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Normalität von Diskriminierung in der BRD

Im Dokument Rosa-Luxemburg-StiftungManuskripte 63 (Seite 28-35)

4. Die Umsetzung europäischer Antidiskriminierungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland

4.1. Normalität von Diskriminierung in der BRD

Die Bundesrepublik hat alle wichtigen internationalen Abkommen und Chartas (vgl.

Bundeszentrale 2004) zur Vermeidung und Vorbeugung von Diskriminierung unter-zeichnet und sich auch in der Europäischen Union zur Umsetzung von deren Antidis-kriminierungsrichtlinien verpflichtet. Nichtsdestoweniger zeigen eine Vielzahl von Studien immer wieder gröbste Verstöße gegen die Menschenrechte und eine Alltags-praxis von Diskriminierung in der Bundesrepublik, der nur sehr wenig an alternativer Praxis von Antidiskriminierungsarbeit entgegensteht. So kommt eine Studie von Addy (2003) im Auftrag des Deutschen Instituts für Menschenrechte zu dem Ergebnis, dass die Verbreitung von Rassismus, Antisemitismus und xenophober Einstellungen in der Bundesrepublik durch eine Vielzahl von Aktivitäten geschieht, denen keine oder we-nige Gegenmaßnahmen gegenüberstehen: alltägliche Diskriminierungen beim Zugang zu Bildung, Arbeit, Wohnen, Dienstleistungen; Abwesenheit oder mangelnde Effekti-vität von Antidiskriminierungsmaßnahmen; Verbreitung von rassistischen und antise-mitischen Gewalttaten; Zunahme von extremistischen Gruppen; Förderung von Dis-kriminierung durch bestimmte Medien und Politiker; Verwendung von neuen Technologien zur Verbreitung von Rassismus (ebd., 13). Rassismus drückt sich in der

Bundesrepublik in »subtilen Alltagsdiskriminierungen…und in mangelhaftem Schutz vor gewaltsamen Übergriffen« aus (ebd., 16). In der Bundesrepublik war Rassismus in Verbindung mit der Verklärung von Volk und Nation ein zentraler Bestandteil der fa-schistischen Ideologie (ebd., 17), Rassismus wurde lange Zeit in Deutschland nur im Kontext von Nationalsozialismus diskutiert (ebd., 18) und aus der Realität der Bun-desrepublik ausgeblendet. Dabei sind rassistische Einstellungen in Deutschland unab-hängig vom Status relativ konstant auftretende Erscheinungsformen (ebd., 19). »We-nig Beachtung fanden bislang auch die traumatisierenden Effekte für die Opfer der Gewalt sowie die integrationshemmenden Wirkungen von Diskriminierung, die vor al-lem Migranten, Flüchtlinge und ethnische Minderheiten betroffen haben« (ebd., 20).

Die öffentliche Sensibilität für Diskriminierungen ist in Deutschland äußerst unzurei-chend (ebd., 21). Es gibt kaum verlässliche Daten über die Situation von Minderhei-ten in Deutschland, andererseits eine besondere Sensibilität bezüglich der Erfassung (ebd., 42).

Die Studie empfiehlt dringend aktive Maßnahmen in der Politik für die Bundesre-publik Deutschland zu ergreifen:

• zivilrechtliche Maßnahmen, Klagemöglichkeiten, Zugang zu effektiven Rechts-ansprüchen

• unabhängige Antidiskriminierungsstellen

• Konsequente Anwendung bestehender Strafrechtsrahmen

• Systematische Erfassung von Diskriminierungsfällen

• Unabhängige Bewertung der Antidiskriminierungspolitik

• Durchführung von Positivmaßnahmen

• Präventive Maßnahmen: antirassistische Arbeit, Menschenrechtsbildung

• Entwicklung selbstverpflichtender Verhaltenscodices (ebd., 13).

Antidiskriminierungsgesetze haben, bei aller Kritik, die man ihnen entgegenhalten kann, für Lesben und Schwule positive materielle Wirkung gehabt. Für Transgen-der-Menschen sind sie im Arbeitsrecht fast lebensnotwendig, weil schätzungsweise 80 Prozent von ihnen ihren Job verlieren, wenn sie sich in ihrem Wunschgeschlecht präsentieren. (Nico J. Beger, Quelle: (k)ein geschlecht oder viele hg. v. polymorph)

Vor diesem Hintergrund ist es von besonderer Bedeutung, dass die Bundesrepublik erst im Juli 2006 mit dreijähriger Verspätung unter Androhung einer hohen Geldstrafe durch den Europäischen Gerichtshof ein Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet hat, welches in letzter Minute noch mit dem neuen Namen Allgemeines Gleichbe-handlungsgesetzversehen wurde.

4.2. Stand der Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien

Die folgenden vier EU-Antidiskriminierungsrichtlinien sollten in der Bundesrepublik in einem Gesetz umgesetzt werden (vgl. Gesetzentwurf 2005):

• Die EU-Richtlinien – 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (ABl. EG Nr. L 180 S. 22),

• 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG Nr. L 303 S. 16) und

• 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grund-satzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. EG Nr. L 269 S. 15),

• 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grund-satzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (ABl. EG Nr. L 373 S. 37)

Der von den Fraktionen »Grüne« und »SPD« Ende 2004 vorgelegte Gesetzesent-wurf war für bundesdeutsche Verhältnisse ein weitgehender EntGesetzesent-wurf, der die Umset-zung der europäischen Richtlinien nicht auf einer Minimal-, sondern einer Maximal-basis gewährleisten sollte. Der Entwurf bezieht sich auf die Menschenrechte und das Grundgesetz als Ausgangspunkt: »Die Gleichheit vor dem Gesetz und der Schutz al-ler Menschen vor Diskriminierungen ist ein Menschenrecht, das in Deutschland ins-besondere in Artikel 3 des Grundgesetzes festgeschrieben ist« (Gesetzentwurf 2004, 1). »Über das Gemeinschaftsrecht hinausgehend werden auch die Merkmale Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität und Geschlecht in den zi-vilrechtlichen Diskriminierungsschutz einbezogen, weil ansonsten wesentliche Berei-che des rechtliBerei-chen Lebens aus dem Benachteiligungsschutz ausgeklammert bleiben«

(ebd., 2). Das Klagerecht für Verbände war in diesem Entwurf vorgesehen. Der Ent-wurf war auch darum bemüht, die Errungenschaften und Denkweisen bezüglich der Geschlechtergleichstellung zu integrieren und enthält im Sinne von Gender-mainstre-aming Abschnitte zu den »Auswirkungen von gleichstellungspolitischer Bedeutung«

(ebd., 4). Der Entwurf erwähnt auch: »In Deutschland gibt es bisher keine Kultur der Antidiskriminierung…« (ebd., 20).

Bausteine des alten Entwurfs waren: die Beweislast liegt beim Diskriminierer, Ver-bände können klagen, positive Maßnahmen stellen keine Diskriminierung dar, ar-beitsrechtliche Maßnahmen, die bereits existieren, werden neu gebündelt, in das Ar-beitsrecht werden die Merkmale Altersdiskriminierung und sexuelle Orientierung neu eingeführt. »Der Gesetzentwurf trennt sich erstmals von einem reinen Ein-Merkmal-Ansatz (z. B. Gender, Behinderung) und geht einen ersten Schritt zu einem Diversity-Ansatz, der unterschiedliche Befähigungen und »Andersheiten« zusammenführt«

(Budde 2005, 24 f.). Der Entwurf von SPD und Grüne implizierte auch, »daß beim Aussuchen eines Mieters, beim Abschluß von Versicherungen oder bei Einstellung und Beförderung durch Arbeitgeber nicht danach entschieden werden darf, ob jemand Ausländer oder Deutscher, Frau oder Mann, heterosexuell oder homosexuell ist. Auch Alter, Religionszugehörigkeit oder Behinderung sollen demnach in der Regel kein Maßstab sein« (Preuss 2006, 263).

Dieser Entwurf wurde schon früh auf Druck der Öffentlichkeit, Politik und Wirt-schaft zurückgenommen, eine verwässerte Minimalform des Gesetzes immer noch verzögert, durch die angesetzte Bundestagswahl und die Ablehnung im Bundesrat wei-ter aufgeschoben.

Die Grünen haben im neuen Bundestag den im Bundesrat abgelehnten Entwurf neu eingebracht: »Der hier vorgelegte Gesetzentwurf zur Umsetzung europäischer Ant-idiskriminierungsrichtlinien hatte im Deutschen Bundestag am 17. Juni 2005 bereits ein mal eine Mehrheit gefunden (Bundestagsdrucksachen 15/4538, 15/5717, 15/5723, Plenarprotokoll 15/182, S. 17211 B). Er verfiel dann aber der Diskontinuität, da der Bundesrat den Vermittlungsausschuss anrief und dieser die Beratung des Gesetzes über den Termin der Bundestagswahl am 18. September 2005 hinaus vertagte. Der Bundesrepublik Deutschland drohen nun empfindliche Strafen, da die Umsetzungs-frist von drei der vier europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien mittlerweile ver-strichen ist, bei der Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG und der Rahmenrichtlinie Be-schäftigung 2000/78/EG bereits seit über zwei Jahren. Der Gesetzentwurf nähert sich dem gesetzlichen Diskriminierungsschutz sehr zurückhaltend und bewegt sich in sei-nen Instrumenten am unteren Rand dessen, was die vier EU-Richtlinien gegen Diskri-minierung vorgeben. Verbände, die sich gegen Benachteiligungen aus Gründen der

»Rasse« oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität engagie-ren, fordern vielfach weitergehende Regelungen ein. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bringt den vorliegenden Gesetzentwurf im Interesse eines zügigen Gesetz-gebungsverfahrens erneut in den Deutschen Bundestag ein. Damit soll die Verab-schiedung eines wirksamen Antidiskriminierungsgesetzes beschleunigt und die Um-setzung der EU-Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG, 2002/73/EG und 2004/113/EG vorangetrieben werden.« Bemerkenswert ist, dass die Grünen keine Initiative ergriffen haben, das Gesetz in seiner ersten, viel weitergehenderen Form wieder einzubringen und dafür politisch zu mobilisieren. Darüber hinaus irritiert, dass sie sich mehr Sorgen um die empfindlichen Strafen für die Bundesrepublik machen als um die Folgen für die potentiellen Opfer von Diskriminierung. Der Antrag der Linkspartei v. 17.1.2006 schlägt vor, den bereits in den Bundesrat eingebrachten Gesetzesentwurf mit deutli-chen Korrekturen aufzugreifen und umzusetzen: »1. An Stelle des eingeschränkten Anwendungsbereichs des Benachteiligungsverbots ist der Geltungsbereich für das Be-nachteiligungsverbot auf alle Schuldverhältnisse außerhalb des Familien- und Erb-rechts auszudehnen. 2. Außer bei Gefahr für Leib und Leben der/des Betroffenen und

von Dritten sollte es keinen Ausnahmetatbestand geben. In diesem Zusammenhang ist die diskriminierende Regelung über die zulässigen Benachteiligungen im Hinblick auf die Vermietung von Wohnungen (s. § 20 Abs. 3 auf Bundestags drucksache 15/5717) ersatzlos zu streichen. 3. Verbänden ist das Verbandsklagerecht einzuräumen. 4. Das Gesetz braucht wirksame, verhältnismäßig (dem erlittenen Schaden an gemessen) und abschreckende Schadensersatz-(bzw. Schmerzensgeld-)Regelungen, damit Diskrimi-nierer (ob als Person oder als Institution) wissen, dass ihre Taten nicht nur straf- und/

oder disziplinarrechtlich geahndet, sondern auch mit empfindlichen Geldbußen (zu-gunsten der Diskriminierten) belegt werden können. 5. Der Begriff »Rasse« ist im ge-samten Gesetzestext zu streichen. Als zusätzliche, verbotene Diskriminierungsgründe werden die Merkmale »Hautfarbe«, »Sprache«, »Nationalität« sowie »Staatsange-hörigkeit« aufgenommen. 6. Arbeitgeber sollen verpflichtet werden, zum diskriminie-rungsfreien Verhalten innerhalb des Betriebes beizutragen und zur Stärkung der An-gehörigen von Minderheiten in ihrem Betrieb über vorbeugende Maßnahmen zu informieren« (Antrag Fraktion »Die Linke« 2006).

Auf Initiative der Großen Koalition von SPD und CDU wird der alte, weitgehende Gesetzesentwurf, der über die Anforderungen der EU hinausgeht, wieder in die De-batte und dann in den Bundestag eingebracht (Gesetzentwurf 2006) und dort am 29.

Juni 2006 verabschiedet. Das Gesetz heißt nun nicht mehr Antidiskriminierungsgesetz (ADG), sondern Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und findet im Bundes-rat am 7. Juli 2006 die notwendige Zustimmung. Es tritt am 1. August 2006 in Kraft.

Der neue Name des Gesetzes wurde offenbar deswegen gewählt, um keine Assozia-tionen an den Entwurf von SPD/Grüne aufkommen lassen, obwohl der Text weitge-hend von diesem Ursprungsentwurf übernommen wurde. Deswegen taucht im Text auch der Diskriminierungsbegriff sehr oft auf, während sich der Begriff »Gleichbe-handlung« nur schwer durchgängig unterbringen ließ. Dennoch verschleiert der Name des Gesetzes partiell, dass es in dem Gesetz um Ungleichheit und ungleiche Behand-lungen geht, die mit Hilfe des Gesetzes beseitigt oder denen vorgebeugt werden soll.

Denn Antidiskriminierungsarbeit ist von der Sache her keine Gleichbehandlungsar-beit, weil der Gegenstand, nämlich die Ungleichbehandlung und die damit verbunde-ne Abwertung, Verweigerung von Teilhabe an gesellschaftlichen Ressourcen und po-litischer Partizipation Maßnahmen und Handlungen erfordert, die dem gerecht werden und sich zwangsläufig von anderen Maßnahmen unterscheiden müssen. Dennoch könnte der Ansatz »Gleichbehandlung« (das Wort wurde dem EU-Text-Kontext ent-nommen) auch zu interessanten politischen Initiativen führen, beispielsweise in der Gleichstellung von lesbischen und schwulen oder anderen Lebensgemeinschaften mit bisher existierenden juristisch fixierten Formen oder der Gleichstellung verschiedener Geschlechter (transgender u. a.). Tatsächlich bietet das Gesetz, wenn es als Grundlage politischer Arbeit aufgefasst wird und politisch weiter entwickelt wird, hier eine Rei-he interessanter Ansatzpunkte. Der Kern des Gesetzes lautet wie in seinem allerersten Entwurf: »Über das Gemeinschaftsrecht hinausgehend werden auch die Merkmale

Re-ligion und Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität und Geschlecht in den zivilrechtlichen Diskriminierungsschutz einbezogen, weil ansonsten wesentliche Bereiche des rechtlichen Lebens aus dem Benachteiligungsschutz ausgeklammert blieben« (Gesetzentwurf 2006).

Bemerkenswert ist hier, dass unter »sexueller Identität« nun neben Lesben und Schwulen auch »bisexuelle, transsexuelle oder zwischengeschlechtliche Menschen«

berücksichtigt werden, wohingegen unter Geschlecht offenbar nur Frauen und/oder Männer verstanden werden. Das Gesetz hält auch die Beteiligung der Antidiskrimi-nierungsverbände fest, allerdings soll es sich bei der Beibehaltung dieser Regelung um ein Versehen gehandelt haben und die politische Auseinandersetzung darum setzt sich zunächst fort. Die zuständige Antidiskriminierungsstelle wird beim Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eingesetzt. Das Gesetz erlaubt auch, wie ur-sprünglich gefordert, den Einsatz »positiver Maßnahmen«, wenn sie zur Beseitigung von diskriminierenden Unterschieden dienen.

Das Gesetz enthält Ausnahmeregelungen für Religions- und Weltanschauungsver-bände und erlaubt diesen von Gleichbehandlungsgrundsätzen abzuweichen. Bezüglich Alter enthält das Gesetz ein solche Bandbreite von Ausnahmeregelungen, das festge-stellt werden muss, dass hierdurch berufliche Diskriminierungen aufgrund von Alter beibehalten werden sollen.

In der Begründung zum Gesetz wird auch die zum Beispiel im Unterschied zu an-gelsächsischen Ländern mangelnde Antidiskriminierungskultur in der Bundesrepublik festgestellt und das Gesetz als Ansatzpunkt zur Veränderung betrachtet (ebd., 23) und ausdrücklich eine politische Dimension formuliert: » Neben den individuellen Schutz-wirkungen zugunsten der von Diskriminierung betroffenen wird mit dem Gesetz vor allem eine Signalwirkung im Hinblick auf alle Diskriminierungsmerkmale angestrebt.

Das Gesetz ist Ausdruck des politischen Willens eine Kultur der Vielfalt und gegen Diskriminierung in Deutschland zu schaffen. Dazu gehört für die Problematik der un-beabsichtigten, aber auch strukturellen Diskriminierung zu sensibilisieren« (ebd., 30).

Es scheint bemerkenswert, dass nach den Debatten der letzten Jahre doch noch eine über die EU-Vorgaben hinausgehende Fassung des Antidiskriminierungsgesetzes ver-abschiedet wurde. Sicherlich hat der Zeitdruck und die Androhung eines Strafgeldes von 900000 Euro die Verabschiedung beschleunigt. Nicht zuletzt gilt das Gesetz aber auch als Zugeständnis der CDU an die SPD, die ihrerseits im Gegenzug der Ein-führung und Regelung eines Elterngeldes zugestimmt hat. Das Elterngeld wurde von vielen Verbänden als diskriminierend kritisiert, weil es diejenigen benachteiligt, die über geringe Einkommen verfügen. Aufschlussreich ist an diesem Deal, dass Diskri-minierungen verschiedener Art mit dem Gleichbehandlungsgesetz in Frage gestellt und beseitigt werden sollen. Hierunter fällt aber nicht Klassismus, das heißt also Dis-kriminierung aufgrund des sozialpolitischen Status’ oder aufgrund sozialer Herkunft.

Diese Form der Diskriminierung ist auch im Gesetz nicht vorgesehen, auch nicht in den EU-Richtlinien, wenngleich die EU-Menschenrechtscharta ein

Diskriminierungs-verbot aufgrund zumindest sozialer Herkunft kennt.12An dieser Stelle wie auch be-züglich der Inhalte des Gesetzes bedarf es breiter Debatten und politischer Initiativen quer durch die Bevölkerung. Solche stehen in der Bundesrepublik ganz am Anfang.

In den vielen Jahren vor der Verabschiedung des Gesetzes gab es keine breite kussion und vielfältige Beteiligung in die Bevölkerung hinein. Mit Fragen von Dis-kriminierung und AntidisDis-kriminierung sind in Deutschland die Institutionen auf Bun-des- und Länderebene sowie auf kommunaler Ebene beschäftigt. Zuständigkeiten liegen bei den Ministerien für Familie, Senioren und Jugend, dem Innenministerium, dem Verfassungsschutz und Bundesgrenzschutz, dem Ministerium für Bildung und Forschung, dem Gesundheitsministerium, dem Justizministerium, den entsprechenden Ministerien auf Länderebene. Auf kommunaler Ebene finden sich Integrationsbeauf-tragte, GleichstellungsbeaufIntegrationsbeauf-tragte, kaum Antidiskriminierungsstellen bislang. Parallel existieren staatlich geförderte oder freie Verbände und Nichtregierungsorganisationen.

In einer Studie der EU werden die Strukturen in Deutschland dahingehend kritisiert, dass die meisten Nichtregierungsorganisationen staatlich bestimmt sind. Dies ist rich-tig, viele erhalten staatliche Gelder und sind dementsprechend von der staatlichen Po-litik in gewissem Umfang abhängig, wenngleich Gelder zugleich auch Handlungs-möglichkeiten eröffnen. Insgesamt mangele es in Deutschland an zivilen Strukturen (Reuter u. a. 2004), das heißt an nicht-staatlichen Initiativen und Engagement von Bür-gerinnen und Bürgern gegen Diskriminierung.

12 In Artikel 14 zum Diskriminierungsverbot heißt es in der EU-Menschenrechtskonvention: »Der Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Ge-schlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten.« www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf [20.6.2006]

Es wäre wichtig für Deutschland, dass es nichts Besonders mehr ist, türkisch, jü-disch, schwarz oder homosexuell zu sein … Ignaz Bubis, der langjährige Vorsit-zende des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat mal gesagt, dass Xenophobie, Rassismus und Antisemitismus die gleichen Wurzeln haben und zusammenhängen.

Ich finde, als Jude muss man sich Sorgen machen, wenn Türken angegegriffen wer-den und umgekehrt. Aber hier gibt es wohl nicht so ein Solidaritätsgefühl unter wer-den Minderheiten, zumindest glaube ich mittlerweile nicht mehr daran. (Jeffrey Peck, TAZ v. 27.2.2006)

Im Dokument Rosa-Luxemburg-StiftungManuskripte 63 (Seite 28-35)