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Der Begriff »classism«

Im Dokument Rosa-Luxemburg-StiftungManuskripte 63 (Seite 89-92)

III Klassismus: Institutionelle, individuelle und kulturelle Diskriminierung aufgrund

1. Der Begriff »classism«

Unter »classism« wird im Kontext von Social Justice-Bewegungen analog zu Rassis-mus, SexisRassis-mus, Heterosexismus u.ä. eine Diskriminierungs- und Unterdrückungsform verstanden. Dementsprechend definiert sich der Begriff vom Denken der Diskriminie-rung und Unterdrückung her: zum einen bedeutet Unterdrückung und DiskriminieDiskriminie-rung der Ausschluss von materiellen Ressourcen und politischer Partizipation, zum anderen die Verweigerung von Anerkennung als Mensch in seinen Rechten, Lebens- und Seins-weisen. Classism ist abgeleitet vom Begriff »class«, der im angloamerikanischen Raum unterschiedliche theoretische Ansätze und Schwerpunktsetzungen bedeuten kann: class, social class, social-economic class, die Definitionen sind oft geprägt durch die Interpretation der Politischen Ökonomie von Karl Marx und den Klassenbegriff Max Webers. Wie die ökonomische Bestimmung von Klasse dann erfolgt, ist abhän-gig vom jeweiligen theoretischen Bezugspunkt.78Der in Social Justice-Kontexten ver-wendete Begriff von »class« legt in der Regel eine Unterteilung in folgende Klassen zugrunde:

Ruling Class: Herrschende politische Klasse

Owning Class/Rich: Besitzende Klasse, die andere für sich arbeiten lassen kann, ohne selbst unbedingt arbeiten zu müssen

78 Einen guten Überblick über verschiedene Klassendefinitionen gibt Wright 1999; 2003

Middle Class: Hohe Einkommen, hoher Bildungsgrad, hohe Sicherheitsfaktoren Upper-Middle-Class: höhere Einkommen, gut qualifizierte Jobs

Lower-Middle-Class: geringere und weniger stabile Einkommenssituation, weniger qualifizierte, instabile Jobsituation.

Working Class: ArbeiterInnenklasse. Haushalte deren Einkommen auf einer nach Stunden entlohnten Arbeit besteht.

Lower Class/Poor People: Haushalte, deren Einkommen es schwierig macht, die ma-teriellen Grundbedürfnisse des Lebens abzudecken

(Adams 1997, 238).

Bezug genommen wird auch auf andere, ähnliche Klassenbegriffe wie zum Beispiel die von Erik O. Wright (1985) oder John Goldthorpe (2004).

Um jedoch von »classism« sprechen zu können, wird die Annahme zugrunde ge-legt, dass mit dem ökonomischen Status in der Gesellschaft unterschiedliche außer-ökonomische Anerkennungsformen und Wertschätzungen einhergehen. Dementspre-chend wird »classism« dann definiert als: »The institutional, cultural, and individual set of practices and beliefs, that assign differential value to people according to their socio-economic class; and an economic system which creates excessive inequality and causes basic human needs to go unmet« (Adams 1997, 238).79Mit dem Begriff »Un-gleichheit« ist aber noch kein Diskriminierungs- und Unterdrückungszustand be-schrieben. »Classism« liefert als affirmativer »Negativ«begriff, ebenso wie »racism«,

»sexism«, »heterosexism«, »ableism« u. a. zunächst einmal eine Grundlage dafür, be-stehende Verhältnisse in ihren aberkennenden und brutalen Formen zu beschreiben, zu kritisieren, sich grundsätzlich dagegen zu positionieren und Alternativen sichtbar zu machen. Andere Definitionen von »classism« ähneln der vorgestellten von Adams, da-bei geht es immer um die Thematisierung der Macht- und Herrschaftsverhältnisse auf allen Ebenen:

»Classism can be defined as the systematic oppression of one group by another based on economic distinctions, or more accurately one’s position within the system of production and distribution« (Barone o. J., 8).80

Dabei wird davon ausgegangen, dass die ökonomische Distinktionslinie mit weite-ren Distinktionslinien verknüpft ist:

»Classism is the systematic oppression of poor people and people who work for wa-ges by those who have access to control of the necessary resources by which other peo-ple make their living. Classism is also held in place by a system of beliefs which ranks people according to economic status, »breeding, « job and level of education. Classism

79 Das institutionelle, kulturelle und individuelle Repertoire an Praxen und Vorstellungen, durch die Menschen auf-grund ihres unterschiedlichen ökonomischen Status’ ein unterschiedlicher Wert zugeschrieben wird; dies im Kon-text eines ökonomischen Systems, durch das massive Ungleichheit bis hin zu Armut produziert wird.

80 Klassismus kann definiert werden als die systematische Unterdrückung einer Gruppe durch eine andere, basie-rend auf ökonomischen Unterscheidungen, oder genauer formuliert: basiebasie-rend auf der Position einer Person in-nerhalb des Produktions- und Distributionssystems.

says that upper class people are smarter and more articulate than working class and poor people. It is a way of keeping people down, it means upper-middle class and wealthy people define for everyone else what »normal« or »acceptable« is. Many of us have come to accept this standard as the norm and many of us have bought the myth that most of the country is middle class« (Handbook of Nonviolent Action).81

Klassismus beschreibt ein System der Zuschreibung von Werten und Fähigkeiten, die aus dem ökonomischen Status heraus abgeleitet oder besser: erfunden werden:

»Classism is the systematic assignment of characteristics of worth and ability based on social class. It includes individual attitudes and behaviors; systems of pol-icies and practices that are set up to benefit the upper classes at the expense of the lower classes, resulting in drastic income and wealth inequality; the rationale that sup-ports these systems and this unequal valuing; and the culture that perpetuates them«.82 Garrity definiert Klassismus als einen Prozess der dazu dient, die politisch und so-zial strukturierten Klassenunterschiede dadurch zu verleugnen, dass die Armen dafür verantwortlich gemacht werden (Garrity 2005, 23).

Über all diese Mechanismen und Strukturen werden Lohnabhängige, Arme, Ar-beitslose als Defizitklasse konstruiert: sie werden der Sichtbarkeit und Anerkennung für nicht würdig gehalten, lächerlich gemacht und herabgesetzt, »as persons of no con-sequences« (»Personen ohne Bedeutung«) deklariert (Moon/Rolison 1996, 129). Of-fenbar ist es zur Aufrechterhaltung eines Ausbeutungssystems nicht ausreichend, eine ungleiche Entlohnung und ungleiche Reichtumsverhältnisse herzustellen, sondern es bedarf zusätzlicher Mechanismen der Hierarchisierung. Im Spiegel dieser Erfindungen von Defizitkulturen, denjenigen zugeordnet, die weniger Geld haben und erhalten, er-scheint die Entlohnung selbst als eine Erfindung mit nur einem einzigen Sinn: Un-gleichheit und Herrschaft aufrechtzuerhalten. Klassismus abschaffen zu wollen, be-deutet zwangsläufig dann auch, jede Art von ungleicher materieller Lebenssituation aufzuheben und unterschiedliche Arbeiten oder Tätigkeiten gleich zu werten.

81 Klassismus ist die systematische Unterdrückung der armen Menschen und der Lohnabhängigen durch diejenigen, die Zugang zur Kontrolle der für alle zum Leben notwendigen Ressourcen haben. Klassismus wird ebenso auf-rechterhalten durch ein Glaubenssystem, in dem Menschen aufgrund ihres ökonomischen Status’, ihrer Kinder-zahl, ihres Jobs, ihres Bildungslevels hierarchisiert werden. Klassismus sagt, dass Menschen aus einer höheren Schicht klüger sind und sich besser artikulieren können als Menschen aus der Arbeiterklasse oder arme Men-schen. Es ist eine Art und Weise, Menschen klein zu halten, damit ist gemeint, dass Menschen aus der höheren Klasse und reiche Menschen definieren, was »normal« oder »akzeptiert« ist. Viele von uns haben diese Standards als die Norm akzeptiert und viele von uns haben den Mythos gekauft, dass die meisten im Land zur Mittelklas-se gehören.

82 Klassismus ist die systematische, charakteristische Zuschreibung von Wert und Fähigkeit basierend auf sozialer Klassenzugehörigkeit. Klassismus schließt folgendes ein: individuelle Haltungen und Verhaltensweisen; politi-sche Systeme und Praxen, die eingesetzt werden, um den höheren Klassen auf Kosten der unteren Klassen Vor-teile zu schaffen, daraus resultieren drastische Einkommens- und Reichtumsunterschiede; die Rationalität, die diese Systeme unterstützt und die Ungleichheit bewertet; die Kultur, die das immer wieder hervorbringt. Vgl.

http://www.classism.org/ [20.6.2006]

Im Dokument Rosa-Luxemburg-StiftungManuskripte 63 (Seite 89-92)