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Konstitutionelle Rechtfertigung

Kapitel 6: Verzahnung gerichtlicher und außergerichtlicher

C. Effektive Verbraucherrechtsdurchsetzung

I. Konstitutionelle Rechtfertigung

Eine Reihe unterschiedlicher Verfahrensrechte ist heute konstitutionell veran-kert.103 In Deutschland folgen etwa aus Art.19 Abs.4, 20 Abs.3, 101 Abs.1 S.2 und 103 Abs.1 GG Verfahrensgrundrechte von Verfassungsrang. Die zuneh-mend verfassungsähnlich interpretierte104 europäische

Menschenrechtskonven-102 Diese Einsicht verdanke ich der Diskussion beim 9. Habilitandenkolloquium des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht im Mai 2015 in Ham-burg; namentlich seien Jennifer Trinks und Jan Felix Hoffmann genannt.

103 Stürner, ZZP (127) 2014, 271, 308ff. spricht von konstitutionellen Rechten und Verfah-rensprinzipien als zwei konzentrischen Kreisen. Ergänzend weist Stürner, in: FS Bornkamm, 2014, S.1063, 1064, darauf hin, dass „die meisten Verfahrensgrundsätze durch die Verfas-sungsgeber oder die Verfassungsgerichte später mit verfassungsrechtlichem Schutz umkleidet worden“ sind. Ähnlich nunmehr Althammer, in: Althammer/Weller (Hrsg.), Mindeststan-dards im europäischen Zivilprozessrecht, 2015, S.3, 6ff.

104 Die Entscheidung des BVerfG v. 14.Oktober 2004, 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 (Görgülü) bezog die EMRK über das Rechtsstaatsprinzip gleichsam in das Grundgesetz ein;

dies wurde bestätigt und konkretisiert in BVerfG v. 4.Mai 2011, 2 BvR 2365/09, BVerfGE 128, 326, 331; weiterführend Nußberger, in: Isensee/Kirchhof, HbStR X, 2012, §209 Rn.10ff.

m.w.N. Bisweilen findet sich sogar die Auffassung, die EMRK sei faktisch höherrangig, denn

tion sieht insbesondere in Art.6 Abs.1 eine Reihe von Verfahrensgarantien für gerichtliche Zivilverfahren vor. 105 Und auch die nach Art.6 Abs.1 EU nunmehr verbindliche europäische Grundrechte-Charta (GRCh) benennt in Art.47 ähn-liche Parteirechte. Diese Vorschriften stellen zwingende normative Vorgaben für justizielle Rechtsdurchsetzungsverfahren dar.106

Freilich gelten diese konstitutionellen Rechte jedenfalls ihrem Wortlaut nach nicht für außergerichtliche Rechtsdurchsetzungsverfahren, sondern nur für Gerichte.107 Aus der Tatsache, dass der Geltungsgrund dieser Rechte auch für außergerichtliche Verfahren plausibel erscheint, erwächst sodann die Idee, die Anwendung dieser Prinzipien auf außergerichtliche Verfahren zu erstre-cken108 oder dies zumindest dort zu tun, wo diese Verfahren die Rechtsdurch-setzung bezwecken. Diese Auffassung kann sich auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1959 stützen, der bestimmte Mindeststan-dards auch für nicht-staatliche Gerichte aus einem „Gebot der natürlichen Gerechtigkeit“ gefolgert hat.109 Diese vom BGH seinerzeit nicht näher be-gründete Äußerung als Legitimation für eine grundlegende Ausweitung von Justizgrundrechten heranzuziehen, erscheint allerdings dogmatisch wenig überzeugend. Man mag zwar über eine Geltung für privatgerichtliche Verfah-ren diskutieVerfah-ren, soweit diese Rechtsprechung im materiellen Sinne darstel-len,110 die Erstreckung auf konsensorientierte Verfahren ohne eine verbind-liche Entscheidung erscheint allerdings als Überdehnung der nämverbind-lichen

Vor-bei Inkompatibilität müsse das Grundgesetz geändert werden; so etwa Meyer-Ladewig/Pet-zold, NJW 2005, 15, 16, 19, und dem folgend auch Meyer-Ladewig, EMRK, 2011, Art.46, Rn.33.

105 Weiterführend Althammer, in: Althammer/Weller (Hrsg.), Mindeststandards im eu-ropäischen Zivilprozessrecht, 2015, S.3, 11ff.

106 Stürner, in: Liber Amicorum Wolfram Henckel, 2015, S.359, 366f.

107 So auch Hess, JZ 2015, 548f.

108 Hess, JZ 2015, 548: „[J]ede Form der Streitbeilegung unter Beteiligung eines Dritten [muss] verfahrensrechtliche Mindeststandards einhalten“. Anderer Auffassung ist Stadler, ZZP (128) 2015, 165, 166.

109 BGH v. 26.Februar 1959, II ZR 137/57, BGHZ 29, 352, 355, zum rechtlichen Gehör vor Vereinsgerichten.

110 Insbesondere für Schiedsverfahren ist die Geltung konstitutioneller Verfahrensstan-dards aber durchaus streitig; klar dafür votiert Hess, JZ 2015, 548, 549f., speziell für das rechtliche Gehör nach Art.103 Abs.1 GG ebenfalls bejaht von BGH v. 11.November 1982, III ZR 77/81, BGHZ 85, 288, 291f.; anderer Auffassung ist unter Berufung auf den staatlichen Anerkennungs- und Vollstreckungsvorbehalt gegenüber Schiedssprüchen Tochtermann, Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008, S.35ff.; weiterhin Schmidt-Aß-mann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 2015, Art.103 Abs.1 Rn.50; differenzierend Briner/

von Schlabrendorff, in: Liber Amicorum Karl-Heinz Böckstiegel, 2001, S.89, 92ff.; zur Gel-tung für die VerbraucherschlichGel-tung hinsichtlich Art.103 Abs.1 GG ablehnend Stürner, in:

Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S.87, 94f.; generell ablehnend Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S.117, 119f.; je-weils m.w.N.

schriften.111 So gilt die Verfassungsnorm des Art.103 Abs.1 GG unstreitig nur für staatliche Gerichte.112 Und auch der EGMR wendet Art.6 Abs.1 EMRK nur auf solche außergerichtlichen Spruchkörper an, auf welche die Parteien von Gesetzes wegen113 verwiesen sind.114

Auch die Tatsache, dass die Schöpfer von Grundgesetz, Menschenrechtskon-vention und Grundrechte-Charta angesichts des seinerzeit noch sehr dürfti-gen Entwicklungsstands der außergerichtlichen Streitbeilegung diese schlech-terdings nicht berücksichtigen konnten, zwingt nicht zu dem Schluss, sämt-liche Rechtsdurchsetzungsverfahren heute als von den diskutierten Normen erfasst ansehen zu müssen.115 Zwar haftet der Blick auf das Telos gerade nicht am Buchstaben des Gesetzes, sondern ermöglicht gerade auch die Einbeziehung der Wertentscheidungen insbesondere des historischen Gesetzgebers.116 Es er-scheint aber fraglich, ob konstitutionelle Vorgaben für gerichtliche Verfahren nach dem Willen des Gesetzgebers für Rechtsdurchsetzungsverfahren schlecht-hin gelten sollten, waren doch Schiedsgerichte und Schlichtungsverfahren zur Zeit der Schaffung etwa des GG und der EMRK Mitte des 20.Jahrhunderts al-les andere als unbekannt.117 Auch ein Rückgriff auf das Rechtsstaatsprinzip des Art.20 Abs.2 und 3 GG118 vermag nicht zu überzeugen, weil dem materiellen Zivilrecht zwar eine Ordnungsfunktion zukommt, diese aber keiner Verstär-kung durch das den Staat verpflichtende Rechtsstaatsprinzip bedarf.119

111 EGMR v. 23.Oktober 1985, 8848/80, Benthem v. Niederlande, 8 EHRR 1 PC, Rn.40, und dem folgend Tochtermann, Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Mediators, 2008, S.40ff.

112 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 2015, Art.103 Abs.1 Rn.49ff.;

Radtke/Hagemeier, in: BeckOK-GG, 2015, Art.103 Rn.3.

113 Der Gerichtsbegriff des Art.6 Abs.1 EMRK erfasst insofern selbst Schiedsgerichte nur insoweit, als deren Jurisdiktion gesetzlich vorgeschrieben ist und es für die Parteien kei-nen Ausweg zu staatlichen Gerichten gibt.

114 EGMR v. 28.Oktober 2010, 1643/06, Suda v. Tschechische Republik, Rn.49, im An-schluss an EGMR v. 12.Oktober 1982, 8588/79 und 8589/79, Bramelid und Malmström v.

Schweden; siehe auch Villamarín López, in: Stürner/Gascón Inchausti/Caponi (Hrsg.), The Role of Consumer ADR in the Administration of Justice, 2015, S.131, 132ff.; dem folgend auch Stadler, ZZP (128) 2015, 165, 166.

115 Dafür spricht sich allerdings Hess, JZ 2015, 548, 549, aus.

116 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 2015, Rn.719ff.; ähnlich Larenz/Canaris, Me-thodenlehre der Rechtswissenschaft, 1995, S.149ff., 153ff.

117 Das Schiedsverfahren war von Beginn an Bestandteil der Civilprozeßordnung und bereits vor deren Inkrafttreten 1879 aus dem gemeinen Civilprozeßrecht bekannt; im selben Jahr trat die Preußische Schiedsmannordnung in Kraft, die ein außergerichtliches Schlich-tungsverfahren für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten regelte.

118 So ein weiteres Argument von Hess, JZ 2015, 548, 549.

119 Anderer Auffassung ist Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 2015, Art.103 Abs.1 Rn.50, im Anschluss an Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HbStR II, 2004, §26 Rn.21.

Die Geltung konstitutioneller Verfahrensstandards auch für außergericht-liche Streitbeilegungsverfahren kann man vor diesem Hintergrund mit Fug und Recht als wünschenswert empfinden,120 allein die funktionale Ähnlich-keit zwischen gerichtlichen und außergerichtlichen Verfahren – beide dienen der Konfliktlösung – rechtfertigt indes noch keine Erstreckung von Verfah-rensstandards auf Mechanismen, für die sie nicht vorgesehen sind.121 Bewer-tungsmaßstäbe, die gerichtliche und außergerichtliche Verfahren gleichermaßen einzubinden suchen, können daher keinen unmittelbaren Rückgriff auf konsti-tutionell verankerte Verfahrensprinzipien nehmen. Die Geltungsgründe dieser Rechte mögen durchaus auch für außergerichtliche Verfahren tragen, eine An-wendung dieser Prinzipien als Bewertungsmaßstab ist aber jedenfalls gesondert zu begründen.