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Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe

1.3.7 Justiz und Polizei

„Racial Profiling“ – häufigstes Diskriminierungsmuster im Lebensbereich Polizei und Justiz: Die deutlich häufigsten Beratungsanfragen im Lebensbereich Polizei und Justiz erhalten Beratungsstellen wegen polizei-licher Kontrollen. Drei Viertel der Beratungsstellen (76 %) beraten regelmäßig zu als diskriminierend empfun-denen Polizeikontrollen, die allein bei nichtdeutsch bzw. migrantisch eingeordneten Personen vorgenommen würden. Fälle von „Racial Profiling“ in Verkehrsmitteln, Bahnhöfen, auf der Straße oder in Parks werden ins-besondere von jungen Männern beklagt. Diese Behandlung wird als besonders herabwürdigend empfunden, auch wenn sie durch § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz zu Grenzkontrollzwecken in Bahnen, Flugzeugen usw.

gesetzlich legitimiert ist. Hinweise darauf, dass „Racial Profiling“ gehäuft im Alltag vorkommt, gibt auch die Betroffenenbefragung (vgl. 1.5.5.5.3).

Maßnahmen durch die Polizei und die Justiz fallen in den öffentlich-rechtlichen Bereich. Benachteiligungen, die durch hoheitliches Handeln ergehen, sind nicht vom Anwendungsbereich des AGG erfasst. Bei Diskri-minierungen durch die Polizei, Ordnungsämter oder die Justiz wie auch bei anderen DiskriDiskri-minierungen im Bereich des öffentlich-rechtlichen Bereichs, ist kein Vorgehen nach dem AGG möglich (s. Kapitel 1.3.6 und 1.3.8).

Dennoch sind alle staatlichen Behörden wie auch Polizei und Justiz an die verfassungsrechtlichen Dis-kriminierungsverbote (z. B. Art. 3 Abs. 3 GG) und an den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Daneben finden sich antidiskriminierungsrechtliche Regelungen in den einzelnen Landesge-setzen sowie in speziellen GeLandesge-setzen des Bundes und der Länder, z. B. Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen oder den Integrationsgesetzen von Menschen mit Migrationshintergrund.

Im Bereich der Justiz kann es bei Beratungsanfragen um familienrechtliche Verfahren und um straf- und zivilrechtliche Verfahren gehen, aber auch um Fragen rechtlicher Betreuung, der Strafverfolgung oder des Strafvollzugs. Im Bereich der Polizei spielt vor allem die Frage des „Racial Profiling“ eine Rolle.

1.3.7.1 Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Von allen eingegangenen Beratungsanfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in dem Be-richtszeitraum betreffen 449 Anfragen den Bereich Polizei und Justiz.

1.3.7.1.1 Justiz

Knapp ein Drittel der Beratungsanfragen innerhalb des Bereichs Justiz erging zu familien- und erbrecht-lichen Verfahren (31 %). Die übrigen Gerichtsverfahren, mit 28 Prozent der Anfragen, verteilten sich auf straf- und zivilrechtliche Verfahren sowie auf sozialgerichtliche, finanzgerichtliche und verwaltungsge-richtliche Prozesse. Weitere Anfragen (41 %) betrafen Bereiche wie die rechtliche Betreuung, Strafverfol-gung, den Strafvollzug oder die Zwangsvollstreckung.

Im Bereich Justiz bezogen sich die meisten Beratungsanfragen auf die Merkmale Behinderung und die ethnische Herkunft (jeweils 15 %) (Abbildung 31). 11 Prozent der Fälle betrafen das Merkmal Geschlecht.

Vergleichsweise wenig Fälle wurden zu den Merkmalen Religion/Weltanschauung, der sexuellen Identität (jeweils 2 %) und dem Alter (1 %) verzeichnet.

Die übrigen Beschwerden verteilen sich auf Diskriminierungsmerkmale, die nicht durch den § 1 AGG ge-schützt werden, wie beispielsweise die Merkmale Gesundheit, Herkunft oder Familienstand; 3,5 Prozent der Anfragen wurden zur „sozialen Herkunft“ registriert.

Abbildung 31: AGG-Diskriminierungsmerkmale bei Beratungsanfragen aus dem Bereich Justiz (nicht ausgewiesen sind Merkmale ohne AGG-Bezug)

Ethnische Herkunft/rassistische Gründe

Geschlecht

Religion/Weltanschauung

Behinderung

Alter

Sexuelle Identität

15 11 2

15 1

2

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

Prozent

Quelle: Beratungsanfragen an die ADS im Berichtszeitraum 2013–2016

Familienrechtliche Verfahren

Im Familienrecht geht es schwerpunktmäßig um das Schließen von Eheverträgen und um Scheidungen, um Fragen zum Sorge- und Umgangsrecht und um den Kindesunterhalt. Zu familienrechtlichen Verfah-ren gingen vor allem Sachverhalte zu Sorgerechtsstreitigkeiten und zum Umgangsrecht ein. Diskriminie-rungserfahrungen wurden einerseits auffallend häufig wegen des Geschlechts (männlich) gemacht und andererseits wegen der ethnischen Herkunft. Auch in der Betroffenenbefragung wurden Diskriminie-rungserfahrungen von Vätern im Kontext des Jugendamts berichtet (siehe Kapitel 1.5.5.5.2).

Prägnant ist, dass viele Väter die ADS um Unterstützung bitten. Sie fühlen sich in ihrem Sorgerecht als auch im Umgangsrecht benachteiligt. So beklagen Väter, dass sie durch das fehlende Sorgerecht kein Mit-spracherecht bei den Belangen ihrer Kinder haben, so etwa bei der Beantragung eines Reisepasses oder bei der Schulwahl.

Sehr oft erreichen die ADS Meldungen von Vätern, die zwar ein gemeinsames Sorgerecht haben, aber den-noch von Entscheidungsprozessen bezüglich ihres Kindes ausgeschlossen werden. So beschweren sich Petenten, dass sie keine relevanten Informationen von Arztpraxen oder Kindergärten über ihr Kind be-kommen. Es würden immer nur die Mütter in die Geschehnisse einbezogen werden, z. B. Elternabende, Elterngespräche, Förderunterricht für das Kind oder Klassenfahrten.

In binationalen Ehen sind es vor allem die Mütter (doppelt so viele wie Väter), die Benachteiligungen mel-den. Nach eigener Angabe wurde den betroffenen Frauen in mehreren Fällen das Sorgerecht wegen ihrer ethnischen Herkunft entzogen. So schilderte eine aus Brasilien stammende Petentin, dass ihr aus uner-klärlichen Gründen das Sorgerecht entzogen worden sei. Sie fühle sich durch ihren deutschen Ex-Mann gedemütigt und durch die Familienrichter_innen benachteiligt.

Zivil- und strafrechtliche Gerichtsverfahren sowie Diskriminierungen durch Richter_innen, Staatsanwält_

innen und Vollzugsbeamt_innen

Bei den übrigen Gerichtsverfahren, die sich auf strafrechtliche und zivilrechtliche Verfahren sowie auf sozialgerichtliche, finanzgerichtliche und verwaltungsgerichtliche Verfahren verteilen, sind die meisten Anfragen in dem Berichtszeitraum zu strafrechtlichen Verfahren oder Strafanzeigen eingegangen.

Dabei ging es am häufigsten um Diskriminierungserfahrungen aufgrund von Behinderungen, gefolgt von Personen, die angaben, wegen ihrer ethnischen Herkunft benachteiligt zu werden.

In allen registrierten Fällen fühlten sich Personen gleichermaßen von gesetzlichen Regelungen, gerichtli-chen Beschlüssen und als entwertend empfundenen Äußerungen diskriminiert. In ungefähr 10 Prozent aller Fälle gaben Menschen an, wegen ihrer „sozialen Herkunft“ benachteiligt oder herablassend behandelt zu werden. Beispielsweise schilderte ein Petent seine Erfahrung, während eines Prozesses abfällige Äußerungen durch den Richter zu seiner „sozialen Herkunft“ als Hartz-IV-Empfänger ertragen haben zu müssen.

Mehrfachdiskriminierungen wurden oftmals in der Kombination Behinderung und der „sozialen Her-kunft“ gemeldet. Eine Frau, die heute noch wegen Gewalterfahrungen aus der Kindheit an einer Behinde-rung leidet, hatte wegen beruflicher Belange vor dem Arbeitsgericht geklagt. Bei der Gerichtsverhandlung hat sich die Richterin voreingenommen gegenüber Menschen aus „sozial schwachen“ Familien geäußert.

Zum Merkmal der ethnischen Herkunft kontaktierte ein Betroffener die ADS, der beim privaten Autokauf ausgetrickst wurde und erfolglos vor Gericht geklagt hatte. Er nahm an, dass er von dem Richter nicht ernst genommen wird, da er aus dem Kosovo stammt und der Gegner keinen Migrationshintergrund hat.

Zu dem Merkmal Alter hat ein Familienrichter während einer mündlichen Verhandlung einem Betroffe-nen gegenüber folgende Bemerkung gemacht und dessen Antrag abgelehnt: „Wozu braucht ein Rentner ein Auto? Ein Rentner braucht kein Auto. Ich habe mir vor Kurzem ein Auto für 8.000,- Euro gekauft, dann brauchen Sie kein Auto für 20.000,- Euro, und mein Einkommen ist höher als Ihres.“

1.3.7.1.2 Polizei, Ordnungsamt, Gefahrenabwehr

In der Bundesrepublik gehört die Gefahrenabwehr zu den Aufgaben der Polizei und der Ordnungsämter.

In dem Berichtszeitraum erhielt die ADS überwiegend Beschwerden und Anfragen zu dem Bereich Polizei (ca. 70 %). Es sind besonders häufig Menschen mit Migrationshintergrund, die sich durch die öffentliche Gefahrenabwehr diskriminiert fühlen (27 %), gefolgt von Menschen mit einer Behinderung (18 %) und Per-sonen, die angeben, wegen ihres Alters Benachteiligungen erlebt zu haben (5 %).

Eine Frau meldete der ADS, dass sie durch die Polizei ihrer Stadt diskriminiert wird. Bei Meinungsver-schiedenheiten zwischen ihr und der Nachbarschaft würde die Polizei nur dann einschreiten, wenn die Nachbarschaft die Polizei alarmiert. Sie vermutet, dass das Handeln der Polizei darauf zurückzuführen ist, dass sie und ihr Mann einen ausländischen Nachnamen tragen.

Eine Betroffene mit einer Behinderung schilderte, dass sie durch das Straßenverkehrsamt für fahruntüch-tig erklärt worden sei. Sie litt seit ca. 20 Jahren an einer bestehenden chronischen Gelenkinfektion des Ell-bogens, gab jedoch an, bisher keine Auffälligkeiten beim Fahren, geschweige denn Unfälle gehabt zu haben.

Betroffene gaben oftmals an, persönlich von Polizist_innen beleidigt oder herabwürdigend behandelt zu werden. Sinti und Roma, die als Handelsreisende unterwegs waren, berichteten der ADS, dass sie von der Polizei Platzverbot bekamen und die Anordnung erhielten, die Stadt zu verlassen. Zugleich beschimpften die Polizist_innen die Betroffenen nach eigener Angabe als „Zigeuner, Gauner und Dreckschweine“.

Eine Frau, die im Rollstuhl sitzt, kontaktierte die ADS. Sie besuchte bereits seit knapp zehn Jahren eine Therme und erhielt eines Tages die Auflage der Thermenbetreiber, dass der Zugang zum Schwimmbad und zur Sauna ab sofort nicht mehr mit dem Rollstuhl befahren werden darf. Als Grund wurden neue Hygie-neregeln angeführt. Als die Frau dem Gebot des Betreibers nicht nachging, schaltete der Thermenbetreiber die Polizei ein. Die Polizei „rollte“ die Frau leicht bekleidet aus der Sauna hinaus.