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- Kommentar zu drei wissenschaftssoziologischen Ansätzen Gotthard Beckmann

Ein Kommentator ist immer in einer doppelt mißlichen Lage. Zum einen soll er über fremde Arbeiten urteilen, die mit anderen Unterscheidungen arbeiten als er selber. Er wird somit gezwungen, seine Kriterien als adäquat zu rechtfertigen angesichts divergierender Texte.

Zum anderen muß er versuchen, die Intentionen des zu kommentierenden Textes zu verste­

hen, mit dem Risiko, sich gröblich zu irren. Diesem Risiko einer doppelten Blamage kommt in diesem Fall noch ein weiteres Erschwernis hinzu. Bei den vorliegenden Texten handelt es sich um Forschungsentwürfe, also Arbeiten des noch nicht Endgültiggemeinten, des Revidierbaren. Mit anderen Worten, meine Bemerkungen müssen sich auf durchaus vorläufige und darüberhinaus heterogene Texte beziehen, die von sich aus nicht aufeinander zugeschrieben sind, keine Einheitlichkeit in bezug auf empirische Ansätze, methodisches Design noch Theoriebene besitzen.

Erst durch die Abstraktion des Beobachters werden einige Gemeinsamkeiten sichtbar.

Aus meiner Perspektive kann man die drei Forschungsansätze unter drei Problembezügen vergleichen:

- Verhältnis von Wissenschaft und ihrer gesellschaftlichen Umwelt: Fragen der Autonomie von Wissenschaft (inhaltlicher Aspekt)

- Verhältnis von Kognition und sozialer Struktur (methodischer Aspekt) - Operationalisierung der Problemstellung (empirischer Aspekt)

Der Ansatz von Jochen Gläser et al. verwendet ein Akteurskonzept. Im Mittelpunkt des Interesses stehen Entscheidungsstrukturen und Strategien der Akteure bei wissenschaftli­

chen Innovationen, bei Grit Laudel wird ein organisationstheoretisches Vorgehen betont.

Und Gert Rüdiger Wegmarshaus bringt stärker eine gesellschaftstheoretische Perspektive ein. Alle drei Ansätze stehen jedoch vor dem Problem, wie die Selbstthematisierung der Wissenschaft in Relation zur Gesellschaft zu erfassen und für die empirische Analyse frucht­

bar zu machen ist. Trotz aller Heterogenität der Ansätze und des forschungstechnischen Vorgehens, verwenden sie doch implizit oder explizit die Dichotomie von intem/extem, um

den eigentlichen kognitiven Gehalt von Wissenschaft/Technik gegenüber nur ’’äußerlichen”

Einflüssen zu erfassen, um die Autonomie der Wissenschaft oder was nur eine umgekehrte Betrachtungweise ist, die gesellschaftlichen Restriktionen gegenüber Wissenschaft/Technik zu beschreiben. Es fragt sich, ob dies auch möglich ist.

I. 1.

Anliegen der Forschung von Gläser u.a. ist es herauszufinden, wie sich die Konstella­

tion von Wissenschaft und Gesellschaft verändert hat, seitdem ein öffentlicher Diskurs über die Folgen der Wissenschaft in der Gesellschaft insziniert worden ist.

Ihr Untersuchungsgegenstand bilden Entscheidungsprozesse zu Forschungsreaktoren in den 80er Jahren in Deutschland. Die Fragestellung wird etwas doppeldeutig formuliert, indem zum einen allgemein nach der Veränderung von Entscheidungsprozessen über Forschungs­

reaktoren gefragt wird, zum anderen spezifischer die Beeinflussung von Forschungsmetho­

den und -technik durch praktische Entscheidungsprozesse interessiert. Beide Fragestellun­

gen unterscheiden sich hinsichtlich möglicher Aussagen. Die zweite Frage zielt stärker auf Wandlungsprozesse und Umorganisation im Wissenschaftssystem selbst, die erstere dage­

gen ist vergleichsweise trivial, geht es hier doch um forschungspolitische Entscheidungen, die zunächst wenig mit der Autonomie der Wissenschaft zu tun haben. Forschungspolitik bleibt Politik. Sie kann zwar Mittel bewilligen oder kürzen, Einfluß nehmen auf Themen der Forschung oder sogar Personalentscheidungen mittreffen, was sie jedoch nicht kann ist selbst Forschung betreiben, d.h. sie kann sich nicht selbst an die Stelle von Forschung set­

zen. Die andere Fragestellung ist demgegenüber voraussetzungsvoller. Sie fragt nach der Übernahme von gesellschaftlichen Entscheidungskriterien als methodologische Regeln für den Forschungsprozeß (S. 147). Dies würde in letzter Konsequenz bedeuten, daß Entdif­

ferenzierungsprozesse zwischen Wissenschaft und Politik zu beobachten sind. Der Entwurf selbst bleibt in dieser Frage unentschieden.

A uf der untersuchungspraktischen Ebenen werden im wesentlichen jedoch Aussagen und Hypothesen zu forschungspolitischen Entscheidungen formuliert, dies zeigt unter anderem auch der Gegenstand: nämlich Neu- oder Umbau von Forschungseinrichtungen, also typische Produkte der anwendungsbezogenen Forschung. Es geht um den Bau, die Finanzierung und Genehmigung von Reaktoren.

Der Forschungsprozeß in dieser Phase ist schon längst abgeschlossen. Die Scientific Community versammelt sich nur noch, um der Gesellschaft, sprich Politik, die Mittel abzu­

trotzen, vom Rechtssystem die Genehmigung und bei der Bevölkerung die Akzeptanz ein­

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zuklagen. Daß in diesem Prozeß unter anderem auch auf wissenschaftliche Argumentation bezug genommen wird, macht die Entscheidungsprozesse noch nicht zu wissenschaftlichen Erörterungen oder zu kognitiven Prozessen, betrifft die Wissenschaft nicht in ihrem Voll­

zug.

So wenig wie zwischen den Forschungsfragen differenziert wird, so unklar scheint mir auch das theoretische Konzept zu sein. Zwar wird forsch definiert: ’’Systemzusammenhänge in der Gesellschaft werden als Zusammenhänge zwischen Individuen verstanden, die durch Handlungen vermittelt werden” (S. 130).

Individuen werden als fundierende Elemente der Analyse genommen und mit Hilfe des Akteurbegriffs werden auch soziale Systeme und andere soziale Gebilde wie Individuen behandelt. Diese Sichtweise wird noch verschärft: da Akteure im wesentlichen durch den Situationsbegriff definiert werden, wobei Situation verstanden wird als ’’die durch den Akteur bewerteten inneren und äußeren Handlungsbedingungen (S. 131)”.

Einmal abgesehen davon, daß hier eine äußerst komplexe theoretische Diskussion zwischen Systemtheorie und Handlungstheorie definitorisch entschieden wird, so scheint auch das Akteurskonzept etwas widersprüchlich angelegt zu sein. Folgt man der Akteurstheorie in etwas vereinfachender Weise, so ist ihr Kern doch darin zu sehen, daß individuelle oder kollektive Akteure als aktive Entscheidungsinstanz mit einer immerhin temporären stabilen Präferenzstruktur anzusehen sind, die als ihre Interessen wahrgenommenen Zielzustände mittels geeignetem Ressourceneinsatz zu erreichen suchen. Das hierbei implizite oder explizite Rationalitätsannahmen eine Rolle spielen, mag unberücksichtigt bleiben, da die Rational-Choice Theorie nur noch auf eine konsistente Wahrnehmung und einen verfügba­

ren Optionsspielraum abhebt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von strategisch handelnden Akteuren (S. 132). Systembedingungen erscheinen dann als ’’constraints” für diese Handlungen.

Es würde hier zu weit führen, auf die Problematik des Akteurkonzepts einzugehen (vgl.

Schimank 1989). Einige Dinge fallen jedoch auf.

- Es werden die beteiligten Akteure zwar auf S. 136/137 genannt, aber in ihren Ausprägungen nicht näher bestimmt.

- Es wird nicht die Arena beschrieben, in der die Akteure aufeinandertreffen, ihre Interak­

tionen vollziehen. Somit fällt ein entscheidendes Moment weg, nämlich zu zeigen, wie Interdependenzen in unterschiedlichen Akteurskonstellationen bewältigt werden. Erst dann

könnte man sehen, wie Handlungsorientierungen und Entscheidungsprozesse, Interessen­

gegensätze und Wissensstrukturen der jeweiligen Akteure miteinander vermittelt sind.

- Drittens werden die ’’constraints”, die das Akteurshandeln begrenzen, nicht näher bestimmt. Sind es nun Systemrestriktionen oder individuelles Unvermögen, kognitive Unzulänglichkeiten oder Entscheidungen unter Unsicherheit.

Kurzum, die Modulierung der Akteure, ihre jeweils spezifische Interessen- und Wissens­

ausstattung bleibt im Dunkeln.

Statt dessen wird auf Situationsbeschreibung umgeschaltet und der zu untersuchende Ent­

scheidungsprozeß in Sequenzen zerlegt (S. 136). Damit landet man unversehens in einer historischen Fallstudie, die nun weniger das Akteurshandeln erfassen will, sondern vielmehr auf die Beschreibung des Verlaufs einer Entscheidungsprozedur abhebt, die unter anderem auch die Akteure mitberücksichtigt.

Der theoretische Ansatz zeichnet sich somit durch eine Zwiespältigkeit aus.. Entweder w er­

den Akteurskonstellationen untersucht, dann müßte die Arena und die Konfiguration der handelnden Akteure näher bestimmt werden. Oder es werden historisch abgelaufene Ent­

scheidungsprozesse rekonstruiert, dann müßte die genaue Sequenz und die jeweils beteilig­

ten Akteure und ihr prägender Einfluß analysiert werden.

Die hier konstatierte Unklarheit sowohl der Forschungsfrage als auch des theoretischen Ansatzes verweist meines Erachtens auf die nicht reflektierte Relation von Struktur- und Prozeßanalyse oder, anders gedeutet, auf das ungeklärte Verhältnis von System- und Handlungstheorie, in deren Rahmen eine spezifische Relation von Dynamik und Struktur auszuarbeiten ist..

2.

Das zweite Forschungsprojekt, das Vorhaben von Grit Laudel thematisiert die A uto­

nomie der Wissenschaft unter organisations theoretischem Blickwinkel. Sie fragt nach der Relation von Organisationsform und Forschungshandeln in der Wissenschaft. Kann Inter­

disziplinarität als kognitive Struktur der Wissenschaft mittels Organisation gefördert w er­

den. Auch hier geht es um Möglichkeiten der externen Steuerung von Wissenschaft, diesmal jedoch um gezielte Planung durch die DFG, etwas - nämlich interdisziplinäre Arbeitsweise - im Bereich der Forschung zu fördern, wenn nicht sogar zu erzeugen, indem Sonderfor­

schungsbereiche gezielt eingerichtet werden.

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Richtig wird beobachtet, daß Interdisziplinarität - aber natürlich auch Disziplinarität - sowohl einen kognitiven als auch einen sozialen bzw. organisatorischen Aspekt besitzt.

Interessant ist nun ihre wechselseitige Vermittlung - denn auch Interdisziplinarität ist Dis­

ziplinierung der Forschung, nur eben in anderer Hinsicht. Wie dies aussieht, kann man am Begriff der Interdisziplinarität ablesen, der im wesentlichen mehr einen Appell darstellt als schon ein in kognitiver und sozialer Hinsicht ausgeführtes Konzept. Und hier scheint mir ein Defizit, besser eine Unterbestimmung von Interdisziplinarität im Projekt vorzuliegen.

Wenn in Anlehnung an Parthey Interdisziplinarität als Forschungstätigkeit definiert wird, in

’’dem die Methode in einem anderen Wissenschaftsgebiet als das zu bearbeitende Problem begründet ist”, fragt man sich sofort: und wo bleibt die Theorie. Interdisziplinarität soll sich ja nicht nur auf Methoden sondern auch auf Begriffe und Theorien beziehen. Wenn Inter­

disziplinarität als eine Reaktion auf die interne Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems in einzelne Disziplinen (nicht Fächer) gedeutet werden kann, so sollte man den Begriff der Interdisziplinarität mindestens in drei Typen differenzieren.

Zum einen entsteht Interdisziplinarität gewissermaßen als Abfallprodukt von wissenschaftli­

cher Kommunikation, in dem gelegentliche terminologische Anleihen aus anderen Fächern übernommen werden, wie Chaos, Komplexität, Risiko, Selbstreferenz usw. Diese gewis­

sermaßen okkasionelle Interdisziplinarität findet meist auf Kongressen oder in Zeitschriften­

artikeln statt. Als neue Organisationsweise oder als kognitiver Ansatz wird diese Art der Interdisziplinarität kaum stabilisiert und auf Dauer gestellt werden können. Der Vollzug fin­

det mehr auf interaktivem Gebiet statt. Die kognitive Integration ist eher zufällig.

Eine stärker zeitlich limitierte Interdisziplinarität kann man beobachten, wenn im Rahmen eines befristeten Projekts problembezogene Forschung im Zusammenspiel von mehreren Disziplinen betrieben wird. Hier geht es darum, Forschungsstrategien zu entwickeln, die meist durch eine anwendungsbezogene Problemstellung erzwungen worden ist.

Grundgedanke ist, daß in einem übersehbaren Zeitabschnitt ergänzend zur disziplinären For­

schung neue Sichtweisen erprobt, neue Problemlösungsstrategien versucht werden und eine eigenständige Sprache entwickelt wird. Da es sich um temporäre Interdisziplinarität handelt, sind keine gravierenden Änderungen der sozialen, geschweige den der kognitiven Struktur der Wissenschaft zu erwarten.

Eine dritte Form, die heute zusehends wichtiger und einflußreicher wird, kann man als transdisziplinäre Forschung beschreiben. Hier steht nun die Bildung eines neuen Paradigmas an. Erinnert sei an die Kybernetik, die Informatik und wenn man will die im Moment stark

diskutierte ’’Cognitive Science”. Transdisziplinäre Forschung entwickelt ein neues Para­

digma wie z.B. Feedback, Information, Selbstorganisation, das in den unterschiedlichen Disziplinen angewandt wird und dadurch eine vereinheitlichende Sichtweise über hetero­

gene Forschungsfelder erzeugt.

Bei aller Differenzierung der Wissenschaft insgesamt wird der Versuch gemacht, eine neue Einheit zu stiften. Gerade in einigen Fällen kann man zeigen, wie kognitive und soziale Momente der Wissenschaft miteinander verzahnt sind. Neben der Fruchbarkeit von Ansät­

zen geht es in diesem Fall auch um Geld, Lehrstühle und in manchen Fällen auch um Nobel­

preise.

Wenn man nun den Erfolg von Interdisziplinarität messen will, sollte man stärker auf diese Unterschiede achten, da, je nach dem, was interdiszipliniert wird, Grenzen an Erreichtem und Erreichbarem sichtbar gemacht werden können. Interdisziplinarität weist auf die Nach­

teile von Differenzierung in Disziplinen hin: Verlust der Einheit der Wissenschaften. Da der Erfolg von Wissenschaft in ihrer Disziplindifferenzierung liegt, iädt sich der Ruf nach Inter­

disziplinarität große Beweislast auf. Wie kann man an die Einheit der Wissenschaft bei solch einem komplexen System noch denken? Dies sind aber Fragen, die weit über das vorgelegte Projekt hinausweisen, die aber konstitutiv im Begriff der Interdisziplinarität angelegt sind.

3.

Der dritte Beitrag von Wegmarshaus ist eher im Stil tentativer Vorüberlegungen gehal­

ten, als daß sich schon eine klare Forschungsperspektive abzeichnen würde, geschweige denn ein operationalisiertes Forschungsdesign vorläge.

Interesse weckt sein Versuch, die Veränderungen der Einstellungen zu wissenschaftlich- technischen Problemen und die Entscheidungsprozeduren über technische Projekte in den Bezugsrahmen einer Modemisierungstheorie zu stellen, um aus der Vogelperspektive der Gesellschaftstheorie gleich zwei komplizierte und voraussetzungsreiche gesellschaftliche Entwicklungsmuster in Beziehung zu setzen. Zum einen soll analysiert werden, wie sich zivilgesellschaftliche Strukturen im Transformationsprozeß der Sowjetgesellschaft etablie­

ren und durchsetzen. Zum anderen wird der Versuch gemacht, am Beispiel der Herausbil­

dung einer kritischen kernkraftpolitischen Öffentlichkeit in der Zeit der Perestroika aulzu­

zeigen, wie sich Wissenschafts- und Technologiepolitik als soziales Konstrukt enthüllt.

Auch hier liegt also das Bemühen vor, die sozialen Voraussetzungen von Wissenschafts­

und Technikproduktion zu beleuchten, nur wird dies im Rahmen von Modernisierungs- postulaten versucht. Und genau dort liegt meines Erachtens auch die Schwierigkeit dieses

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Ansatzes. Die These von der ’’aufs Technologische beschränkten Moderne” (S. 152) knüpft doch etwas zu unvermittelt an die Technokratiethese von Habermas in "Technik und Wis­

senschaft als Ideologie” an. Selbst wenn man die sicher vereinfachende These mitmacht, daß ein wesentlicher Faktor für das Entstehen des totalitären Sozialismus in der technokrati­

schen Verkürzung gesellschaftlicher Kommunikation auf szientifischer Rationalität zu suchen ist, die dann ihr Pendent in der Etablierung einer Einheitspartei gefunden hat, scheint dies doch die äußerst komplexen Differenzierungsprozesse in der Sowjetgesellschaft zu verkennen, die unter anderen auch erst die Basis für die Gorbatschow'sche Reformprozesse geschaffen haben. Die Kanalisierung und Einschränkung gesellschaftlicher Kommunikation auf den wissenschaftlich-ideologischen Diskurs darf sicherlich als ein entscheidender Faktor für das Scheitern des Sozialismus betrachtet werden. Daraus aber den Umkehrschluß zu ziehen, durch die Einführung des Parlamentarismus und die Freigabe der gesellschaftsweiten Kommunikation würde schon die Basis für eine nicht technokratische Wissenschafts- und Technologiepolitik geschaffen und so der Weg in eine andere, lichtere Moderne freige­

macht, verkennt, daß technokratische Denkweisen in der Wissenschaft und Politik ja gerade in demokratischen, hochmodemisäerten Gesellschaften an Bedeutung und Einfluß gewonnen haben.

A n dem Versuch, die Folgen von Tschernobyl herunterzuspielen, zu verharmlosen und zu verschleiern, w ar die etablierte Wissenschaft in Ost und West gleichmäßig interessiert und beteiligt. Es scheint heraushebendes Merkmal der Moderne zu sein - wenn man der vorzüg­

lichen Studie von Baumann glauben darf - Differenzierung und Technokratie miteinander zu verbinden. Er nennt dies die Ambivalenz der Modernen. Der Glaube, durch Partizipation der Bürger an forschungs-, technologie- und umweltpolitische Entscheidungsprozesse, die Blindheit von Wissenschaft und Politik zu beseitigen, stellt sich schnell als naiv heraus, wenn in der Tat die Komplexität der Prozesse und Strukturen untersucht wird, die zu modernen Technologien geführt haben oder die für die Erzeugung gravierender Umwelt­

probleme verantwortlich sind. Zivilgesellschaft ist ja nur eine plakative Bezeichnung für die Ab- und Hintergründe einer sich differenzierenden und modernisierenden Gesellschaft.

Individualität und Subjektivität sind die philosophischen Postulate, die die eine Seite es sich entfaltenden Industrialismus und der sich differenzierenden ’’Wissenschaftsgesellschaft”

bilden.

Mit anderen Worten, um das sicher äußerst interessante und wichtige Programm der Modernisierung in Transformationsgesellschaften zu konkretisieren, und wenn es geht auch zu präzisieren, bedarf es noch einiger Arbeit am Begriff der Gesellschaft und der näheren Bestimmung, was eigentlich das Moderne an der Moderne ist.

II.

Zum Schluß soll noch auf ein Problem verwiesen werden, das zwar nicht eigens von den drei Ansätzen thematisiert wird, was aber implizit bei jeder wissenschaftlichen Forschung mitgegeben ist: Die Selbstreferenz der Wissenschaft.

Wissenschaftssoziologen untersuchen die Wissenschaft aus einer inkongruenten Perspektive und zw ar mit wissenschaftlichen Methoden und Theorien. Innen- und Außenperspektive werden vermischt. Zum einen wird die Wissenschaft als Objekt, bzw. als Akteur oder System von außen beobachtet und beschrieben. Sie wird auf Fehler und Unterlassungen untersucht. Sie wird an Rationalitätsstandards gemessen, die nicht ihre eigenen sind und dies geschieht in einer wissenschaftlichen Sprache, die selbst im Wissenschaftssystem entwickelt worden ist. Mit Ulrich Beck kann man dies als ’’sekundäre Verwissenschaftlichung” oder mit Niklas Luhmann als ’’autologische Forschung” beschreiben. Gleich wie, man möchte gerne wissen, von welchem Standpunkt eigentlich die Forschung betrieben wird. Aus dem Wissenschaftssystem im Sinne einer Reformierung der Wissenschaft müßten sich die drei Ansätze jeweils selbst als Akteur, als interdisziplinäre Forschung oder als Gesellschafts­

theorie begreifen und die Erkenntnisse auf sich selbst anwenden. Oder, Wissenschaft wird von außen analysiert und kritisiert, dann müßten die Maßstäbe der Beobachtung ausgewie­

sen werden. Mit anderen Worten ist es gerechtfertigt, die Wissenschaft unter Akteursper­

spektive, als interdisziplinäre Forschung oder als Teilsystem der Gesellschaft zu begreifen, und w o ist der Ort, von dem aus geurteilt werden könnte.

Marx konnte noch auf die Dialektik von Schein und Sein zurückgreifen, Husserl konnte vom Standpunkt einer transzendentalen Phänomenologie die Ausblendungen und Identifizie­

rung der Wissenschaft thematisieren. Karl Mannheim hat dieses Reflexionsproblem als eine Zurechnungsfrage nach den Trägergruppen von Wissen aufgefaßt und ist bei einer vollstän­

digen Relativierung gelandet (vgl. dazu Bühl 1986). Die heutige Wissenschaftssoziologie arbeitet mit der These Wissenschaft und Technik seien soziale Konstrukte und bezeichnet damit doch nur eine Leerstelle für dieses Reflexionsproblem.

Man kann sich natürlich dieser Problematik entziehen und auf empirische Forschung setzen.

Interessante Daten wird man immer produzieren können. Es fragt sich nur, welche Relevanz diese besitzen. Denn, so will es scheinen, eine gute Theorie ist immer noch die beste Empi­

rie.

194 Gotthard Beckmann

Literatur:

Baumann, Z.: Die Moderne und Ambiguität, Hamburg 1992

Bühl, W.L.: Für eine Revision der Wissenssoziologie. Annalis die Soziologie = Soziologisches Jahrbuch 2 (1986), S. 119-138

Schimank, U.: Gesellschaftliche Teilsysteme als Akteursfiktionen. Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsy­

chologie 40 (1988), S. 619-639

Probleme des Wandels der sozialwissenschaftlichen Wissenschafts- und