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Social Justice-Bildungsarbeit: Zwei Praxisbeispiele

Im Dokument Rosa-Luxemburg-StiftungManuskripte 63 (Seite 67-77)

Theorie und Praxis in den USA und Großbritannien

3. Social Justice in der Praxis

3.2. Social Justice-Bildungsarbeit: Zwei Praxisbeispiele

Social Justice-Bildungsarbeit richtet sich potentiell an alle Menschen. Zur Bildungs-arbeit von Social Justice gehören: Informations- und AufklärungsBildungs-arbeit; Schulungsar-beit in Mobilisierungs-/Organisierungsfertigkeiten und (Selbst-)Reflexionstechniken;

Transformationskampagnen. Diese Herangehensweise ist einem Menschenbild ge-schuldet, welches den Menschen in beständiger, aber keineswegs determinierter Ent-wicklung sieht. Diese EntEnt-wicklung findet über die Aneignung der Welt durch verbale und nonverbale soziale Erfahrungen statt. Bildung ist im pragmatistischen Verständnis der Gedanke, dass über Bildung Erfahrung organisiert und strukturiert, das heißt auch:

ergänzt, bereichert, korrigiert etc. werden kann. Wenn in Bildungsprozessen

Erfahrun-gen gemacht und verarbeitet werden, dann spielt die Frage nach der Art der Bildungs-prozesse eine wichtige Rolle. Denn wenn wir wissen, dass bestimmte Situationen Menschen verletzen oder traumatisieren, dann geht es in Social Justice-Bildungspro-zessen darum, andere Erfahrungen zu organisieren bzw. ein Verstehen für gemachte Diskriminierungserfahrungen herzustellen und gleichzeitig Möglichkeiten für andere Erfahrungen zu organisieren. Dies geschieht auch über die Tätigkeit des Sich-Bildens.

Wie diese Tätigkeit des Sich-Bildens konkret aussehen kann, möchte ich an zwei ty-pischen Social Justice-bezogenen Bildungsmaterialien zeigen45: dem Diversity und Social Justice Education Training, wie es als Arbeitsmaterial für den Studiengang So-cial Justice Education entwickelt worden ist und den Materialien der Organisation

»Tolerance.org«. Diese Beispiele wurden auch ausgewählt, weil sie frei zugänglich sind, jede und jeder sie verwenden kann. Das Diversity and Social Justice Education Training der University of Massuchusetts ist das avancierste und im englischsprachi-gen Raum sehr bekannte Training. Das Team, welches dieses Training über viele Jah-re entwickelt hat, hat damit eine VorJah-reiterInnenrolle übernommen und auch einen wichtigen Beitrag in der Kombination von Theorie und Praxis geleistet. Dieses Trai-ning wird an Hand des Materials, vorliegend in Buchformen, vorgestellt. Zugleich kann ich hier auf eine mehrjährige Erfahrungsressource zurückgreifen, da dieses Trai-ning von mir und meiner Kollegin Leah C. Czollek46 in zahlreichen Seminaren in Hochschulen, sozialen Projekten, Gewerkschafts- und Verwaltungszusammenhängen in Deutschland praktiziert worden ist und wird.

Das »Tolerance-Material« ist kein ausgearbeitetes Trainingsprogramm, sondern ein gebündeltes Material, welches zum Teil auch in Trainingskontexten verwendet werden kann, aber auch zum Selbsttraining. Es richtet sich an alle Bürgerinnen und Bürger.

Dieses Material wird hier auf der Grundlage von im Internet als Ressourcen bereit ge-stellten Materialien skizziert.

3.2.1.»tolerance.org«: Bildungs- und Aktionsmaterial

Bei »tolerance.org« handelt es sich um ein Onlinerressourcencenter. Der Schwerpunkt liegt auf der Unterstützung von Initiativen in der Kommune, am Arbeitsplatz, in der Familie, in Schulen. Diese Initiativen sollen sich zum einen gegen jede Art von Hass und Diskriminierung richten und zum anderen Toleranzalternativen mobilisieren, or-ganisieren und installieren. Zur Verfügung gestellt werden: täglicher Nachrichtenser-vice über Gruppen und Individuen, die sich für Toleranz und gegen Hass einsetzen;

Handbücher für erwachsene und jugendliche AktivistInnen; Praxisressourcen für El-tern, LehrerInnen und SchülerInnen; Spiele für ganz junge Kinder. Unter den

Mate-45 Typisch nenne ich diese Materialien deswegen, weil in diesen Trainingsprogrammen bzw. Kampagnenmateriali-en DiskriminierungKampagnenmateriali-en in ihrer Vielfalt und in der Verschränkung ineinander in dKampagnenmateriali-en Mittelpunkt gestellt und gleichzeitig Wege zum Handeln aufgezeigt werden.

46 Vgl. deren Webseite: http://www.czollek-consult.de

rialien befinden sich auch Handbücher zu einem alternativen Sprachgebrauch; zu ver-steckten und nicht beachteten historischen Ereignissen im Engagement für Toleranz und gegen Gewalt und Hass; eine kleines Onlinemuseum zur Geschichte der Bürge-rInnenrechtsbewegungen; Erklärungen und Analysen zu »Hassseiten« derjenigen Or-ganisationen, die Diskriminierung bewusst ausüben.

Finanziert wird »tolerance.org« neben Spenden (von großen Unternehmen wie z. B.

Yahoo) wesentlich durch ein anderes großes Center: das »Southern Poverty Law Cen-ter«.47

Die Materialien sind mit ansprechenden Fotos und kurzen, inhaltsstarken und pra-xisbezogenen Texten sehr gut aufbereitet. Dahinter steht ein Social Justice-Verständ-nis, welches die Notwendigkeit der Thematisierung und Einbeziehung jeder Art von Diskriminierung ebenso fokussiert wie alle gesellschaftlichen Ebenen als verände-rungsbedürftig anerkennt. Es wird betont, dass die Materialien aus unzähligen Erfah-rungen in der Communityarbeit entwickelt wurden und beständig durch die Informa-tionen, die viele Menschen an das Center schicken, erweitert werden. Sehr wichtig ist, wie in jedem Social Justice-Ansatz, die Unterscheidung zwischen denjenigen, die je-weils diskriminiert werden und denjenigen, die als »TäterInnen« aktiv diskriminieren, wobei nicht ausgeschlossen wird, dass AktivistInnen für Toleranz auch Vorurteile ha-ben und diskriminieren können.

Im Leitfaden »Ten Ways to fight hate, A community response guide«48werden zehn Schritte jeweils im Detail erläutert: Handeln; Verbündete suchen; Opfer unterstützen;

Informationen über TäterInnengruppen einholen; Alternativen herstellen, ohne mit Hass oder Gewalt zu antworten; Öffentlichkeit in seriösen Medien herstellen; Politi-kerInnen und öffentliche Personen zur Positionierung gegen Hass und Diskriminie-rung auffordern; Langzeitaktivitäten wie regelmäßige Demos oder Webseiten herstel-len; in den Schulen die Erziehung zur Toleranz verstärken; Verbindungen zu anderen diskriminierten Gruppen herstellen und eigene Vorurteile und Stereotype überprüfen und sich selbst verändern.

Es geht darum, jede Diskriminierung ernstzunehmen, zum Beispiel eine herabset-zende Bemerkung gegenüber einem Latinoamerikaner in einem Amt oder die Diskri-minierung eines Schwulen am Arbeitsplatz. Denn sobald irgendeine Form von Herab-setzung akzeptiert wird und nicht durch Handeln dieser entgegengetreten wird, ist die Tür auf für weitere Diskriminierungen und eine Fortsetzung der Praxen. Dabei geht es immer darum, Formen zu finden, die selbst weder Gewalt noch Hass produzieren. In den Materialien werden viele Beispiele für erfolgreich durchgeführte Aktivitäten be-richtet und der Austausch von Ideen und Erfahrungen gewünscht. Auch ergeht die Auf-forderung in der Bevölkerung Geld zu sammeln, mit dem Toleranzaktivitäten finan-ziert werden können. Die aktive Verpflichtung auf »Not in our town« (»Nicht in

47 Vgl.: http://www.splcenter.org/ [20.6.2006]

48 Zehn Wege, Hass zu bekämpfen. Ein Leitfaden mit Antworten für die Kommune.

unserer Stadt«) soll zu einer moralischen Barriere gegen Hassaktivitäten errichtet wer-den: »Justice must become an intuitive law.«49

Das Arbeitsmaterial »101 Tools for Tolerance. Simple ideas for promoting equity and celebrating diversity«50(2000) richtet sich an jede/n BürgerIn. Es liefert Ideen, wie jeder Einzelne sich verändern kann: durch Lesen von Literatur zu einem Thema, wo Vorurteile bestehen oder durch Gespräche mit Menschen mit Diskriminierungserfah-rungen, durch Besuche von Seminaren, durch Lernen einer Sprache usw. Das Materi-al gibt Ideen, wie innerhMateri-alb von Familien – oder Freundeskreisen über Diskriminie-rung geredet werden kann und Hass in diesen Umfeldern unterbrochen werden kann, unter dem Titel: »Not in my home« (»Nicht in meinem Zuhause«). Spezielles Materi-al für Schulen wird zur Verfügung gestellt: »Responding to hate at school. A guide for teachers, counselors and administrators« (1999).51 Der Leitfaden gibt Unterstützung dabei, so konsequent wie möglich auf allen Ebenen der Schule klare Absagen ge-genüber Hass und Intoleranz zu erteilen und entsprechende Ordnungen zu erlassen u.v.m.52Des weiteren stehen Empfehlungen für die Aktionsarbeit am Arbeitsplatz zur Verfügung. Dabei ist eine Anregung, ein weites Netz herzustellen, um Arbeitskräfte zu finden, die auch aus »people of color« – Communities kommen oder ein anderes Bei-spiel, die Behindertengerechtheit am Arbeitsplatz zu überprüfen und zu thematisieren.

Weitere Empfehlungen werden für das Gemeinwesen ausgesprochen, wie zum Bei-spiel sicherzustellen, dass Lesben und Schwule in der Kommune sicher leben können oder alle Sprachen in der Kommune auf der politischen Ebene berücksichtigt werden.

»Speak up!« (»Sprich frei«) ist ein Handbuch mit vielen Anregungen und einem Schwerpunkt auf der Unterstützung gerade im Nahbereich, Familien, FreundInnen, Schule, Arbeit, wo Menschen eng mit anderen Menschen zu tun haben und die Erfah-rung machen, dass sie von diesen diskriminiert werden oder dass sich Menschen dis-kriminiert fühlen. Es geht darum, Geschichten und Fälle von Diskriminierungen zu sammeln, sie zu verwenden, öffentlich zu machen: Berichte über Erfahrungen von Menschen, die diskriminiert wurden oder selbst mit ihrer eigenen aktiven Diskrimi-nierungsstruktur konfrontiert wurden. Das Handbuch bietet viele Beispiele, wie Dis-kriminierung zum Gegenstand gemacht werden kann, wie mit Menschen im unmittel-baren nahen Umfeld geredet werden kann. »Speak up!« kann als Kampagne installiert werden oder auch als Trainingsprogramm.

Social Justice kann im Verständnis von tolerance.org also nur realisiert werden, wenn Ungerechtigkeit immer und überall thematisiert wird und Schweigen,

Internali-49 Gerechtigkeit muss ein intuitives Gesetz werden.

50 101 Werkzeuge für Toleranz. Einfache Ideen, um Gleichheit zu befördern und Diversity umzusetzen. Ebenso ein Leitfaden für die Arbeit an Colleges und Hochschulen: »10 Ways to fight hate on campus. A response guide for college activists« (o. J.) (10 Wege Hass auf dem Campus zu bekämpfen. Ein Leitfaden mit Antworten für Col-lege-AktivistInnen.)

51 Auf Hass an den Schulen antworten. Ein Leitfaden mit Antowrten für LehrerInnen, BeraterInnen und Verwal-tungsmitarbeiterInnen.

52 http://www.umass.edu/sje/overview.html [20.6.2006]

sierung, Passivität, Gleichgültigkeit durch Engagement und Aktivität abgelöst werden.

Die politische Arbeit setzt mit pragmatischen Mitteln bei der Idee der Aktivierung an.

Die Materialien von tolerance.org lesen sich wie eine sehr praktische Ausdifferen-zierung der Bausteine des Social Justice Education Programms von Adams u. a. , wel-ches ich im folgenden Teil vorstellen möchte. Dieses Programm hat offenbar den Rah-men für die vielen, hilfreichen Konkretisierungen in den Handreichungen von tolerance.org (und auch von anderen Centern) abgegeben, woran zugleich die unend-liche kreative Erweiterbarkeit von politischem, sozialem Engagement gegen Diskri-minierung und für Toleranz deutlich wird.

3.2.2. Diversity und Social Justice Education

Social Justice Education ist ein seit 1987 bestehender, interdisziplinärer Master- und Promotionsstudiengang an der University of Massachusetts in Amherst.53In ihm wer-den Personen ausgebildet, die auf irgendeine Weise im formalen Bildungssystem, vom Kindergarten bis zu den Colleges arbeiten, sei es als LehrerInnen, in der Verwaltung, in der Beratung oder Supervision, in der LehrerInnen- oder BeraterInnenausbildung, in SchülerInnenprogrammen und ähnlichen Feldern im Kontext des formalen, offizi-ellen Bildungssystems. In der Formulierung der Ziele und Grundlagen des Studien-gangs beziehen sich die OrganisatorInnen des StudienStudien-gangs auf Iris Marion Young54 und auf die von mir bereits dargestellten Ansätze und Grundlagen von Social Justice:

»The approaches to theory and practice taken by Social Justice Education are rooted in the civil rights social movements of the past forty years, within which concepts such as social justice, oppression and liberation are central categories for analyzing, eva-luating and transforming interlocking systems of discriminatory institutional structures and cultural practices. Students in social justice education study the inequities that people experience on the basis of their social group memberships, through systems of constraint and advantage reproduced through the social processes of exploitation, mar-ginalization, powerlessness, cultural imperialism, and violence (Young, 1990). Social justice education pays attention to the resources that individuals, families, and com-munities bring to personal and social change and to the transformation of educational institutions and practices. Social justice education also pays careful attention to pro-cess in educational and structural interventions and practices. This attention to propro-cess includes balancing the emotional with the cognitive; acknowledging and supporting the personal while analyzing and intervening in social systems; attending to social re-lations within and among families, schools and communities; developing competen-cies in collaboration and interrelationships as well as education and advocacy.«55

53 http://www.umass.edu/sje/overview.html [20.6.2006]

54 Im Unterschied zur Bundesrepublik haben in den USA Gerechtigkeitsphilosophinnen wie Iris Marion Young oder Martha Nussbaum einen direkten Einfluss auf die praktische Politik und Bildung. Philosophische Ideen werden als unmittelbare Optionen für das pädagogische Handeln betrachtet (vgl. u. a. Eisenberg 2006; Gerwitz 2006;

Enslin 2006; zu Nussbaum: Walker 2003).

55 Die Zugänge zur Theorie und Praxis von Social Justice Education wurzeln in den Sozialen

BürgerInnernrechts-Aus diesem Studiengang und zwanzigjährigen Erfahrungen eines multikulturellen Teams in Social Justice Education sind zwei komplexe Arbeitsbücher hervorgegangen, zum einen das Trainingsprogramm (Adams u. a. 1997), zum anderen ein dazu gehörendes Buch mit Theorie-/Praxistexten (Adams u. a. 2000).

Im Trainingshandbuch werden sehr detailliert die Übungen, ihre Ziele sowie wich-tige Punkte, die für TrainerInnen und Lehrende zu beachten sind, beschrieben. Im er-sten Teil des Buches werden die theoretischen und pädagogischen Grundlagen erläu-tert, im letzten Teil werden konkrete Fragen, die für TrainerInnen und LehrerInnen aus der Praxis entstanden sind an Schwerpunktthemen, beantwortet. Dazwischen werden sieben inhaltlich unterschiedliche Trainings, »curriculum designs«, präsentiert.

Das Ziel von Social Justice Education umschließt eine Vision einer Gesellschaft, in der die Teilhabe von allen Mitgliedern an den gesellschaftlichen Ressourcen gegeben ist und die physische und psychische Sicherheit und demokratische Entfaltungsmög-lichkeit allen erlaubt ist. Social Justice setzt in diesem Verständnis AkteurInnen vor-aus, die selbst handeln, zugleich soziale Verantwortung für andere und die Gesell-schaft übernehmen (Adams u. a. 1997, 1).

bewegungen der vergangenen 40 Jahre, innerhalb derer solche Konzepte wie Social Justice, Unterdrückung und Befreiung zentrale Kategorien sind, um ineinandergreifende Systeme von diskriminierenden institutionellen Strukturen und kulturellen Praxen zu analysieren, zu bewerten und zu transformieren. Studierende von Social Ju-stice Education studieren die Ungleichheiten der Menschen, die sie als Mitglieder ihrer sozialen Gruppen erfah-ren durch: Zwangssysteme, Vorteilssysteme, die durch Ausbeutung, Marginalisierung, Machtlosigkeit, kulturel-len Imperialismus und Gewalt reproduziert werden (Young 1990). Social Justice Education legt ein Augenmerk darauf, dass die Ressourcen so genutzt werden, dass für Individuen, Familien und Kommunen persönliche und gesellschaftliche Veränderung möglich wird und auch Erziehungsinstitutionen und -praktiken transformiert wer-den. Social Justice Education achtet auch vorsichtig darauf, pädagogische und strukturelle Interventionen und Praktiken zu steuern. Die Achtsamkeit auf diesen Prozess schließt auch ein, die Balance zwischen dem Emotio-nalen und dem Kognitiven zu halten, die persönliche Seite anzuerkennen und zu unterstützen und gleichzeitig die gesellschaftlichen Systeme zu analysieren und dort zu intervenieren; die sozialen Beziehungen innerhalb und zwischen Familien, Schulen, Kommunen zu begleiten; Kompetenzen für die Zusammenarbeit und die Herstel-lung von Beziehungen ebenso zu entwickeln wie für Erziehung und Fürsprache

Ich glaube nicht, dass man Social Justice lehren kann, man muss das leben. Um et-was über Social Justice zu erfahren, muss man Erfahrungen damit machen. … Für LehrerInnen ist die einzige Antwort darauf, die Schulen zu Orten zu machen, an de-nen Social Justice umgesetzt wird. Wenn wir Schulen so gestalten könde-nen, an dede-nen Social Justice so etwas wie eine Realität darstellt – wo Menschen vernünftig, hu-man und mit Respekt behandelt werden – dann haben wir die Chance unsere Kin-der zu lehren, was Social Justice heißt. (George Wood: Teaching for Social Justice hg. v. William Ayers)

Den theoretischen Rahmen bilden Theorien der Unterdrückung und Diskriminie-rung, Texte dazu finden sich in der Anthologie (Adams u. a. 2000). Den pädagogischen Rahmen bilden Methoden der Gruppendynamik, der Gesprächsführung, des Psycho-dramas, also Methoden aus Feldern der humanistischen Pädagogik und Psychologie.

Dabei spielen die Ansätze von Paulo Freire eine wichtige Rolle. Nicht zuletzt sind auch Theorie und Praxis der Aktivierung und des strategischen Handelns mit einge-gangen.

Social Justice Education wird als Prozess und Ziel verstanden. Dabei werden die Ziele in die Praxis des Trainings integriert, gewissermaßen im Training und im Bil-dungsprozess gelebt, ein neues Handeln findet im geschützten Raum statt. Die Ge-währleistung von Schutz (vor Diskriminierungen und Verletzungen) und die Herstel-lung einer sicheren Atmosphäre ist eine entscheidende Aufgabe der TrainerInnen.

Das Training ist eine intensive Auseinandersetzung mit Vorurteilen und jahrhun-dertealten, immer wieder aktualisierten Stereotypen und Vorurteilen. Diese Auseinan-dersetzung findet auf vielen Ebenen statt: im Seminar selbst (der Ort des Hier und Jetzt der Auseinandersetzung); bezüglich der persönlichen Erfahrungsgeschichte; bezüglich der Familiengeschichte und nahen Umfeldgeschichte; bezüglich des Gemeinwesens, in dem die Einzelnen leben (Arbeits- und Lebensumfeld); bezüglich der Geschichte des jeweiligen Landes: Geschichte der Intoleranz (Gesetze, Kultur etc.) (Allen 1999, 25). Dabei geht es zum einen darum, Intoleranz, Diskriminierung, Vorurteile zu er-kennen und zu analysieren und gleichzeitig Verständnis für die Diskriminierten und deren Verletzungs- und Ausgrenzungsgeschichten zu entwickeln sowie Eigenbeteili-gungen an der Reproduktion von Herrschaft zu erkennen.

Die Trainings sind auf jeweils zwei Tage angelegt. Da sie Alternativen bezüglich der Übungen und des Einsatzes von Material offerieren, können die Themen auch län-ger behandelt und auf beispielsweise vier Tage ausgedehnt werden. Je nachdem ob und wie viele theoretische Texte einbezogen werden, erhöht sich der Zeitaufwand.

Das gesamte Programm besteht aus einem Grundmodul bzw. Basistraining, auf das die Schwerpunkttrainings aufbauen. Die sieben Schwerpunkttrainings, die im Konzept ausgearbeitet vorliegen sind: Rassismus, Sexismus, Heterosexismus, Antisemitismus, Ableismus (Behindertendiskriminierung), Klassismus (Klassendiskriminierung). Dabei handelt es sich nur um eine Auswahl von Diskriminierungsformen. Prinzipiell muss das Training als erweiterbar gedacht werden. Es kann dementsprechend für andere Diskri-minierungen entwickelt werden (wie zum Beispiel Altersdiskriminierung).56

Das Basistraining ist unabdingbare Voraussetzung für die Teilnahme an den Schwer-punkttrainings. Hier werden die Grundlagen dafür gelegt, Diskriminierung und ihre Komplexität sowie das Zusammenspiel und die Überlagerungen verschiedener Diskri-minierungen überhaupt zu verstehen. Es wird ein Wissen erarbeitet, auf das in den an-deren Trainings immer wieder zurückgegriffen wird. Dazu gehört auch der lern- und kommunikationstheoretische bzw. praktische Einstieg in die Arbeit. Zu Beginn werden Kommunikationsregeln vereinbart, die im Laufe des Seminars helfen sollen, eine

56 Das Training bedarf auch an sich einer ständigen Aktualisierung, so sind zum Beispiel im Curriculum die neuen Queerdebatten nicht miteingeflossen. Bei der Adaption des Trainings haben meine Kollin Leah C. Czollek und ich dies miteinbezogen, des weiteren haben wir eigene Module zum Thema »Antiziganismus« und »Altersdis-kriminierung« ausgearbeitet.

durchweg respektvolle und von wechselseitigem Interesse und wechselseitiger Offen-heit geprägte Arbeitsatmosphäre herzustellen, in der Kontroversen und Konflikte den-noch möglich sind und konstruktiv bearbeitet werden können. Es werden zudem die Annahmen vorgestellt, die dem Trainingsprogramm zugrunde liegen, hierzu gehört un-ter anderen: es geht nicht um Moralisierungen und Beschämungen, sondern um Verste-hen und Reflexion, Öffnung der Denkräume und das Aushalten von unterschiedlicVerste-hen Positionen und neuen Erfahrungen und die Umwandlung in neue Handlungsoptionen.

Zudem wird keine Hierachisierung von Unterdrückung und Diskriminierung vorge-nommen, sondern es geht um ein Erkennen der allen Unterdrückungs- und Diskrimi-nierungsformen zugrundeliegenden strukturellen Bedingtheiten sowie ein Erleben der Sinnhaftigkeit, miteinander statt gegeneinander zu denken und zu handeln. Die Teil-nehmerInnen bekommen zu Beginn des Trainings auch eine Idee davon vermittelt, wie Lernen in solchen Trainings ablaufen kann, welche Möglichkeiten der Erweiterung ih-nen daraus erwachsen könih-nen und welche Schwierigkeiten auftreten könih-nen, wenn sie mit den Diskriminierungen von anderen, ihren eigenen aktiven und erlittenen Diskri-minierungserfahrungen konfrontiert sind. Dabei soll es nie um Schuldzuweisungen oder Sich-schuldig-Fühlen gehen, sondern um Begreifen. Dieses Begreifen kann aber durchaus schwierig oder schmerzhaft sein, aber auch lustvoll und anregend oder alles zugleich. Die Reflexion über das, was Lernen verhindert, ist zugleich bereits eine Ein-führung in eine Grundeinheit, nämlich das Thema Stereotype, (Vor-)urteile, »Trigger«, so die Bezeichnung für Sätze, die Verletzungen und das Gefühl des Diskriminiert- und Herabgesetzt-Werdens auslösen. Sie wirken wie sprachliche Gewehrschüsse und wer-den zugleich zu Hemmschuhen in der Kommunikation, wie zum Beispiel: »Obdachlo-se wollen doch so leben«; »Männer sind einfach stärker«; »Jugendliche nehmen doch alle Drogen«; »Juden wollen die Geschichte nicht ruhen lassen«; »Schwule haben doch

Zudem wird keine Hierachisierung von Unterdrückung und Diskriminierung vorge-nommen, sondern es geht um ein Erkennen der allen Unterdrückungs- und Diskrimi-nierungsformen zugrundeliegenden strukturellen Bedingtheiten sowie ein Erleben der Sinnhaftigkeit, miteinander statt gegeneinander zu denken und zu handeln. Die Teil-nehmerInnen bekommen zu Beginn des Trainings auch eine Idee davon vermittelt, wie Lernen in solchen Trainings ablaufen kann, welche Möglichkeiten der Erweiterung ih-nen daraus erwachsen könih-nen und welche Schwierigkeiten auftreten könih-nen, wenn sie mit den Diskriminierungen von anderen, ihren eigenen aktiven und erlittenen Diskri-minierungserfahrungen konfrontiert sind. Dabei soll es nie um Schuldzuweisungen oder Sich-schuldig-Fühlen gehen, sondern um Begreifen. Dieses Begreifen kann aber durchaus schwierig oder schmerzhaft sein, aber auch lustvoll und anregend oder alles zugleich. Die Reflexion über das, was Lernen verhindert, ist zugleich bereits eine Ein-führung in eine Grundeinheit, nämlich das Thema Stereotype, (Vor-)urteile, »Trigger«, so die Bezeichnung für Sätze, die Verletzungen und das Gefühl des Diskriminiert- und Herabgesetzt-Werdens auslösen. Sie wirken wie sprachliche Gewehrschüsse und wer-den zugleich zu Hemmschuhen in der Kommunikation, wie zum Beispiel: »Obdachlo-se wollen doch so leben«; »Männer sind einfach stärker«; »Jugendliche nehmen doch alle Drogen«; »Juden wollen die Geschichte nicht ruhen lassen«; »Schwule haben doch

Im Dokument Rosa-Luxemburg-StiftungManuskripte 63 (Seite 67-77)