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Kontrastierung mithilfe des axialen Kodierparadigmas: Bildung von Schlüsselkategorien

In diesem Kapitel sollen für alle drei Ereignisse die gewonnenen Ergebnisse in Modellen nach Vorbild des axialen Kodierparadigmas dargestellt und beschrieben werden. Beginnend mit dem Amoklauf von München, über die Amokfahrt von Graz hin zu dem Amoklauf von Stiwoll

werden im Folgenden die Schlüsselkategorien eines jeden Ereignisses und Einsatzes, gewonnen durch die Methoden der Grounded Theory, präsentiert.

15.1 Amoklauf von München

In diesem Teil des Kapitels wird das paradigmatische Modell des Einsatzes in München beschrieben. Dabei stützt sich diese Arbeit auf eine andere Masterarbeit von Kary (2020), welche ebenfalls im Rahmen des NO-FEAR Projekts entstanden ist.

Abbildung 10:

Axiales Kodierparadigma für München

(1) Intervenierende Faktoren (Stressoren)

Die intervenierenden Bedingungen umfassen alle, von außen einwirkenden Bedingungen während des Einsatzes. Dabei kann es sich auch um stressreduzierende Aspekte handeln.

Diese sollen aber erst später erwähnt werden. In diesem Teil der Arbeit geht es um Faktoren, welche stressauslösend gewirkt haben.

Eine Besonderheit beim Amoklauf von München war, dass aufgrund der vorangegangenen Terroranschläge in anderen Ländern (s.o. unter „Amoklauf von München“) von einer vorherrschenden Terrorlage ausgegangen wurde. Es handelte sich um einen Täter, welcher zum Teil stundenlang verschwand und somit zur Unübersichtlichkeit der Lage beitrug.

Demzufolge waren die Einsatzkräfte mit einer mobilen Lage konfrontiert, die sich nicht auf einen Tatort eingrenzen ließ. Zudem fielen aufgrund der gezielten Opferwahl des Täters vor allem Jugendliche dem Amoklauf zum Opfer. Da S. an von Jugendlichen hoch frequentierten Orten um sich schoss (s.o. „Amoklauf von München“) waren nicht nur viele der Opfer Jugendliche, sondern auch die Betroffenen jüngeren Alters. Aufgrund der vermuteten Terrorlage wurde mit Zweit- und Drittanschlägen, sogenannten Second Hits gerechnet und daher mit einer erhöhten Gefährdung der Einsatzkräfte. Dies verstärkte die Sorge der Führungskräfte um ihre MitarbeiterInnen. Aufgrund von unklaren Informationen vor allem zu Beginn des Einsatzes wurden einige der KI-MitarbeiterInnen an Einsatzorte geschickt, welche sich im Verlauf als Falschmeldungen herausstellten. Diese wurden von den Befragten als

„sinnlose“ Aufträge empfunden und führten zu Frustration und Belastung. Hierbei stand das Bedürfnis aktiv werden zu wollen und die Tatsache auf einen anderen Einsatz warten zu müssen in starkem Gegensatz zueinander. An vereinzelten Einsatzorten herrschte starker Personalmangel, der dazu führte, dass die Sicherheit gebende Struktur von Dreierteams aus Teamleiter und Betreuenden nicht aufrechterhalten werden konnte. Demzufolge litt die Kommunikation zwischen betreuenden MitarbeiterInnen vor Ort und dem Stab des KIT-München. Dies schürte Angst relevante Informationen zu verpassen (Kary, 2020).

(1) Intervenierende Bedingungen (stressreduzierend)

Wie bereits erwähnt können die intervenierenden Bedingungen nicht nur Stressoren darstellen, sondern auch stressreduzierend auf die Einsatzkräfte wirken. Besonders entlastend wirkte das Aufgebot an Spezialkräften, Einsatzkräften und Rettungshubschrauber nicht nur aus dem Umkreis, sondern sogar aus Österreich. Die zur Verfügung stehenden Ressourcen führten zu einer Beruhigung bei Einsatz- und Führungskräften. Weiterhin wurde die Zusammenarbeit mit anderen Einsatzorganisationen wie auch der Zusammenhalt der KollegInnen aus dem eigenen Team als entlastend beschrieben (Kary, 2020).

(2) Subjektives Erleben/Stresserleben

Vor allem während der Überbringung von Todesnachrichten kippte die anfänglich positive von starkem Zusammenhalt und Zuversicht getragene Stimmung, was zu einem Gefühl von Hilflosigkeit führte. Durch ein Informationsdefizit und teilweise vorkommende Kommunikationslücken sowie die mobile Lage herrschte besonders initial Chaos. Die Einsatzkräfte beschrieben innerhalb der Interviews kaum bis wenig Furcht während der Einsätze. Dies lag zum einen an einem symbolischen Schutz durch die Räumlichkeit den die Einsatzkräfte empfanden, die in einer Halle bei der Zeugensammelstelle arbeiteten. Aber auch an dem Selbstbild der Einsatzkräfte, von dem die Befragten meinten, dass eine gewisse Eigengefährdung zu ihrem Beruf gehöre. Hier unterschied sich das Erleben allerdings je nach Position der Einsatzkräfte. Die Führungskräfte berichteten durchaus von Sorge um ihre MitarbeiterInnen (siehe „Intervenierende Bedingungen (Stressoren)“). Besonders auf der Führungsebene wurde von der sehr präsenten Angst, Fehler zu machen, berichtet. Letztlich beschrieben die Interviewten ihre Gefühle zum Einsatz allerdings eher als Respekt vor der Lage denn als Angst (Kary, 2020).

(3) Strategien

Dieses Kapitel behandelt alles aktive Zutun der Einsatzkräfte, um mit der Belastung der Einsatzsituation besser umgehen zu können oder ihre Auswirkungen abzuschwächen.

Im Sinne der primären Prävention (siehe „Arten von Prävention“) ist das Einsetzen von Routinen und routinierten Handlungsabläufen zu verstehen. Hierbei handelt es sich um zuvor gelernte Fähigkeiten, welche in der Situation der Belastung wie automatisch angewandt werden können. Während des Einsatzes in München wurde deutlich wie hilfreich Übungen und Trainings sein können um selbst in einer so dynamischen Lage, wie sie in München anzutreffen war, Struktur zu bewahren und trotz der Undurchschaubarkeit der Situation aktiv Handlungen setzen zu können (Kary, 2020). Hiermit einher geht die Strategie aktiv zu werden.

Dies ist hilfreich um Gefühlen von Hilflosigkeit oder gar Ohnmacht entgegenzuwirken, indem die Handlungsfähigkeit gewahrt und die Kontrolle über die Situation zurückgewonnen wird (Kary, 2020). Ebenfalls von Bedeutung war die zuvor geübte Zusammenarbeit mit anderen Einsatzorganisationen, da sie im Ernstfall zu einer besseren und erleichterten Kommunikation und Kooperation verhelfen kann. In München konnte der positive Austausch der verschiedenen Einsatzorganisationen miteinander durch zuvor geförderten Kontakt zueinander leicht aufrechterhalten werden (Kary, 2020). Nicht nur während des Einsatzes, sondern auch danach wurden Gespräche und der Austausch mit Kollegen sowie Angehörigen zur Entlastung genutzt. In Bezug auf die eigene Familie stellten die Befragte vor allem zu Beginn des Einsatzes sicher, dass all ihre Angehörigen in Sicherheit waren und dort auch verblieben. Erst das Wissen um die Sicherheit der eigenen Familie ermöglichte es die volle Konzentration auf den Einsatz zu lenken. Zuletzt wurden nach dem Einsatz in München verschiedenste Supervisions- und Nachbesprechungsangebote gemacht. Zunächst gab es eine taktische Nachbesprechung und ein sogenanntes „Lessons Learned“-Treffen wie auch später

Supervisionen für alle Mitglieder des KIT-internen Stabs, Supervisionen für die Leitung, für das Team und sogar für die Angehörigen der Mitarbeiter. Solche Nachbesprechungen sind im Sinne eines klaren Abschlusses eines Einsatzes wichtig, wie auch zu Relativierung und Normalisierung von Stressreaktionen (Appel-Schumacher & Helmes, 2004).

15.2 Amokfahrt von Graz

Kontrastierend zu dem Modell von München soll nun das Modell zur Amokfahrt von Graz beschrieben werden. Etwaige Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieses Modells zu den Modellen der anderen beiden Ereignisse werden im letzten Kapitel „Diskussion und Interpretation der Ergebnisse“ näher beleuchtet. Allerdings werden im Folgenden bereits Ähnlichkeiten und Besonderheiten der Einsätze im Vergleich zueinander erwähnt.

Abbildung 11:

Axiales Kodierparadigma für Graz

(1) Kausale Bedingungen

Die kausalen Bedingungen sind weitgehend aus der Literatur zu Amoktaten und Einsätzen bei Großschadensereignisse zu erfahren und bestehen aus Rahmenbedingungen und Voraussetzungen, die den Einsatz geformt und beeinflusst haben.

Zum einen stellt eine Amoklage bis zur Neutralisierung des Täters einen Einsatz mit erhöhter Selbst- bzw. Eigengefährdung dar (Eichen et al., 2018). Weiterhin sind bei Anschlägen mit Schusswaffen oder Explosivstoffen, wie dies sowohl bei Amokläufen als auch bei Terroranschlägen der Fall sein kann, Betroffene und Rettungskräfte konstant der Gefahr einer zweiten oder dritten Attacke ausgesetzt. Ein solcher Folgeanschlag wird in der Literatur Second Hit genannt (Helm et al., 2017). Dabei streben die Täter an möglichst viel Chaos zu stiften. Das tatsächliche Eintreten von Second Hit führt bei einzelnen Einsatzkräften, aber auch bei Behörden, zu einer massiven Überlastung (Training Center Retten&Helfen, kein Datum).

Ebendarum lässt sich verstehen warum Einsatzkräfte Second Hits fürchten und während des Einsatzes vor allem die Führungsebene besonders unter Druck steht die Sicherheit und den Schutz ihrer MitarbeiterInnen zu gewährleisten.

Außerdem lösen Amoktaten durch die große Abweichung von dem was als „normal“ gilt, oder zumindest im Rahmen des gesellschaftlich akzeptierten Spektrums an Gewalt liegt, starke Emotionen aus. Diese reichen von Trauer über Schock bis zu Fassungslosigkeit (Ahrens, 2017).

Weiterhin ist die meist bestehende Unkontrollierbarkeit sowie Unüberschaubarkeit solch großer Einsätze ein Belastungsfaktor für die Einsatzkräfte (Trummer & Helm, 2008).

Ferner sind Großschadensereignisse auch häufig durch Mehrdeutigkeit ausgezeichnet. Es ist also mit schwer zu durchschauenden und mehrdeutigen Gegebenheiten vor Ort für die Einsatzkräfte zu rechnen (Krampl, 2007).

Außerdem ist es bei Einsätzen wie in Graz, München und Stiwoll essentiell, dass ein guter Austausch zwischen den involvierten Einsatzorganisationen stattfindet. Ist dies nicht der Fall kann das eine zusätzliche Belastung darstellen (Trummer & Helm, 2008).

Da in Graz sowie in München eine terroristische Tat nicht auszuschließen war und im Fall von München sogar lange Zeit vermutet wurde, ist es ebenfalls wichtig auf die Besonderheit der Wirkung von politisch motivierten Taten einzugehen. Terroristische Anschläge betreffen nicht nur die Opfer und Einsatzkräfte, sondern haben weitreichende psychologische Effekte, die die ganze Gesellschaft beeinflussen (Böckler et al., 2018). Es kann massive Angst bei der breiten Bevölkerung und somit auch bei den Einsatzkräften entstehen (Ruby, 2002). Bei Ereignissen dieses Ausmaß kommen außerdem die häufig sehr lange Einsatzdauer und das große mediale Interesse erschwerend hinzu (Hausmann C. , 2010). Ebenfalls den Großschadensereignissen eigen ist der hohe Grad an Exposition mit Betroffenen, die entweder sehr schwer verletzt oder bereits tot sind (Heinrichs et al., 2001; Teegen, 2004).

(2) Intervenierende Faktoren (Stressoren)

In Kontrast zu dem Ereignis in München war in Graz ziemlich schnell klar, dass es sich um eine Amoktat handelte. Daraus ergibt sich, dass nur kurz mit einer mobilen Lage umzugehen war.

Zwar gab es aufgrund der Tatwaffe eines Pkw mehrere Tatorte und doch waren diese räumlich auf die Fahrtstrecke des Täters beschränkt. Es handelte sich wie in München um einen Täter.

Dieser stellte sich, anders als in München, relativ rasch. In Graz war damit viel schneller als in München klar, dass es sich um die Einzeltat eines Täters gehandelt hatte. Damit einherging die geringe Sorge um eigene MitarbeiterInnen während des Einsatzes. Zwar wurde von der Befragten E. (Führungskraft) die Relevanz des Themas Sicherheit der MitarbeiterInnen verdeutlicht, allerdings meinte diese auch, dass sie sich aufgrund der beständigen Kommunikation mit ihren MitarbeiterInnen nie ernsthafte Sorgen hat machen müssen. In Graz

war die Gefahr eines Second Hit zwar nicht gänzlich auszuschließen allerdings war sie geringer als in München. Die Opfer der Amokfahrt in Graz waren weniger gezielt gewählt, als es in München der Fall war. Es handelte sich eher um Zufallsopfer. In Graz gestaltete sich die Arbeit der KI-MitarbeiterInnen besonders belastend, da ein Kind unter den Todesopfern war. Wie aus bestehender Literatur bereits bekannt ist sind vor allem Unfälle in denen Kinder als Opfer verwickelt sind für die Einsatzkräfte besonders belastend. Mitunter deswegen, weil sie die schützenden Grundannahmen der Einsatzkräfte stark in Frage stellen (Krampl, 2007).

Besonders belastend war beim Einsatz von Graz die fehlende Möglichkeit den Leichnam des Kindes und seine Angehörigen mit Hilfe eines Sichtschutzes zu schützen. Für die Einsatzkräfte wie auch alle Betroffenen, war die Zeit bis der Leichnam geborgen werden konnte schwer auszuhalten. Diese Erfahrung führte dazu, dass es mittlerweile einen leicht zu installierenden Sichtschutz für solche oder ähnliche Fälle gibt. Erschwerend zu den anderen Belastungen des Ereignisses kamen bestehende Konflikte mit anderen Einsatzorganisationen hinzu. Diese umfassten Konkurrenz, Probleme des Informationsflusses und als Folge dessen Spannung zwischen den MitarbeiterInnen der verschiedenen Einsatzorganisationen. Abschließend für dieses Kapitel war die Berichterstattung und das Interesse von Medien und Bekannten belastend für die Einsatzkräfte. Die anhaltenden Nachfragen und die Konfrontation mit teilweise faktisch inkorrekten Berichten der Medien machten das „Abschalten“ schwer. Dabei wird ein erhöhtes Medieninteresse neben sehr langen Einsätzen und Einsätzen bei Großschadensereignissen von Einsatzkräfte als besonders belastend empfunden (Krampl, 2007).

(3) Intervenierende Bedingungen (stressreduzierend)

Zu den stressreduzierenden Faktoren zählten die vorhandenen Ressourcen während des Einsatzes. Neben der großen Anzahl zur Verfügung stehender MitarbeiterInnen, was vor allem

die Führungskraft als Entlastung beschrieb, war für die MitarbeiterInnen vor Ort die Erreichbarkeit der Führungskraft eine Ressource. Weiterhin wurde die Zusammenarbeit mit erfahrenen Kollegen mit einem reichen Erfahrungsschatz besonders von noch unerfahrenen KollegInnen als bereichernd erwähnt. Außerdem wurde die gute Zusammenarbeit der KI-MitarbeiterInnen untereinander als positiv empfunden. Hierbei entstand der Eindruck, dass das Verfolgen einer gemeinsamen Linie besonders entscheidend war. Zu der guten Zusammenarbeit im Team gehörte auch die gelingende interne Kommunikation. Dabei war sowohl die Erreichbarkeit der Führungskraft für die MitarbeiterInnen vor Ort als auch die regelmäßigen Rückmeldungen der betreuenden Einsatzkräfte an die Führungskraft hilfreich.

Nicht nur während dem Einsatz, sondern auch in der Zeit danach, nahmen sich die Einsatzkräfte gegenseitig als unterstützend wahr. Sowohl informelle Gespräche unter Kollegen, die zur Verarbeitung des Einsatzes beitrugen, wie auch die zeitliche Absehbarkeit einer formellen Nachsorge war hierbei entlastend. Neben den Konflikten mit anderen Einsatzorganisationen (s.o. „Intervenierende Faktoren (Stressoren)“) gab es auch gut funktionierende Kooperation zwischen den verschiedenen Organisationen. Besonders positiv wurden hierbei der kollegiale Umgang, das Mitdenken und die Unterstützung bei organisatorischen Aspekten hervorgehoben. Aufgrund der konstanten Kommunikation der Einsatzkräfte während des Einsatzes konnte sowohl auf Seiten der Führungskraft als auch bei den Einsatzkräften vor Ort ein Sicherheitsgefühl entstehen. Erstere konnte sich auf die regelmäßige Rückmeldung ihrer MitarbeiterInnen verlassen und war sich dadurch sicher, im Falle einer notwendig werdenden Evakuation, schnell genug handeln zu können. Bei den Einsatzkräften vor Ort entstand das Sicherheitsgefühl durch die Anwesenheit von Polizisten, durch die Erreichbarkeit der Führungskraft und aus dem Vertrauen in das System. Eine der befragten Einsatzkräfte meinte, dass sie sich darauf verlassen konnte, sollte sich etwas an der

Sicherheitslage zum Negativen verändern, würde sie informiert werden und sich somit schnell genug in Sicherheit begeben können. Von Bedeutung waren die erfahrene Wertschätzung und Dankbarkeit, die sich auf unterschiedliche Art und Weise, sowohl durch Betroffene als auch durch die Gastronomie vor Ort, zeigten. Aufgaben an anwesende Ersthelfer abgeben zu können, waren es auch noch so kleine Aufträge, war laut Berichten sehr hilfreich. An dieser Stelle wurde der Zusammenhalt der Bevölkerung, welcher spürbar wurde, als sehr positiv empfunden.

(4) Subjektives Erleben/Stresserleben

Wie auch in München empfanden die befragten Einsatzkräfte während des Einsatzes nur wenig bis gar keine Furcht. Allerdings kamen, anders als bei den Interviews von München, bei den Einsatzkräften von Graz auch im Nachhinein keine Bedenken bezüglich der Sicherheit auf.

Wie bereits unter den stressreduzierenden Bedingungen beschrieben war der telefonische Kontakt, welcher einmal in der Stunde stattfand, sowohl für die Führungskraft als auch für die anderen Einsatzkräfte hilfreich. Nichtsdestotrotz bestand eine gewisse Anspannung auf Seiten der Führungskraft. Dies lag vermutlich auch an der großen Verantwortung, die sie für ihre MitarbeiterInnen und deren Sicherheit hatte (vgl. Juen et al., 2013). In den Interviews erwähnten die Einsatzkräfte außerdem, dass sich in der Nachbesprechung der Bericht von Gefühlen der Hilflosigkeit besonders hervortat. Auffallend war bei den Berichten zum subjektiven Erleben der Einsatzkraft vor Ort die Beschreibung von Dissoziation. Bei der Befragten F. (KI-Mitarbeiterin) traten zeitnah nach dem Einsatz Intrusionen auf (s.o.

„Subjektives Erleben – Intrusive Bilder vom Einsatz“). Außerdem berichtete sie von teilweiser Amnesie, den Beginn des Einsatzes und die eigenen Gefühle währenddessen betreffend.

Zudem kam es sowohl bei der Befragten F. (KI-Mitarbeiterin) als auch bei der befragten Führungskraft zum Erleben von Derealisation. Dies wurde beschrieben als ein Gefühl in einer

„Watteschicht“ zu sein, erst wieder in die Realität zurückfinden zu müssen und sich während des Einsatzes „wie auf einer anderen Ebene“ zu befinden. Ferner berichtete die Befragte F.

(KI-Mitarbeiterin) sowohl bei sich als auch bei KollegInnen von einer veränderten Zeitwahrnehmung. Ihr kam die Dauer bis der Leichnam des verstorbenen Kindes geborgen werden konnte ewig lang vor. Von einem Ersthelfer berichteten die Befragten, dass dieser das Gefühl hatte minutenlang erstarrt zu sein bevor er helfen konnte. Tatsächlich waren es wohl nur einige Sekunden.

(5) Strategien

Wie auch in München waren für die Einsatzkräfte in Graz der Rückgriff auf Routinen eine der angewandten Strategien. Dabei war vor allem in sehr belastenden Situationen, wie der Betreuung der Angehörigen, die Möglichkeit auf Gelerntes oder gar Automatismen zurückgreifen zu können sehr hilfreich. Hinsichtlich der Strategie aktiv zu werden lassen sich ebenfalls Gemeinsamkeiten zwischen München und Graz feststellen. Sowohl in München als auch in Graz wurden der starken Aktivierung durch die Alarmierung und den Einsatz Handlungen entgegengesetzt. In Graz begann die Führungskraft beispielsweise bereits auf der Anfahrt zum Einsatzort mit der Koordination ihrer MitarbeiterInnen. Ähnlich wie in München wurde auch in Graz auf die Hilfe unter KollegInnen gesetzt. Dabei waren die Befragten zum einen Empfänger von Hilfe und Unterstützung ihrer KollegInnen. Zum anderen boten sie selbst Hilfe, Rat und Unterstützung an. Eine weitere Strategie, die von den Einsatzkräften beider Einsätze angewandt wurde, war die Kontaktierung der eigenen Familie und die Sicherstellung deren Sicherheit. Trotz der vielen Gemeinsamkeiten innerhalb der Strategien wurden in Graz einige Strategien angewandt, welche in München nicht erwähnt wurden. Darunter fällt die Abgrenzung zum Selbstschutz. Die Befragten beschreiben, dass sie während ihrer Arbeit mit Betroffenen eine imaginäre Barriere zwischen sich und den Betreuten zogen. Dies half ihnen

dabei die eigene emotionale Involviertheit gering zu halten und sich somit selbst zu schützen.

Weiterhin versuchten die Befragten trotz aufkommender Gefühle von Hilflosigkeit, oder ähnlichen, Ruhe und Fassung zu bewahren. Laut Bericht der Befragten verhalf ihnen das dazu eine gewisse Ordnung in ihren Kopf und damit in ihr Handeln zu bringen. Die wohl wichtigste Strategie, welche am häufigsten erwähnt wurde, war die Protokollierung von Einsätzen und Standorten der Einsatzkräfte. Wie in den vorangegangenen Kapiteln zum Modell von Graz bereits erläutert, konnte durch diese Art der Protokollierung das Sicherheitsgefühl aller Beteiligten hochgehalten werden. Im Vergleich zu München schien in Graz die Nachsorge in Form von strukturierten Einsatznachbesprechungen und Supervisionen in weniger großem Ausmaß stattgefunden zu haben. Dennoch war das gemeinsame Nachbesprechen, um die Erlebnisse und Eindrücke zu verarbeiten. Besonders das Wissen um eine zeitlich absehbar stattfindende Nachsorge war entlastend. Anders als in München wurde die Nachsorge aber nicht durchweg als positiv empfunden. Eine der Befragten meinte, dass die anhaltende Nachsorge eher entgegen ihrem Bedürfnis war „abzuschließen“.

15.3 Amoklauf von Stiwoll

Zur besseren Vergleichbarkeit und zur Erhöhung der Aussagekraft des Vergleichs soll hier nun noch ein weiterer Einsatz Erwähnung finden. Hierbei handelt es sich um die Erkenntnisse aus den Erzählungen der Befragten F. zu dem Einsatz in Stiwoll, bei welchem sie als Führungskraft beteiligt war.

Abbildung 12:

Axiales Kodierparadigma Stiwoll

(1) Kausale Bedingungen

Innerhalb dieser Kategorie lassen sich sowohl einige Gemeinsamkeiten mit der Lage in Graz, wie auch der in München, feststellen. Ähnlich wie in Graz war sehr schnell klar, dass es sich um einen Amoklauf und nicht um einen terroristischen Akt gehandelt hatte. Wiederum ähnlich wie in München war hier die Tatsache, dass der Täter verschwand und große Sorge und Angst bestand, dass er wiederkommen könnte. Aus diesem Grund war die Second Hit Gefahr während des gesamten Einsatzes präsent. Von Besonderheit ist bei diesem Einsatz zudem, dass der Täter bis zum heutigen Datum, drei Jahre nach der Tat, nicht gefasst werden konnte. Wie bereits unter den kausalen Bedingungen bei Graz erwähnt, ist die oftmals

Innerhalb dieser Kategorie lassen sich sowohl einige Gemeinsamkeiten mit der Lage in Graz, wie auch der in München, feststellen. Ähnlich wie in Graz war sehr schnell klar, dass es sich um einen Amoklauf und nicht um einen terroristischen Akt gehandelt hatte. Wiederum ähnlich wie in München war hier die Tatsache, dass der Täter verschwand und große Sorge und Angst bestand, dass er wiederkommen könnte. Aus diesem Grund war die Second Hit Gefahr während des gesamten Einsatzes präsent. Von Besonderheit ist bei diesem Einsatz zudem, dass der Täter bis zum heutigen Datum, drei Jahre nach der Tat, nicht gefasst werden konnte. Wie bereits unter den kausalen Bedingungen bei Graz erwähnt, ist die oftmals