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Kinder als Erwachsene 1.) Fragestellung

Im Dokument Kinderwerbung und Lauterkeitsrecht (Seite 154-158)

C.: Kinderdarstellungen I.: Allgemeines

III.: Kinder als Erwachsene 1.) Fragestellung

III.: Kinder als Erwachsene 1.) Fragestellung

Der sprunghafte Anstieg von werblichen Jüngst – Testimonials in den letzten Jahren ist gepaart mit einem Trend zu verfremdeten, oder tricktechnisch bearbeiteten Kinderbildern. Es ist schon lange nichts ungewöhnliches mehr, wenn Kinder in der Reklame nicht wie Kinder wirken, sondern wie Erwachsene reden, denken und handeln. Szenen, in denen die Rollenmuster von Schulkindern und ihren Eltern vertauscht sind, haben bereits Tradition. In der Fernsehwerbung sind außerdem Reklameauftritte von Babies mit typisch erwachsenen Verhaltensweisen beliebt geworden. Dabei wird mit den „süßen Kleinen“ oftmals ein provokantes oder freches Benehmen nachgestellt999. Die technischen Voraussetzungen, um Bilder per Computer zu erstellen oder zu verändern, verbessern sich ständig. Bereits heute dürfte es möglich sein, Kinder bei jeder nur erdenklichen Handlung darzustellen.

Eindrucksvolles Beispiel ist ein Werbespot für französisches Mineralwasser, in dem zwanzig bis dreißig Babies ein Wasserballett aufzuführen scheinen. Angesichts der weitgehenden Machbarkeit stellt sich die Frage, ob Kinderbilder, bzw. das Kinderbild schlechthin, zu Werbezwecken beliebig manipuliert werden dürfen.

2.) Kindsein als Eigenschaft

Eine Werbung ist diskriminierend, wenn sie dargestellte Personen oder Gruppen herabsetzt, ausgrenzt, stigmatisiert oder entwürdigt. Es stellt sich zunächst die Frage, ob Kindern überhaupt Achtung, Würde oder Wert abgesprochen werden kann, indem sie mit - im weitesten Sinne – „erwachsenen“ Eigenschaften und Fähigkeiten präsentiert werden.

Die Kindheit, als Gegensatz zum Erwachsenenstatus, ist hauptsächlich durch folgende Eigenschaften bestimmt: Schwäche, Unwissenheit, das Angewiesensein auf andere, eine Haltung des Empfangens, sowie die Unfähigkeit zur Selbstverantwortung und Selbstbe-hauptung. Bei einem verfremdeten, unnatürlich reifen Kinderbild werden diese Merkmale abgeschwächt, ganz unterschlagen oder in ihr Gegenteil verkehrt.

998 Gegen Nr. 1 der ZAW – Regeln wird in der Fernsehwerbung häufig verstoßen. Kinder benutzen Fremdwörter, Fachausdrücke oder Formulierungen, die nicht zu ihrem Entwicklungsstand und ihrer Umgangssprache passen. Bsp.: „Cerealienriegel“ oder „Der Snack im Handyformat“.

999 Siehe Kap. 1, B. II. 1.) b) bb)

In den westlichen Industrienationen ist die Einstellung gegenüber dem Kindsein, bzw. den typisch kindlichen Eigenschaften, zwiespältig. Folglich kann eine übertrieben erwachsene Darstellung sowohl als Besserstellung, wie auch als Abwertung erscheinen.

a) Negative Sicht

Auf der einen Seite gilt Kindsein als ein Zustand, der möglichst schnell und vollkommen überwunden werden muß. Vom Standpunkt einer Leistungsgesellschaft aus ist die Kindheit nur ein unumgängliches Vorbereitungsstadium. Anerkennung und Wertschätzung erfährt der einzelne erst dann, wenn er die infantile Empfängerhaltung aufgibt, und sich statt dessen durch eigene Leistungen, durch Stärke, Fleiß, Intelligenz, Geschick usw., selbst beweist.

Unter diesem Aspekt erscheinen Werbebilder von altklugen, souveränen Kindern eher als Aufwertung, denn als Herabsetzung.

Das schmeichelhafte solcher Präsentationen ändert freilich nichts daran, daß sie unnatürlich sind. Viele Verbraucher werden sie deshalb unglaubwürdig, albern oder aufdringlich finden.

Eltern und Pädagogen können sich zudem an den Sachgebieten stoßen, auf denen werbende Kinder dem gleichaltrigen Publikum Kompetenz demonstrieren: das scheinbar außerge-wöhnliche Wissen beschränkt sich in der Regel auf Produkte und Marken. Die genannten Bedenken haben jedoch mit der Frage, ob eine Diskriminierung vorliegt, nichts zu tun.

b) Positive Sicht

Auf der anderen Seite stellt Kindsein ein Privileg dar. Kinder sind Sinnbild für Reinheit und Unschuld1000. In der christlichen Lehre gilt ihr geistiger Zustand als erstrebenswertes Ideal;

der vollkommene Verzicht auf Selbstbehauptung wird hier als die optimale Haltung propagiert1001. Auch ohne direkten Bezug zur Religion gilt die sprichwörtliche „kindliche Unschuld“ als eine Tugend, eine wertvolle Eigenschaft. Sie ist in unserem Kulturkreis geeignet, ihrem Träger eine Sonderbehandlung zu sichern: diejenigen Menschen, die auf sich selbst aufpassen können, sollen Rücksicht und Nachsicht walten lassen gegenüber anderen, welche (altersbedingt) zur Eigenverantwortung nicht fähig sind. Diese „Narrenfreiheit“ ist für Kinder z. B. in den §§ 104 Nr. 1, 106 BGB (Geschäftsfähigkeit), 828 BGB (deliktische Haftung) und 19 StGB (Strafmündigkeit) gesetzlich verankert. Eine Darstellung als überreif i.

S. v. schuldfähig, oder zur Bosheit fähig, spricht ihnen also privilegierende Eigenschaften ab.

Eine Diskriminierung von der Art, wie sie gegenüber den typischen „Opfergruppen“

vorkommt, liegt darin jedoch nicht. Üblicherweise wird nämlich den Dargestellten die Gleichwertigkeit mit anderen Personen (-kreisen) abgesprochen. Es wird vermittelt, daß ihnen aus irgendeinem Grund weniger Achtung und Respekt zustünde: Frauen seien geringer als Männer, Osteuropäer geringer als Deutsche, etc.. Wenn Kinder dagegen als schuldfähig und absichtsvoll – böse gezeigt werden, liegt eine andere Form des Schlechtmachens, der Herabsetzung vor: sie werden in gleicher Weise wie durchschnittliche Erwachsene präsentiert, obwohl sie in gewissem Sinne besser, und bevorzugt zu behandeln sind.

M. E. kann prinzipiell auch das eine wettbewerbswidrige Diskriminierung sein. Dafür spricht zunächst die in Art. 3 I GG enthaltene Wertentscheidung. Nach h. M. enthält diese Norm nicht nur das Verbot, wesentlich Gleiches ungleich zu behandeln, sondern sie untersagt auch, wesentlich Ungleiches gleich zu behandeln1002. Es ist nicht einzusehen, warum sich die

1000 Siehe Kap. 1, B. II. 1.) b) aa); Bauer (Woschitz), 356

1001 Bauer (Woschitz), 356 f

1002 St. Rspr.; BVerfGE 98, 365, 385; 84, 133, 158; 72, 141, 150; BGHZ 112, 163, 173; Jarass / Pieroth (Jarass) Art. 3, Rdn. 7

Ausstrahlungswirkung des Art. 3 I GG ins Wettbewerbsrecht1003 auf die erstgenannte Ausprägung beschränken sollte. Die teilweise oder ganz fehlende Schuldfähigkeit ist zudem ein wesentlicher Grund, warum Kinder im allgemeinen als Bereicherung der Gesellschaft angesehen werden. Eine Darstellung ohne diese Eigenschaft greift folglich in den Achtungsanspruch der Kleinen gegenüber ihrer Umwelt ein.

3.) Analyse im Einzelfall

Wie oben unter B. IV. ausgeführt, muß bei mehrdeutigen Werbebotschaften besonders sorgfältig untersucht werden, ob eine Diskriminierung vorliegt. Soeben hat sich gezeigt, daß Auftritte von erwachsen wirkenden Kindern als solche eine ambivalente Aussage haben; sie enthalten sowohl ein aufwertendes, wie auch ein abwertendes Moment. Im Einzelfall muß deshalb geprüft werden, ob die Werbemaßnahme eher den positiven Wissens – und Könnensaspekt hervorhebt, oder sich mehr auf den negativen Schuldaspekt konzentriert1004. Nur wenn das abwertende Moment im Vordergrund steht, kommt eine Diskriminierung in Frage. Selbst dann hängt die Unlauterkeit aber noch von der konkreten Formulierung und Gestaltung ab1005.

Als Beispiele werden im folgenden zwei TV – Spots untersucht, die bereits in Kap. 1, B. II.

1.) b) bb) beschrieben wurden: zuerst die „Altersvorsorge“ - Werbung der Sparkasse, und dann die „Flucht in den Kleinbus“ von Citroën.

a) Beispiel „Altersvorsorge“

Dieser Spot spielt auf humorvolle Weise mit dem Gedanken, was wäre, wenn neugeborene Kinder die Pläne ihrer Eltern verstehen und kommentieren könnten.

Die überraschende Verfremdung zum Schluß des Baby – Auftritts soll zunächst einmal Aufmerksamkeit erregen, und den Spot im Gedächtnis der Zuschauer einprägen. Die gelungene Tricktechnik verblüfft, und führt zu der Frage „Wie haben die das hingekriegt ?“

Das an sich ungehörige Benehmen des Säuglings wird durch die Rahmengestaltung stark abgemildert. Das Kind sieht ausgesprochen niedlich aus; sein Vogel – zeigen und Durch – die - Lippen - Prusten hat etwas verspieltes. Insgesamt vermittelt der Spot eine ruhige und heimelige Atmosphäre. Die Geschichte wird ohne Hintergrundmusik, und in gedeckten Farben erzählt. Das Zimmer mit Mutter und Kind wirkt real, aber gleichzeitig still und privat.

Zwischen den beworbenen Dienstleistungen und dem Baby besteht ein logischer Bezug. Das Kind dient nicht, wie sonst oft, nur als Blickfang und Gefühlsmagnet. Der Spot greift vielmehr die Tatsache auf, daß traditionell die Kinder, oder allgemein die nächste Generation, für die Versorgung der Eltern / Alten zuständig sind. Diese Rollenverteilung wird in Frage gestellt: obwohl das Kind vom Vater liebevoll begrüßt wird, weigert es sich, später für ihn aufzukommen.

Die Szene und der Slogan vermitteln dem Publikum unmißverständlich, daß man sich bei der Altersvorsorge nicht auf die Jüngeren, bzw. die eigenen Kinder, verlassen sollte. Die Erwerbstätigen werden aufgefordert, der nächsten Generation insoweit mit Skepsis oder gar Mißtrauen zu begegnen, und selbst Geld für den Ruhestand zu sparen. Der Spot läßt sich sogar dahingehend deuten, daß eigener Nachwuchs eine schlechte Investition sei – finanziell

1003 Maunz / Dürig (Dürig), Bd. I, Art. 3 I, Rdn. 505 ff, 511, 517

1004 Beispielsweise steht beim Einkaufsberater – Schema (Kap. 1, A. I. 1.; B. II. 1.) a)) die souveräne Produkt – und Markenkenntnis im Vordergrund, während das Provokateur – Schema (Kap. 1, B. II. 1.) b) bb)) den bewußten Normbruch durch Kinder thematisiert.

1005 K. – H. Fezer, JZ 1998, 265, 272

wie emotional: der gezeigte Vater darf von seinem Sohn kein Geld erwarten, und die Zuneigung des Kindes ist zumindest fraglich.

M. E. verstößt diese Werbemaßnahme trotz ihrer zurückhaltenden Inszenierung gegen § 1 UWG. Die Darstellung eines Babys als schuldfähig und absichtsvoll – provokant wird gezielt eingesetzt, um Mißtrauen gegenüber der nachfolgenden Generation zu wecken. Der verfremdete Kinderauftritt soll beim erwachsenen Publikum Zukunftsängste schüren. Durch diese Zweck – Mittel – Kombination werden Kinder allgemein als undankbare Schmarotzer stigmatisiert.

b) Beispiel „Flucht aus dem Kinderwagen“

Ebenso wie bei dem unter a) beschriebenen Spot, wird auch hier ein Aha – Effekt angestrebt.

Die Kinder verhalten sich offensichtlich unrealistisch, scheinen dabei aber ganz real. Die Geschichte macht insgesamt einen witzigen, aber nicht unbedingt fröhlichen Eindruck. Zwar sehen die Babies rosig und niedlich aus; das Thema „Flucht“ vermittelt jedoch Unzufriedenheit und Anspannung. Das Baby mit dem aufgestreckten Mittelfinger bildet einen einprägsamen Schlußpunkt; seine provokante Geste wird nicht mehr kommentiert oder relativiert. Humor ist in diesem letzten Bild kaum zu spüren.

Ein direkter sachlicher Bezug zwischen dem beworbenen Auto und den Kindern besteht nicht.

Die Säuglinge stehen vielmehr als Vertreter für erwachsene Autofahrer: sie tauschen ihren normalgroßen Wagen gegen den neuen Kleinbus von Citroën aus. Der Spot arbeitet nach dem Prinzip der sogenannten psychologischen Obsoleszenz. Dabei wird ein technisch noch voll funktionsfähiges Produkt als unmodern, und deshalb unverwendbar beschrieben. Ein Nachfolgemodell wird als Alternative präsentiert. Wer dennoch das alte Produkt weiterverwendet, muß soziale Nachteile befürchten1006. Diese Strategie ist in der Automobilindustrie – aber nicht nur dort – sehr beliebt1007. Die Lebensdauer eines PkW kann so künstlich verkürzt, und der Neuwagenverkauf angekurbelt werden.

Für die Werbebotschaft, welches Modell angesagt, bzw. überholt ist, wurden schon verschiedenste Einkleidungen gewählt. In dem hier interessierenden Spot steht der Kinderwagen für sämtliche „Alt“ – Autos. Seine kleinen Insassen wechseln fluchtartig in das

„angesagte“ Modell. Die Geste des letzten Babys soll vermitteln, daß kleinere Wagen ab jetzt verachtenswert und inakzeptabel sind.

M. E. liegt in dem abschließenden Bild eine unzulässige Diskriminierung von Kindern.

Gestaltung und Zweck der verfremdeten Darstellung wirken hier in negativer Weise zusammen.

Das Werbeschema der psychologischen Obsoleszenz ist aus lauterkeitsrechtlicher Sicht schon für sich genommen problematisch. Wettbewerb wird hier nicht in erster Linie mit der Güte des Produkts, mit Preis oder Leistung betreiben; vielmehr steht die soziale Disqualifizierung älterer Konkurrenzwaren im Vordergrund. Eben diese Abwertung wird dem Zuschauer mit Hilfe der Baby – Darsteller besonders kraß und unverblümt vermittelt. Das Zeigen des aufgestreckten Mittelfingers gilt allgemein als eine grobe, obszöne Beleidigung.

Dementsprechend wirkt das Baby mehr verdorben als erfahren; der Zuschauer kann an dieser Art des Erwachsen - Scheinens kaum etwas positives finden. Weil es sich aber „nur“ um ein Baby handelt, wird er sich von der Geste nicht in gleicher Weise abgestoßen fühlen, wie bei

1006 C. Baudenbacher, 68 f

1007 C. Baudenbacher, 69

einem älteren Darsteller. Das in Kapitel 1 beschriebene Provokateur – Schema1008 dient also dazu, eine grobe und unsachliche Herabsetzung von Konkurrenzgütern publikumsfähig zu machen. Das Kleinkind wird dabei zu einem beliebig verformbaren Katalysator für Werbebotschaften degradiert.

IV.: Kinder als Sexualobjekte

Im Dokument Kinderwerbung und Lauterkeitsrecht (Seite 154-158)