesehen wird, sich nicht in der Entscheidung von Argumenten seitens der Angehörigen beeinflussen zu lassen.

(Rothschild 2009).

Auch von Seiten der Polizei werden Ärzte bei der Klassifikation der Todesart beeinflusst, welches durch eine 2001 von Vennemann et al. durchgeführte Befragung bestätigt wurde. Dort gaben etwas weniger als die Hälfte der Ärzte an, schon einmal bei der Festlegung der Todesart von Dritten, vor allem durch die Polizei, beeinflusst worden zu sein. In Fällen, bei denen in der ersten Leichenschau eine ungeklärte Todesart bescheinigt wurde, veranlassten die Ermittlungsbehörden häufig eine zweite

Leichenschau durch andere Ärzte, um eine Änderung in eine natürliche Todesart herbeizuführen (Vennemann et al. 2001). In so einem Fall muss der Arzt darauf bestehen, dass einerseits die Entscheidung über die Todesart ausschließlich bei ihm liegt, während andererseits die Frage nach einem eventuellem Fremdverschulden nur in das Aufgabenfeld der Polizei und Staatsanwaltschaft fällt (Mattern und Pedal 2004).

Die „behandelnden Ärzte im Krankenhaus“ stellten im Untersuchungszeitraum 116 Todesbescheinigungen (30,0 %) aus. Mit 114 Fällen (98,2 %) wurde von den Krankenhausärzten ebenso wie von den niedergelassenen Ärzten (98,9 %) fast ausschließlich eine natürliche Todesart bescheinigt. Eine nicht natürliche und ebenfalls eine ungeklärte Todesart wurden in nur jeweils einem Fall (0,9 %) angegeben.

Im Vordergrund stehen hierbei Fehlqualifikationen der Todesart bei Todesfällen im Zusammenhang mit medizinischen Maßnahmen und übersehende Kausal-zusammenhänge zwischen einem Trauma und dem Todeseintritt (Madea 2009). Auch Berg und Ditt stellten bei der Befragung von niedersächsischen Krankenhausärzten fest, dass die Ärzte im Krankenhaus viel zu häufig eine natürliche Todesart attestierten.

Nur 86 % aller Befragten wollten bei dem Vorliegen eines Fremdverschuldens einen nicht natürlichen Tod ankreuzen. 5 % der an der Umfrage teilnehmenden Ärzte gaben sogar an, dass im Krankenhaus nur ein natürlicher Tod eintreten könne (Berg und Ditt 1984).

Der Tod eines Patienten kann als Versagen der eigenen Bemühungen angesehen werden und demotiviert die Krankenhausärzte, sich intensiv und sorgfältig mit der Todesbescheinigung auseinander zu setzen. Außerdem würde sich der behandelnde Arzt möglicherweise mit der Attestierung einer nicht natürlichen oder ungeklärten Todesart selbst der Strafverfolgung aussetzen. In so einem Fall dürfte der behandelnde Arzt die Leichenschau ablehnen. Allerdings ergibt sich daraus, dass dann ein Kollege in dem Konflikt steht, gegebenenfalls unkollegial handeln zu müssen, wenn er seiner Meldepflicht korrekt nachkommt. Aus diesem Grund neigen viele Krankenhausärzte dazu, bei Todesfällen im Rahmen einer ärztlichen Behandlung einen natürlichen Tod zu bescheinigen (Mattern und Pedal 2004).

Für den Leichenschauer im Krematorium ist es schwierig und oft unmöglich, entsprechende Fälle aufgrund der Angaben auf der Todesbescheinigung zu beurteilen.

Die zunächst nur sehr spärlichen oder im Hinblick auf die stattgehabten diagnostischen Maßnahmen, operativen Eingriffe und Komplikationen völlig fehlenden Angaben in der Todesbescheinigung sind eine unzureichende Grundlage für eine fundierte Beurteilung der medizinischen Behandlung (Sperhake und Püschel 2000).

Laut Rothschild gehören die „Notärzte“ aufgrund ihrer Einsatztätigkeit zu den routiniertesten Ärzten bei der Todesfeststellung und äußeren Leichenschau. Bei Attestierung einer nicht natürlichen bzw. ungeklärten Todesart darf der Arzt an der Leiche keine Veränderungen mehr vornehmen. Vor allem nach Reanimations-maßnahmen in der Wohnung des Verstorbenen ist dies allerdings eine kaum zumutbare Situation für die Angehörigen, was die Notärzte immer wieder in eine Konfliktsituation bringt (Rothschild 2009).

Im vorliegenden Untersuchungszeitraum 1998-2007 wurde die Leichenschau in 46 Fällen (11,9 %) von Notärzten durchgeführt. In allen Fällen wurde eine natürliche Todesart auf der Todesbescheinigung angegeben. In früher durchgeführten Studien von Berster, Koch und Grabowski wurde im Gegensatz dazu festgestellt, dass gerade die Notärzte häufig eine ungeklärte oder nicht natürliche Todesart bescheinigen, denn die im Rettungsdienst tätigen Mediziner sind überproportional häufig mit Patienten konfrontiert, die ihnen unbekannt sind und über deren Krankengeschichte sie nicht hinreichend bis gar nicht informiert sind (Berster 2006, Koch 2004, Grabowski 2006).

Außerdem steht der Einsatzort dieser Arztgruppe häufig in Verbindung mit einem nicht natürlichen Tod, wie dies bei Unfällen, Suiziden oder Gewaltverbrechen der Fall ist. In vielen Fällen werden die Notärzte zu Leichenfunden und Todesfällen im öffentlichen Raum gerufen, bei denen sich situationsbedingt keine eindeutige Klärung der zum Tode führenden Umstände ermitteln lässt, so dass eine ungeklärte Todesart bescheinigt wird. Stellen sich für die Notärzte die zum Tode führenden Umstände jedoch eindeutig als nicht natürlich dar, bereitet es ihnen auch im häuslichen Milieu weniger Schwierigkeiten, die Todesart als nicht natürlich zu bescheinigen, da sie in keinem Abhängigkeitsverhältnis zu den Angehörigen des Verstorbenen stehen, welche eventuell ebenfalls zum Patientenstamm eines niedergelassenen Leichenschauarztes gehören könnten.

Allerdings kommt es häufig zur Pflichtenkollision mit nachfolgenden Noteinsätzen, weshalb die Notärzte nur den Tod feststellen und lediglich eine vorläufige Todesbescheinigung ausfüllen müssen (Fieseler et al. 2009). Aber auch wenn sich die Notärzte auf die Todesfeststellung beschränken können, unterliegen sie trotzdem der Meldepflicht bei Anhaltspunkten für eine nicht natürliche oder ungeklärte Todesart (Dettmeyer und Verhoff 2009).