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Das Berliner Konzept zur Integration und Migration

Im Dokument Rosa-Luxemburg-StiftungManuskripte 63 (Seite 35-38)

4. Die Umsetzung europäischer Antidiskriminierungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland

4.3. Das Berliner Konzept zur Integration und Migration

Dieses Problemfeld: die staatliche Orientierung und ihr Verhaftetsein in traditionellen Strukturen sowie der Mangel an Zivilstrukturen möchte ich an einem Beispiel aufzei-gen. Der Berliner Senat hat am 1.2.2005 einer Berliner Senatsleitstelle gegen Diskri-minierung eingerichtet und somit einen aktiven Schritt unternommen. Die Aufgabe der Leitstelle ist: Beratung, Moderation von Konflikten, Dokumentation und Faktensamm-lung, BerichterstelFaktensamm-lung, Öffentlichkeitsarbeit, Zusammenarbeit mit der Bundesregie-rung und NGOs. Der Schwerpunkt ist auf Migration (Rassismus) und Weltanschauung gesetzt (Kroker-Stille 2005). Für Felder wie Behinderung, gleichgeschlechtliche Le-bensweisen, Frauen existieren bereits Senatszuständigkeiten. Ebenfalls im Jahr 2005 hat der Senat ein Konzept zur Integration und Migration verabschiedet: »Berliner Beiträge zur Integration und Migration. Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken. Das Integrationskonzept für Berlin, beschlossen vom Berliner Senat am 23.8.2005, Druck-sache 15/4208 Berliner Abgeordnetenhaus.«

Dieses vom Berliner Senat verabschiedete Konzept weist die Umbruchsituation aus, in der sich die bundesdeutsche Politik derzeit teilweise befindet und reflektiert da-her auch noch Reflexe traditioneller (Anti)diskriminierungspolitik in Deutschland.

Das Konzept fokussiert »Integration«, nicht Kooperation oder Austausch oder Gerechtigkeit. Mit dem Stichwort »Integration« (wörtlich: Eingliederung) wird ange-zeigt, dass es hier um die »Dominanzgesellschaft« geht, die den hier lebenden »An-deren« ein Angebot für die Teilhabe macht. Dieses Angebot wird auf der Organisati-onsebene durch die Einbeziehung von verschiedenen Organisationen realisiert. Dabei handelt es sich nicht nur um MigrantInnenorganisationen, sondern auch um andere in der Antidiskriminierungsarbeit tätige Organisationen wie Schwulen-/Lesbenorganisa-tionen. Mit diesem Integrationsbeirat hat der Senat einen kleinen Schritt zur Verbes-serung politischer Partizipation getan. Das Konzept beginnt mit dem Satz: »Berlin ist eine von Einwanderung geprägte Stadt.« Die Wahrheit dieses Satzes, nämlich dass Berlin sich mit diesem Satz nicht als Einwanderungsstadt mit einer aktiven Einwan-derungspolitik definiert, wird in dem Konzept jedoch auch deutlich. Zwar kritisiert das Konzept die mangelnde Zuwanderung und spricht sich für eine »offensive Zuwanderungspolitik« aus, Maßnahmen werden jedoch nur hinsichtlich der »Will-kommenspolitik« (bessere Information und Integration, Sprachkurse) oder der Er-leichterung von Einbürgerung und Aufenthalt formuliert, eine offensive Einwan-derungspolitik wird nicht festgelegt (Maßnahmen zur gezielten Werbung von Menschen aus anderen Ländern, Forderung nach Lockerung und Verbesserung der Asylpolitik, Legalisierung von Flüchtlingen). Dies geschieht nicht mal dort, wo von Wirtschaft und internationaler Vernetzung von Wirtschaft die Rede ist. Bei der For-mulierung, dass die Stadt einen »Wettbewerb um kluge und aktive Menschen« (ebd., 4) führt, könnte man die Frage aufwerfen, ob diese Formulierung nicht eine deutliche Form der Diskriminierung ist: Gibt es also Menschen, die als nicht klug oder als nicht aktiv verstanden werden? Gibt es überhaupt Menschen, die nicht klug und nicht aktiv

sind? Warum bedarf es dann dieser Adjektive? Sind damit alle Menschen gleicher-maßen gemeint oder wird dadurch eine Hierarchie der Auf- und Abwertung von Men-schen aufgemacht?

Obwohl sich das Konzept also traditionsgemäß auf Migration und Ausgrenzung, Diskriminierung und Integrationsnotwendigkeiten konzentriert, wird dieser Rahmen immer wieder erweitert, finden viele Verknüpfungen mit anderen Diskriminierungs-hintergründen und dem Thema Vielfalt statt. »Das Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichsten sozialen, kulturellen und religiösen Hintergründen ist der städti-sche Normalfall« (ebd., 5). Die Vielfalt der MigrantInnencommunities wird betont und darauf auch eingegangen. »Vielfalt fördern, Zusammenhalt stärken« (ebd., 6). Das In-tegrationskonzept zielt auf vier Bereiche: Soziale und wirtschaftliche Integration (Zu-gänge zu Bildung und Arbeit), Rechtliche Integration (Aufenhalt , Staatsbürgerschaft, Politische Partizipation), Kulturelle und gesellschaftliche Integration (Sprache, Iden-tität. Netzwerke); Interkulturelle Öffnung der Aufnahmegesellschaft (ebd., 7). Dabei wird die Verknüpfung mit anderen Diskriminierungsebenen angesprochen, zum Bei-spiel mit Klasse, die hohe Arbeitslosigkeit unter MigrantInnen, die Diskriminierung von Obdachlosen (ebd., 67) die niedrigen Bildungsabschlüsse, die Lage der Frauen und Mädchen, die religiösen Hintergründe (ebd., 60 ff.). Das Ziel der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Antisemitismus auch innerhalb der Migrantencommunties ist ein Bekenntnis dazu, gegen jede Form von Diskriminierung aktiv zu werden, ebenso die Integration von »Gender-mainstreaming« und die Aufforderung »Ausgrenzung und Stigmatisierung entgegenzuwirken« (ebd., 21). Auch die Frage von Alter und Ge-sundheit bezüglich der Zugänge von MigrantInnen wird diskutiert und Maßnahmen werden vorgeschlagen (ebd., 43). Es wird für eigene MigrantInnenprojekte plädiert, die sich wiederum verknüpfen zum Beispiel mit Frauen- und Mädchenfragen (ebd., 54 ff.), den Themen von Lesben- und Schwulen u. a. Im Konzept wird auf die Antidis-kriminierungsrichtlinie der EU Bezug genommen, diese als Maßgabe akzeptiert und als »eine grundlegende Neuorientierung und Erweiterung der gegen Diskriminierun-gen gerichteten Politik des Senats« verstanden (ebd., 65). Das Konzept enthält also eine Vielzahl interessanter und verglichen mit dem Stand der Bundespolitik wegwei-sender Maßnahmen und Anregungen. Seine Glaubwürdigkeit wird in einem erhebli-chen Maße dadurch geschmälert, dass keinerlei »positive Diskriminierungsmaßnah-men« darin vorgeschlagen oder angestrebt werden, sondern allein auf Bildung, Schulung, Aufklärung gesetzt wird. Das lässt die Macht- und Interessenstrukturen der Mehrheitsgesellschaft außer acht. Die Beispiele anderer Länder (s.o.) haben gezeigt, dass nachhaltige Veränderungen nur über solche Aktivitäten erreicht werden konnten.

Die Aussparung von Macht – und Interessenfragen in einem Antidiskriminierungs-konzept führt dann automatisch dazu, dass letztlich die Interessen der Mehrheitsge-sellschaft gewahrt bleiben, die »Anderen« doch »Andere«, im Sinne von sich außer-halb der Institutionen Befindliche bleiben sollen. Damit setzt sich eine Tradition bundesdeutscher Antidiskriminierungspolitik fort, in der die deutsche, Weiße,

männli-che, zunehmend auch weibliche Mittelschicht Räume für Integration aufmacht, die von ihr sehr klar und letztlich eng definiert werden.

4.4. Zusammenfassung

Eine aktive, partizipative, auf Anerkennung basierende Gesellschaft, die auf Gleich-behandlung und Interesse und Neugier gegenüber Verschiedenheit beruht, ist in der Bundesrepublik noch nicht realisiert. Es gibt Leerstellen auf sehr vielen Ebenen, auf denen über eine Antidiskriminierungspolitik Gesellschaft verändert werden kann. Der mangelnde Bezug der Einzelaktivitäten untereinander verhindert dringend notwendige Effekte: »So wäre die Wirksamkeit aus der jeweiligen partikularen Intention gehoben, würden Gender mainstreaming, Frauenförderung, die Forderung nach interkultureller Öffnung sozialer Dienste, interkulturelle Kompetenzförderungen, Jugendbildungsar-beit sowie Projekte gegen Rechts explizit in ihrer Zielsetzung aufeinander bezogen«

(Czollek 2005, 15). Diejenigen, die an anderen Konzepten und Sichtweisen arbeiten, werden in den politischen Debatten zu wenig berücksichtigt und beteiligt. Zu wenig beteiligt sind auch die vielen, kleineren Selbst-Organisationen, die sich gegen Diskri-minierung einsetzen und keine staatlichen Gelder erhalten und auch nicht über Gelder für große Kampagnen oder Reisen zu Sozialforen verfügen. Die Institutionen und die Mitglieder der Mehrheitsgesellschaften, die über Gelder verfügen, haben auch die Macht über Inhalte von Anti-Diskriminierungspolitik in der Bundesrepublik zu be-stimmen und dies sind wiederum diejenigen mit einer institutionalisierten, starken Lobby, ohne originäres Interesse am Verzicht auf Eigeninteresse. Ein Blick in die an-gelsächsischen Ländern und auf das dort erstarkte Social Justice-Projekt kann Anre-gungen zu einer anderen Politik geben, denn dieses Projekt ist auf eine politische und politisierende Arbeit mit dem Ziel solidarischer, radikaler Transformation quer durch die Gruppen und Individuen der Gesellschaft orientiert.

Im Dokument Rosa-Luxemburg-StiftungManuskripte 63 (Seite 35-38)