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V. SALEM – KONZEPT EINES LANDERZIEHUNGSHEIMS

2. Eltern-Klientel, Förderer und Schülerschaft

Nach dem Bericht von Marina Ewald, einer engen Mitarbeiterin Hahns, setzte sich die Schülerschaft bei der Gründung Salems aus acht internen und zwanzig externen Jun-gen und Mädchen zusammen: „Die externen Schüler waren Töchter und Söhne von Angestellten, Bauern und Handwerkern der Gegend; die Internen kamen aus Familien kultureller Tradition, deren Kriegsschicksale es ihnen erschwerten, ihre Kinder eine höhere Schule besuchen zu lassen“ (Ewald 1966: 109).

Zwar war Hahns Anspruch von Anfang an, immer auch Kinder aus „einfachen“ Verhält-nissen mit aufzunehmen (vgl. Hahn 1998: 153), und offensichtlich wurde aus dem Verkauf von Familienschmuck des Hauses von Baden auch eine Stiftung geschaffen, um Freistellen für Schülerinnen und Schüler anzubieten (vgl. Friese 2000: 78f), doch macht der Hinweis Ewalds, dass die internen Schüler und Schülerinnen aus Familien

„kultureller Tradition“ stammten, um in Salem in den Genuss einer „höheren“

Schulbil-V. Salem – Konzept eines Landerziehungsheims dung zu gelangen, bereits deutlich, dass zumindest, was die internen Schüler, d.h.

aber die eigentliche Schülerschaft des Internats, anbelangt, von Anbeginn an primär Kinder der gesellschaftlichen Oberschicht vertreten waren.

Diese These wird durch eine Fotografie bestätigt, welche im Oktober 1919 in Salem aufgenommen worden ist. Sie zeigt die Freiburger und Salemer Hockeymannschaft (vgl. Anhang, Foto). Kleidung und Namen der Abgebildeten zeigen, dass hier Jugendli-che mit finanzkräftigem Hintergrund stehen, zumal wenn man bedenkt, wie die allgemeine wirtschaftliche Situation im Nachkriegsdeutschland war. Dem Hockeyspiel wurde in Salem von Anfang an einen sehr hohen und zentralen Stellenwert einge-räumt. Im Vergleich zu Fußball, das in Salem verpönt war und blieb (vgl. Pielorz 1991:

199), ist Hockey seinem Prestige nach verhältnismäßig exklusiv und war, anders als Fußball, nie der Sport der mittleren- oder gar unteren Bevölkerungsschichten.

Die vier ersten internen Schüler waren der Sohn Max von Badens, Prinz Berthold, und die drei Töchter von Lina Richter, der Enkelin des Berliner Bankiers Benoit Oppenheim, in Salem neben Karl Reinhard erste Lehrkraft und enge Mitarbeiterin Hahns (vgl. Hahn 1998: 103ff).34 Also bleibt festzustellen, dass, wie Hahn selbst, so auch viele seiner engen Mitarbeiter und Unterstützer aus überaus begüterten oder politisch einflussrei-chen Kreisen stammten. Zeitlebens hat sich Hahn in den Kreisen der politiseinflussrei-chen Führungsschicht, des Hochadels und der Hochfinanz bewegt (vgl. Knoll in Hahn 1986:

7), welchem Umstand sich wohl auch das Überleben, zumindest aber die überdurch-schnittlich gute Ausstattung des Internats verdankte (trotz Währungsinflation und Rezession). Damit lässt sich als eine treibende Kraft Salems immer auch das Interesse privilegierter Kreise vermuten, ihren Nachkommen eine „höhere“ Schulbildung zukom-men zu lassen, um so das eigene ökonomische, kulturelle und soziale Kapital dynastisch zu reproduzieren.

Als ein weiterer Beleg für Salems Ausrichtung an der gesellschaftlichen Oberschicht und seine „Verflechtung mit der Welt des europäischen Hochadels“ (Lennert 1966:

174) kann die Reihe der Namen der Schulleiter angesehen werden, die Salem – noch alle zu Lebzeiten Hahns – vorgestanden haben: nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Schule zunächst unter der Leitung von Marina Ewald mit Unterstützung Berthold

34 Karl Reinhardt, erster Studienleiter Salems und neben Hahn wichtigster Mann, was die pädagogi-sche Ausgestaltung des Internats anbelangt, war verheiratet mit einer Tochter des Firmengründers Carl Johann Freudenberg der bis heute weltweit tätigen Firma Carl Freudenberg Unternehmens-gruppe Freudenberg. Neben der Verbindung der Reinhardts mit den Industriellen Freudenberg, bestanden auch familiäre Verbindungen mit den Industriellenfamilien und Bankiersfamilien Basser-mann, Fries, Ladenburg und Thorbecke. Insbesondere die Bassermanns finanzierten den hessischen und badischen Adel, während die Fries‟ das österreichische Kaiserhaus finanzierten (vgl.

Internet [07.05.07]: http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Reinhardt).

von Badens wieder eröffnet. Es folgten als Schulleiter bis in die 60er-Jahre Prinz Georg Wilhelm von Hannover, Axel von dem Bussche, Horst von Gersdorff und Hartwig von Bernstorff. 1973 übernahm Bernhard Bueb für über 30 Jahre die Gesamtleitung von Internat und Schule. (vgl. Internet [22.1.08]: http://de.wikipedia.org/wiki/Schule_-Schloss_Salem).

Somit bleibt festzuhalten, dass sich die Schülerschaft in Salem von Anfang an fast durchweg aus Kindern zusammengesetzt hat, die den finanzkräftigsten Kreisen der Gesellschaft entstammten. Dazu ein ehemaliger Schüler: „Ich war von 1941 bis 1944 dort und kann wohl sagen, daß sich die von Hahn gewollte Mischung aus Arbeitern, Bürgerlichen und Adel nie richtig durchgesetzt hat“ (ehem. Schüler, zit. n. Pielorz 1991:

190).

Das Schul- und Internatsgeld beträgt aktuell ca. 2400.- Euro pro Monat und Schüler (eine freiwillige Mehrzahlung um bis zu 100% ist möglich [!]). Der Anteil der Stipendia-ten liegt bei ca. 25%. Dabei handelt es sich in aller Regel um Teilstipendien, d.h. eine Reduzierung des monatlichen „Schul- und Erziehungsgeldes“ um etwa 500.- Euro (Internet [22.1.08]: http://www.salemcollege.de). Echte Vollstipendien gibt es kaum.35 Es gibt keinen Anlass, davon auszugehen, dass zu Hahns Zeiten die Beiträge relativ zum Durchschnittseinkommen erschwinglicher gewesen wären. Wenn man die wirt-schaftliche Situation des Großteiles der Bevölkerung im Nachkriegsdeutschland der 20er-Jahre bedenkt eher im Gegenteil.

Dass Hahn selbst sich der sozialen Herkunft seiner Schüler durchaus bewusst war, spiegelt sich in den von ihm 1930 formulierten Sieben Salemer Gesetzen: „Erlöst die Söhne reicher und mächtiger Eltern dem entnervenden Gefühl der Privilegiertheit“

(Hahn 1998: 153). Weiter heißt es da: „Keine Schule kann eine Tradition von Selbst-disziplin und tatkräftiger, aber freudiger Anstrengung aufbauen, wenn nicht mindestens 30 Prozent der Kinder aus Elternhäusern kommen, in denen das Leben nicht nur ein-fach, sondern sogar hart ist“ (ebd.).

Eine etwas ausführlichere Untersuchung zu diesem Punkt war notwendig. Denn die Frage nach der sozialen Verteilung der Schülerschaft, wird einen wichtigen Beitrag zu dem anstehenden Vergleich mit Natorps Konzept der Sozialeinheitsschule liefern. Es war aufzuzeigen, dass, was diese Verteilung anbelangt, Hahns Anspruch und die Salemer Wirklichkeit von Anfang an, und im Laufe der Jahre immer offenkundiger, auseinander gingen und dass damit der Elite-Charakter Salems als einer Schule für

35 Nach der persönlichen Auskunft eines Oberstufenschülers gibt es in Salem derzeit keinen einzigen Schüler mit einem Vollstipendium (Stand: 12. Feb. 08).

V. Salem – Konzept eines Landerziehungsheims Kinder der finanziell Hoch- und Höchstgestellten, den Fakten nach zu urteilen, zu keiner Zeit in Frage gestanden haben dürfte.