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Konkretisierung der Verkehrsanschauung

Im Dokument Kinderwerbung und Lauterkeitsrecht (Seite 55-59)

C.: Branchenabkommen I.: Keine Außenseiterbindung

II.: Konkretisierung der Verkehrsanschauung

Teilweise wird die Gültigkeit solcher privat vereinbarter Werbebeschränkungen bezweifelt321. Geht man davon aus, daß es sich um Kartelle i. S. d. §§ 1, 25 GWB, Art. 81 EGV322 handelt, so wären alle Branchenabkommen nichtig, die nicht gemäß §§ 28 III, 29 GWB von der Kartellbehörde anerkannt wurden323. Die in Kapitel 2 beschriebenen Branchenregeln zur Kinderwerbung definieren sich zwar als Wettbewerbsregeln i. S. d. § 28 I, II GWB324, sind aber nicht anerkannt.

Unabhängig von der kartellrechtlichen Beurteilung sind jedenfalls Branchenaußenseiter, die keiner Standesorganisation angehören, nicht an Selbstbeschränkungsabkommen gebunden325. Der Bundesgerichtshof weist zu Recht darauf hin, daß private Wettbewerbsregeln an die Stelle des Gesetzes träten, wenn im Rahmen des § 1 UWG jede ausformulierte, schriftlich fixierte Sammlung von Berufsauffassungen wie eine Gesetzesvorschrift berücksichtigt würde326. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob ein bestimmtes Abkommen dem Schutz wichtiger Gemeingüter dient, also nach der für Gesetze geltenden Terminologie werthaltig wäre327.

II.: Konkretisierung der Verkehrsanschauung

Die Auslegung des Begriffs der guten Sitten im Wettbewerb richtet sich nach den Anschauungen der betroffenen Verkehrskreise, und der Allgemeinheit328. Branchen-abkommen können eine schriftliche Fixierung von Berufsanschauungen darstellen; dann bilden sie ein Indiz dafür, welches Verhalten lauter, bzw. unlauter ist. Diese Wirkung entfaltet sich gegenüber gebundenen Wettbewerbern ebenso, wie gegenüber Außenseitern329.

320 RG GRUR 1937, 731, 734; Baumbach / Hefermehl, § 1 UWG Rdn. 691, 695 m. w. N.; v. Gamm, § 1 UWG Rdn 47; Nordemann, Rdn. 531 ff; H. Piper, GRUR 1992, 803, 813; ders. GRUR 1990, 643, 648. Die besonderen Umstände, die den Bruch eines Selbstbeschränkungsabkommens unlauter machen, müssen im Einzelfall begründet liegen, nicht im Inhalt des Abkommens.

Abzulehnen daher BGH GRUR 1993, 756 f.

321 V. Emmerich, 319 f

322 V. Emmerich, 319; v. Gamm, § 1 UWG, Rdn. 47; a. A. H. Kroitzsch, GRUR 1965, 12 ff, der auch beschränkende Vereinbarungen unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig hält.

323 Eingehend zu den Voraussetzungen der Anerkennung H. Kroitzsch, GRUR 1965, 12 – 20.

324 Im Vorwort zu den Verhaltensregeln für die Werbung mit und vor Kindern in Fernsehen und Hörfunk wird beispielsweise der Wortlaut des § 28 II GWB übernommen.

325 BGH GRUR 1991, 462 f; Baumbach / Hefermehl, § 1 UWG Rdn. 691; Nordemann, Rdn. 531; H. Piper, GRUR 1992, 803, 813;

ders. GRUR 1990, 643, 648

326 BGH GRUR 1991, 462 f; 1969, 474, 477

327 Verfehlt daher die Begründung in BGH GRUR 1993, 756 f, wo neben der vertraglichen Bindung an ein Branchenabkommen auch von einer sittlichen Pflicht zu dessen Befolgung gesprochen wird.

328 BGH GRUR 1988, 614 f; 1982, 53, 55; 1967, 430 f; 1965, 315 f; BGHZ 15, 356, 364 f; Baumbach / Hefermehl, Einl UWG, Rdn.

85 ff, 250

329 BGH GRUR 1991, 462; 1977, 257, 259; OLG Düsseldorf NJW- RR 1986, 1432 f; Baumbach / Hefermehl, § 1 UWG Rdn. 691;

Charlton (Hofmann - Riem / Engels), Bd. II, 414; Emmerich, 381; H. Piper GRUR 1992, 803, 813; derselbe, GRUR 1990, 643, 649; v. Gamm, § 1 UWG Rdn. 47

Ob Werbebeschränkungen die Anschauungen der beteiligten Kreise wiedergeben, und ob ein Verstoß auch vom Standpunkt der Allgemeinheit aus als unlauter gilt, muß im Einzelfall geprüft werden330. Sind besonders strenge Berufsauffassungen wiedergegeben, die von der Mehrzahl der Mitbewerber in dieser Schärfe nicht geteilt werden, oder dienen die Beschränkungen nur zur Pfründesicherung, so entfällt die Indizwirkung331.

Bei den drei Branchenabkommen, die zumindest auch die Kinderwerbung betreffen332, ergibt sich eine Sondersituation. Die Verhaltensregeln des Deutschen Werberates zur Alkoholwerbung sind durch Verweise in verschiedenen Richtlinien verbindliches Rundfunkrecht geworden333. Verletzt sie ein Sender, so liegt gleichzeitig ein Verstoß gegen § 7 I RfStV vor334. Die öffentlich – rechtlichen Sendeanstalten beziehen außerdem die Verhaltensregeln zur Kinderwerbung im Rundfunk in ihre Satzungen ein.335. Auf die Werberichtlinien der Zigarettenindustrie336 wird zwar nirgends ausdrücklich verwiesen;

faktisch dienen sie jedoch zur Konkretisierung des § 22 II Nr. 1 b) LMBG, so daß auch ihre Mißachtung regelmäßig einen Gesetzesverstoß darstellt.

Die Frage, ob jene Branchenabkommen geltende Verkehrsanschauungen zur Lauterkeit des Wettbewerbs wiedergeben, entfällt durch die beschriebenen Verweisungen indes nicht. Sie verschiebt sich nur. Steht nämlich fest, daß § 7 I RfStV oder § 22 II Nr. 1 b) LMBG verletzt wurden, so hängt die Unlauterkeit des Verstoßes davon ab, ob auch der Schutzzweck des § 1 UWG berührt wurde337. Besteht die Gesetzesverletzung im Bruch einer Verhaltensregel, welche nur den guten Geschmack, oder die Glaubwürdigkeit der Werbung erhalten soll, so ist dies nicht ohne weiteres der Fall.

Die Branchenabkommen zur Alkohol – und Zigarettenwerbung regeln anerkanntermaßen die Lauterkeit des Wettbewerbs338. Bei den ZAW - Regeln zur Kinderwerbung im Rundfunk wird dies nur für die Nr. 1 bestritten339. Der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft repräsentiert alle Zweige der Werbebranche. Die von ihm aufgestellten Verhaltensregeln geben gemeinsame Auffassungen wieder, und werden einheitlich befolgt340. Ebenso ist die Richtlinie zur Zigarettenwerbung von der gesamten Tabakindustrie anerkannt worden341. Soweit sich die drei Regelwerke mit der Kinderwerbung befassen, werden sie von der Allgemeinheit eher als zu lasch, denn als zu streng eingestuft. Im Rahmen des § 1 UWG kommt ihnen daher die beschriebene Indizwirkung zu342.

330 Diese Überprüfung bleibt die Rechtsprechung oft schuldig (V. Emmerich, 320). Beispielsweise wurde ein Verstoß gegen Nr. 1 der

„Verhaltensregeln für Werbung mit und vor Kindern in Werbefunk und Werbefernsehen“ für unlauter erklärt, ohne darauf einzugehen, inwieweit diese Vorschrift den Anschauungen der Werbetreibenden, und der Allgemeinheit, entspricht (KG AfP 1992, 298 f).

331 BGH GRUR 1991, 462 f; 1969, 474, 477; H. Piper, GRUR 1990, 643, 649; Jahrbuch ZAW 2001, 16

332 Vgl. Kapitel 2, A. VIII. 1.)

333 Vgl. Kapitel 2, A. VII. 2.) a) bb)

334 Gegenüber Dritten, z. B. den Werbekunden der Sender, bleibt die Qualität als Branchenregel erhalten. Möglich ist aber Mithilfe zum Gesetzesverstoß des Senders (BGHZ 110, 278, 288 f; R. Sack, AfP 1991, 704, 713).

335 Vgl. Kapitel 2, A. VII. 2.), a) aa)

336 Vgl. Kapitel 2, A. V. 2.)

337 Vgl. A. III. 1.)

338 Für die Verhaltensregeln zur Alkoholwerbung S. Engels, 272; K. Rinsche, 93 ff.

339 C. Beckmann, Anm. zu KG AfP 1992, 298, 300 f

340 C. Beckmann, Anm. zu KG AfP 1992, 298, 300 f ; vgl. Kapitel 2, A. VIII.

341 Zipfel, Bd. II C 100 § 22, Rdn. 15

342 Aber eben nur eine Indizwirkung, vgl. P. Bülow, FS für Piper, 121, 129.

D.: Zusammenfassung

Die außerwettbewerblichen Gesetzesvorschriften zur Kinderwerbung sind ausnahmslos werthaltig. Ein Verstoß gegen sie ist regelmäßig unlauter. Soweit sich Branchenabkommen diesem Bereich widmen, beschäftigen auch sie sich praktisch nur mit Lauterkeits-gesichtspunkten. Die geltenden Verkehrsanschauungen zum Thema werden dabei korrekt wiedergegeben. Eine Mißachtung der Selbstbeschränkungsabkommen indiziert deshalb die Unlauterkeit der entsprechenden Werbemaßnahme.

Kapitel 4

VERFASSUNGSRECHTLICHE VORGABEN

Bei der Konkretisierung des Begriffs der guten Sitten im Wettbewerb ist die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte und der ihnen innewohnenden Wertvorstellungen richtungsweisend343. Wie alle zivilrechtlichen Generalklauseln, stellen auch die §§ 1, 3 UWG Einfallstore für die Wertungen der Verfassung in das Privatrecht dar344. Im Gegensatz zu einfachgesetzlichen Normen stecken die Grundrechte jedoch nur einen Rahmen für die konkrete Entscheidung ab; gerade im wirtschaftlichen Bereich kann dieser sehr weit sein. Die Verfassung ist zudem von Wertgegensätzen und Wertkonkurrenzen geprägt, die durch eine Abwägung im Einzelfall aufgelöst werden müssen345. So kann der Einfluß der Grundrechte einmal zur Verneinung, ein anderes Mal zur Bejahung der Unlauterkeit führen346. Ist eine Abwägung zwischen verschiedenen verfassungsmäßig geschützten Interessen erforderlich, so findet sie im Rahmen der Auslegung der Generalklauseln statt347.

Werbung ist eine besondere Art der Kommunikation zwischen den Anbietern von Waren oder Dienstleistungen, und potentiellen Kunden348. Für ihre Beurteilung sind deshalb in erster Linie die Kommunikationsgrundrechte aus Art. 5 GG relevant349. Bei Kinderwerbung stellt sich außerdem die Frage nach dem Erziehungsrecht der Eltern, Art. 6 II Satz 1 GG, und nach der verfassungsmäßigen Verankerung des Kinder – und Jugendschutzes.

A.: Art. 5 GG I.: Meinungsfreiheit

Der Begriff „Meinung“ i. S. d. Art. 5 I Satz 1 GG ist weit auszulegen. Er umfaßt jede Äußerung, durch die Stellung genommen, für oder gegen etwas Position bezogen, oder eine Ansicht ausgedrückt wird350. Tatsachenmitteilungen fallen nach h. M. dann in den Schutzbereich, wenn sie sich mit wertenden Aussagen untrennbar vermischen, und gegenüber diesen in den Hintergrund treten351.

343 Baumbach / Hefermehl, Einl UWG Rdn 92. Kritisch hierzu R. Gärtner, BB 1970, 1361 - 1365

344 Sogenannte „mittelbare Drittwirkung“ der Grundrechte; BVerfGE 89, 214, 229; 73, 261, 269; 25, 256, 263; 7, 198, 206; Palandt / Heinrichs, § 242, Rdn 7 f; Schmidt - Bleibtreu / Klein, Vorbemerkung vor Art. 1 Rdn. 8

345 A. Ohly, 216; R. Sack, WRP 1985, 1, 5 m.w.N.

346 BVerfGE 42, 143, 148; 32, 311, 318; Baumbach / Hefermehl Einl UWG Rdn. 92, § 1 UWG Rdn. 627

347 BVerfG 35, 202, 219; 30, 173, 197

348 G. Felser, 3 ff; K. – H. Fezer, JZ 1998, 265, 267; P. Lerche, 11 f; Rosenstiel / Neumann, 38

349 Daneben kann, je nach Lage des Falls, die Berufsfreiheit (Art. 12 I GG), das Eigentumsrecht (Art. 14 GG) oder die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) der Werbenden betroffen sein (P. Lerche, 72 ff, 87). Im Zusammenhang mit Kinderwerbung erlangt jedoch keine dieser Grundrechtspositionen besondere Bedeutung. Von einer Erörterung wird deshalb abgesehen.

350 BVerfG NJW 1986, 1533, 1535. Eine Meinungsäußerung kann auch in einem Bild liegen, BVerfG WM 2001, 47 f, m. w. N.

351 BVerfG NJW 1992, 1153; 1986, 1533, 1535; Schmidt - Bleibtreu / Klein, Art. 5 Rdn. 3; a. A. etwa Scholz in Maunz / Dürig, Bd. I Art. 5 I, II Rdn. 50 - 55a: die Meinungsfreiheit schütze Mitteilungen jeder Art, unabhängig davon, ob sie Meinungen oder Tatsachen enthielten.

Werbung ist per se meinungsbildend: sie soll den Adressaten dazu bringen, über eine Sache oder Idee in bestimmter Weise zu urteilen. Damit ist allerdings nicht gesagt, daß sie auch immer eine Meinungsäußerung darstellt.

Bei der heutigen Wirtschaftswerbung handelt es sich zum größten Teil um wertende Aussagen über Produkte, Marken oder Hersteller. Sie werden gegenüber dem Publikum als elegant, zuverlässig, modern, jugendlich, preiswert, gesund, usw. angepriesen. Auch die Botschaft, daß das Produkt / die Marke einem bestimmten Lebensgefühl entspreche, ist eine (komplexe) Bewertung. Mit der Anpreisung verbunden sind häufig Informationen über einzelne Eigenschaften und Besonderheiten der Ware. Das Gros der Reklame stellt somit Meinungsäußerungen i. S. d. oben genannten Definition dar. Reine Tatsachenmitteilungen finden sich in der Endverbraucherwerbung kaum. Vereinzelt kommen jedoch Werbemaß-nahmen vor, deren Aussage oder Zurechenbarkeit derart diffus ist, daß nicht mehr von einer Meinungsäußerung gesprochen werden kann352.

Meinungsäußerungen, die zu Wettbewerbszwecken erfolgen, sind nicht vom Schutz des Art. 5 I Satz 1 GG ausgenommen353. Zwar sind sie auf den ersten Blick schlecht geeignet, die Ziele zu fördern, die durch Art. 5 I GG verwirklicht werden sollen: ständige geistige Auseinander-setzung als Lebenselement der freiheitlich - demokratischen Grundordnung354. Das Bundes-verfassungsgericht führt jedoch aus:

„Das Vorliegen einer Wettbewerbsabsicht kann von Verfassungs wegen kein geeignetes Kriterium für die Beurteilung der Frage sein, ob eine Meinungsäußerung im konkreten Einzelfall dem Schutzbereich des Art. 5 I GG unterfällt. Eine derart weitreichende, den Normbereich des Grundrechts von vornherein eingrenzende Funktion des Tatbestands-elements der Wettbewerbsabsicht würde dazu führen, daß vielfältige Meinungsäußerungen innerhalb eines ausgedehnten Teilbereichs des Wirtschaftslebens nicht mehr dem sachspezifischen Schutz des Kommunikationsverfassungsrechts unterlägen. Dies wäre jedoch mit dem Gewicht und der besonderen Bedeutung des Grundrechts der Meinungsäußerungs-freiheit unvereinbar.“355

Im Dokument Kinderwerbung und Lauterkeitsrecht (Seite 55-59)