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Die Leichenschau vor Kremation?: Überflüssig oder wichtiges Instrument zur Aufdeckung nicht-natürlicher Todesfälle

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Aus dem

Institut für Rechtsmedizin der

Medizinischen Hochschule Hannover (Direktor Prof. Dr. med. M. Klintschar)

Die Leichenschau vor Kremation:

Überflüssig oder wichtiges Instrument zur Aufdeckung nicht-natürlicher Todesfälle?

Dissertation

Zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin in der Medizinischen Hochschule Hannover

vorgelegt von Melanie Todt aus Höxter

Hannover 2011

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Gedruckt mit Genehmigung der Medizinischen Hochschule Hannover Präsident: Prof. Dr. med. Dieter Bitter-Suermann

Betreuer: Prof. Dr. med. Dirk Breitmeier Referent: Prof. Dr. med. Dirk Scheinichen Korreferentin: PD Dr. med. Mine Arslan-Kirchner

Tag der mündlichen Prüfung: 22.11.2011 Prüfungsausschussmitglieder:

Prof. Dr. med. Michael Klintschar Prof. Dr. med. Klaus Resch

Prof. Dr. med. Reinhard Schwinzer

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In Dankbarkeit

gewidmet

meinen Eltern

Barbara und Elmar Todt

(4)

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ... 5

1.1. Historischer Überblick über die Leichenschau... 5

1.2. Die obligatorische ärztliche Leichenschau... 6

1.2.1. Grundlagen der ärztlichen Leichenschau... 6

1.2.2. Todesfeststellung ... 8

1.2.3. Todeszeit ... 9

1.2.4. Todesart... 10

1.2.5. Todesursache... 11

1.3. Feuerbestattungsleichenschau ... 11

1.3.1. Geschichte des Krematoriums ... 11

1.3.2. Krematoriumsleichenschau ... 13

1.4. Kritik an der ärztlichen Leichenschau ... 14

1.5. Zielsetzung... 17

2. Material und Methoden ... 18

2.1. Datenerfassung... 18

2.2. Auswertungskriterien ... 19

2.3. Datenauswertung... 20

3. Ergebnisse ... 21

3.1. Allgemeines... 21

3.2. Alters- und Geschlechtsverteilung ... 22

3.2.1. Altersverteilung... 22

3.2.2. Geschlechterverteilung... 23

3.3. Erste ärztliche Leichenschau ... 23

3.3.1. Fachrichtung des leichenschauhaltenden Arztes... 23

3.3.2. Ort der ersten ärztlichen Leichenschau... 24

3.3.3. Bescheinigte Todesart der ersten Leichenschau ... 25

3.3.3.1. Angegebene Todesart in Abhängigkeit vom Leichenschauort 26 3.3.3.2. Angegebene Todesart in Abhängigkeit von der Fachrichtung des leichenschauhaltenden Arztes 26 3.3.4. Bescheinigte Todesursache bei der ersten Leichenschau... 27

3.4. Krematoriumsleichenschau - Beschlagnahmungsgrund ... 28

3.5. Postmortales Intervall ... 29

3.6. Rechtsmedizinische Obduktion... 30

3.6.1. Todesart... 30

3.6.2. Todesursache... 30

3.7. Todesart: Vergleich Obduktionsergebnis und 1. Leichenschau ... 31

3.7.1. Übersicht 1998-2007 ... 31

3.7.2. Leichenschauarzt ... 32

3.7.3. Leichenschauort ... 33

3.8. Todesursache: Vergleich Obduktionsergebnis und 1. Leichenschau... 34

3.8.1. Übersicht 1998-2007 ... 34

(5)

3.8.2. Leichenschauarzt ... 35

3.8.3. Leichenschauort ... 35

3.9. Ergebnisse der Ermittlungsverfahren ... 36

4. Diskussion ... 38

4.1. Alters- und Geschlechterverteilung... 38

4.2. Angegebene Todesart in Abhängigkeit vom Leichenschauort ... 39

4.3. Angegebene Todesart in Abhängigkeit von der Fachrichtung des leichenschauhaltenden Arztes ... 40

4.4. Krematoriumsleichenschau – Beschlagnahmungsgrund ... 43

4.5. Todesart: Vergleich Obduktionsergebnis und 1. Leichenschau ... 45

4.6. Todesursache: Vergleich Obduktionsergebnis und 1. Leichenschau... 48

4.7. Ergebnisse der Ermittlungsverfahren ... 50

4.7.1. Ausgang der Verfahren ... 51

4.8. Mögliche Wege aus der Krise der Leichenschau ... 52

5. Zusammenfassung... 59

6. Literaturverzeichnis ... 61

7. Anhang ... 68

7.1. Niedersächsisches Bestattungsgesetz (BestattG)... 68

7.2. Gesetz über die Feuerbestattung vom 15. 5. 1934 (RGBl. 1 S. 3 80)... 85

7.3. Todesbescheinigung Niedersachsen... 89

7.4. Allgemeine Gesetzeslage ... 94

7.4.1. Einstellung der Ermittlungsverfahren ... 94

7.4.2. Ärztliche Leichenschau... 96

8. Danksagung... 99

9. Lebenslauf ... 100

10. Erklärung... 101

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1. Einleitung

1.1. Historischer Überblick über die Leichenschau

Die ersten in deutschsprachigen Aufzeichnungen erwähnten Leichenschauen unter forensischen Gesichtspunkten wurden im 13. Jahrhundert durchgeführt. Hierbei handelte es sich um Besichtigungen von Ermordeten oder Erschlagenen durch das Gericht. Schon im Jahr 1230 wurde im Sachsenspiegel bestimmt, dass der Verstorbene ohne richterliche Genehmigung nicht beerdigt werden dürfe. Durch das normannische Gesetzbuch wurde hinzugefügt, dass ohne vorherige Besichtigung der Leiche keine Anklage erhoben werden durfte. Die Besichtigung des Toten erfolgte entweder am Auffindungsort, am Ort der Aufbahrung oder am ständigen Gerichtsplatz.

Erst 200 Jahre später wurde in der „Cent-Gerichtsreformation“ von 1447 bestimmt, dass zwei Schöffen und ein Wund- oder Leibarzt die Leichenschau vorzunehmen hatten. Dabei handelte es sich meistens um Barbiere oder Bader, denen vom Gericht anvertraut wurde, dass sie die Verwundeten und Toten untersuchen sollten (Schneider 1987).

Im Jahr 1507 trat die „Bambergische Peinliche Halsgerichtsordnung“ des Johann Freiherr zu Schwarzenberg in Kraft, die als allgemeingültiges Gesetz die gerichtliche Leichenschau regelte und als Vorlage für das umfangreiche Strafgesetz der

„Constitutio Criminalis Carolina“, die 1532 erschien, galt. Diese Ordnung verlangte, dass der Leichnam zum Gericht gebracht werden sollte und dort die Schöffen die Leiche und deren Verletzungen besichtigten. In Fällen, in denen die Leiche nicht zum Gericht transportiert werden konnte, musste dem Leichnam ein Leibzeichen entnommen werden, das dem Richter vorgelegt wurde. Hierbei handelte es sich meistens um den rechten Daumen (Patschek 1938).

Bis ins 17. Jahrhundert genügte es, wenn Bader und Wundärzte den Leichnam nur äußerlich besichtigten. Danach wurde in zweifelhaften Fällen die Leichenöffnung vorgenommen und die alleinige äußere Besichtigung blieb den Fällen vorbehalten, bei denen die Todesursache hierdurch hinreichend geklärt werden konnte und die von minderer Wertigkeit waren.

Aus Angst vor dem ‚Lebendig-Begraben-Werden‘ gewann die Leichenschau zu Beginn des 18. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung. Bereits 1813/14 wurde im Salzach- kreis/Bayern die allgemeine Pflichtleichenschau eingeführt. Diese durfte nur von approbierten Landärzten und Chirurgen durchgeführt werden und galt als Voraussetzung für die folgende Bestattung. In der Königlich Bayrischen Instruktion wurden die bei der Leichenschau durchzuführenden Untersuchungen

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zusammengefasst. Die Leichenschau sollte die Beerdigung Scheintoter verhindern, sowie gewaltsame Todesfälle und ärztliche Behandlungsfehler aufdecken. Desweiteren sollten hierdurch Krankheiten ermittelt und genaue Sterbelisten erstellt werden. An vielen Orten wurden Leichenkammern mit „Alarmanlagen“ eingerichtet, die Scheintote bei kleinsten Bewegungen auslösten und so Rettungsmaßnahmen in Gang setzten.

Das Polizeipräsidium Berlin führte dann 1824 einen Sterbezettel ein, welcher der heutigen Todesbescheinigung nahe kommt. Der leichenschauhaltende Arzt musste auf diesem Sterbezettel alle Daten des Verstorbenen eintragen (Patschek 1938).

Aufgrund der Erkenntnis, dass die Leichenschau von allgemeiner sanitärer Bedeutung war, sollte sie durch ein einheitliches Gesetz im gesamten Deutschen Reich verankert werden. Die preußischen Abgeordneten lehnten diesen Gesetzesentwurf mit der Begründung ab, dass zu hohe Kosten entstehen würden und es zu Schwierigkeiten kommen könnte, einen Arzt oder eine andere geeignete Person für die Leichenschau zu finden. Damit wurde es den einzelnen Bundesstaaten überlassen, ob und in welcher Weise sie die Leichenschau durchführen ließen (Brune 2000). Zu den erstrebten einheitlichen Regelungen kam es nur während Epidemien und in Kriegszeiten.

Nachdem sich die obligatorische Leichenschau jedoch in einigen Gebieten bewährt hatte, erschien am 04.03.1901 ein Erlass des Preußischen Ministers. Dieser empfahl die Einführung der Leichenschau in allen Orten, an denen sie nach den örtlichen Verhältnissen durchführbar war. Sie durfte allerdings keine hohen Kosten verursachen und konnte von jedem approbierten Arzt vorgenommen werden.

Die allgemeine Leichenschau dient seitdem vorrangig der Feststellung des eingetretenen Todes und medizinalstatistischen Zwecken. Daneben stand von jeher bei der gerichtlichen Leichenschau die Beurteilung der Kausalität zwischen Gewalteinwirkung und dem eingetretenen Tod im Vordergrund (Berg und Ditt 1984).

1.2. Die obligatorische ärztliche Leichenschau

1.2.1. Grundlagen der ärztlichen Leichenschau

Nach den Bestattungsgesetzen der Bundesländer ist in jedem Todesfall eine Leichenschau vorgeschrieben, wobei die Feststellung des Todes nur von einem approbierten Arzt vorgenommen werden darf. Sie dient der Vermeidung irrtümlicher Todesfeststellungen, gesundheitspolitischen und epidemiologischen Zwecken, sowie der Aufdeckung strafbarer Handlungen und ist somit der letzte Dienst des Arztes am Patienten (Madea und Dettmeyer 2003).

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Die Aufgaben der ärztlichen Leichenschau sind (Tröger 2008):

 Sichere Feststellung des Todes

 Identifikation des Verstorbenen

 Beurteilung der Todesursache

 Beurteilung der Todesart

 Feststellung der Todeszeit

Jeder approbierte Arzt ist grundsätzlich zur Durchführung einer Leichenschau verpflichtet. Die Leichenschau ist unverzüglich an der vollständig entkleideten Leiche durchzuführen. Sie erfolgt unter Einbeziehung aller Körperregionen einschließlich aller Körperöffnungen, des Rückens und der behaarten Kopfhaut. Außerdem müssen alle Verbände entfernt werden, da sie Verletzungen verdecken könnten (Helbing 2004).

Falls ein Arzt fahrlässig oder vorsätzlich die Leichenschau nicht entsprechend der Vorgaben des Leichenschaugesetzes durchführt oder die Todesbescheinigung nicht oder nur unzureichend ausfüllt, begeht er eine Verletzung der Sorgfaltspflicht und handelt damit ordnungswidrig (Birkholz 2003). Die Ausstellung einer Todes- bescheinigung ohne vorgenommene Leichenschau kann den Tatbestand einer Falschbeurkundung erfüllen (§ 348 Abs. 1 StGB).

Auf ein Entkleiden der Leiche darf nur verzichtet werden, wenn es das Umfeld, wie beispielsweise beim Auffinden der Leiche an einem öffentlichen Platz, nicht erlaubt oder ein nicht natürlicher Tod offensichtlich ist, um eine Veränderung oder Vernichtung wichtiger Spuren zu vermeiden. Eine Leiche, die in der Öffentlichkeit gefunden wird, sollte nach der Todesfeststellung an einen Ort verbracht werden, an dem der Arzt ungestört die Leichenschau vornehmen kann. In diesem Fall kann er sich am Auffindeort zunächst auf die Feststellung und Dokumentation des Todes beschränken (Madea und Brinkmann 2003).

Mit der Durchführung der Leichenschau übernimmt der Arzt eine Verantwortung im Verhältnis (Brinkmann und Raem 2007)

- zum Verstorbenen: Aufklärung der Todesumstände

- zu den Angehörigen: Entschädigungs- und Rentenansprüche - zur Gesellschaft: verlässliche Todesursachenstatistik

Sollten dem leichenschauhaltenden Arzt Angaben zur Vorgeschichte des Verstorbenen fehlen, kann dieser den behandelnden Arzt kontaktieren, welcher gesetzlich zur Auskunft verpflichtet ist (Schneider 2004). Bei dieser gesetzlich normierten

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Auskunftspflicht handelt es sich um eine zulässige Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht.

Der Notarzt befindet sich in einer gesonderten Stellung. Grundsätzlich ist er zur Leichenschau verpflichtet. Allerdings kann er sich auf die Feststellung des Todes und des Todeszeitpunktes bzw. des Zeitpunktes der Leichenauffindung beschränken, wenn er durch die Durchführung der vollständigen Leichenschau an der Wahrnehmung der Aufgaben im Notfall- oder Rettungsdienst gehindert wäre (Nieders. BestattG § 3 (4)).

Eine solche Situation läge vor, wenn der Notarzt während der Leichenschau einen anderen Notruf zu einem potentiell gefährdeten Patienten erhielte. Verlässt er den Ereignisort, nachdem er den Tod festgestellt hat, muss er durch Information der Polizei dafür Sorge tragen, dass ein anderer Arzt die Leichenschau vollständig durchführt.

Besonders bei dem Verdacht auf einen nicht natürlichen Todes ist es wichtig, dass er alle ärztlichen Maßnahmen dokumentiert und keine Veränderungen an dem Leichnam vornimmt. Hierzu ist der Notarzt nach Feststellen eines nicht natürlichen oder ungeklärten Todes nach § 94 StPo verpflichtet (Madea und Brinkmann 2003).

1.2.2. Todesfeststellung

Die erste und wichtigste Aufgabe bei der ärztlichen Leichenschau ist die sichere Feststellung des Todes. Hierzu dienen dem Leichenschauer die sicheren und unsicheren Todeszeichen, wobei die letzteren allein in keinem Fall die Todesfeststellung rechtfertigen dürfen (Madea und Dettmeyer 2003). Solange der Arzt nicht mindestens ein sicheres Todeszeichen feststellen kann, ist er, selbst bei nur geringen Erfolgsaussichten, verpflichtet mit Reanimationsmaßnahmen zu beginnen (Spann 1979).

 Sichere Todeszeichen

o Totenstarre (Rigor mortis) o Totenflecken (Livores) o Fäulnis

 Unsichere Todeszeichen o Blässe der Haut o Bewusstlosigkeit o Atemstillstand

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o Absinken der Körperkerntemperatur o Pulslosigkeit

o Areflexie

o Lichtstarre, weite Pupillen o Atonie

Ergeben sich Hinweise auf eine Vita minima oder Vita reducta, beispielsweise bei Verdacht auf eine Intoxikation, Unterkühlung oder Stromunfall, darf die Attestierung des Todes nicht erfolgen (Pioch 1978).

1.2.3. Todeszeit

Für die Feststellung der Todeszeit stehen dem leichenschauhaltenden Arzt folgende Befunde und Untersuchungen zur Verfügung

 Frühe Leichenerscheinungen (Totenflecken, Totenstarre, Abkühlung)

 Späte Leichenerscheinungen (Fäulnis, Verwesung, konservierende Leichenveränderungen)

 Prüfung supravitaler Funktionen (idiomuskulärer Wulst, pharmakologische Pupillenreaktion, elektrische Muskelreizung)

Angaben von Angehörigen, Zeugen oder Bekannten sollten auch berücksichtigt werden. Die Bestimmung der Todeszeit hat nicht nur eine Bedeutung für die Angehörigen, sondern ist auch wichtig bei strafprozessualen und zivilrechtlichen Fragestellungen. Allerdings kann sie immer nur eine Schätzung des Zeitintervalls sein, innerhalb dessen der Tod eingetreten sein dürfte (Madea 2007).

Können keine verlässlichen Angaben zur Todeszeit gemacht werden, so sollte zumindest der Zeitpunkt des Auffindens der Leiche angegeben werden. In der niedersächsischen Todesbescheinigung kann neben dem Todeszeitpunkt oder dem Zeitpunkt der Leichenauffindung auch das vermutete Zeitintervall, in dem der Tod eingetreten ist, eingetragen werden.

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1.2.4. Todesart

Neben der Todesfeststellung kommt dem leichenschauhaltenden Arzt eine wesentliche Bedeutung bei der Qualifikation der Todesart zu. Auf der niedersächsischen Todesbescheinigung finden sich die folgenden Möglichkeiten, die Todesart zu klassifizieren (Tröger 2008):

 Natürlich: Tod aus innerer krankhafter Ursache

 Nicht natürlich: Tod, der auf ein von außen verschuldetes oder beeinflusstes Geschehen zurückzuführen ist; selbst- oder fremdverschuldet

o Gewalteinwirkungen, Unfälle, Tötungsdelikte o Vergiftungen

o Suizide

o Behandlungsfehler

o Tödlich verlaufende Folgezustände der ersten vier genannten Punkte

 Ungeklärt: Weder Hinweise auf ein Grundleiden noch äußere Zeichen einer stattgehabten Gewalteinwirkung

Durch die Angaben der Todesart werden die Voraussetzungen für eine Entscheidung geschaffen, ob ein Todesfall strafrechtlich weiter verfolgt werden muss (Pioch 1978).

Bescheinigt der leichenschauhaltende Arzt einen natürlichen Tod, so kann der Leichnam erdbestattet werden und eine zusätzliche behördliche Kontrolle findet nicht statt. Soll der Verstorbene allerdings eingeäschert werden, ist vor der Kremation in allen Bundesländern, ausgenommen Bayern, eine zweite amtsärztliche Leichenschau durchzuführen.

Dem Arzt obliegt eine Meldepflicht an die Polizei bei Anhaltspunkten für einen nicht natürlichen oder ungeklärten Tod, sowie bei nicht geklärter Identität. Er muss bis zum Eintreffen der Polizeibeamten dafür Sorge tragen, dass am Leichnam und in der Umgebung keine Veränderungen vorgenommen werden. Danach liegt es im Ermessen der Staatsanwaltschaft, ob im Verlauf der Ermittlungen eine Obduktion angeordnet wird (Brinkmann und Raem 2007).

Für den Arzt gilt im Rahmen der Leichenschau die gleiche Sorgfaltspflicht wie bei der Erhebung einer medizinischen Diagnose (Oehmichen und Saternus 1985). Er sollte demnach nur einen natürlichen Tod bescheinigen, wenn dieser für ihn unter Berücksichtigung aller Befunde und anamnestischen Daten zweifelsfrei ist.

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1.2.5. Todesursache

Die Todesursache wird auf der Todesbescheinigung in Form einer Kausalkette des Krankheitsverlaufes angegeben (z.B.: hämorrhagischer Schock als Folge einer Ösophagusvarizenblutung als Folge einer Leberzirrhose). Todesart und –ursache sind zunächst voneinander getrennt zu halten, auch wenn es gegenseitige Bedingungen geben kann (Madea und Dettmeyer 2003).

Bei der Todesursache handelt es sich um alle Krankheiten, Leiden und Verletzungen, die entweder den Tod zur Folge hatten oder den Tod begünstigten, sowie die Umstände des Unfalles oder der Gewalteinwirkung, die diese Verletzungen hervorriefen.

Nur in seltenen Fällen kann der leichenschauhaltende Arzt durch die äußere Leichenschau eine sichere Todesursache bestimmen, insbesondere dann nicht wenn er den Verstorbenen zu Lebzeiten nicht behandelt hat und somit auch die Krankenvorgeschichte nicht kennt. Im Grunde genommen ist nur der lückenlose klinische Verlauf bzw. eine Obduktion geeignet, eine sichere Todesursache zu benennen. Der Arzt sollte durch seine bei der Leichenschau erhobenen Befunde, Gespräche mit den Angehörigen und dem behandelnden Arzt, sowie gegebenenfalls durch Einsicht der Krankenakten versuchen, eine plausible Todesursache bzw.

Kausalkette auf der Todesbescheinigung anzugeben. Lässt sich anhand der Leichenschau und Vorgeschichte keine konkrete Todesursache benennen, muss dieses auf der Todesbescheinigung vermerkt werden (Madea und Brinkmann 2003).

Die Attestierung einer falschen Todesursache und -art kann als Beihilfe zum Betrug gewertet werden, wenn sich die Hinterbliebenen durch bewusste Falschangaben Leistungen der Versicherung erschleichen wollen (§ 263 StGB).

1.3. Feuerbestattungsleichenschau

1.3.1. Geschichte des Krematoriums

Die Kremation ist eine der ältesten und am meisten verbreiteten Bestattungsmethoden.

Wahrscheinlich fanden die ersten Feuerbestattungen sowohl im Nahen Osten als auch in Europa bereits um 3000 v. Chr. statt. Durch Funde von Überresten dekorierter Steinurnen lassen sich die ersten Feuerbestattungen in Nordeuropa sichern. In der Bronzezeit (ca. 2000 v. Chr.) gelangte die Kremation auf die britischen Inseln und in weitere Regionen Nord- und Südeuropas, und war im antiken Griechenland sogar die allgemein durchgeführte Bestattungsmethode. Hingegen sahen die Christen die

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Feuerbestattung als einen Verstoß gegen die Bibel an, weshalb in der jüdisch- christlichen Tradition die Erdbestattung als alleinige Bestattungsmethode angesehen wurde. Um dem Aufkommen der Kremation entgegenzutreten, erließ Karl der Große im Jahr 785 ein Gesetz, das die Feuerbestattung bei Todesstrafe verbot. Ein weiteres Verbot wurde 1886 schriftlich festgehalten, wobei im Falle der Zuwiderhandlung die Exkommunikation drohte. Erst seit dem 8. Mai 1963 ist es den katholischen Christen offiziell erlaubt, sich einäschern zu lassen (Matschke und Tsokos 2000).

Der preußische Militärarzt Trusen setzte sich im Jahre 1855 für eine Bestattungsreform ein. Er forderte die Durchführung von Feuerbestattungen und die Einführung einer gesetzlichen Leichenschau. Erst zwanzig Jahre später, zur gleichen Zeit als 1876 in Dresden der „Europäische Bestattungskongress“ stattfand, wurde in Mailand das erste Krematorium erbaut. Schon zwei Jahre später entstand auf deutschem Boden in Gotha ein Krematorium, in dem am 10.12.1878 die erste Kremation stattfand (Abbildung 1).

Bis zum Jahr 1910 wurden mehr als 20 Krematorien in Deutschland erbaut. Bereits 1914 existierten 43 Krematorien in Deutschland. 1911 wurde ein Gesetz über die Feuerbestattung erlassen, wodurch die Kremation genehmigungspflichtig und von einer amtsärztlichen Leichenschau abhängig wurde. Nachfolgend wurden weitere regionale Gesetzestexte entworfen, um die Feuerbestattung zu regeln. Diese wurden im Erlass des Gesetzes zur Feuerbestattung am 13. Mai 1934 reichsweit vereinheitlicht (Madea und Brinkmann 2003).

Der Anteil der Feuerbestattungen hat im Laufe der Jahre beständig zugenommen. So erhöhte sich die Kremationsrate von 1993 bis 1997 um 6,3 Prozent (Du Chesne und Brinkmann 2000).

Abbildung 1: Krematorium Gotha 1987 (www.metalltechnik.de)

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Abbildung 2: Krematorium Hannover-Lahe 1997 (www.fbg-hannover.de)

1.3.2. Krematoriumsleichenschau

Seit dem 15.05.1934 gilt das Feuerbestattungsgesetz, in dem verankert ist, dass vor jeder Einäscherung einer Leiche eine zweite amtsärztliche Leichenschau durchzuführen ist (§ 3 Abs. 2 Ziff. 2), da durch die Kremation der Körper des Verstorbenen unwiederbringlich vernichtet wird und so alle Befunde und möglichen Beweise zerstört werden (Madea und Brinkmann 2003). Die Leichenschau vor der Kremation ist in allen Bundesländern (außer in Bayern) gesetzlich vorgeschrieben und von einem Amtsarzt, Rechtsmediziner oder Pathologen durchzuführen (Brinkmann et al. 1998). Da die Amtsärzte, im Gegensatz zu den Rechtsmedizinern, im Laufe ihrer Weiterbildung zum Facharzt keine adäquate Ausbildung als Leichenschauer erfahren, müssen sie hierfür zusätzlich eine theoretische Weiterbildung absolvieren (Huckenbeck und Beeko 2000).

Bei der Krematoriumsleichenschau müssen die Angaben auf der Todesbescheinigung, soweit dem Arzt vorliegend, auf Vollständigkeit, Plausibilität und Richtigkeit überprüft werden. Anschließend folgt die eigentliche Leichenschau, wobei die Leiche genau zu besichtigen und auf Hinweise eines nicht natürlichen Todes zu untersuchen ist. Die erhobenen Befunde werden auf Übereinstimmungen mit den Angaben in der Todesbescheinigung überprüft (Mattig et al. 2000).

Im Rahmen der zweiten amtsärztlichen Leichenschau stellt sich für den Leichenschauer regelmäßig die Frage, ob ein Todesfall zu Recht als natürlich eingestuft wurde. Kann der Arzt während der Krematoriumsleichenschau keine

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Hinweise für eine natürliche Todesursache benennen, ist er verpflichtet, den jeweiligen Arzt, der den Verstorbenen vor seinem Tode behandelt hat, hinzuzuziehen oder die Krankenunterlagen zu verlangen (Madea und Brinkmann 2003).

Sollten sich allerdings Anhaltspunkte für einen nicht natürlichen Tod oder Zweifel an der Richtigkeit der in der Todesbescheinigung eingetragenen Todesart ergeben, so ist der leichenschauhaltende Arzt dazu verpflichtet, unverzüglich die Polizei oder das Gesundheitsamt zu verständigen. Es wird eine gerichtliche Leichenöffnung angeordnet, wenn sich aus Sicht der Ermittlungsbehörden nach weiteren Untersuchungen der Verdacht auf einen nicht natürlichen Tod bestätigt.

Sind keine Widersprüche festzustellen und handelt es sich um einen natürlichen Tod, kann der Arzt eine amtliche Bescheinigung ausstellen, welche die Freigabe zur Kremation bescheinigt (Mallach und Weiser 1983).

Die Kremation darf erst genehmigt werden, wenn die amtliche Sterbeurkunde, die amtsärztliche Bescheinigung, sowie eine Bestätigung der Polizeibehörde, dass keine Anhaltspunkte für ein Herbeiführen des Todes durch eine strafbare Handlung bestehen, vorliegen (Grede 1987). Die Krematoriumsleichenschau ist somit ein wichtiges Instrument, um nicht natürliche Todesfälle zu erkennen und damit den Verlust von Beweismitteln zu verhindern. Die Bedeutung der Leichenschau vor der Kremation wird durch eine multizentrische Untersuchung von 1995 verdeutlicht, durch welche in Deutschland 784 nicht natürliche Todesfälle unter 78.000 Krematoriums- leichenschauen (1%) entdeckt worden sind. Darunter befanden sich drei Tötungsdelikte, sieben unklare gewaltsame Todesfälle, 589 Todesfälle im Zusammenhang mit medizinischen Maßnahmen und 169 Unfälle (Brinkmann et al.

1998).

1.4. Kritik an der ärztlichen Leichenschau

Die ärztliche Leichenschau ist einer starken und anhaltenden Kritik ausgesetzt. Es fehle eine einheitliche Gesetzgebung zur Leichenschau, der Ausbildungsstandard und das Engagement der Ärzte seien schlecht, und die Zuverlässigkeit und Aussagekraft der Diagnosen, welche im Laufe der Leichenschau gestellt werden, seien unzureichend (Gross 2000). Die von Brinkmann et al. im Jahr 1997 veröffentlichte Studie über die Fehlleistungen bei der Leichenschau hat gezeigt, dass in der Bundesrepublik Deutschland jährlich mindestens 1.200 Tötungsdelikte und 11.000 nicht natürliche Todesfälle unerkannt bleiben (Brinkmann et al. 1997). Zwar schließen sich manche Experten dieser Meinung nicht an, jedoch gibt es in Fachkreisen keinen Zweifel daran, dass die Qualität der ärztlichen Leichenschau große Mängel aufweist.

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Es gibt fast keine andere ärztliche Tätigkeit, die von allen Fachrichtungen ausgeübt werden darf. Damit wird sie auch von Ärzten vorgenommen, die oft sehr große Schwierigkeiten haben, einen natürlichen von einem nicht natürlichen Tod zu unterscheiden (Meringer 1977). Diese Realität steht im extremen Widerspruch zu den erheblichen Anforderungen an eine hohe Qualität der Leichenschau (Birkholz 2003).

Die Unzulänglichkeiten der Leichenschau und der ausgestellten Todesbescheinigungen hängen auch beachtlich mit den Unsicherheiten und Defiziten der Todesermittlungen auf Seiten der Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft zusammen (Geerds 1997).

Die Behörden und Gesetzgeber gehen jedoch davon aus, dass alle approbierten Ärzte über die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, um den eingetretenen Tod eines Menschen, die Todesart sowie die Todesursache sicher feststellen zu können. Da viele Ärzte, v.a. Haus- und Krankenhausärzte, trotz langjähriger Berufserfahrung selten oder niemals eine Todesfeststellung eigenverantwortlich durchgeführt haben, treten bei diesen häufig Unsicherheiten im Umgang mit dem Leichnam, dem Fundort, den Hinterbliebenen und staatlichen Untersuchungsorganen auf (Janssen 1979).

Die Angabe einer Todesursache eines Patienten, welcher bis zu seinem Tode ärztlich behandelt wurde oder mit dessen Ableben zu rechnen war, fällt den meisten Ärzten nicht schwer. Auch wenn sich ein gewaltsamer Tod aus den Umständen, der Auffindesituation oder dem Verletzungsbild ergibt, kann die Todesursache oder –art sicher auf der Todesbescheinigung eingetragen werden. Schwierigkeiten stehen dem leichenschauhaltenden Arzt bevor, wenn der Patient nie in ärztlicher Behandlung war, keine Vorerkrankungen bekannt waren oder der Tod sehr plötzlich und unerwartet eintrat (Oehmichen und Saternus 1985). Außerdem können Probleme auftreten, wenn die Krankenvorgeschichte des Verstorbenen nicht eruierbar ist oder fortgeschrittene Fäulnisveränderungen die Leichenschau erschweren. In solchen Fällen werden oft funktionelle Endzustände (z.B. Herzversagen), die Bestandteil jedes Sterbeprozesses sind, und nicht die zum Tode führende Ursache in die Todesbescheinigung eingetragen (Madea et al. 2006). Der Arzt kann zwar den Leichnam gründlich inspizieren und dokumentieren, ob er Veränderungen gefunden hat, welche auf einen nicht natürlichen Tod hinweisen könnten, das Formulieren von Differentialdiagnosen an der Leiche sollte aber ohne konkrete Hinweise unterlassen werden.

Die forensische Definition des nicht natürlichen Todes bei Überlebenden von Unfällen, Suiziden oder Intoxikationen ist vielen Ärzten nicht bewusst. Tritt der Tod nach einem solchen Geschehen erst mehrere Tage, Wochen oder sogar Jahre später ein, wird vom leichenschauhaltenden Arzt oft der Kausalzusammenhang nicht berücksichtigt und

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folglich ein natürlicher Tod bescheinigt (Leopold und Hunger 1987). Es gibt jedoch kein zeitliches Intervall, das die Kausalität zwischen dem von außen verschuldeten oder beeinflussten Geschehen und dem Todeseintritt unterbricht. So handelt es sich beispielsweise bei einer Lungenembolie mehrere Wochen nach einer Unterschenkelfraktur mit Ausbildung einer tiefen Beinvenenthrombose als Folge eines Verkehrsunfalls um einen nicht natürlichen Tod.

Die Klassifizierung der Todesart sollte frei von Einflüssen durch Behörden und Hinterbliebenen sein (Merten 2003). Viele Ärzte wollen den Hinterbliebenen die Ermittlungen der Polizei ersparen und attestieren einen natürlichen Tod. Bescheinigt der Arzt einen ungeklärten oder nicht natürlichen Tod, muss er gegebenenfalls mit einem Sympathieverlust der Angehörigen des Toten sowie der Ermittlungsbeamten rechnen (Helbing 2004).

Hinzu kommt, dass der Hausarzt nicht adäquat für die Leichenschau honoriert wird und seine Sprechstunde verlassen muss. Deshalb neigen viele dazu, den Leichnam nur flüchtig oder gar nicht zu begutachten, auch wenn der eingeforderte und gesetzlich vorgeschriebene Sorgfaltsmaßstab nicht mit der Vergütungshöhe korrelieren sollte (Madea und Dettmeyer 2004).

Diese Gründe führen dazu, dass fälschlicherweise mehr natürliche Todesfälle erfasst werden als in Wirklichkeit vorliegen. Damit wird die Qualität der Leichenschau häufig weder ihrer allgemeinen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung, noch der Bedeutung für die Angehörigen gerecht (Gaidzik und Eikert 2001).

Studien haben gezeigt, dass man eine vollständige oder weitgehende Übereinstimmung zwischen klinischer und autoptisch festgestellter Todesursache nur in 50 bis 60 Prozent der Fälle findet. Ähnliche Ergebnisse fanden sich auch 1987 in der Görlitzer Studie. Dort lag die teilweise Übereinstimmung bei 15 % und in 37 % der Fälle kam es zu einer kompletten Fehleinschätzung (Modelmog et al. 1989). Ursache für diesen Zustand ist die unterschiedliche Gesetzgebung der einzelnen Bundesländer, welche die Regeln der Leichenschau und Obduktionen allein bestimmen und damit einer bundeseinheitlichen Todesbescheinigung im Wege stehen (Zylka-Menhorn 2004). Die Todesursachenstatistiken werden dadurch so verfälscht, dass sie wissenschaftlich kaum noch auswertbar sind (Birkholz 2003). Es sollte daher nicht überraschen, dass sich die Eintragungen auf der Todesbescheinigung nach einer Obduktion oft als falsch erweisen, da sie von Ärzten ausgefüllt wird, welche nicht ausreichend mit Hinweisen auf einen nicht natürlichen Tod und seiner strafrechtlichen Konsequenzen vertraut sind (Geerds 1997).

Trotz der Ergebnisse dieser Studien sind die Sektionszahlen in den letzten Jahren rückläufig. So verringerte sich laut Madea et al. (2006) in der Zeit von 1994 bis 1999

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die Gesamtzahl der Obduktionen von 6,3 auf 5,3 Prozent. Dieser Rückgang ist sehr alarmierend, da durch Obduktionen und weiterführende Untersuchungen, wie Histologie oder Toxikologie, ungefähr 95 bis 97 Prozent aller Todesfälle geklärt werden könnten (Madea et al. 2006). Bundeseinheitliche Regelungen sind nach gescheiterten Reformbestrebungen der letzten zwei Jahrzehnte auch in Zukunft nicht zu erwarten.

1.5. Zielsetzung

Bei der Durchführung der ärztlichen Leichenschau handelt es sich um einen Akt hoher ärztlicher Verantwortung im Sinne der letzten ärztlich-diagnostischen Tätigkeit. Hierbei stehen die sichere Feststellung des Todes, der Todesursache und -art im Vordergrund.

Auch das Aufklären möglicher Straftaten, die Erfüllung gesundheitspolitischer und epidemiologischer Aufgaben und die Sicherung zivilrechtlicher Interessen spielen bei der Leichenschau eine große Rolle.

Diese Arbeit soll zu einer Bestandsaufnahme der Mängel im System und der Durchführung der Leichenschau beitragen. Durch den Vergleich der Todesbescheinigungen mit den Befunden bei der Leichenschau vor der Kremation und den Obduktionsergebnissen soll das Missverhältnis zwischen klinisch und autoptisch festgestellten Todesursachen und –arten aufgezeigt werden.

Die Untersuchungsergebnisse sollen unter Berücksichtigung vergleichbarer Ergebnisse, welche in der Literatur beschrieben sind, interpretiert und diskutiert werden, wobei der derzeitige Stand der Qualität der Leichenschau und die Wichtigkeit der zweiten amtsärztlichen Leichenschau vor Kremation sowie der Obduktion zur Aufklärung nicht natürlicher Todesfälle verdeutlicht werden soll. In der Diskussion werden die Ergebnisse kritisch analysiert und - in Verbindung damit - mögliche Schritte aus der „Misere der Leichenschau“ erörtert.

(19)

2. Material und Methoden

2.1. Datenerfassung

In der vorliegenden retrospektiven, empirisch-wissenschaftlichen Arbeit wurden die Leichenschau- und Obduktionsberichte des Instituts für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover für den Zeitraum vom 01.01.1998 bis zum 31.12.2007 ausgewertet. Es wurden die Akten der Todesfälle wissenschaftlich aufgearbeitet, bei denen die Leiche im Rahmen der Krematoriumsleichenschau nicht freigegeben werden konnte und eine Obduktion im Institut für Rechtsmedizin durchgeführt wurde. Für den oben genannten Zehn-Jahres-Zeitraum lagen insgesamt 387 Obduktionsfälle vor. Zur Erfassung möglicher Veränderungen im Hinblick auf die Qualität der ersten ärztlichen Leichenschau wurde der untersuchte Gesamtzeitraum in zwei Fünf-Jahres-Intervalle (01.01.1998 bis 31.12.2002 und 01.01.2003 bis 31.12.2007) unterteilt.

Die untersuchten Todesfälle stammen aus den Krematorien Hannover, Hameln, Hildesheim und Celle. Die Krematoriumsleichenschau wurde in Hannover durch Rechtsmediziner der Medizinischen Hochschule Hannover durchgeführt. In den drei anderen Krematorien wurde sie von Amtsärzten oder Rechtsmedizinern anderer rechtsmedizinischer Institute vorgenommen.

Der vorliegenden Arbeit liegen die Berichte der Krematoriumsleichenschauen, Obduktionsprotokolle, Todesbescheinigungen, Gutachten (histologisch, molekularpathologisch, postmortalbiochemisch, toxikologisch) und soweit vorhanden die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Hannover zu Grunde. Die Daten wurden ohne persönliche Angaben der Verstorbenen erfasst, so dass keine Rückschlüsse auf die Identität der Verstorbenen möglich waren und der Datenschutz gewahrt war.

Aus den vorliegenden Unterlagen wurden folgende Angaben erfasst:

 Lebensalter

 Geschlecht

 Zeitintervall zwischen dem Versterben und der Obduktion

 Ort der ersten ärztlichen Leichenschau

 Fachrichtung des leichenschauhaltenden Arztes

 Todesart und –ursache in der Todesbescheinigung

 Beschlagnahmungsgrund

 Todesart und –ursache nach erfolgter Obduktion

 Ergebnis des Ermittlungsverfahrens

(20)

2.2. Auswertungskriterien

Der Ort der ersten ärztlichen Leichenschau wurde den vorliegenden Todesbescheinigungen entnommen. Folgende Einteilung wurde gewählt:

 Wohnung des Verstorbenen

 Krankenhaus

 Alten-/Pflegeheim

 Sonstige (Garten, öffentliches Gebäude, usw.)

 Unbekannt (Keine Angabe in der Todesbescheinigung)

Die Leichenschauärzte wurden anhand der Angaben auf den Todesbescheinigungen in die Kategorien „Hausarzt“, „behandelnder Arzt im Krankenhaus“, „Notarzt“ und

„Sonstige“ unterteilt. In der Gruppe „Sonstige“ subsummieren sich Psychiater, Gynäkologen, Urologen und Anästhesisten. Da auf einigen Todesbescheinigungen weder eine Unterschrift noch ein Stempel vorhanden war, konnte trotz sorgfältiger Recherche keine Zuordnung zu den oben genannten Kategorien erfolgen.

Neben der angekreuzten Todesart (natürlich, nicht natürlich und ungeklärt) wurden die auf der Todesbescheinigung vermerkten Todesursachen ausgewertet. Es wurde insbesondere Augenmerk darauf gelegt, ob eine plausible Kausalkette bzw. zum Tode führende Krankheit oder Fremdeinwirkung vermerkt war. Des Weiteren wurden die Todesart und die Todesursache auf Kongruenz überprüft.

Die Todesursachen wurden entsprechend der ICD 10 (Internationale Klassifikation der Krankheiten 10. Revision) in folgende Gruppen eingeteilt:

 Krankheiten des Kreislaufsystems

 Bestimmte infektiöse und parasitäre Krankheiten (insbesondere Sepsis)

 Krankheiten des Atmungssystems

 Verletzungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen (Trauma)

 Neubildungen

 Krankheiten des Nervensystems

 Sonstige (Organversagen, Ertrinken, Blutung, Intoxikation, Stoffwechselstörung, Z.n. Operation, Vergiftung)

Aus den Berichten der Krematoriumsleichenschauen bzw. den Obduktionsprotokollen wurden die Beschlagnahmungsgründe, weshalb die Freigabe zur Kremation des Verstorbenen nicht erteilt werden konnte, entnommen und in den folgenden Kategorien zusammengefasst:

(21)

 Verdacht auf Sturzgeschehen

 Verdacht auf ärztlichen und/oder pflegerischen Behandlungsfehler

 Suspekte Leichenbefunde

o Verdacht auf Fremdverschulden

 Verdacht auf Intoxikation

 Verdacht auf Unfallgeschehen

 Mangelnde Beurteilbarkeit bei Fäulnis

 Sonstige

In der Untergruppe „Sonstige“ wurden Verdachtsfälle auf Hitzetod, Suizid, Ertrinken, Berufserkrankungen oder Ersticken zusammengefasst. Weiterhin wurden Fälle, in denen die Identität des Verstorbenen unklar war, in diese Gruppe eingeordnet.

Die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Hannover wurden, soweit vorhanden, für den Zeitraum 2003 bis 2007 gesichtet. Die Ergebnisse der Ermittlungen wurden wie folgt unterteilt:

 Einstellung des Verfahrens nach § 170 II StPO

 Einstellung gegen Geldauflage nach § 153a/b StPO

 Verurteilung

2.3. Datenauswertung

Die erhobenen Daten wurden in eine mit dem Computerprogramm Microsoft Excel angelegte Tabelle eingetragen und ausgewertet. Die graphischen Darstellungen in der vorliegenden Arbeit wurden ebenfalls mittels des Tabellenkalkulationsprogramms Microsoft Excel erstellt.

(22)

3. Ergebnisse

3.1. Allgemeines

Das Gesundheitsamt Hannover registrierte für den Zeitraum von 1998 bis 2007 insgesamt 59.149 Kremationen. Eine Unterteilung in zwei 5-Jahreszeiträume ergab 30.627 Kremationen von 1998 bis 2002 und 28.882 von 2003 bis 2007.

Kremationen

6.117 6.003

6.280 5.893

5.974 6.344

5.949 5.806

5.714 5.064

0 2.000 4.000 6.000 8.000 10.000

1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

Zeitraum

Fallzahl

Abbildung 3: Anzahl der beim Gesundheitsamt registrierten Kremationen im Zeitraum von 1998-2007

Im Rahmen der Feuerbestattungsleichenschau wurden insgesamt 387 Leichen (0,7 %) von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt und im Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover obduziert. Unterteilt in 5-Jahreszeiträume ergeben sich Fallzahlen von 260 Leichen (0,8 %) in den Jahren 1998 bis 2002 und von 127 Leichen (0,4 %) in den Jahren 2003 bis 2007.

1998‐2002  2003‐2007 

Jahr  Fallzahl  Jahr  Fallzahl 

1998  13  2003  45 

1999  81  2004  25 

2000  56  2005  24 

2001  35  2006  14 

2002  75  2007  19 

Tabelle 1: Anzahl der obduzierten Leichen nach Krematoriumsleichenschau

(23)

3.2. Alters- und Geschlechtsverteilung

3.2.1. Altersverteilung

In 385 Fällen (99,5 %) des Untersuchungsgutes konnte das erreichte Lebensalter der Verstorbenen eruiert werden.

  1998‐2002  2003‐2007  1998‐2007 

Mittelwert  79  77  78,5 

Standardabweichung  ± 14,5 Jahre  ± 16,0 Jahre  ± 14,5 Jahre 

Median  85  81  83 

Minimum  31  0,6  0,6 

Maximum  100  101  101 

Tabelle 2: Lebensalter der Verstorbenen in Jahren

Zwecks übersichtlicher Darstellung wurde das Lebensalter in 10-Jahres-Intervallen zusammengefasst (Abbildung 4).

Abbildung 4: Lebensalter der Verstorbenen

Aus Abbildung 4 geht hervor, dass im vorliegenden Untersuchungsgut Verstorbene höheren Lebensalters dominieren. Insgesamt waren 75,2 % (n = 291) über 70 Jahre alt. Es handelt sich hierbei um 202 Verstorbene (77,7 %) von 1998 bis 2002 und 89 Personen (70,1 %) von 2003 bis 2007.

(24)

3.2.2. Geschlechterverteilung

Hinsichtlich der Geschlechterverteilung dominierte in zwei Dritteln (65,9 % = 255 Fälle) das weibliche Geschlecht, das männliche Geschlecht machte nur ein Drittel (34,1 % = 132 Fälle) aus. Die Verteilung der Geschlechterzugehörigkeit war in beiden Untersuchungszeiträumen nahezu konstant (Abbildung 5).

Abbildung 5: Geschlechterverteilung

3.3. Erste ärztliche Leichenschau

3.3.1. Fachrichtung des leichenschauhaltenden Arztes

Die Ärzte, welche die erste Leichenschau durchführten, ließen sich in die Gruppen Hausarzt/Allgemeinmediziner, Krankenhausarzt, Notarzt und sonstige Ärzte unterteilen. In 27 Fällen (6,9 %) war aus der Todesbescheinigung keine Facharztrichtung ersichtlich. In ungefähr der Hälfte der Fälle (48,1 %) führte die Leichenschau der Hausarzt und in etwa einem Drittel der Fälle (30,0 %) der behandelnde Arzt im Krankenhaus durch. Die restlichen Fälle (15,0 %) verteilen sich auf die Notärzte und Sonstige.

(25)

Abbildung 6: Prozentuale Verteilung der leichenschauhaltenden Ärzte 1998-2007

  1998‐2002  2003‐2007 

Hausarzt/ Allgemeinmediziner  134 (51,5 %)  52 (40,9 %)  Krankenhausarzt  71 (27,3 %)  45 (35,4 %) 

Notarzt  28 (10,8 %)  18 (14,2 %) 

Sonstige Ärzte  7 (2,7 %)  5 (4,0 %) 

Keine Angabe  20 (7,7 %)  7 (5,5 %) 

Tabelle 3: Fachrichtung des leichenschauhaltenden Arztes

3.3.2. Ort der ersten ärztlichen Leichenschau

Die Leichenschau fand im Untersuchungszeitraum jeweils in circa einem Drittel der Fälle (34,9 %) in der Wohnung des Verstorbenen sowie im Krankenhaus (30,0 %) statt.

In ungefähr einem Viertel der Fälle (24,8 %) erfolgte die Leichenschau im Alten-/

Pflegeheim. In 40 Fällen (10,3 %) wurden auf der Todesbescheinigung keine Angaben zum Ort der Leichenschau gemacht. Während im ersten Zeitintervall in 15,0 % der Todesbescheinigungen keine Angaben zum Todesort vorhanden waren, sank die Zahl auf 1,6 % im zweiten Intervall.

(26)

Abbildung 7: Prozentuale Verteilung der Leichenschauorte 1998-2007

  1998‐2002  2003‐2007 

Wohnung  31,6  41,7 

Krankenhaus  27,3  35,4 

Alten‐/ Pflegeheim  26,5  21,3 

Keine Angabe  14,6  1,6 

Tabelle 4: Ort der ersten ärztlichen Leichenschau (Prozent)

3.3.3. Bescheinigte Todesart der ersten Leichenschau

Auf 383 der Todesbescheinigungen (99,0 %) war eine Todesart angegeben. Bei einem Prozent der Fälle wurde die Todesart nicht dokumentiert. Es zeigt sich, dass in 97,9 % der Fälle eine natürliche Todesart bescheinigt wurde.

  1998‐2002  2003‐2007  1998‐2007 

natürlich  98,4  96,8  97,9 

nicht‐natürlich  0,0  0,8  0,3 

ungeklärt  0,8  0,8  0,8 

keine Angabe  0,8  1,6  1,0 

Tabelle 5: Prozentuale Verteilung der Todesart auf der Todesbescheinigung

(27)

3.3.3.1. Angegebene Todesart in Abhängigkeit vom Leichenschauort

Im gesamten Untersuchungszeitraum verstarben 96 Personen (24,8 %) in einem Alten- /Pflegeheim. In 94 Fällen (98,0 %) wurde eine natürliche und in einem Fall (1,0 %) eine ungeklärte Todesart bescheinigt. Eine Todesbescheinigung (1,0 %) enthielt keine Angabe zur Todesart.

Eine Leichenschau in häuslicher Umgebung wurde im vorliegenden Untersuchungszeitraum bei 135 Verstorbenen (34,9 %) durchgeführt. In 97,1 % der Fälle (n = 131) wurde ein natürlicher Tod und nur in 0,7 % (n = 1) eine ungeklärte Todesart bescheinigt. Auf 2,2 % der Todesbescheinigungen (n = 3) waren keine Angaben zur Todesart vermerkt.

In Krankenhäusern verstarben zwischen 1998 und 2007 insgesamt 116 Personen (30,0 %) des Untersuchungskollektivs. In 114 Fällen (98,2 %) wurde eine natürliche Todesart bescheinigt. Auf einer Todesbescheinigung wurde ein ungeklärter (0,9 %) und auf einer weiteren ein nicht natürlicher Tod (0,9 %) angegeben

In 40 Fällen (10,3 %) war der Sterbeort nicht auf der Todesbescheinigung angegeben bzw. lag die Todesbescheinigung nicht vor. In 39 Fällen (97,5 %) wurde eine natürliche und in einem Fall (2,5 %) eine nicht natürliche Todesart angenommen.

3.3.3.2. Angegebene Todesart in Abhängigkeit von der Fachrichtung des leichenschauhaltenden Arztes

Im untersuchten Zeitraum wurden 186 Leichenschauen (48,1 %) durch Hausärzte vorgenommen, die in 184 Fällen (98,9 %) eine natürliche Todesart bescheinigten. In einem Fall war eine ungeklärte Todesart angegeben, in einem weiteren Fall erfolgte keine Angabe zur Todesart.

Die behandelnden Ärzte im Krankenhaus stellten im Untersuchungszeitraum 116 Todesbescheinigungen (30,0 %) aus. Dabei wurde 114mal (98,2 %) ein natürlicher, einmal (0,9 %) ein ungeklärter und ebenfalls einmal (0,9 %) ein nicht natürlicher Tod bescheinigt.

Insgesamt nahmen Notärzte im gesamten Zeitraum 46 Leichenschauen vor (11,9 %).

In allen Fällen wurde eine natürliche Todesart auf der Todesbescheinigung angegeben.

(28)

Im Untersuchungszeitraum von 1998-2007 wurden zwölf Leichenschauen (3,1 %) durch Ärzte sonstiger Fachrichtungen durchgeführt. Hierbei wurde in zehn Fällen (83,3 %) ein natürlicher Tod angenommen. Auf den restlichen zwei Todes- bescheinigungen (16,7 %) wurde keine Angabe zur Todesart gemacht.

Aufgrund fehlender Angaben auf der Todesbescheinigung bzw. Fehlen der Todesbescheinigung konnte 27 Ärzten (7,0 %) keine Fachrichtung zugeordnet werden.

92,6 % der Todesfälle (n = 25) wurden als natürlich klassifiziert. In einem Fall (3,7 %) war eine ungeklärte Todesart vermerkt und in einem weiteren Fall (3,7 %) fehlten Angaben zur Todesart.

3.3.4. Bescheinigte Todesursache bei der ersten Leichenschau

Auf 96,1 % der 387 Todesbescheinigungen war eine Todesursache auf der Todesbescheinigung angegeben. In den übrigen 15 Fällen (3,9 %) war keine Angabe zur Todesursache vorhanden bzw. die Todesbescheinigung lag nicht vor. Es dominierten die Krankheiten des Herz-Kreislaufsystems (40,1 %) sowie die sonstigen Todesursachen (12,9 %), gefolgt von Krankheiten des Atmungssystems (10,9 %), infektiösen/parasitären Erkrankungen (10,6 %), Krankheiten des Nervensystem (9,5 %), bösartigen Erkrankungen (8,5 %) und traumatischen Verletzungen (3,6 %).

Abbildung 8: Prozentuale Verteilung der Todesursachen (1998-2007)

(29)

  1998‐2002  2003‐2007 

Kardial   39,2  41,7 

Sepsis  10,0  11,8 

Respiratorisch   10,8  11,0 

Trauma   1,9  7,1 

Bösartige Erkrankung  9,6  6,3 

Zentral  11,2  6,3 

Sonstige  14,2  10,2 

Unbekannt  3,1  5,6 

Tabelle 6: Prozentuale Verteilung der Todesursachen

3.4. Krematoriumsleichenschau - Beschlagnahmungsgrund

Die Beschlagnahmungsgründe der Leichen basierend auf den Ergebnissen der Krematoriumsleichenschau umfassten den Verdacht auf ärztliches/pflegerisches Fehlverhalten, suspekte Leichenbefunde, Verdacht auf Sturz, Intoxikation und Unfall sowie eingeschränkte Beurteilbarkeit bei Fäulnis.

  1998‐2002  2003‐2007  1998‐2007 

V.a. ärztlichen/ pflegerischen Fehler  66,1  40,9  57,9 

Suspekte Leichenbefunde  20,4  22,1  20,9 

davon V.a. Fremdverschulden  79,3  82,1  80,3 

V.a. Sturzgeschehen  4,2  16,5  8,3 

V.a. Intoxikation  0,8  5,5  2,3 

V.a. Unfall  1,2  2,4  1,6 

Fäulnis/ Keine Beurteilbarkeit  4,6  7,1  5,4  Keine Angaben zur Todesart  0,8  0,0  0,5 

Sonstige  1,9  5,5  3,1 

Tabelle 7: Beschlagnahmungsgründe in Prozent

Im vorliegenden Untersuchungszeitraum konnte in 387 Fällen der 59.149 durchgeführten Krematoriumsleichenschauen (0,7 %) die Freigabe zur Kremation der Verstorbenen nicht erteilt werden. Am häufigsten lag der „Verdacht eines ärztlichen/

pflegerischen Behandlungsfehlers“ (57,9 %) vor, gefolgt von „suspekten Leichenbefunden“ (20,9 %), „Verdacht auf ein Sturzgeschehen“ (8,3 %) und „Fäulnis mit fehlender Beurteilbarkeit“ (5,4 %).

(30)

3.5. Postmortales Intervall

In 385 Fällen (99,5 %) des Untersuchungsgutes lagen Angaben des Sterbe- und des Obduktionsdatums vor, so dass das postmortale Intervall eruiert werden konnte.

Abbildung 9: Postmortales Intervall

Die Abbildung 9 zeigt, dass in ca. der Hälfte der Fälle (45,5 %) eine Obduktion 11 bis 20 Tage nach Todeseintritt erfolgte, wobei das Minimum bei zwei und das Maximum bei 64 Tagen lag.

  1998‐2002  2003‐2007  1998‐2007 

Mittelwert  21  20  20 

Standardabweichung  ± 8,3  ± 8,8  ± 8,0 

Median  20  18  19 

Minimum  2  2  2 

Maximum  64  45  64 

Tabelle 8: Differenz zwischen Sterbe- und Obduktionszeitpunkt in Tagen

(31)

3.6. Rechtsmedizinische Obduktion

3.6.1. Todesart

In 317 Fällen (81,9 %) lag nach den Ergebnissen der Obduktion ein natürliches Geschehen vor, das zum Tod geführt hatte. Bei 55 Leichen (14,2 %) fand sich eine nicht natürliche Todesart, wobei es sich um komprimierende Gewalt gegen den Hals, Ersticken, Ertrinken, Aspiration, Z.n. operativem Eingriff, Intoxikation, Z.n. Trauma und septisch-toxisches Multiorganversagen handelte. Trotz erfolgter Leichenöffnung konnte in 3,9 % der Fälle die Todesart aufgrund stark fortgeschrittener Fäulnisveränderungen nicht festgestellt werden.

Die Verteilung der Todesart in den Zeiträumen von 1998 bis 2002 und 2003 bis 2007 ist im nachfolgenden Diagramm dargestellt

Abbildung 10: Prozentuale Verteilung der Todesarten nach Obduktion

3.6.2. Todesursache

Bei der Obduktion der insgesamt 387 Leichen, welche nicht zur Feuerbestattung freigegeben wurden, konnte in 96,4% der Fälle die Todesursache bestimmt werden. In 3,6 % der Fälle war eine Klärung der Todesursache auch durch eine Leichenöffnung nicht möglich, da die Organe bereits deutlich fäulnisverändert und somit nur eingeschränkt beurteilbar waren.

(32)

Abbildung 11: Verteilung der Todesursachen nach Obduktion

  1998‐2002  2003‐2007  1998‐2007 

Kardial  53,9  44,1  50,7 

Sepsis  6,5  9,5  7,5 

Zentral  4,6  3,9  4,4 

Respiratorisch  15,0  17,3  15,8 

Trauma  3,1  3,2  3,1 

Bösartige Erkrankung  6,9  3,9  5,9 

Sonstige  6,9  13,4  9,0 

Unbekannt  3,1  4,7  3,6 

Tabelle 9: Prozentuale Verteilung der Todesursachen nach Obduktion

3.7. Todesart: Vergleich Obduktionsergebnis und 1. Leichenschau

3.7.1. Übersicht 1998-2007

Der Vergleich der auf der Todesbescheinigung angegebenen Todesart mit der bei der Obduktion festgestellten Todesart ergab, dass diese in einem Fünftel der Fälle (n = 78;

20,2 %) nicht übereinstimmte. Im Zeitraum von 1998-2002 war in 15,4 % der Fälle eine Diskrepanz der Todesart erkennbar, von 2003-2007 bei 29,9 % der Fälle.

(33)

Bei 55 der 78 Verstorbenen (70,5 %) wurde bei der Obduktion eine nicht natürliche Todesart festgestellt, obwohl auf der Todesbescheinigung ein natürlicher Tod angegeben war. In acht Fällen (10,3 %) lag ein natürlicher Tod vor, wobei in drei Fällen vom leichenschauhaltenden Arzt eine ungeklärte Todesart und in einem Fall ein nicht natürlicher Tod bescheinigt, sowie in vier Fällen keine Angabe zur Todesart gemacht wurden.

In 15 Fällen (19,2 %) konnte durch die Obduktion die Todesart wegen stark fortgeschrittener Fäulnisveränderungen nicht festgestellt werden. Bei diesen Leichen war bei der ersten Leichenschau ein natürlicher Tod angekreuzt worden.

Todesart‐1. Leichenschau  Todesart‐Obduktion  1998‐2002  2003‐2007 

natürlich  nicht natürlich  22,1  10,4 

natürlich  ungeklärt  6,2  2,7 

ungeklärt  natürlich  1,6  0,4 

nicht natürlich  natürlich  0,0  0,4 

keine Angabe  natürlich  1,6  0,8 

natürlich  natürlich  68,5  85,3 

Tabelle 10: Prozentuale Verteilung der falsch attestierten Todesarten

3.7.2. Leichenschauarzt

Die Ergebnisse zeigen, dass es bei den Ärzten, welche die erste Leichenschau durchführten, starke Unterschiede in Bezug auf die Richtigkeit der angegebenen Todesart bestanden.

31,9 % der 116 durch die behandelnden Ärzte im Krankenhaus bescheinigten Todesarten stellten sich bei der Obduktion als falsch heraus. Der Anteil im ersten Untersuchungszeitraum mit 26,8 % und im zweiten Zeitraum mit 40,0 % hat sich nahezu verdoppelt.

Bei den 186 durch Hausärzte durchgeführten Leichenschauen stimmte in insgesamt 28 Fällen (15,1 %) die Angabe zur Todesart auf der Todesbescheinigung nicht mit dem Obduktionsergebnis überein. Zwischen 1998 und 2002 wurden 14 dieser Leichenschauen (10,5 %) und zwischen 2003 und 2007 ebenfalls 14 (26,9 %) von den Hausärzten durchgeführt.

(34)

Vier (8,7 %) der von den 46 Notärzten und zwei (16,7 %) der von den zwölf sonstigen Ärzten ausgefüllten Todesbescheinigungen wiesen keine korrekte Todesart auf.

27 Ärzte konnten aufgrund fehlender Angaben auf der Todesbescheinigung keiner Facharztrichtung zugordnet werden. Von diesen haben insgesamt sieben Ärzte (25,9 %) die Todesart fehlerhaft klassifiziert.

  1998‐2002  2003‐2007  1998‐2007 

Hausarzt  10,5  26,9  15,1 

Krankenhausarzt 26,8  40,0  31,9 

Notarzt  7,1  11,1  8,7 

Sonstige  14,3  20,0  16,7 

Unbekannt  20,0  42,9  25,9 

Tabelle 11: Prozentuale Verteilung der falsch attestierten Todesarten auf der Todesbescheinigung

3.7.3. Leichenschauort

In Tabelle 12 wird deutlich, dass bei 31,9 % der 116 im Krankenhaus durchgeführten Leichenschauen eine falsche Todesart attestiert wurde, wobei 19 Leichenschauen (26,8 %) im ersten und 18 (40,0 %) im zweiten Zeitraum stattfanden.

Der Anteil der fehlerhaft bescheinigten Todesarten bei der ersten Leichenschau lag in den 135 Fällen der in der Wohnungen Verstorbenen bei 17,8 % und in den 96 Alten-/

Pflegeheimen bei 15,6 %.

Auf den 40 Todesbescheinigungen, auf denen der Leichenschauort nicht angegeben worden war, wurde in drei Fällen (7,5 %) die Todesart nicht richtig angeben.

  1998‐2002  2003‐2007  1998‐2007 

Wohnung  17,1  18,9  17,8 

Krankenhaus  26,8  40,0  31,9 

Alten‐/ Pflegeheim  7,3  37,0  15,6 

unbekannt  5,3  50,0  7,5 

Tabelle 12: Prozentuale Verteilung der falsch attestierten Todesarten in Abhängigkeit vom Leichenschauort

(35)

3.8. Todesursache: Vergleich Obduktionsergebnis und 1. Leichenschau

3.8.1. Übersicht 1998-2007

Durch den Vergleich der eingetragenen Todesursache auf der Todesbescheinigung mit dem Obduktionsbefund konnte festgestellt werden, dass es im gesamten Untersuchungszeitraum in 230 Fällen (59,4 %) keine Übereinstimmung gab. Diese Diskrepanz konnte zwischen 1998 und 2002 in 165 Fällen (63,5 %) und zwischen 2003 und 2007 in 65 Fällen (51,2 %) festgestellt werden.

Bei 23,9 % der 230 Leichenschauen wurde auf der Todesbescheinigung ein kardiales Geschehen als Todesursache angegeben. In 11,7 % der Fälle wurde eine Sepsis sowie in 16,1 % der Fälle ein respiratorisches Versagen als Todesursache angenommen. 5,7 % der Personen seien an einem Trauma, 13,9 % an einer bösartigen Erkrankung und 13,5 % an einem zentralen Versagen verstorben. In die Gruppe der sonstigen Todesursachen fielen 15,2 % der Verstorbenen.

In 15 Fällen (3,9 %) konnte nach erfolgter Obduktion eine Todesursache benannt werden, wobei auf der Todesbescheinigung dieser Verstorbenen bei der ersten Leichenschau entweder keine Angabe zur Todesursache vorhanden war oder die Todesbescheinigung nicht vorlag.

Bei 13 Verstorbenen (3,4 %) konnte nach erfolgter Leichenöffnung aufgrund weit fortgeschrittener Fäulnisveränderungen keine Todesursache bestimmt werden, obwohl bei der ersten Leichenschau eine eindeutige Todesursache auf der Todesbescheinigung attestiert wurde.

  1998‐2002  2003‐2007  1998‐2007 

Kardial  20,0  33,9  23,9 

Sepsis  12,7  9,2  11,7 

Respiratorisch  15,2  18,5  16,1 

Trauma  3,0  12,3  5,7 

Bösartige Erkrankung  14,6  12,3  13,9 

Sonstige  18,2  7,7  15,2 

Zentral  16,4  6,2  13,5 

Tabelle 13: Prozentuale Verteilung der falsch attestierten Todesursachen

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3.8.2. Leichenschauarzt

Im gesamten Untersuchungszeitraum von 1998 bis 2007 wurde von 230 aller leichenschauhaltenden Ärzte (59,4 %) die Todesursache auf der Todesbescheinigung nicht korrekt eingetragen.

122 der 186 Hausärzte (65,6 %) haben bei der ersten Leichenschau eine falsche Todesursache angenommen. 59,5 % der 116 behandelnden Ärzte im Krankenhaus lagen mit ihrer Einschätzung über die Todesursache falsch. Die Notärzte attestierten in 39,1 % der Fälle eine fehlerhafte Todesursache sowie die sonstigen Ärzten in 50,0 % der Fälle.

Auf 15 der 27 Todesbescheinigungen (55,7 %), aus denen die Facharztrichtung des leichenschauhaltenden Arztes nicht ersichtlich war, war die Todesursache falsch angegeben worden.

Abbildung 12: Prozentuale Verteilung der fehlerhaften Todesursachen in Bezug auf die leichenschauhaltenden Ärzte

3.8.3. Leichenschauort

Bei 69 (51,1 %) der 135 in der Wohnung des Verstorbenen sowie bei 69 (71,9 %) der 96 im Alten-/ Pflegeheim vorgenommenen Leichenschauen wies die Todesursache auf der Todesbescheinigung eine Diskrepanz zu der festgestellten Todesursache nach erfolgter Obduktion auf. Auch im Krankenhaus wurde bei 69 (59,5 %) der 116 Leichenschauen eine falsche Todesursache attestiert

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An den 40 unbekannten Orten stellte der leichenschauhaltende Arzt bei 24 Personen (60,0 %) nicht die korrekte Todesursache fest, wobei alle der 24 Todesursachen im ersten Untersuchungszeitraum fehlerhaft attestiert wurden.

Abbildung 13: Prozentuale Verteilung der fehlerhaften Todesursachen in Bezug auf die Leichenschauorte

3.9. Ergebnisse der Ermittlungsverfahren

Die Ermittlungsakten der Staatanwaltschaft Hannover wurden für den Zeitraum 2003 bis 2007 im Hinblick auf die Ausgänge der Verfahren gesichtet. Insgesamt lagen die Ermittlungsakten zu 76,4 % der Fälle vor. Ermittlungen wurden wegen des Verdachts auf Pflegefehler (15,5 %), Körperverletzung (3,1 %), fahrlässige Körperverletzung (8,2 %), unterlassene Hilfeleistung (3,1 %), fahrlässige Tötung (15,5 %), Körperverletzung mit Todesfolge (4,1 %) oder zur Todesermittlung (50,5 %) geführt.

Aufgrund der Obduktionsergebnisse wurde in 73,2 % der Fälle (n = 97), von denen die Ermittlungsakten vorlagen, ein Fremdverschulden ausgeschlossen und das Verfahren eingestellt.

In 23,7 % der Fälle lagen nach der Obduktion keine ausreichenden Ergebnisse zur Klärung der jeweiligen Fragestellungen vor, so dass weiterführende Untersuchungen in Auftrag gegeben wurden. Nach Einsicht von Krankenunterlagen und Pflegedokumentationen sowie Anforderung weiterführender Gutachten,

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molekularpathologischer, chemischer und toxikologischer Zusatzuntersuchungen sowie Zeugenvernehmungen wurden auch diese Verfahren eingestellt.

In drei Fällen (3,1 %) wurden die Verfahren nach Zahlung einer Geldstrafe von jeweils 1.800, 2.000 sowie 3.000 € eingestellt.

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4. Diskussion

Die Leichenschau ist der letzte Dienst des Arztes am Patienten und sollte einem geforderten Leistungsmaßstab gerecht werden. Leider steht die Qualität der ärztlichen Leichenschau in Deutschland aus den verschiedensten Gründen seit Jahrzehnten in berechtigter Kritik (Madea und Brinkmann 2003). Mit der äußeren Leichenschau und dem Ausstellen der Todesbescheinigung geraten die Ärzte in eine Schnittstelle zwischen primär ärztlichem Heilauftrag und Tätigkeit als medizinische Sach- verständige. Die hohe gesellschaftliche Bedeutung dieser Aufgabe einerseits und das Empfinden der Ärzte andererseits, hiermit keine primär ärztliche Aufgabe mehr zu erfüllen, führen schon seit langem zu Unmut bei Ärzten, Juristen und Polizisten (Rothschild 2009).

4.1. Alters- und Geschlechterverteilung

Die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland werden immer älter. Im Jahr 1950 lag der Anteil der über 60-Jährigen in Deutschland noch bei rund 14 Prozent. Bis zum Jahr 2050 wird er laut statistischem Bundesamt auf rund 37 Prozent ansteigen (Frey 2009). Zusätzlich weist die Sterberate bei männlichen Verstorbenen ab einem Alter von 72 Jahren sowie bei Frauen ab einem Alter von 77 Jahren einen deutlichen Anstieg auf (Statistisches Bundesamt 2010). Auch das durchschnittliche Alter der Verstorbenen mit 78,5 Jahren im Untersuchungsgut spiegelt die Tatsache der Alterung der deutschen Bevölkerung wider. Der älteste Mensch, der im Jahr 2003 verstarb, hatte das Alter von 101 Jahren erreicht.

Entsprechend vorliegender Untersuchungsergebnisse zeigte sich ab einem Alter von 71 Jahren ein deutlicher Anstieg der Obduktionsfrequenz. Hierbei ergab sich eine Gesamtfallzahl von 291 Obduktionen (75,2 %), wobei 202 Verstorbene (77,7 %) im Untersuchungszeitraum 1998-2002 und 89 Personen (70,1 %) 2003-2007 älter als 71 Jahre alt waren.

Der Anteil weiblicher Verstorbener (65,9 % = 255 Fälle) lag im gesamten vorliegenden Untersuchungsgut rund doppelt so hoch wie der Anteil männlicher Verstorbener (34,1 % = 132 Fälle). Das Geschlechterverhältnis blieb innerhalb der beiden Unter- suchungszeiträume 1998-2002 (w: 66,2 %; m: 33,9 %) und 2003-2007 (w: 65,4 %; m:

34,7 %) nahezu konstant.

Um fehlerhafte Angaben bei der ärztlichen Leichenschau zu Todesart und -ursache bei alten, multimorbiden Patienten zu vermeiden, sollten die diagnostizierten und zum

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Todeseintritt beitragenden Krankheiten des Verstorbenen auf der Todesbescheinigung (Epikrise) aufgelistet werden, um Verlegenheitsdiagnosen wie beispielsweise

„Altersschwäche“ zu vermeiden.

4.2. Angegebene Todesart in Abhängigkeit vom Leichenschauort

Nach dem Bestattungsgesetz soll die Leichenschau am Todesort oder Leichenfundort vorgenommen werden. Ist der Ort ungeeignet, beispielsweise durch schlechte Lichtverhältnisse oder an öffentlichen Plätzen, soll die Leichenschau später an einem geeigneteren Ort stattfinden (Birkholz 2003).

Im vorliegenden Untersuchungszeitraum konnte in 89,4 % der Fälle der Leichenschauort ermittelt werden. Ein Drittel der ersten Leichenschauen fanden in der

„Wohnung“ des Verstorbenen, ein Drittel im „Krankenhaus“ und ein Viertel im „Alten- /Pflegeheim“ statt. In den restlichen 40 Fällen (10,3 %) wurden auf der Todesbescheinigung keine Angaben zum Ort der Leichenschau gemacht.

Mit den aus der Pflegeversicherung zur Verfügung stehenden Mitteln und den ambulanten Pflegediensten wurde es im Laufe der Jahre wieder mehr Familien möglich, ihre Angehörigen zu Hause zu pflegen. Daraus erklärt sich, dass wieder mehr Leichenschauen in der Wohnung des Verstorbenen stattfinden (Brune 2000). Bei 97,1 % der in „häuslicher Umgebung“ durchgeführten Leichenschauen wurde ein natürlicher Tod und nur bei 0,7 % eine ungeklärte Todesart bescheinigt. Auf 2,2 % der Todesbescheinigungen (n = 3) waren keine Angaben zur Todesart vermerkt. So wird ein natürlicher Tod bei zu Hause Verstorbenen durch Unerfahrenheit, Sorglosigkeit und falsch verstandene Rücksichtnahme auf Angehörige in einem hohen Prozentsatz bescheinigt (Madea und Dettmeyer 2003).

Im gesamten Untersuchungszeitraum verstarben 30,0 % der Personen im

„Krankenhaus“. In 114 Fällen (98,2 %) wurde eine natürliche Todesart bescheinigt. Der sehr niedrige Anteil ungeklärter und nicht natürlicher Todesfälle mit jeweils 0,9 % lässt sich mit der genauen Kenntnis über die Vorerkrankungen der Verstorbenen und der guten klinischen Diagnostik bezüglich der Abklärung der zum Tode führenden Krankheiten erklären. Allerdings verkennen Klinikärzte vielfach den Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Tod und attestieren so einen natürlichen Tod. Zum anderen werden Todesfälle in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit medizinisch-invasiven Maßnahmen, nach häuslichen Stürzen oder operativen

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Eingriffen nicht als „nicht natürlich“ oder „ungeklärt“ eingestuft, wie dies nach medizinisch-naturwissenschaftlicher Definition korrekt wäre. Die Befürchtung der vor Ort leichenschauhaltenden Ärzte, dass Angehörige des Verstorbenen bei ungeklärter oder nicht natürlicher Todesart den Verdacht eines Behandlungsfehlers äußern könnten, wäre sehr wohl eine plausibel erscheinende Erklärung des Umstandes, wonach insbesondere nach ärztlichen Interventionen im zeitlichen Zusammenhang zum Tod ein natürlicher Tod bescheinigt wird. Daraus resultierende polizeiliche Ermittlungen würden eine Schädigung des Rufes bedeuten (Berg und Ditt 1984). Um in diesen Fällen eindeutig Klarheit zu erhalten, müsste jeder nicht eindeutig natürliche Todesfall und jeder Fall mit zeitlichem Bezug zu einem medizinischen Eingriff obduziert werden. Hierdurch wäre Objektivität und Rechtssicherheit gewährleistet. Doch oft wird der Weg des geringsten Widerstandes gewählt, indem ein natürlicher Tod bescheinigt wird.

In „Alten-/ Pflegeheimen“ verstarb ca. ein Viertel des Gesamtuntersuchungskollektivs.

Die Leichenschauärzte attestierten bei 94 Bewohnern (98,0 %) eine natürliche und bei einem Bewohner (1,0 %) eine ungeklärte Todesart. Auf einer Todesbescheinigung (1,0 %) wurde keine Angabe zur Todesart gemacht. Durch das meist hohe Alter des Verstorbenen und die damit verbundene Multimorbidität bescheinigen die Leichenschauer häufig routinemäßig einen natürlichen Tod, vor allem wenn es sich um den Hausarzt des Verstorbenen mit ausführlicher Kenntnis über die Anamnese handelt. Ein wesentlicher Nachteil besteht darin, dass der Arzt die Vorerkrankungen aus den Akten auf den Totenschein ohne gründliche Leichenschau an der vollständig entkleideten Leiche, wie sie gemäß gesetzlicher Vorgaben geregelt ist, übernimmt und wie selbstverständlich einen natürlichen Tod annimmt und bescheinigt.

4.3. Angegebene Todesart in Abhängigkeit von der Fachrichtung des leichenschauhaltenden Arztes

Durch die Klassifikation der Todesart auf der Todesbescheinigung entscheidet der leichenschauhaltende Arzt darüber, ob die Ermittlungsbeamten Kenntnis über einen Todesfall erhalten, da bei bescheinigter „ungeklärter“ oder „nicht natürlicher“ Todesart der Arzt verpflichtet ist, diese zu benachrichtigen. Damit stellt die Leichenschau und die sich anschließende Qualifikation der Todesart eine außerordentlich verantwortungsvolle Aufgabe hinsichtlich strafrechtlicher Aspekte sowie der Interessen der Hinterbliebenen dar (Madea und Rothschild 2010a). Außerdem ist eine möglichst schnelle Aufnahme der Ermittlungen für die Rechtspflege und das Sicherheitsgefühl

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der Bevölkerung von herausragender Bedeutung, denn je eher ein nicht natürlicher Todesfall bekannt wird, desto größer sind die Chancen ein mögliches Tötungsdelikt aufzuklären (Gerg und Baier 2009).

Die „niedergelassenen Ärzte“ scheinen auf den ersten Blick für die Durchführung der Leichenschau die kompetentesten Ärzte zu sein, da sie mit der Krankengeschichte des Verstorbenen vertraut sind. Allerdings bescheinigten sie in 184 Fällen (98,9 %) der 186 von ihnen durchgeführten Leichenschauen einen natürlichen Tod. In nur einem Fall war eine ungeklärte Todesart angegeben, in einem weiteren Fall war keine Angabe zur Todesart gemacht worden. Die Hausärzte sind oft während der Praxiszeiten durch Notfallpatienten und allgemeine Praxisauslastung nicht verfügbar, was zu langen Wartezeiten bis zur Durchführung einer Leichenschau oder zu oberflächlicher Durchführung führen kann (Fieseler et al. 2009). Bereits 1975 bemängelte Kanne, dass die von niedergelassenen Ärzten durchgeführte Leichenschau in nur 20% der Fälle an der entkleideten Leiche durchgeführt wird. Zwei Drittel der Leichenschauen erfolgten ohne Entfernen der Kinnbinde, die mögliche Würgemale verdecken könnte (Kanne 1975). Auch eine durch Gerg und Baier im Jahr 2007 durchgeführte Umfrage im Regierungsbezirk Stuttgart ergab, dass nur in 41,4 % der Fälle die Leiche vollständig entkleidet wurde. Diese Zahlen lassen vermuten, dass bei den durch niedergelassene Ärzte durchgeführten Leichenschauen eine hohe Dunkelziffer an unentdeckten nicht natürlichen Todesfällen vorliegt (Gerg und Baier 2009). Allerdings wird eine korrekt klassifizierte Todesart für den niedergelassenen Arzt möglicherweise zu einer existenziellen Frage, wenn die Hinterbliebenen des Verstorbenen, die eventuell ebenfalls zum Patientenkollektiv des leichenschauenden Arztes gehören, direkt oder indirekt Einfluss auf die Entscheidung bezüglich der Todesart ausüben. Die Todesfeststellung stellt sich als ein letzter Dienst am Patienten dar, was sowohl für die Angehörigen als auch für den Arzt selbst zu einer psychisch belastenden Aufgabe werden kann. Damit ist es schwer für den niedergelassenen Arzt, welcher von den Angehörigen als eine Vertrauensperson angesehen wird, sich nicht in der Entscheidung von Argumenten seitens der Angehörigen beeinflussen zu lassen.

(Rothschild 2009).

Auch von Seiten der Polizei werden Ärzte bei der Klassifikation der Todesart beeinflusst, welches durch eine 2001 von Vennemann et al. durchgeführte Befragung bestätigt wurde. Dort gaben etwas weniger als die Hälfte der Ärzte an, schon einmal bei der Festlegung der Todesart von Dritten, vor allem durch die Polizei, beeinflusst worden zu sein. In Fällen, bei denen in der ersten Leichenschau eine ungeklärte Todesart bescheinigt wurde, veranlassten die Ermittlungsbehörden häufig eine zweite

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