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Kapitel 6: Verzahnung gerichtlicher und außergerichtlicher

C. Effektive Verbraucherrechtsdurchsetzung

II. Konfliktscheu

Dass sich Verbraucher in Konflikten grundlegend anders als Unternehmer ver-halten, liegt nicht nur an ihrer begrenzten Konfliktroutine, sondern auch an bestimmten wirtschaftlichen und psychologischen Dispositionen, die ihr Kon-fliktverhalten nachhaltig beeinflussen.

1. Budgetrestriktionen

Einen ersten Aspekt, der für viele Verbraucher im Konflikt entscheidungslei-tend ist, bilden ihre begrenzten finanziellen Ressourcen. Teilweise ist diese Knappheit darauf zurückzuführen, dass die Betroffenen überwiegend von der Hand in den Mund leben und ihr Vermögen schlicht nicht dazu ausreicht, um Verfahrenskosten im drei- oder vierstelligen Bereich zu übernehmen. Daneben gibt es aber auch eine erhebliche Anzahl von Verbrauchern, deren Vermögen zwar dafür ausreichen würde, um Gerichts- und Anwaltskosten zu zahlen, für die diese Investition aber nicht in Betracht kommt, weil sie zu ihren sonstigen Haushaltsausgaben außer Verhältnis steht. Bevor sie für ein kostenträchtiges Verfahren in Vorleistung gehen, ziehen viele Verbraucher lieber zurück und ver-zichten auf die Durchsetzung ihrer Rechte. Die Aussicht, den Kostenvorschuss womöglich später erstattet zu bekommen, ändert daran wenig.

Das beschriebene Phänomen zeigt sich naturgemäß nicht nur bei der initialen Planung der Verfahrenskosten, sondern auch immer dann, wenn sich die Ver-fahrenskosten signifikant zu erhöhen drohen. So kommt es etwa im Gerichts-verfahren häufig vor, dass das Gericht in der streitigen Verhandlung die Hinzu-ziehung eines Gutachters erwägt. Die dadurch drohende erhebliche Erhöhung der Verfahrenskosten sprengt häufig das Budget prozessierender Verbraucher und führt zu starkem Einigungsdruck.37 Steht dem Verbraucher eine Partei mit größerem Verfahrensbudget gegenüber, führt dies zu einer Verhandlungssitu-ation, in welcher der Verbraucher unabhängig von der materiellen Rechtslage kaum valide Alternativen38 und damit schlechte Karten hat.39

37 Weiterführend Egli, Vergleichsdruck im Zivilprozeß, 1996, S.96ff.; anekdotisch Stein-berg, DRiZ 2012, 19, 20, und Leipold, in: Stürner/Bruns (Hrsg.), Globalisierung und Sozial-staatsprinzip, 2014, S.235, 247. Eine anschauliche Praxisdarstellung findet sich bei Gottwald/

Treuer, Verhandeln und Vergleichen im Zivilprozess, 2005, S.113ff. Siehe auch Steinberg, Richterliche Gewalt und individuelle Freiheit, 2010, S.128ff.

38 Siehe Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, 2009, S.26ff. zur Bedeutung von Nichteinigungsalternativen für die Verhandlungsposition des Betroffenen.

39 Koch, Verbraucherprozeßrecht, 1990, S.99.

2. Verlustangst

Neben die Budgetrestriktion des Einzelnen tritt regelmäßig ein starkes Bedürf-nis, im Zuge einer juristischen Auseinandersetzung keinerlei materielle Verluste zu erleiden. Ob etwaige Verluste sich durch Gewinne kompensieren lassen, er-scheint dabei sekundär, weil die meisten Menschen Verluste mehr schmerzen, als Gewinne sie befriedigen.40 Um Verluste zu vermeiden, werden sie daher in der Regel weite Wege gehen und viel Geld investieren.

Wird jemand durch einen Forderungsprätendenten unberechtigt in spruch genommen, so wird es ihm viel Geld wert sein, sich gegen diesen An-spruch zu verteidigen. Besteht hingegen mit identischer Wahrscheinlichkeit eine eigene Forderung, die allerdings noch aktiv durchgesetzt werden müsste, so ist dies den meisten Menschen deutlich weniger wert. Dies gilt umso mehr, wenn sich eine eigene Forderung nicht ohne anwaltliche Hilfe durchsetzen lässt.

Denn die Anwaltskosten wertet man – jedenfalls kurzfristig – als eigenen Ver-lust, der sich durch Nichtverfolgung des Anspruchs vermeiden lässt. Investitio-nen erscheiInvestitio-nen nicht als Chance, sondern als unmittelbarer Nachteil.

Dies ändert sich nur dann, wenn eine Rechtsschutzversicherung ins Spiel kommt, denn diese ersetzt ihren Versicherungsnehmern die finanziellen Ver-luste eines verlorenen Prozesses. Zwar ist in Deutschland fast die Hälfte der pri-vaten Haushalte rechtsschutzversichert, und die ARB der meisten Versicherer schließen die klassischen Verbraucherstreitigkeiten in den Rechtsschutz mit ein.

Allerdings enthalten die meisten Versicherungsverträge Selbstbeteiligungen im dreistelligen Euro-Bereich. Diese sichern die Versicherung gegen die Gefahr moralischen Versagens (moral hazard) ihrer Kunden41 – aber aktivieren gleich-zeitig auch einen Gutteil der Verlustängste, die durch den Versicherungsmecha-nismus gerade beseitigt werden sollten. Auch Prozessfinanzierer, die Streitpar-teien gegen das Kostenrisiko eines Gerichtsprozesses versichern, fangen dies nicht auf, denn sie versichern in der Regel nur Prozesse ab einem fünf- oder sechsstelligen Streitwert.42

3. Risikoaversion

Eng verknüpft mit dieser pessimistischen Perspektive auf Investitionen in die Rechtsdurchsetzung ist häufig eine ausgeprägte Aversion gegenüber Risiken. Ist der Nutzen einer Investition mit Risiken behaftet und damit ungewiss, so zieht man tendenziell den Status quo vor, auch wenn man ihn eigentlich als unbefrie-digend empfindet.43 Besteht die Wahl zwischen einem sicheren geringen

Geld-40 Kahneman/Tversky, 47 Econometrica 1979, 263ff.

41 Adams, Ökonomische Analyse des Zivilprozesses, 1981, S.114.

42 Der Eingangsstreitwert von Prozessfinanzierern liegt gegenwärtig zwischen 5.000 € und 100.000 €; dabei setzen die großen Finanzierer höhere Mindeststreitwerte an.

43 Kahneman/Tversky, 39 Amer. Psychol. 1984, 341, 348.

betrag und der Chance auf eine hohe Summe, so bevorzugt man in der Regel den geringen Geldbetrag, auch wenn dieser erheblich unter dem Erwartungswert des größeren Betrages liegt.44

Verbraucher werden daher selbst bei guten Erfolgschancen in der Sache häu-fig geringe Vergleichsangebote annehmen, um dem Restrisiko einer für sie nach-teilhaften Gerichtsentscheidung zu entgehen.45 Die Übernahme der Prozess-kosten durch eine Rechtsschutzversicherung ändert daran nichts, denn auch ein gegen das Prozesskostenrisiko versicherter Verbraucher trägt das Risiko eines ungünstigen Urteils immer noch selbst und wird sich daher im Zweifel lieber mit einem aus seiner Sicht schlechten Vergleich abfinden lassen. Das Problem betrifft dabei insbesondere einkommens- und vermögensschwache Personen:

Wer wenig Geld hat, kann es sich schlichtweg nicht leisten, damit ein Spiel zu spielen, dessen Determinanten ihm kaum bekannt sind.46

4. Gerichtsscheu

Die Zurückhaltung von Verbrauchern beim aktiven Umgang mit eigenen For-derungen wird noch verstärkt durch eine verbreitete Scheu vor dem Kontakt zu Hoheitsträgern wie den staatlichen Gerichten.47 In eingeschränktem Um-fang gilt dieser Befund auch für den Kontakt zu nicht-hoheitlichen Organen der Rechtspflege wie etwa Rechtsanwälten.48 Diese Scheu resultiert nicht un-bedingt aus eigener Unsicherheit hinsichtlich der Rechtslage, sondern vor allem aus dem mit einem Gerichtsverfahren verbundenen emotionalen und zeitlichen

44 Anders ist dies wiederum bei der Wahl zwischen einem sicheren geringen Geldverlust und dem Risiko, einen höheren Geldbetrag zu verlieren: Hier wird tendenziell das Risiko bevorzugt, weil es auch die Chance mit sich bringt, Verluste ganz zu vermeiden. Verlustangst wiegt gleichsam schwerer als Risikoaversion. Vgl. Slovic/Fischhoff/Lichtenstein, in: Hogarth (Hrsg.), Response Mode, Framing, and Information-Processing Effects in Risk Assessment, 1982, S.21ff.

45 Das Kostenrisiko ist mit der gewichtigste Grund dafür, dass Menschen Gerichtspro-zesse meiden: In dem Bevölkerungsdrittel, das ohne Ansehen des konkreten Falls ProGerichtspro-zesse kategorisch zu meiden sucht, geben 64 %an, ein Prozess sei zu teuer bzw. das finanzielle Risiko sei zu hoch; ROLAND Rechtsschutz-Versicherungs-AG, Roland Rechtsreport 2014, 2014, S.35.

46 Adams, Ökonomische Analyse des Zivilprozesses, 1981, S.99f.

47 Grundlegend Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, 1994, S.56ff. m.w.N.; speziell zu einkommensschwachen Bürgern Amtrup, in: Rasehorn (Hrsg.), Rechtsberatung als Le-benshilfe, 1979, S.157, 160. – Von den in Kap.2 Fn.45 beschriebenen Prozessmeidern ge-ben 64 %an, es widerstrebe ihrem Typ, Streitigkeiten vor Gericht zu klären; 26 %sagen, sie fühlten sich Richtern und Anwälten nicht gewachsen; ROLAND Rechtsschutz-Versiche-rungs-AG, Roland Rechtsreport 2014, 2014, S.35.

48 Diese Kontaktschwelle hat namentlich bei Rechtsanwälten freilich auch nützliche Züge, denn gerade aufgrund des Prinzipal-Agenten-Charakters einer Mandatsbeziehung ist Ver-brauchern auch nicht an der vorschnellen Anbahnung eines Rechtsdienstleistungsvertrages gelegen. Vgl. dazu auch die distanzwahrende Entscheidung des OLG Düsseldorf v. 17.Juli 2007, I-20 U 54/07, AnwBl 2007, 794.

Aufwand,49 aus der als unangenehm empfundenen Öffentlichkeit des staat-lichen Gerichtsverfahrens, aus einem Unwohlsein gegenüber dem als bedroh-lich empfundenen Justizapparat50 und der dort herrschenden Atmosphäre51, aus der einschüchternden Wirkung prunkvoller Justizgebäude52 sowie in durchaus nicht wenigen Fällen auch daraus, dass die Betroffenen glauben, sie seien fortan bei Gericht registriert oder landeten bei Unterlegenheit in einem Zivilverfahren am Ende selbst auf der Anklagebank.53 Diese Ängste müssen sich vor Gericht durchaus nicht bestätigen: Das tatsächliche Gerichtserlebnis kann durchaus po-sitiv sein und eine wertvolle Lebenserfahrung darstellen – allein ist dies für viele Anspruchsinhaber ex ante nicht absehbar. Auch Erwartungen und Pro-jektionen bezüglich der Person des Richters schrecken Verbraucher häufig ab, weil sie ahnen, dass dieser aus einem anderen gesellschaftlichen Milieu stammen könnte, und ihm verständnisvolle Umgangsformen nicht zutrauen.54

Die beschriebenen Phänomene führen dazu, dass Privatpersonen ihre sprüche nur sehr zögerlich aktiv geltend machen. Gerade geringwertige An-sprüche setzten sie nur in seltenen Fällen durch, etwa wenn sich die Kosten auf einen Rechtsschutzversicherer abwälzen lassen. Für Ansprüche bis zum Wert von 1.000 € kann sich nur ein gutes Viertel der Bürger die Anrufung eines Ge-richts vorstellen.55 Eine jüngere Umfrage konkretisierte diesen Befund dahin-gehend, dass der durchschnittliche Bundesbürger nach eigener Einschätzung bei eigenen Ansprüchen erst ab einem Forderungsbetrag in Höhe von 1.950 € vor Gericht zieht.56

49 Gerade für Arbeitnehmer kann die Wahrnehmung von tagsüber stattfindenden Ver-handlungsterminen auch zeitlich unpässlich sein bzw. zu unbequemen Fragen führen; Ison, 35 Mod. L. Rev. 1972, 18, 22.

50 Koch, Verbraucherprozeßrecht, 1990, S.62, belegt dieses Gefühl mit dem Begriff „Kaf-ka-Syndrom“.

51 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, 2007, S.123f. m.w.N. in Fn.501. – Freilich erfüllt die würdevolle Atmosphäre eines Gerichtsverfahrens auch durchaus einen Zweck;

Gross, in: FS Bornkamm, 2014, S.1035, 1036, formuliert bildhaft: „Ein Gerichtssaal ist kein Freizeitpark.“

52 Ison, 35 Mod. L. Rev. 1972, 18, 19.

53 In einer nicht-repräsentativen Umfrage unter 107 Verbrauchern gehörte für immerhin 21 %der Befragten zumindest einer der beiden letztgenannten Punkte zu den wichtigeren Beweggründen dafür, ein Unternehmen nicht zu verklagen. Zur Verwechslung von Straf- und Ziviljustiz von Hippel, RabelsZ 1976, 513, 530.

54 Ison, 35 Mod. L. Rev. 1972, 18, 19.

55 ROLAND Rechtsschutz-Versicherungs-AG, Roland Rechtsreport 2014, 2014, S.36;

eine wesentlich höhere Quote (67 %) nennt eine europäische Studie, die freilich den Streitge-genstand als möglichen Verlust darstellte und damit die unter A. II. 2. beschriebenen psycho-logischen Mechanismen ausgelöst haben dürfte; Special Eurobarometer 342, S.217.

56 ROLAND Rechtsschutz-Versicherungs-AG, Roland Rechtsreport 2014, 2014, S.36. Die in Kap.2 Fn.53 genannte Untersuchung ermittelte für die beginnende Klagebereitschaft ei-nen durchschnittlichen Wert von 2.451 €. Siehe auch Kocher, in: Brömmelmeyer (Hrsg.), Die EU-Sammelklage, 2013, S.71, 88.