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Das WIR strebt an, ein Zentrum zu sein, das „walk in“ genutzt werden kann, als Einheit wahrgenommen wird und in dem Leistungen über Einrichtungsgrenzen hinweg verknüpft werden. Unterschiedliche Traditionen, Selbstverständnisse und Kommunikationsregeln sind zu überbrücken und es sind datenschutzkonforme Lösungen für den Austausch fall-bezogener Informationen zu finden. Die Lösungen sollten u. a. über Konzepte, Standards, Verfahrensanweisungen festgehalten werden, u. a. für die Kommunikation über gemein-sam betreute Fälle.

Als Detailziele für das Rahmenziel „Erstellung von Konzepten und Standards“ wurden vier Detailziele definiert, deren Erreichung im Folgenden resümierend betrachtet wird:

1. Die Aufgaben der beteiligten Akteure sind beschrieben und die Kommunikation zwi-schen den Beteiligten ist geregelt.

Die Aufgaben der beteiligten Akteure wurden 2015/2016 in einem Kooperationsvertrag grob zusammengetragen und mit zeitlichen Ressourcen hinterlegt, jedoch nicht weiter in ein Detailkonzept gegossen. Die Prozesse sind nur sehr begrenzt beschrieben, in der Re-gel zu neu entwickelten Angeboten. Die Aufgaben und die eingebrachten Ressourcen ha-ben sich mit den verschiedenen Anpassungen und Neuentwicklungen laufend verändert, bspw. ist die Beratungsstelle des Gesundheitsamts mittlerweile mit dem gesamten Publi-kumsbetrieb im WIR präsent. Rosa Strippe hingegen ist nun weniger im WIR anwesend, sondern stellt seine Kapazitäten in der eigenen Einrichtung zur Verfügung.

Für die Kommunikation der Beteiligten wurde ein Besprechungswesen implementiert, das mehrere fallbezogene und fallübergreifende Formate umfasst (vgl. Kap. 4.3.2.5). Zu-letzt hinzugekommen ist die monatliche ausführliche Fallbesprechung mit psychosozia-lem Schwerpunkt. Ob Protokolle dazu erstellt und nachgehalten werden, ist dem Evalua-tionsteam nicht bekannt.

Anders als eingangs geplant, wurden zwar eher vereinzelt gegenseitige Fortbildungen or-ganisiert. Doch fand das Lernen voneinander direkt und vor allem über fallbezogenen Austausch statt. Hinzu kam die Teilnahme an Fortbildungen und Diskussionsrunden für die Klientel, die auch den Fachkräften und Versorgungsbeteiligten in der Region offen-standen, sowie an den regelmäßigen Fachtagen. Zudem wurde die Arbeit der je anderen Institution schon allein aufgrund der Nähe viel transparenter und in der Folge wuchs ein-richtungs- und fachkräfteübergreifend das Verständnis für die Arbeit und den Beitrag der je anderen für die Versorgung der Zielgruppen. Naturgemäß konnte diese Entwicklung vor allem zwischen den drei Einrichtungen bzw. Angeboten festgestellt werden, die (fast) gänzlich im WIR sitzen (Aidshilfe, Ambulanz und Testberatung des Gesundheitsamts).

Zu nennen ist hier auch der Zugewinn für Madonna, die in vielen Fällen Klientinnen mit Bedarf nach Test, Behandlung und (sozialer) Beratung oder psychologischer/psychothera-peutischer Unterstützung sehr schnell ins WIR vermitteln und ggf. dort begleiten konnten.

Für den Austausch fallbezogener Informationen wurden eine Schweigepflichtsentbindung und ein zentrales Ablagesystem entwickelt. Zum Teil werden Klient*innen aber auch Pa-piere/Akten zu ihrem Fall händisch mitgegeben, wenn sie zu einer anderen Stelle im WIR weitergeleitet werden. Doch anders als zunächst angestrebt, gibt es keinen gemeinsamen Kernbestand an Daten oder einen über alle Akteure geltenden Standard für Anamnesen.

2. Der Bedarf der Nutzer*innen wird systematisch (angemessen) festgestellt. Es gibt Regeln zu Bedarfsermittlung/Anamnese/Weiterleitung im WIR.

Während der Evaluationsphase war die Erstbefragung das übergreifend geltende Instru-ment, das alle Klient*innen erhalten sollten. Dies gelang jedoch nicht, beobachtet wurden einrichtungsbezogene und interindividuelle Unterschiede beim Einsatz des Erhebungsbo-gens. Der Bogen wurde insgesamt nicht systematisch in die Anamnese integriert. So er eingesetzt wurde, war das Ausfüllverhalten jedoch durchweg gut. Die Daten zeigen, dass die Erstbefragung insbesondere von nicht im WIR ansässigen Einrichtungen eher aus-nahmsweise eingesetzt wurde (vgl. Kap. 2.6.1).

Neuzugänge ins WIR sollten von den Health Advisern in Empfang genommen und in ei-nem Gespräch Situation und Bedarf geklärt werden. Danach sollten sie an die entspre-chenden Stellen weitergeleitet werden. Das wird zunehmend umgesetzt, die Health Advi-ser nutzen für die Anamnese im Wesentlichen den Erstbefragungsbogen der Evaluation.

Mit Blick auf die übrigen Akteure ist zu konstatieren, dass keine einheitlichen Regeln zu Bedarfsermittlung/Anamnese oder Weiterleitung im WIR erarbeitet wurden. Ob Kli-ent*innen eine systematische Anamnese erhalten bzw. wie Bedarf ermittelt wird, liegt in der Entscheidung der einzelnen Akteure. Die einzelnen Fachkräfte benutzen weiterhin je nach eigener Entscheidung Anamneseinstrumente oder gehen individuell vor – ein über-greifend definiertes System oder eine Art „Kerndatensatz“ ist nicht definiert. Nach Ende der Evaluation soll der Ersterhebungsbogen in überarbeiteter Form zumindest von Aids-hilfe und Health Advisern in modifizierter Form weiter verwendet werden.

Auch für die Weiterleitung von Klient*innen wurden keine schriftlichen Regeln erarbei-tet, der Bedarf gibt eher automatisch vor, welche Akteure angesprochen werden sollten, bspw. zieht die Ambulanz die Aidshilfe hinzu, wenn Patient*innen sehr unzuverlässig Termine wahrnehmen oder ihre Medikation einnehmen (Kap. 4.3.3.4). Oder das Gesund-heitsamt vermittelt zur Ambulanz, wenn ein STI positiv war. Oder Madonna zieht die Ambulanz oder die Gynäkologin hinzu, wenn von ihnen betreute Frauen entsprechenden Bedarf haben.

Für neue Angebote ist z. T. definiert und schriftlich festgehalten, wie und durch wen Be-darfsermittlung und Weiterleitung erfolgt (vgl. bspw. PrEP-Pfad, s. Kap. 4.3.3.2).

3. Health Advising und Systematische Partner*innen-Benachrichtigung sind konzepti-onell konkretisiert und werden umgesetzt.

Zu Health Advising wurde 2016 ein Gutachten in Auftrag gegeben und auf dieser Grundlage 2018 ein Konzept erarbeitet (Curriculum Health Adviser für Sexuelle Gesund-heit, vgl. Kap. 4.3.3.1). Über Landesförderung, Stiftungs- und Pharmamittel wurden drei (Teilzeit-)Stellen geschaffen – nach mehreren Personalwechseln sind aktuell zwei Health Adviser im Zentrum tätig. Alle Health Adviser durchliefen das Curriculum Sexuelle Ge-sundheit, weitere Fortbildungen, wie z. B. (Motivierende) Gesprächsführung werden als sinnvoll erachtet, wurden aber nicht systematisch implementiert. Statt spezifischer Super-vision werden die jungen Health Adviser von erfahrenen Kollegen angeleitet und nehmen je individuell an Fortbildungen beim Träger oder extern teil.

Für Health Advising wurden eine Arbeitsplatzbeschreibung und für die Erstgespräche ei-ne Prozessbeschreibung und ein Anamnesebogen entwickelt. Im Evaluationszeitraum wurde jedoch die Evaluations-Erstbefragung eingesetzt. Diese soll, mit einigen Anpas-sungen, danach auf Dauer gestellt werden. Zudem dokumentieren die Health Adviser Teilnahme an Fortbildungen und die Übernahme medizinischer Aufgaben für interne Auswertungen.

Nach einer Phase von Aufgabenunklarheit, verdichtet sich derzeit ein spezifisches Leis-tungsspektrum: Health-Adviser-Aufgaben sind zunehmend Erstaufnahme, Information, Weiterleitung (vor allem in med. Behandlung), STI-Test und dessen Nachbereitung, Be-ratung zu Risikomanagement und PrEP, Jugendsprechstunde, Teilnahme an Fallbespre-chungen und Umsetzung des Recall-Systems. Doch wird die Profilschärfung durch Per-sonalwechsel und die Heranziehung als Unterstützung in verschiedenen Bereichen er-schwert. Auch aufgrund des bisher noch eher geringen Anteils von Fallarbeit wurde eine Weitervermittlung an andere Stellen nur sehr selten dokumentiert.

Insgesamt waren Health Adviser bei knapp 17 % aller Evaluationsteilnehmenden invol-viert – bei zuletzt allerdings steigender Tendenz, vor allem bei PrEP-Usern, Sexarbei-ter*innen und HIV-negativen Fällen mit HIV-positiven Partner*innen. Dagegen waren sie wenig beteiligt bei HIV-Patient*innen, die überwiegend schon lange in Behandlung

der Ambulanz sind, bei jungen Test-Nutzer*innen, Klientel mit Risikosituationen und bildungsfernen Personen.

Die Ergebnisse der Evaluation zeigen, dass die Health Adviser zu 42 % ihrer Arbeitszeit fallbezogen arbeiten. Mit 58 % liegt der Schwerpunkt jedoch bei übergreifenden Aufga-ben, darunter vor allem kollegialer Austausch/Beratung mit Kolleg*innen der eigenen und der anderen Einrichtungen im WIR, konzeptionellen Arbeiten und Mitarbeit an one-way-Kommunikationsformen, Präventionsaktionen und Öffentlichkeitsarbeit. Health Ad-vising setzt damit in der Praxis noch etwas andere Akzente als das Konzept, das deutlich stärker auf Fallarbeit fokussiert. Gleichwohl werden die Health Adviser seitens der übri-gen Beschäftigten im WIR – auch fallbezoübri-gen – als Bereicherung und Unterstützung er-lebt.

Partner*innen-Benachrichtigung rückt im WIR zunehmend in den Fokus, im Frühjahr 2019 wurden dann auch „Konzeptionelle Überlegungen“ formuliert und Zielgruppe und Ansprache beschrieben (vgl. Anhang, S. 193). Das Konzept dürfte zu den ersten in deut-schen Testberatungen gehören, es bleibt jedoch im internationalen Vergleich schmal und auf zwei Interventionsformen begrenzt (Beratung zur persönlichen Benachrichtigung durch Indexpatient*innen, Nutzung des Webtools zur anonymen Benachrichtigung). Eine spezielle Fortbildung oder das systematische Nachhalten der Umsetzung sind nicht vor-gesehen, auch ist der Geltungsbereich im Konzept klarer formuliert als in der Umsetzung feststellbar (Wer setzt Partner*innen-Benachrichtigung um?).

Wenngleich die Umsetzung bisher nicht systematisch erfolgt, so nimmt sie doch zuneh-mend an Fahrt auf. Mit Blick auf die Hauptzielgruppe für Partner*innen-Benachrich-tigung, Nutzer*innen mit einer diagnostizierten STI, weisen die Daten eine Umsetzung bei gut 60 % aus. Das trifft auf 196 Personen im Jahr 2018 zu. Demgegenüber wurden 312 Personen zu Partner*innen-Benachrichtigung beraten, ohne dass ein derart konkreter Anlass dokumentiert war. Bisher wird Partner*innen-Benachrichtigung überwiegend von den Mediziner*innen umgesetzt. Schließlich ist festzuhalten, dass mehrfache Ansprache auf Partner*innen-Benachrichtigung erst begrenzt dokumentiert wurde (ausführlich siehe Kap. 4.3.3.3). Gleichwohl gibt die Nachbefragung – bei insgesamt kleinen Zahlen – posi-tive Hinweise auf die erfolgreiche Ansprache von Klient*innen.

4. Angebote des WIR werden partizipativ entwickelt.

Die Ambulanz hat ihre Patient*innen im Rahmen einer Veranstaltung Ende 2015 über die Planungen zum WIR informiert und befragte die Teilnehmenden dabei auch zu ihren Be-darfen, im Verlauf wurden immer wieder Patient*innen einbezogen, wenn es bspw. um die Formulierung von Botschaften ging, bspw. zum anonymen Online-Tool zur Part-ner*innen-Benachrichtigung. Im Jahr 2018 erhob die Aidshilfe einmal Bewertungen und Verbesserungsideen der Nutzer* innen zum Café enJoy. Über die Mitwirkung von ehren-amtlich Helfenden besteht in der Aidshilfe zudem immer Kontakt mit Zielgruppenperso-nen. Von den übrigen Akteuren ist nichts zur Partizipation von Nutzer*innen beschrieben worden.

Darüber hinaus waren die Nutzer*innen bei Konzeptionierung und Angebotsgestaltung wenig einbezogen und es gab keinen systematischen Abgleich mit Nutzer*innen-interessen oder eine Eruierung der Bedarfe von Zielgruppen, die noch wenig erreicht werden. Die zunächst geplante Implementierung von Patienten*innen-Repräsentant*in-nen (PaRe) und Jugendbotschaftern*innen fand nicht statt (4.4), mehrfache Versuche, Partizipations-Projekte oder andere Mittel einzuwerben, schlugen fehl.

Zu 2: Synergien, Kooperation, Neuentwicklungen und