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Kapitel 1: Grundlagen

E. Forschungsstand

Die bisher vorliegenden Arbeiten zur Durchsetzung von Verbraucherrechten beschäftigen sich mit dem Verbraucherprozessrecht unter dem Einfluss der Eu-ropäischen Union, mit der Verfahrensgestaltung bei Verbraucherkonflikten wie auch mit dem Zusammenspiel gerichtlicher und außergerichtlicher Rechts-durchsetzungsinstrumente.

I. Verbraucherprozessrecht unter dem Einfluss der Europäischen Union

Im Verbraucherprozessrecht existiert eine vergleichsweise breite Forschungs-grundlage für Mechanismen des kollektiven (Verbraucher-) Rechtsschutzes auf deutscher und europäischer Ebene.80 Demgegenüber sind Fragen aus dem Be-reich der individuellen Verbraucherrechtsdurchsetzung bislang wissenschaft-lich nur begrenzt bearbeitet worden. Dies liegt zunächst daran, dass diese in Deutschland nicht einer separaten Prozessordnung unterliegen.81 In der Zivil-prozessordnung knüpfen nur wenige Vorschriften spezifisch an der Verbrau-chereigenschaft einer Partei an (so etwa die §§29c, 1031 Abs.5 ZPO, ersterer aber nur unter Bezug auf das materielle Recht des §312 BGB) oder werden zu-mindest typischerweise von Verbrauchern in Anspruch genommen (so etwa

§§29 Abs.2, 29a, 114ff., 495a ZPO).

Trotz einiger systematischer Darstellungen dieser verbraucherspezifischen Normen des Prozessrechts82 fehlt es bislang an einer grundlegenden Unter-suchung gerichtlicher Verfahren mit Blick auf ihre Eignung zur Durchsetzung von Verbraucherrechten. Der Blick auf die gerichtlichen Mechanismen wird da-bei gerade auch durch den Vergleich mit der jüngsten Förderung außergerichtli-cher Verfahren aktualisiert, weil es damit zum ersten Mal Ansätze eines supra-national angestoßenen Wettbewerbs verschiedener

Verbraucherrechtsdurchset-80 von Bar, DJT-Gutachten, 1998; Koch, JZ 1998, 801ff.; Koch, ZZP (113) 2000, 413ff.;

von Moltke, Kollektiver Rechtsschutz der Verbraucherinteressen, 2003; Hess, JZ 2011, 66;

Stadler, JZ 2009, 121; Meller-Hannich/Höland, Gutachten Evaluierung der Effektivität kol-lektiver Rechtsschutzinstrumente, 2011; Koch, JZ 2011, 438ff.; Domej, ZZP (125) 2012, 421ff.;

Madaus, ZEuP (20) 2012, 100ff.; Stadler, in: FS Stürner, Band 2, 2013, S.1801ff.; Stadler, GPR 2013, 281ff.; Meller-Hannich, GPR 2014, 92ff.; Gsell, in: Schulze (Hrsg.), Europäi-sches Privatrecht in Vielfalt geeint, 2014, S.179ff.; siehe auch die Beiträge in Basedow et al., Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozeß, 1999, in Meller-Hannich, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, 2008 und in Brömmelmeyer, Die EU-Sammelklage, 2013.

81 Roth, in: Gottwald (Hrsg.), Recht und Gesellschaft in Deutschland und Japan, 2009, S.149, 166f.

82 Vor allem Koch, Verbraucherprozeßrecht, 1990; weiter Kocher, in: Tamm/Tonner (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2012, S.1336ff.

zungsverfahren gibt, dem sich mitgliedstaatliche Gesetzgeber nicht unbedingt werden entziehen können.83

II. Verfahrensgestaltung bei Verbraucherkonflikten

Vorbedingung einer Definition von Bewertungsmaßstäben für Mechanismen der Verbraucherrechtsdurchsetzung ist eine rechtstatsächliche Charakterisie-rung von Verbraucherverhalten im Konflikt.84 Auf deren Grundlage lassen sich anschließend Anforderungen für die Gestaltung von Rechtsdurchsetzungsver-fahren formulieren. Für soziale und kollektive Konflikte ist dieses Problematik bereits in den Blick genommen worden;85 diese Arbeit zielt demgegenüber auf eine entsprechende Skizze für Konflikte aus der Individualperspektive.

Die Bearbeitung der daran anschließenden Frage, welchen Stellenwert die Rechtsdurchsetzung in Verfahren zur Lösung von Verbraucherkonflikten ein-nehmen sollte, schöpft aus der Diskussion um die Zwecke des Zivilprozesses und um eine angemessene Balance von Rechtsfrieden und Rechtsdurchset-zung.86 Wenig erörtert ist freilich bislang, inwieweit Verbraucherkonflikte eine stärkere oder schwächere Gewichtung der Rechtsdurchsetzung innerhalb der Prozesszwecke verlangen, etwa weil Verbraucher mangels ständiger Geschäfts-beziehung und infolge der hochkompetitiven Struktur der meisten Verbrauchs-gütermärkte ein tendenziell geringeres Interesse an der Befriedung des Rechts-verhältnisses oder aber ein größeres Interesse an einer Vermeidung von Ge-richtsverfahren haben.87

Soweit sich ein Verfahren zur Bewältigung von Verbraucherkonflikten der Rechtsdurchsetzung verpflichtet hat, stellt sich dann die Frage, welche verfah-rensrechtlichen Bewertungsmaßstäbe dieser Zwecksetzung dienen. Deren Be-antwortung steht vor dem Hintergrund der Forschung zur bedürfnisorientier-ten Gestaltung von Konfliktbehandlungsmechanismen (sog. dispute systems design).88 Wichtig ist dabei zu klären, inwieweit außerrechtliche Maßstäbe in

83 Ausführlich Wechsler/Tripkovi;, in: Micklitz/Wechsler (Hrsg.), The Transformation of Enforcement, 2016, S.377, 392ff.

84 Siehe dazu Bender, 40 RabelsZ 1976, 718, 726; Bender/Schumacher, Erfolgsbarrieren vor Gericht, 1980, S.49ff.; Bender, in: Bender (Hrsg.), Rechtstatsachen zum Verbraucher-schutz, 1988, S.101ff.

85 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, 2007.

86 Gaul, AcP (68) 1968, 27, 46ff.; Schmidt, Der Zweck des Zivilprozesses und seine Öko-nomie, 1973, S.9ff.; Stürner, DRiZ 1976, 202ff.; neuerdings Münch, in: Bruns/Münch/Stadler (Hrsg.), Die Zukunft des Zivilprozesses, 2014, S.5ff.; s.a. Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, 2015, Einl. Rn.5; Rauscher, in: MünchKomm-ZPO, 2013, Einl. Rn.8f.

87 Mit überzeugenden Gründen skeptisch gegenüber einem Sonderprozessrecht für Ver-braucher Roth, in: Bruns/Münch/Stadler (Hrsg.), Die Zukunft des Zivilprozesses, 2014, S.69ff.

88 Esser, Evaluations of Dispute Processing, 1988; Sander/Goldberg, 10 Negot. J. 1994,

solche Verfahren einfließen sollten,89 welche Qualifikation zur Leitung solcher Verfahren befähigt und wie Vergütung und Arbeitspensum der Entscheidungs-träger ihre Verhaltensanreize und Unabhängigkeit beeinflussen. Ebenso ist zu erörtern, welche Bedeutung dem Grundsatz der Öffentlichkeit zukommt und wer das Verfahren finanzieren sollte. Diese Frage wurde für den Zivilprozess bereits in den Blick genommen90 und wird jüngst durch die Diskussion um Eu-ropean Principles of Civil Procedure im supranationalen Kontext wieder aufge-nommen.91 Die Frage verdient aber auch eine spezifische Betrachtung aus der Warte von Verbrauchern.92 Eine wichtige Facette der Fragestellung betrifft den Zugang der Verbraucher zum Recht, der durch eine Bevorzugung außergericht-licher Verfahren beeinträchtigt sein könnte.93

III. Zusammenspiel

verschiedener Rechtsdurchsetzungsverfahren

Klar definierte Bewertungsmaßstäbe für Instrumente der Verbraucherrechts-durchsetzung bilden den Maßstab für eine Evaluation zunächst der gericht-lichen Verfahren zur Durchsetzung materieller Verbraucherrechte in Deutsch-land und Europa. Die Forschungslücke in diesem Bereich umfasst nicht nur die kriteriengeleitete Ausgestaltung des zivilprozessualen Erkenntnisverfahrens,94

49ff.; Ury/Brett/Goldberg, Getting Disputes Resolved, 1999; Kupfer Schneider, 5 Harv.

Negot. L. Rev. 2000, 113ff.

89 Zweifelnd Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704, 1705 und Wagner, 51 C. M. L. Rev. 2014, 165, 171ff.

90 Schmidt, KritV 1989, 303ff. und Schmidt, KritV 1991, 378ff.; Althammer, ZZP (126) 2013, 3ff.; speziell zur Effektivität des Rechtsschutzes jüngst auch Zuck, NJW 2013, 1132ff.

Generell zur Bedeutung von Prozessmaximen Bruns, in: Bruns/Münch/Stadler (Hrsg.), Die Zukunft des Zivilprozesses, 2014, S.53ff.

91 Die europäischen Prinzipien sollen aus den – rechtlich unverbindlichen – Principles of Transnational Civil Procedure entwickelt werden, die das American Law Institute (ALI) und das Institut international pour l’unification du droit privé (UNIDROIT) gemeinsam formuliert haben. Siehe Pfeiffer, in: Althammer/Weller (Hrsg.), Mindeststandards im euro-päischen Zivilprozessrecht, 2015, S.115ff., und weiterführend Stürner, 19 Unif. L. R. 2014, 322ff. Speziell aus der Perspektive europäischer Menschenrechte zuvor bereits Wolf, in: FS Söllner, 2000, S.1279ff.

92 Zur außergerichtlichen Streitbeilegung von Verbraucherkonflikten grundlegend Hess, ZZP (118) 2005, 427, 443ff.; daran anschließend nunmehr Steffek/Unberath, Regulating Dis-pute Resolution, 2013; nur kurz erwähnt bei Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, Consumer ADR in Europe, 2012, S.437ff. Ähnlich schon früh Tonner, in: FS Reich, 1997, S.861, 872ff.

Neuerdings Hess, JZ 2015, 548ff.

93 Siehe bereits die Nachweise in Kap.1 Fn.11 sowie speziell für Verbraucherprozesse Calliess, 7 German L. J. 2006, 647ff. und Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704, 1707ff. Der-weil hielt Tonner, in: FS Reich, 1997, S.861, 862, (jedenfalls damals) diese Fragestellung für unbedeutend.

94 Dazu einführend Kocher, in: Tamm/Tonner (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2012, S.1336ff.

sondern auch eine umfassende Darstellung des Zusammenspiels individueller und kollektiver Rechtsdurchsetzungsverfahren. Dazu gehört auch die Erörte-rung der Frage, ob die Rechtsdurchsetzung dort, wo Verbraucher trotz effi-zienter Verfahren rational apathisch bleiben, von Verbraucherverbänden oder von Behörden wahrgenommen werden sollte.95 Bedeutsam sind in diesem Kon-text auch Möglichkeiten zur Erleichterung der Verfahrenseröffnung durch den Einsatz moderner Informationstechnologie96 sowie eine genaue Verortung pro-zessualer Verantwortlichkeiten einerseits bei den Gerichten97 und andererseits auch bei den verschiedenen rechtsberatenden Berufen98.

Schließlich ermöglichen Bewertungsmaßstäbe für Verfahren der Verbrau-cherrechtsdurchsetzung auch eine Beurteilung nichtstaatlicher Konfliktlö-sungsmechanismen. Diese steht vor dem Hintergrund der grundlegenden Frage, inwieweit der Staat judikative Aufgaben überhaupt aus der Hand geben und privaten Konfliktlösungsorganisationen überlassen darf.99 Dabei kommt insbesondere der Diskussion der Umsetzung der ADR-Richtlinie durch die Einrichtung, Vernetzung und Überwachung von Einigungs- und Schlichtungs-stellen100 großes Gewicht zu, weil dies womöglich zu einer Teilprivatisierung der Justiz führen könnte.101

Die kriteriengeleitete Evaluation der in Deutschland und Europa verfügba-ren und vorgesehenen Verfahverfügba-ren der Verbraucherrechtsdurchsetzung ist für den deutschen Gesetzgeber von großer Bedeutung, wenn er das geltende Zi-vilprozessrecht auf die besonderen Anforderungen von Verbraucherverfahren ausrichten möchte. Diese Aufgabe ist mit der Umsetzung der ADR-Richtli-nie in einem deutschen Verbraucherstreitbeilegungsgesetz nicht abgeschlossen.

95 Dazu Micklitz/Reich, EuZW 2013, 457 und ausführlich die Beiträge in Cafaggi/Mick-litz, New Frontiers of Consumer Protection, 2009.

96 Haft, in: FS Prümm, 2013, S.15ff.; Gaier, NJW 2013, 2871, 2873f.; siehe zum Mahn-verfahren bereits Gundlach, Europäische Prozessrechtsangleichung, 2005, S.176ff. und für außergerichtliche Verfahren auch Cortés, Online Dispute Resolution for Consumers in the European Union, 2011, S.83f.

97 Stürner, DRiZ 1976, 202 ff; Prütting, JZ 1985, 261ff.

98 Dazu Reich, in: Reich/Micklitz (Hrsg.), Verbraucherschutzrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 1980, S.381ff.; Stürner, JZ 1986, 1089ff.

99 Voit, JZ 1997, 120ff.; Hensler, 108 Penn St. L. Rev. 2003, 165ff.; Hensler, 57 Stan. L. Rev.

2005, 1429ff.; in jüngerer Zeit widmen sich diesem Thema auch die Monographien von Eisen-menger, Privatisierung der Justiz aus rechtlicher und ökonomischer Sicht, 2012, und Zado, Privatisierung der Justiz, 2013; bedeutsam sind auch die Beiträge von Münch, in: Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik (Hrsg.), Bitburger Gespräche Jahrbuch 2008/I, 2009, S.179ff., und Noone, 37 Monash U. L. Rev. 2011, 57ff.

100 Grundlegend zu Schlichtungsstellen von Hippel, Der Ombudsmann im Bank- und Versicherungswesen, 2000.

101 Kritisch insoweit bereits Roth, JZ 2013, 637ff.; Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704ff.;

Wagner, ZKM 2013, 104ff.; Vernadaki, 9 J. Contemp. Eur. Res. 2013, 297ff. Optimistisch hingegen Hirsch, NJW 2013, 2088ff.; differenzierend Tonner, Gutachten zur Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2014, und Rühl, ZZP (127) 2014, 61ff.

Denn einerseits sind die Folgen dieses Gesetzes für die Rechtsdurchsetzung in Verbraucherkonflikten und für die Funktion der Rechtsprechung gegenwärtig noch nicht abzusehen. Und andererseits bleibt es unabhängig von der Bedeu-tung der außergerichtlichen Streitbeilegung eine fortwährende Pflicht des Ge-setzgebers, den Zivilprozess zeitgemäß und nutzergerecht auszugestalten.

F. Dogmatische Begründung