• Keine Ergebnisse gefunden

III. KURT HAHN: WEGMARKEN UND WENDEPUNKTE

2. Kindheit – Schulzeit – Studienjahre (1886-1914)

Kurt Martin Hahn wurde am 5. Juni 1886 als zweit ältester von vier Brüdern in einer jüdischen Familie des Berliner Großbürgertums geboren. Der Vater, Oskar Hahn, führte den Familienbesitz, dessen Fundament ein Eisenwalzwerk in Düsseldorf-Oberbilk und ein Röhrenwalzwerk in Oberschlesien waren. In der Familie dachte man

„modern“ und weltbürgerlich. Kurts Mutter Charlotte, geb. Landau, stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Intellektuellenfamilie, in der besonders geistig-musische Fähigkeiten zu Tage getreten waren (vgl. Friese 2000: 26f).

Für den jungen Kurt Hahn war die eigene Schulzeit in besonderer Weise prägend gewesen. Im ausgehenden 19. Jahrhundert hatte sich eine Schul- und Unterrichtsform durchgesetzt, deren Methodik und Didaktik vom Herbartianismus bestimmt war und deren Augenmerk darauf gerichtet war, den Kindern der oberen Schichten eine stan-desgemäße „höhere Bildung“ zu vermitteln, sowie Gehorsam gegenüber Autoritäten und Loyalität gegenüber dem monarchischen Kaiserreich einzuprägen. Damit in Ver-bindung stand ein preußisch-strenger Erziehungs- und Unterrichtsstil, unter welchem nicht nur Kurt Hahn zu leiden hatte.

In seinem Jugendroman „Frau Elses Verheißung“ aus dem Jahr 1910 rechnete Hahn mit dem damals vorherrschenden Schulbetrieb ab, mit dem „sabbernden Lateinlehrer“

und dem „gehbehinderten Deutschlehrer“.9 Der Heranwachsende hat seine Lehrer und die Schule, die er an anderer Stelle auch als „Totenstätte“ und „Marterkasten“ be-schrieben hat (vgl. Hahn 1998: 14), offensichtlich nur mit großem Widerwillen ertragen.

Eine signifikante Ausnahme bildet offensichtlich der Sportlehrer, den er nicht zu den

„bösen Geistern“ (Hahn 1910: 44) gezählt hat. Seinem um vier Jahre älteren Jugend-freund Leonard Nelson, der in Göttingen gerade promovierte, schrieb Hahn 1904 nach seinem Abitur aus Oxford:

„Du weißt, was ich in der Schule gelitten: Du hast meine Mutter von dem Direktor herauskommen sehen. Da weißt Du auch, wie das Schulgespenst in unserem Hause umging; eine Kette von Aufregungen und Entrüstungen war meine Schul-laufbahn. Und diese Schule legte mir Pflichten auf, Pflichten in bezug auf das Ziel Abiturium. Ich erfüllte sie mehr oder weniger, ich hatte viel Zeit, aber wenig Muße;

denn wenn die Arbeit wegviel, die Unruhe und das Gefühl des Ekels blieben“

(Hahn 1998: 14).

Bemerkenswert ist, dass bereits in diesem Brief der erst 18-Jährige den lebensge-schichtlich bedeutsamen Vorsatz fasst, zu dem Beruf zu gelangen, den ihm seine

„moralische Gesinnung vorzeichnet“: Hahn „will Lehrer werden, nicht Königl. Preußi-scher Unterrichter, aber Erzieher und Lehrer zunächst vielleicht bei Lietz, dann auf eigene Faust“ (Hahn 1998: 16). Auch hält er „die Schulreform für die nötigste Reform im Lande: „Nur durch Verwandlung unseres Unterrichtssystems in ein Erziehungssys-tem kann verhindert werden, was Dich am meisten angeht: daß Schweinepilze auf die Universität rücken“ (Hahn 1998: 16).

Als bedeutend für Hahns pädagogische Ambitionen kann eine Wanderung durch die Tiroler Alpen angesehen werden, welche er zwei Jahre zuvor mit einem Onkel unter-nommen hatte. Auf dieser Wanderung lernte er drei junge Engländer kennen, die von

9 Der Titel wurde vom jungen Hermann Hesse wie folgt rezensiert: „Bei Albert Langen in München erschien ‚Frau Elses Verheißung‟ von Kurt Hahn, eine weit frischere und rüstigere Sache als der feierliche Titel vermuten lässt, eine Erzählung von Eltern und Kindern, der man viele Leser wün-schen möchte, weil sie von einem geschrieben ist, der das Kindsein noch nicht verlernt hat“ (zit. n.

Friese 2000: 42).

III. Kurt Hahn: Wegmarken und Wendepunkte ihrer Schule, dem von Cecil Reddie gegründeten Abbotsholme, schwärmten und ihm ein Exemplar von Lietz‟ Emlohstobba (1897) schenkten, das auf Hahn wie ein Ruf des Schicksals gewirkt hat (vgl. Arnold-Brown 1966: 185).

Während seiner mehrmaligen Englandaufenthalte konnte Kurt Hahn das britische Schul- und Erziehungssystem aus eigener Anschauung kennen lernen. Davon begeis-tert begann er nach bestandenem Abitur am humanistischen Kaiser-Wilhelms Gymnasium zu Berlin (1904) mit dem Studium am Christ Church College in Oxford.

Beeindruckt war er von der großen Bedeutung des universitären Sports und der ehr-geizigen Konkurrenz der Public Schools in den einzelnen Disziplinen (Rugby, Hockey, Tennis, Rudern etc.). Zum Tagesablauf in Oxford gehörten u. a. regelmäßige Morgen-läufe und kaltes Duschen. „Neben der Wichtigkeit von Leibeserziehung beeindruckte Hahn das praktizierte Einüben dessen, was die Engländer commitee sense (Fähigkeit zu bundesgenössischem Handeln) nannten, was wiederum auf dem community spirit (Gemeinsinn) basierte“ (Friese 2000: 35).

1906 kehrte Hahn nach Deutschland zurück und setzte sein vielseitiges Studium in Heidelberg fort. Zu seinen Studienfächern zählten Klassische Philologie, Philosophie, Kunstgeschichte, Allgemeine Nationalökonomie und Pädagogik. Weitere Studienorte waren Berlin, Freiburg und Göttingen. 1911 folgte ein weiterer Aufenthalt in Oxford.

Hahn wurde seit einigen Jahren verstärkt von Kopfschmerzen heimgesucht und ver-sprach sich von dem kühleren Klima sowie einer Operation durch englische Ärzte eine Linderung der Beschwerden. Daneben tauschte er sich am Christ Church College über Gedanken zur Erziehung aus und entwickelte angeregt durch die ersten drei Kapitel Platons Politeia Pläne für eine erste Schulgründung (vgl. Friese 2000: 43). Kurz vor Ausbruch des Krieges musste Hahn über Norwegen nach Berlin in sein Elternhaus zurückkehren. Damit endete seine Zeit als Student ohne regulären Hochschulab-schluss. Angesichts seiner immer wiederkehrenden Kopfschmerzen wurde Kurt Hahn als kriegsdienstuntauglich eingestuft. Die politischen Wirren im Vorfeld und während des Ersten Weltkrieges ließen die Umsetzung der ehrgeizigen pädagogischen Pläne in den Hintergrund treten. Hahn tritt in den Dienst der Diplomatie und lernt dort das Ge-schäft der Politik kennen.

3. Die Katastrophe des Krieges und der Rückzug