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3. Das Klassifizierungsmodell

3.5. Die Codebezeichnungen des Schlüssels

3.5.2. Die Klingenformen

Im Gegensatz zu der vom erfaßten Fundmaterial ausgehenden Klassifizierung der Griffkonstruktionen ist das Klassifizierungsmodell der Klingenformen deduktiv erstellt worden.

Unter der bereits erwähnten Voraussetzung, daß für ein Messer, welches auch zum Essen, das heißt zum Schneiden und Spießen bzw. Stechen benutzt werden soll, eine spitze und eine Schneidekante erforderlich sind, ergeben sich ausgehend von einem länglichen Rechteck als geometrischer Grundfigur drei Möglichkeiten der Abwandlung:

Zur Erreichung der Spitze verläuft entweder die Unterkante schräg nach oben zur Oberkante (Ia), oder die Oberkante fällt schräg nach unten auf die Unterkante (IIa), oder beide Kanten fallen im gleichen Winkel nach vorn zur Spitze zusammen (IIIa) (Abb. 19a).

Abb. 19a Die drei grundsätzlichen Möglichkeiten zur Ausformung einer Spitze

Bei einer Schärfung der Unterkante entstehen so die drei Grundformen des Messers mit geradem Rücken und einfallender Schneide, mit einfallendem Rücken und ge-rader Schneide und mit einfallendem Rücken und einfallender Schneide. Aus letzterer ergibt sich bei Anschliff beider Seiten die gleichseitige Grundform des Dolchs.

Die jeweils zwei Abwandlungsarten der Formen Ia und IIa: Ib, Ic sowie IIb, IIc so-wie die vier aus der Form IIIa abgewandelten Formen IIIb, IIIc, IIId und IIIe ergeben sich aus der Veränderung der jeweils abgeschrägten Kanten in konvexe und konkave Bögen. Somit entstehen für die Struktur des Klassifizierungsmodells elf Leitformen (Abb. 19b).

Abb. 19b Die elf Leitformen des Klingenmodells

Die weitere Untergliederung des Modells in seine Haupt- und Einzelformen erfolg-te durch Erfassung von Proportionalitätsverschiebungen und unerfolg-ter Berücksichtigung der verschiedenen Neigungsmöglichkeiten des Rückens und der Schneide.

Zunächst wird die Untergliederung der elf Leitformen in 88 Hauptformen beschrie-ben.

Das Prinzip dieser Unterteilung besteht aus den unterschiedlichen Möglichkeiten, die Längen des Rückens und der Schneide vor ihrer Abschrägung zur Spitze zu verändern. Um nicht Gefahr zu laufen, am Schluß des Modells weit mehr errechne-te als tatsächlich vorhandene Formen zu erhalerrechne-ten, wurde nur eine Möglichkeit der Proportionalitätsveränderung durchgeführt:

bei grundsätzlicher Beibehaltung der jeweils abgeschrägten Kante des Messers wurde die Klinge in ihrer Länge mittig geteilt. Sodann wurde die in der Leitform noch die ganze Kante erfassende Schrägung verkleinert, in dem die in der Leitform abgeschrägte Kante (bei der Form Ia also die Schneide) parallel zur anderen, gera-den Kante über die Mitte der Klinge hinaus bzw. nur bis kurz vor die Mitte der Klinge vorgezogen wurde, um erst nach (so bei der Hauptform Ia1) bzw. vor der Mitte (so bei der Hauptform Ia2) zur Spitze einzufallen. Dieses Prinzip wiederholt sich bei allen anderen Leitformen.

So treten zu den Leitformen Ia-c und IIa-c jeweils zwei Hauptformen hinzu (Ia1, Ia2, Ib1 usw.).

Bei den Leitformen IIIa bis IIIe treten aufgrund der beidseitigen Abschrägung der Kanten zunächst jeweils vier Hauptformen hinzu. Im Fall der Leitform IIIb sind dies die Hauptformen IIIb1, bis IIIb4. Wegen der verschiedenen Möglichkeiten, die einzelnen Abschrägungen gerade oder gebogen zu halten, kommen auf jede dieser Leitformen noch einmal jeweils 14 Hauptformen. Im Fall der Leitform IIIb sind dies die Hauptformen IIIb13-18 und IIIb29-3639 (Abb. 20).

Die Hauptform IIIb29 durchbricht die eigentliche Vorgabe des beidseitigen Einfalls von Schneide und Rücken der Leitform IIIa. Ausgegangen wurde für diese und die folgenden Hauptformen IIIb30 bis IIIb32 von der Einzelform IIIb29.1, bei der der Rücken gerade abgeschrägt zur Spitze verläuft, die Schneide bis über die Mitte ge-bogen, dann gerade zur Spitze hochsteigt.

Diese Form ergab sich aus einer Weiterentwicklung der Hauptformen IIIb13 und IIIb16. Da im Modell außer bei gebogenem Rücken in Hauptformen wenigstens der erste Teil des Rückens nach dem Heftansatz rechtwinklig zum Heft steht, wurde in diesem Fall der Rücken gerade gestellt und die so veränderte Einzelform an den Anfang einer Gruppe gestellt (Abb. 21a).

39 Diese Formen ergeben sich daraus, daß die Möglichkeit der Proportionalitätsverschiebung der Seiten bei den Formen IIIb, IIIc, IIId und IIIe durch die Tatsache der beidseitigen Krümmung um zwei grundsätzli-che Varianten erweitert werden kann. Es sind dies die Möglichkeiten, eine Seite ganz und die zweite Seite zum Teil gebogen zu halten. So fällt bei der Form IIIb13 der Rücken ganz, die Schneide nur in ih-rem letzten Viertel zur Spitze ein. Weiterhin besteht die Möglichkeit, daß bei beidseitiger Abschrägung die Kanten der einen Seite beide gerade verlaufen, während eine Kante der anderen Seite gerade, die zweite gebogen verläuft, so daß faktisch nur ein Teil einer Seite gebogen erscheint (bei der Form IIIb16 fällt der Rücken noch vor der Klingenmitte gerade zur Spitze ein, während sich die gerade Schneide nach der Klingenmitte hochbiegt). Die direkten Vorbilder dieser Formen waren neben den Hauptformen IIIa1-IIIa4 die Einzelformen Ia1.1 und IIa1.2 als zwei zueinander spiegelverkehrte Ausführungen einer Form mit einer insgesamt abgeschrägten und einer zum Teil abgeschrägten Kante. Alle weiteren Möglichkeiten wiederholen sich in Haupt- und Einzelformen der Leitformen Ia und IIa, Ib und IIb.

Die zwischen den Hauptformen IIIb4 (IIIc4 usw.) und IIIb13 (IIIc13 usw.), IIIb18 (IIIc18 usw.) und I-IIb29 (IIIc29 usw.) auftretenden Unterbrechungen betreffen Formen, die zwar aufgrund weitergehender Variationsmöglichkeiten entwickelt wurden, für die in dieser Untersuchung behandelten Messer aber un-zutreffend waren und deshalb auch nicht im Codeverzeichnis erscheinen. Sie durchbrachen durchweg die an den Anfang gestellten funktionalen und formalen Einschränkungen und ließen sich im Fundgut nicht eindeutig belegen.

Abb. 20 Die Haupt- und Einzelformen der Leitformen III a und III b

Abb. 20 Fortsetzung

Abb. 21

Heftansatz zur Spitze. Durch die Richtungsänderung des letzten, gerade abge-schrägten Teiles der Schneide entsteht eine zweifache Abschrägung des Rückens, die sich bei gerade verlaufender Schneide auch in der Sonderform Ve findet (Abb. 21b).

Bei den Hauptformen IIIc29-IIIc32, IIId29-IIId32 und IIIe29-IIIe32 wurde das Prinzip der Leitform IIIa, die beidseitige Abschrägung, nicht mehr weiterentwi-ckelt, da die so entstehenden Formen sich nur wiederholt hätten40.

In den Codierungstafeln 1 bis 3 am Anfang von Kapitel 5, Abschnitt 2 (Katalog) wurde nur ein Teil der Hauptformen graphisch dargestellt. Das war vor allem des-halb unproblematisch, da die Entwicklung der Hauptformen aus den elf Leitformen dem selben Schema folgt. Exemplarisch wurden unter anderem alle Hauptformen der Leitformen IaIc, IIa-IIc und IIIb abgebildet.

Die letzte Art der Untergliederung erfolgte durch die Einzelformen. Zu jeder Hauptform ergaben sich sechs Einzelformen, die sich durch unterschiedliche Nei-gung der beiden Kanten (Rücken und Schneide) zur Spitze voneinander unterscheiden. Die Formen Ia1.1-Ia1.6 mögen dies verdeutlichen (Abb. 21c).

Bei der Form Ia1.1 ällt der Rücken vom Heft zur Spitze unter einem Winkel von 90o ein, während die Schneide genau in einem 90o -Winkel zum Heft steht.

Die Form Ia1.2 kehrt dieses Verhältnis um. Bei der Form Ia1.3 fallen Rücken und Schneide beide vom Heft zur Spitze unter einem Winkel von 90o ein.

Die Form Ia1.4 läßt bei waagerechter Schneide den Rücken in einem Winkel von über 90o vom Heft aufsteigen, die Form Ia1.5 ist die Umkehrung dieser Form, so daß hier die Schneide in einem Winkel von über 90o nach unten wegfällt und der Rücken waagerecht zum Heft steht.

Die drei letzten Formen waren im erfaßten Fundmaterial nur gering vertreten, sie widersprachen in ihrer möglichen Handhabung vor allem dann der Funktion als Eß- und Tafelmesser, wenn zusätzlich zu dieser Form die Klinge extrem breit und dick-nackig war.41.

40 Nach der bereits beschriebenen Art der Proportionalitätsveränderung wurde die Vorgabe variiert, daß bei jeweils einer Abschrägung des Rückens und der Schneide je zwei der vier entstehenden Kanten gerade, zwei gebogen verlaufen. Bis auf die Formen IIId29, IIIe29, IIId30 und IIIe30 kommen die Haupt- und Einzelformen dieser Serie im Fundgut kaum vor. Die Hauptformen IIIb33-IIIb36, IIId33-IIId36 und IIIe33-IIIe36 wiederholen bereits bekannte Formen, wobei sie im Gegensatz zu den letzteren abgestumpfte Spitzen haben, die ihrerseits gebogen oder gerade verlaufen können.

41 Formen, bei denen der Rücken nach kaum einem Drittel oder schon nach wenigen Zentimetern meist gebogen zur Spitze einfällt, büßen ihre Grundform als spitzes Schneidemesser allerdings auch dann nicht ein, wenn der erste Teil des Rückens vor dem Einbiegen zunächst aufsteigt, wie z.B. bei der Form IIIe4.4. Bei den Formen Xxx.4-Xxx.6 mußte daher in jedem Fall bei der Anlage des Katalogs neu ent-schieden werden, ob die Gesamtform der Klinge der Funktion als Küchen-, Tafel- oder

Mehrzweckmesser noch gerecht wurde oder nicht. Dabei wurde, um die Subjektivität dieser Entschei-dung etwas auszugleichen, nach dem Prinzip verfahren, lieber ein strittiges Exemplar zuviel

aufzunehmen, als ein möglicherweise auch nur selten zum Essen benutztes Mehrzweckmesser zuwenig.

Bei den Formen, die sich durch mindestens eine insgesamt gebogene Kante auswei-sen, fallen eine oder alle Möglichkeiten der Feinuntergliederung weg.

Auch die Einzelformen sind in der Codeübersicht nicht mehr alle abgebildet wor-den, da sich das Prinzip ständig wiederholt.

Mit den Codebezeichnungen IVa-IVj und Va-Vg wurden am Schluß der Codie-rungstafeln die Klingenformen aufgeführt, die sich aus dem bearbeiteten Fundmaterial ergaben, ohne vom Klassifizierungsmodell der Klingenformen erfaßt zu werden (Codierungstafel 4). Es handelt sich dabei um Formen, die von den funk-tionalen Vorgaben des Modells abweichen (IV) oder die bisherigen Kriterien weiter kombinieren (V).