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5. Auswertung und Ergebnisse

5.1. Statistischer Teil

5.1.3. Die Klingenlängen

Die Auswertung der Klingenlängen unterliegt in noch stärkerem Maße den unter-schiedlichen Erhaltungszuständen der Messer als die Untersuchungen zu den Klingenformen.

In der Regel konnten die Maße stark korrodierter und abgebrochener Klingen nicht rekonstruiert werden, so daß zum einen die Anzahl der auswertbaren Maße niedri-ger ist als der Bestand ausgewerteter Messer, der sich auf Klingenformen und Griffkonstruktionen bezieht. Aus dem gleichen Grund finden die Minimalwerte, die neben den Maximalwerten, den Mittelwerten und den Standardabweichungen un-tersucht worden sind, in der Diskussion keine Berücksichtigung, da vor allem sie oft Verschliff oder den schlechten Erhaltungszustand einer Klinge repräsentieren.

Die Behandlung der Länge einer Messerklinge berührt zwei Themenbereiche:

Die Funktionsspanne des Messers und seine Abgrenzung zu Dolchmessern und Dolchen 60.

Neben der Form einer Klinge und ihrer Breite und Nackenstärke ist das Längenmaß ein wichtiger Faktor, der Aufschluß über eine oder mehrere Funktionen eines Mes-sers geben kann.

Da begleitende Informationen in den meisten Fällen fehlen, vorhandene Zusatzquellen wie bildliche Darstellungen nur in Auswahlmengen zur Verfügung stehen und die zahlreichen Schriftquellen zwar die Nahrungsmittel und Verhaltens-weisen bei Tisch beschreiben, das seltener erwähnte Besteckinventar aber ohne die erwähnten Informationen kaum mit den vorhandenen Fundinventaren zu verbinden ist, kann an dieser Stelle lediglich nach Funktionsspannen und -veränderungen, nicht aber nach den einzelnen Funktionen direkt gefragt werden.

Mit dem Messermaß an einem Stadttor der niederländischen Stadt Deventer aus der zweiten Hälfte des 15. bis beginnenden 16. Jahrhunderts (Abb. 72a) liegt ein Hin-weis für die maximal erlaubte Länge eines "Messers" (40 cm) innerhalb der Mauern einer frühneuzeitlichen Stadt vor, welches zunächst als Beleg für die tatsächlich durchgeführte Kontrolle im Rahmen der innerstädtischen Waffenbegrenzungen, -verbote und weiterer Pazifizierungsmaßnahmen gelten darf.

Die Klingenlänge des Maßes beträgt 25 cm. Sie umfaßt aus dem hier vorgelegten Bestand bis auf ein Dolchmesser (Abb. 72c) sowohl waffenartige Messer als auch Messer mit überlangen Klingen (persönliche Mehrzweck- oder Jagdmesser (?), so-genannte "Vorschneidemesser", Fleischermesser (?) oder Küchenmesser), deren Klingenlängen alle über 20 cm liegen (Abb. 72b, 72d, 72e-72i).

60 Vgl. Kapitel 9, Abschnitt 2

Die Funktionszuweisung und damit eine Differenzierung dieser Messer ist bisher kaum möglich.

Bezeichnungen wie "Vorschneidemesser", die in der Literatur gerne dann vergeben werden, wenn das jeweilige Messer unter anderem aufgrund einer relativ überlan-gen Klinge (gemessen am Restbestand vorhandener oder ausgegrabener Messer) auffällt, sind kaum hinreichend zu belegen:

So besitzt das "Vorschneidemesser" aus Store Valby (Dänemark, Kat. Nr. 36), wel-ches als klösterliwel-ches Geschenk an einen Bauernhof interpretiert wird, nur eine Klingenlänge von 15 cm.

Hier machen die Klingenform und der verzierte Griff eine Zuweisung des Messers zu einer gehobenen Position an der Tafel wahrscheinlich, ohne daß es sich dabei zwangsläufig um ein Servier- oder Vorschneidemesser handeln muß.

Auch die Messer aus Lund (Abb. 72e) und von der Burg Altena (Abb. 72g) sind im Bereich der Nahrungsmittelverarbeitung anzusiedeln, da ihre Klingenformen und -längen eine jagdliche oder multifunktionale Verwendung wenig wahrscheinlich machen.

Die Spanne zwischen 20 cm und 26,4 cm, die sich an den ausgewählten Beispielen dokumentiert, umfaßt neben diesen nur noch einige Dolch- bzw. Stechmesser, die ohne Datierungsansatz aus nordostdeutschen Flüssen gebaggert worden sind.

Für die Auswertung der Klingenlängen wurden die Waffen und überlangen Messer ausgeklammert, da sie im ausgewerteten Bestand nur sechs Belege umfassen und sich in der Regel deutlich von den übrigen Messern unterscheiden.

Zum Vergleich werden in der Auswertungsgraphik zum gesamten Untersuchungs-raum die Werte mit den in Abbildung 72 vorgestellten Messern zusätzlich aufgeführt, repräsentative Veränderungen können daraus aber nicht abgeleitet wer-den (Abb. 73, untere Tabelle).

Die Verteilung des Gesamtbestandes an ausgewerteten Klingenmaßen zeigt zwei tendenzielle Veränderungen nach dem 10. und nach dem 16. Jahrhundert (Abb. 73, Diagramm und obere Tabelle).

Die Mittelwerte liegen im gesamten Untersuchungszeitraum deutlich unter 11 cm.

Vom 8. zum 10. Jahrhundert ist eine rückläufige Entwicklung von 9,5 cm auf 8,2 cm zu beobachten, die, leicht versetzt, von einem Rückgang der Maximalwerte von 17 cm auf 15,3 cm begleitet wird. Auch die Standardabweichung geht in ihren oberen Extremwerten zurück und erreicht im 10. Jahrhundert ihren niedrigsten Wert. Mit diesem allgemeinen Rückgang aller betreffenden Maße und Werte deutet sich ein Wandel und eine Einschränkung des funktionalen Rahmens der untersuch-ten Messer an, der im 10. Jahrhundert seinen Abschluß gefunden hat.

Abb. 72 Messermaß (a), Dolch- und Stechmesser (b-d) und "Küchen-" bzw. "Vorschneide-messer" (e-i) mit Klingenlängen über 20 cm

Abb. 73 Die Entwicklung der Klingenlängen im gesamten Untersuchungsraum

mit (untere Tabelle) und ohne Waffen und Messer mit Klingenlängen über 20 cm (Graphik und obere Tabelle)

spiel im Zusammenhang mit der Veränderung der Bewaffnung im Frühmittelalter standen oder auf Rohstoffknappheit61 zurückzuführen sind, läßt sich bisher nicht beantworten.

Das Hoch- und Spätmittelalter grenzt sich deutlich zu den vorangegangenen und nachfolgenden Jahrhunderten ab.

Die Mittelwerte nehmen in zwei Schüben zu: im 11. und 12. Jahrhundert auf über 9 cm, im 13. und 14. Jahrhundert auf über 10 cm. Auch die Standardabweichungen sowie ihre oberen Extremwerte nehmen in diesen Abschnitten zu, die Maximalwer-te der Klingenlängen sMaximalwer-teigen im 11. Jahrhundert auf 18 cm, im 12. und 13.

Jahrhundert liegen sie bei 18,8 cm.

Der Anstieg der Mittelwerte belegt eine Zunahme der Klingenlängen um durch-schnittlich fast 2 cm. Parallel zu den beiden zeitlichen Abschnitten, in denen diese Zunahme erfolgte, wächst die Zahl der Abweichungen von diesen Mittelwerten, während die Höchstwerte sprunghaft ansteigen und vom 11. bis 14. Jahrhundert in etwa gleich bleiben.

Damit erscheint das Hoch- und Spätmittelalter als ein Zeitraum, in dem erhebliche Größenunterschiede und eine zunehmende Menge an unterschiedlichen Klingen-längen auf eine wachsende Ausweitung des funktionalen Rahmens hinweisen.

Diese Ausweitung berührt nachweislich im zweiten Abschnitt auch den Anwen-dungsraum von Kurzwaffen:

Ulrich Schoknecht hat anhand mecklenburgischer Nierendolche zwei Gruppen von Kurzwehren vorgestellt, deren Durchschnittslängen zwischen 42,5 cm und 30,9 cm bzw. 29,0 cm und 18,4 cm liegen; die Gruppe der Dolche mit den kürzeren Klingen reicht in ihren unteren Extremwerten von 15,6 cm bis 22,5 cm62.

Die Klingenlängen der Messer aus dem ausgewerteten Bestand liegen in ihren Ma-ximalwerten alle unter 20 cm, die Brührungszone zwischen den von Schoknecht vorgestellten Dolchen und den hier besprochenen Messern liegt zwischen 15,6 cm und 18,8 cm; letzterer Wert wird jeweils im 12. und 14. Jahrhundert erreicht.

Ohne die Diskussion um die Klingenformen von Messern, Dolchmessern und Dol-chen läßt sich die Berührungszone von Werkzeug und Waffe nicht genau umreißen.

Auch ohne die ausgeklammerten, durch Klingenform, -länge und (bei vollständiger Erhaltung) Heftgestaltung gekennzeichneten Dolchmesser, kleineren Nierendolche,

"pooke"63 etc. fällt demnach ein Teil der behandelten Messer noch in die Längen-zonen von Kurzwaffen. Auch ohne die formalen Kriterien einer dolchartigen Waffe zu erfüllen, mögen einige von ihnen dennoch "mißbraucht" worden sein.

Das belegt wiederum das Deventer Längenmaß (Abb. 72a), welches nach den von Schoknecht besprochenen Längengruppen und den hier ermittelten Maßen

61 Vgl. Kapitel 9, Abschnitt 1.2

62 Schoknecht 1980, S. 209 ff, sowie Abb. 8, S. 227

63 Vgl. die betreffenden Abschnitte, unter anderem die Diskussion um den Begriff "pook", in Kapitel 9, Abschnitt 1.3 und 2

scheinlich nur die Gruppe der längeren Kurzwehren ausschloß. Die gewählte Form des Maßes entspricht aber nicht einer Waffe, sondern eher einem Werkzeug, als Stichwaffe wäre es mit der zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr üblichen Klin-genform trotz der Klingenlänge von fast 25 cm unbrauchbar gewesen.

Die Wahl gerade dieser Form eines Griffzungenmessers und die in zeitgenössischen niederländischen Abbildungen oft dargestellten "Bauernwaffen" ähnlicher Form scheinen aber zu belegen, daß die Grauzone zwischen Waffen und Messern erheb-lich war und allein durch Längenmaße nicht zu erhellen ist.

Die oft zitierte Auffassung, mittelalterliche Messer seien im Gegensatz zu neuzeit-lichen Tafelmessern eher als Mehrzweckmesser geführt worden64, läßt sich mit dem vorliegenden Ergebnis nicht belegen.

Es ist im Gegenteil eher davon auszugehen, daß die Vielfalt von Messern mit ver-schiedenen und extrem auseinanderliegenden Klingenlängenmaßen (im 12.

Jahrhundert beträgt der Maximalwert mehr als das Doppelte des Mittelwerts), so-wie die bereits beschriebene Vielfalt an Klingenformen mit einer hohen Anzahl verschiedenartiger und zu begrenzten Funktionen benutzten Messern korrespon-diert.

Der Beginn dieser Vielfalt im 11. Jahrhundert, der auch vor dem Hintergrund des Abklingens einiger Klingenformen nach dem 10. Jahrhundert zu betrachten ist, scheint eher die von Breivik und Christensen geäußerte Auffassung zu belegen, daß das an der Seite getragene Mehrzweckmesser, welches sich bis zur Aufgabe der Beigabensitte in Gräbern findet, nach 1000 n. Chr. außerhalb Skandinaviens in fast ganz Europa durch eine große Anzahl von Spezialmessern (alltäglicher Gebrauch, Küche, Werkstatt und Tafel) und Klappmessern ersetzt worden sei65.

Diese Auffassung muß aber ebenfalls differenziert werden, und zwar vor allem hin-sichtlich der Tatsache, daß in völkerwanderungszeitlichen Gräbern unabhängig regionaler Faktoren, oft aber abhängig von der Reichhaltigkeit der Gesamtausstat-tung neben mehreren Waffen auch mehr als ein Messer auftritt. Diese unterscheiden sich durchaus voneinander und geben eher Aufschluß über die soziale Stellung ih-res ehemalige Besitzers, der es sich leisten konnte, beispielsweise neben Spatha, Sax und mehreren Messern einen Satz goldgriffverzierter, der Tafel zugerechneter Messer zu besitzen66.

Daß diese Vielfalt vor dem Hochmittelalter selten und auf begüterte Personenkreise begrenzt war, während sie nach dem 10. Jahrhundert verbreiteter anzutreffen ist, begleitet von einer Zunahme von Spezialformen und Größenunterschieden, die nach dem 12. Jahrhundert noch einmal in Bewegung zu geraten scheinen, läßt sich als Ergebnis festhalten.

64 Vgl. Kapitel 9, Abschnitt 2.1 65 Breivik o.J. Christensen 1983

66 Vgl. Kapitel 6, Abschnitt 2.4.3 und Pirling 1986

Tollekniv auftreten, ist sehr wahrscheinlich, vor allem unter Berücksichtigung der trotz fortschreitender Verstädterung und landwirtschaftlicher Intensivierung im ge-samten Mittelalter nicht geringen Lebensbereiche, in denen Menschen am Rande der Zivilisation lebten, vor allem im Bereich der Neukolonisation.

Auch ein gewisses Stadt-Land-Gefälle und die langwierigen Distanzüberwindungen (Wallfahrten, Handelsreisen u.ä.) werden zu berücksichtigen sein. In diesen Fällen werden die Betroffenen weiterreichende Anforderungen an ihre Waffen und Werk-zeuge gestellt haben, die auch von den jeweiligen naturräumlichen Gegebenheiten abhingen.

Um derartige Differenzierungen, die Aufschluß über die in Betracht kommenden Funktionen geben könnten, durchführen zu können, wird es notwendig sein, neben den großen Fundmengen aus mittelalterlichen Städten auch die Bestände aus abseits gelegenen Klöstern, Dörfern in neubesiedelten Gegenden und Siedlungseinheiten in Streulage aufzuarbeiten, um festzustellen, ob sich hier formale und Größen-unterschiede ergeben. Erste vergleichende Untersuchungen zu dieser Fragestellung werden im Anschluß an die Darstellungen zu Verzierungsarten und Klingenmarken vorgestellt67.

In den letzten drei Jahrhunderten des Untersuchungszeitraums verändern sich die untersuchten Werte erneut (Abb. 73).

Nach dem 14. Jahrhundert gehen die Mittelwerte um über einen Zentimeter zurück auf 8,8 cm im 16. Jahrhundert, zum 17. Jahrhundert steigt der Wert wieder auf 9,5 cm an.

Die Maximalwerte fallen erst nach dem 15. Jahrhundert um 4 cm auf 14,8 cm im 16. und 15,8 cm im 17. Jahrhundert.

Die Standardabweichung geht im 15. und 16. Jahrhundert ebenfalls leicht zurück, erreicht aber im 17. Jahrhundert ihren Höchstwert.

Somit teilt sich der Zeitraum der frühen Neuzeit in eine Regressionsphase, in der sich die mittelalterlichen Maße leicht versetzt vermindern. Auch die Anzahl der Abweichungen geht zurück, so daß im 16. Jahrhundert der Funktionsrahmen der bearbeiteten Messer erheblich eingeschränkt erscheint.

Die Zunahme von Abbildungen alltäglicher häuslicher Szenen und der Beginn von Genredarstellungen erlaubt vor allem seit dem 16. Jahrhundert, die Masse der ange-troffenen Messer als Tafelmesser anzusprechen, die in fortschreitendem Maße einer standardisierten Produktion entstammen 68. Dieses gilt vermehrt für den Bestand des 17. Jahrhunderts, der, das zeigt die Annäherung des Maximalwertes an den obe-ren Gobe-renzwert der Standardabweichung, seine Ausdehnungsgobe-renze bezüglich der Klingenlänge zwischen 14,6 und 15,8 cm findet. Zwischen diesen Werten und dem

67 67 Vgl. Kapitel 6, Abschnitt 2.7 68 Vgl. Kapitel 9, Abschnitt 2

Mittelwert von 9,5 cm befindet sich ein deutlich größerer Bestand an unterschied-lich langen Messerklingen als in den beiden Jahrhunderten davor.

Da sich die produktionstechnisch bedingte Standardisierung von Tafelmessern un-abhängig von einer Zunahme von Gestaltungsmöglichkeiten im 17. Jahrhundert fortsetzt, belegt diese Zunahme einen erneuten Spezialisierungsprozeß, der durch das hier behandelte Material auf die Nahrungszubereitung (Küche) und Nahrungs-aufnahme (Tafel) zu konzentrieren ist69.

Zusammenfassend lassen sich anhand der ausgewerteten Klingenlängen des Ge-samtbestandes vier Entwicklungsphasen beobachten. Die Trennungslinien verlaufen nach dem 10., nach dem 14. und nach dem 16. Jahrhundert.

Einem Rückgang aller untersuchten Werte bis zum 10. Jahrhundert, begleitet von den bereits beschriebenen Veränderungen in den Mengen einiger Klingenformen, folgt vom 11. bis zum 14. Jahrhundert eine Phase der Zunahme dieser Werte.

Die zunehmende Vielfalt der Klingenformen, die während dieses Zeitraums eben-falls festgestellt wurde, findet also ihre Entsprechung ebeneben-falls in einer Zunahme von Messern unterschiedlicher Klingenlängen sowie von Messern mit erheblich längeren Klingen. Der Einbruch im 15. und 16. Jahrhundert ist signifikant. Er be-trifft eine Abnahme von Messern unterschiedlicher Klingenlänge sowie einen Rückgang des Maximal- und Mittelwertes und entspricht wiederum der Verringe-rung der Anzahl verschiedener Klingenformen im gleichen Zeitraum.

Der um 1450 exemplarisch am Beispiel der niederländischen Funde beobachtete sprunghafte Anstieg verschiedener Griffkonstruktionen, der nach 1550 wieder zu-rückgeht, ohne den gleichzeitig einsetzenden Gestaltungsschub im Bereich der Verzierungselemente zu berühren, führt im 17. Jahrhundert zu einer breit gefächer-ten Auswahl an spezialisiergefächer-ten, produktionstechnisch standardisiergefächer-ten Messern, deren durchschnittliche Länge zwar zunimmt, ohne jedoch die Maximalwerte des Mittelalters wieder zu erreichen.

Ihr äußerer Funktionsrahmen ist begrenzt auf den Bereich der Küche und Tafel.

Im Vergleich mit den Auswertungen der Klingenlängen in den einzelnen Untersu-chungsländern zeigen sich deutliche Unterschiede, die mit einiger Wahrscheinlichkeit auch Traditionsgebiete und Innovationszentren voneinander trennen.

Wenn Christensen und Breivik das Tollekniv als vor- und frühgeschichtliches Uni-versalmesser nach 1000 n. Chr. nur noch in Skandinavien antreffen, korrespondiert diese Auffassung mit dem Ergebnis der Auswertung von in Skandinavien ausge-grabenen Messern (Abb. 74).

69 Dieser Spezialisierungsprozeß ist bei fast allen Besteck- und Gefäßformen zwischen dem ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert zu beobachten (v.a. bei Hohlgläsern und Gefäßkeramik), er deutet sich ebenfalls mit einem deutlichen Bruch zwischen 1550 und 1600 bei der Entwicklung der Messergriffe an (vgl. Kapitel 6, Abschnitt 2.3)

erheblich geringere Durchschnittslänge bei vergleichsweise niedrigen Abweichun-gen aufweist. Nur wenige Messer erreichen die Maximallänge von 15,3 cm.

Abb. 74 Die Entwicklung der Klingenlängen in Skandinavien

Im 11. Jahrhundert nimmt die Zahl der Abweichungen und die Maximallänge zu, ohne daß ein vorangegangener Einbruch, der auf eine grundlegende Veränderung des funktionalen Rahmens hinweisen könnte, stattgefunden hat.

Um zwei Jahrhunderte versetzt zum überregional ermittelten Allgemeinbild er-scheint dieser Einbruch im 12. Jahrhundert, allerdings ohne daß sich der Durchschnittswert erheblich verändert.

Vom 13. bis zum 15. Jahrhundert erscheint eine ähnliche Entwicklung wie im ge-samten Untersuchungsraum, der Durchschnittswert nimmt im 15. Jahrhundert nur leicht ab.

Diese Entwicklung setzt sich bis zum 17. Jahrhundert fort, dem bisherigen Ergebnis entsprechen aber der Rückgang der Maximalwerte und die Zunahme der Standard-abweichung im 17. Jahrhundert.

Insgesamt erscheinen die Veränderungen in Skandinavien weniger durchgreifend und zeitlich stark versetzt. Die Mittelwerte steigen langsam vom 9. bis zum 14. Jahrhundert an und gehen danach bis zum 17. Jahrhundert kontinuierlich zu-rück. Ein formaler und funktionaler Wandel scheint sich nur zögernd vollzogen zu haben.

Der aussagefähige Zeitraum in den Niederlanden zeigt den Rückgang der durch-schnittlichen Klingenlänge schärfer (Abb. 75).

Hervorzuheben ist der bereits im 14. Jahrhundert angetroffene Rückgang des Ma-ximalwertes, der sich im 15. Jahrhundert fortsetzt.

Die Zunahme der Standardabweichung und der erneute Anstieg der Maximallänge erfolgen bereits im 16. Jahrhundert, dem im 17. Jahrhundert eine Anhebung des Durchschnittswertes, welche der allgemein beobachteten Entwicklung entspräche, zu folgen scheint.

In den Niederlanden setzen die Veränderungen, die im Gesamtbestand nacheinan-der im 15. und 16. Jahrhunnacheinan-dert erfolgen, bereits im 14. Jahrhunnacheinan-dert ein.

Im 16. Jahrhundert beginnen hier erneut Entwicklungen, die im übrigen Bestand erst einhundert Jahre später anzutreffen sind.

Die Auswertungen der Klingenmaße von Messern aus Fundorten der Bundesrepu-blik und Polens bestätigen im wesentlichen die Entwicklung, die sich in der Analyse des gesamten Bestandes dokumentiert.

Regionale Unterschiede, soweit sie nicht durch unterrepräsentierte Mengen verur-sacht wurden, betreffen Abweichungen in der Entwicklung der Maximallängen oder den Zeitraum vor dem 10. Jahrhundert.

So zeigt zum Beispiel die Entwicklung der Klingenlängen im Bestand aus dem Un-tersuchungsbereich Nordwestdeutschlands eine Tendenzabweichung vom 8. zum 9.

Jahrhundert, etwas höhere Mittelwerte vor dem 15. Jahrhundert und einen signifi-kanten Rückgang der Maximallängen bereits im 15. Jahrhundert (Abb. 76).

Abb. 75 Die Entwicklung der Klingenlängen in den Niederlanden

Abb. 76 Die Entwicklung der Klingenlängen in Nordwestdeutschland

Abb. 77 Die Entwicklung der Klingenlängen in Ostdeutschland

Ethnische Faktoren und historische Ereignisse scheinen die auffällige Veränderung vom 10. zum 11. Jahrhundert nicht beeinflußt zu haben.

Die Entwicklung der untersuchten Werte in den östlichen Bundesländern, deren Bestände vor dem 12. Jahrhundert vor allem westslawischen Siedlungskontexten entnommen worden sind, zeigt zwar absolut leicht unterschiedliche Maße, tenden-ziell entspricht sie jedoch auch in dem leichten Sprung nach dem 12. Jahrhundert dem Bild der Klingenwerte aus den nordwestlichen Bundesländern (Abb. 77).

Der Zeitraum vor dem 11. Jahrhundert konnte zwar in einigen Unter-suchungsländern nur unvollständig oder unterrepräsentiert dargestellt werden, für das 9. und 10. Jahrhundert ergaben sich aber Hinweise auf regionale Unterschiede, die möglicherweise durch weiteres Fundmaterial verifiziert werden können.

9. Jahrhundert 10. Jahrhundert

Skandinavien 7,78 cm 7,73 cm Polen 7,46 cm 8,11 cm ehem. DDR 8,61 cm 7,96 cm alte BRD 10,46 cm 9,79 cm

Niederlande 10-12 cm ---

Abb. 78 Die Mittelwerte der Klingenlängen im 9. und 10. Jahrhundert

Da das bearbeitete niederländische Fundmaterial in diesem Zeitraum nicht ausrei-chend aussagekräftig war, wurde der Durchschnittswert aller Messerklingen aus Dorestad (8. bis 9. Jahrhundert) mit 10 bis 12 cm70 mitberücksichtigt.

Die Übersicht zeigt bezüglich der Durchschnittslängen von Messerklingen ein Ge-fälle, welches vor allem im 9. Jahrhundert deutlich wird (Abb. 78):

In den Beständen aus niederländischen und nordwestdeutschen Fundorten liegen die Werte um bzw. über 10 cm, in den fast ausschließlich westslawischen Bestän-den aus Bestän-den östlichen Bundesländern unter 9 cm. In Bestän-den aus polnischen Fundorten stammenden Beständen liegt der Durchschnittswert unter 8 cm, ebenso bei den skandinavischen Messern.

Im 10. Jahrhundert verändert sich die Reihenfolge leicht, da bei bis auf den in Polen gefundenen Messern alle Klingenlängen leicht zurückgehen.

Abgesehen von den skandinavischen Fundbeständen liegt somit eine Tendenz vor, die sich in der allgemeinen Entwicklung der Klingenlängen und der zeitlichen Ver-teilung der meisten Klingenformen so nicht nachweisen läßt.

70 Vgl. Katalogteil Niederlande, Kat. Nr. 19, Anmerkung 1

dem 10. Jahrhundert in den östlichen Untersuchungsräumen und in Skandinavien unter denen der westlichen Gebiete.

Unabhängig von den verschiedenen Abweichungsmengen und den unterschiedli-chen Maximalwerten scheint sich mit der Hauptmenge der durchschnittliunterschiedli-chen Klingenlängen anzudeuten, daß im Nordwesten des Untersuchungsraumes die Klingen im gesamten Bearbeitungszeitraum länger waren als in Ostdeutschland, Polen und Skandinavien. Davon unberührt blieb eine tendenziell ähnliche Entwick-lung von Rückgangs- und Anstiegsphasen, die sich in den niederländischen Fundbeständen eher dokumentieren, in Skandinavien dagegen erst mit zum Teil erheblicher zeitlicher Verzögerung einsetzen.

Die Auswertung der polnischen Messerfunde zeigt abschließend beispielhaft, daß regional unterschiedliche Tendenzen sich auch unabhängig von ethnischen Ge-meinsamkeiten dokumentieren können (Abb. 79).

Wie bereits erwähnt, folgen die tendenziellen Entwicklungen der westslawischen Messer aus der ehemaligen DDR unter Einbeziehung der Maximalwerte den Wer-ten der westlich benachbarWer-ten Gebiete. Der einzige deutliche Unterschied besteht in der unterschiedlichen Intensität des Anwachsens der Mittelwerte nach dem 10 Jahr-hundert.

Im Gegensatz hierzu entwickeln sich die Maximal- und Mittelwerte in den polni-schen Fundbeständen vom 9. zum 10. Jahrhundert mit steigender Tendenz, so daß sich trotz der Übereinstimmung vom 10. zum 11. Jahrhundert ein durchaus

Im Gegensatz hierzu entwickeln sich die Maximal- und Mittelwerte in den polni-schen Fundbeständen vom 9. zum 10. Jahrhundert mit steigender Tendenz, so daß sich trotz der Übereinstimmung vom 10. zum 11. Jahrhundert ein durchaus