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Konsequenzen für Bildung und Politik

Im Dokument Rosa-Luxemburg-StiftungManuskripte 63 (Seite 99-102)

III Klassismus: Institutionelle, individuelle und kulturelle Diskriminierung aufgrund

4. Konsequenzen für Bildung und Politik

Classism im Kontext von »social justice« hat zum einen die Herstellung von Bewusst-bewerdungsprozessen zum Ziel, jedoch weiterführend eine daraus resultierende Be-reitschaft zum aktiven politischen Handeln. Das ist das Programm von Klassismus-Trainings im Kontext von »social justice«. In diesen politischen Klassismus-Trainings werden sich die TeilnehmerInnen in Bildungsprozessen ihrer Herkunft und ihrer Erfahrungen mit Klassismus bewusst, reflektieren Stereotypen und analysieren die Herstellungsprozes-se von klasHerstellungsprozes-senbezogener Diskriminierung. Die Geschichte des Klassismus steht dabei in enger Verbindung mit der Geschichte der Gewerkschaften und ihrer Auseinander-setzungen und ihres Eintretens gegen Diskriminierung. Die Geschichte der Arbeiter-Innenbewegungen- und kulturen, aber auch die Geschichte anderer marginalisierter Gruppen kann dabei zu einer wichtigen Lernressource werden. Dabei kann auch aus der Geschichte gelernt werden, das Veränderung eben nicht allein durch Änderung der materiellen Verhältnisse geschieht oder besser: die materiellen Verhältnisse lassen sich nicht verändern, wenn ihre kulturellen und individuellen Folgen nicht aufgezeigt wer-den. Deshalb gilt es auch Kulturen zu unterstützen, die sich der Untersuchung und Analyse von Klassismus, der verborgenen Geschichte und der Herstellung von Sicht-barkeit annehmen. Dies muss für die unterschiedlichen Gruppen, sei es für Arbeite-rInnen, Arbeitslose und Arme auf unterschiedliche Weise geschehen.94

Im deutschsprachigen Raum wird das Thema »Klasse« bislang nach wie vor so-wohl innerhalb der Gewerkschaften als auch in linken Kontexten unter primär ökono-mischen, sozialpolitischen Aspekten diskutiert (vgl. u. a. Bischoff u. a. 2003). Der Be-griff Klassismus ist bislang in Deutschland kaum gebräuchlich oder bekannt, allenfalls in feministischen Kreisen könnte aufgrund von Anja Meulenbelts in deutscher Spra-che vorliegendem Buch: »SSpra-cheidelinien. Über Sexismus, Rassismus und Klassismus«

eine gewisse Bekanntheit eingetreten sein.95Selten geht es um die Thematisierung der verschiedenen Ebenen von Diskriminierung und sozialer Klasse, wie beispielsweise in der Arbeit von Pilgrim und Friedrich (2006), die sich mit den verschiedenen

Diskri-94 Die Arbeiterklasse und die Kulturen der sogenannten »Unterschichten« sind wenig Gegenstand von Forschung und von differenzierter Forschung überhaupt (Groschopp 2003). Mike Savage hat sich mit der wohl breitesten Studie über die Lebensweisen der britischen Arbeiterklasse, in den sechziger Jahren von Goldthorpe durchge-führt, beschäftigt. Er stellt fest, dass eine sehr große Menge von aussagekräftigem Material überhaupt nicht zur Auswertung verwendet wurde, gleichzeitig die Interviewstrategien und Auswertungen auf die ökonomische Si-tuation der Arbeiter ausgerichtet waren. Das Material gibt aber sehr viel Auskunft über die kulturellen Dimen-sionen von Klasse (Savage 2005).

95 Zahlreiche Studien über ArbeiterInnentöchter an den Hochschulen entstanden in Folge der Frauenbewegung und Geschlechterforschung. Sie thematisieren auch die kulturellen Aspekte der Situation von ArbeiterInnenkindern (vgl. u. a. Frerichs 1997; Rohleder 1997; Brendel 1998) kritisieren aber wenig das System Hochschule als grundsätzlich veränderungsbedürftig. Faktisch handelt es sich bei diesen Studien um Untersuchungen über Aka-demikerinnen. Im Kontext der Frauenbewegung entstanden auch Studien über Arbeiterinnen und den Zusam-menhang von Klasse und Geschlecht hinsichtlich kultureller Dimensionen (vgl. u. a. Becker-Schmidt u. a. 1985).

minierungsformen von Arbeitslosen auseinandersetzen. Sicher hängt diese Nichtbe-schäftigung mit Klassismus auch damit zusammen, dass diejenigen, die über institu-tionelle theoretische Diskursmacht verfügen eben gerade keine biographische Berührung mit der Arbeiterklasse, den Arbeitslosen oder Armen haben und die kultu-rellen und individuellen Diskriminierungen und Stereotypen nicht reflektieren, die sie mit ihrer Forschung und Theorie möglicherweise unterstützen. Zudem ist der Diskurs um Bildungszugänge und Chancen in der Bundesrepublik sehr dominant. Dabei wird vorrangig darüber diskutiert, wie man für MigrantInnenkinder, ArbeiterInnenkinder bessere Bildungschancen schaffen kann, darunter wird verstanden, wie man ihnen den Weg IN das System erleichtern kann (z. B. Sprachkurse etc.) und ihre vermeintlichen Defizite beseitigen kann. Es wird aber nicht darüber gesprochen, wie das System Schule sich verändern müsste, um eine ganz andere Lernkultur zu entwickeln und ein Verständnis von Social Justice und Antidiskriminierungskultur geschaffen werden könnte, indem alle gleichermaßen geschätzt werden und in ihren Lebenswünschen im Sinne eines breiten Feldes von Möglichkeiten unterstützt werden können.

5. Zusammenfassung

Über Armut und Reichtum, Streiks für bessere Bezahlung, Ungerechtigkeit und Un-gleichheit zu lesen, ist nichts Besonderes. Armuts- und Reichtumsforschung gehören zu etablierten Forschungsbereichen. Beim Thema »classism« (Klassismus) geht es auch um Armut, Reichtum und die Konsequenzen, allerdings um mehr als »nur« die Folgen für die unmittelbare materielle Lebenssituation und den Zugang zu Bildung.

Klassismus beschreibt ein Herrschaftssystem, in welchem die Klassenzugehörigkeiten über kulturelle, institutionelle und individuelle Mechanismen in einer Hierarchie und in einem Abwertungs- und Aufwertungssystem festgeschrieben werden. Nur so funk-tioniert die Aufrechterhaltung von Armuts- und Reichtumsverhältnissen. Es bedarf ih-rer Absicherung durch Bewertung der Menschen nach gesellschaftlich anerkannten und gesellschaftlich aberkannten Eigenschaften und Verhaltensweisen. Während über Klassenzugehörigkeiten gesellschaftliche, kulturelle Normen hergestellt werden, gilt das Hinterfragen dieser Normen als Tabu, das Schweigen darüber repräsentiert eher die Normalität. In den amerikanischen Diskursen wird Klassismus immer wieder mit diesem Schweigen in Verbindung gebracht. Der Diskurs und die Thematisierung der weitreichenden Folgen von Klassenzugehörigkeiten ist in den USA neu, er ist aus dem Kontext der Social Justice-Bewegungen zum einen und einem erweiterten theoreti-schen Diskus über die kulturellen Dimensionen des Klassenbegriffs entsprungen. Die Thematisierung und Lancierung von Projekten zur Auseinandersetzung mit Klassis-mus stehen am Anfang. Denn was würde denn passieren, wenn, wie AktivistInnen dies fordern, am Arbeitsplatz, in der Schule, an der Hochschule die Klassenstrukturen in all ihren Dimensionen und in ihrer Bedeutung als Diskriminierungsstruktur thematisiert

würde? Und es in der gewerkschaftlichen Auseinandersetzung nicht nur um leichte Angleichungen, Anhebungen von Löhnen und leichte Verbesserungen der Arbeitsbe-dingungen gehen würde, sondern um eine Hinterfragung der machtvollen, kulturellen Voraussetzungen dieser Ökonomie?

IV Ausblicke:

Im Dokument Rosa-Luxemburg-StiftungManuskripte 63 (Seite 99-102)