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Beratungsanfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Diskriminierungserfahrungen in Deutschland

1.3 Beratungsanfragen und Problemlagen in unterschiedlichen Lebensbereichen

1.3.1 Überblick über Beratungsanfragen insgesamt

1.3.1.1 Beratungsanfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes

In den Jahren 2013 bis 2016 erreichten die Antidiskriminierungsstelle des Bundes insgesamt 9.099 Anfra-gen zu möglichen diskriminierenden Situationen in Anknüpfung an eines oder mehrere Diskriminie-rungsmerkmale. In 6.474 Fällen wurde von den Anfragenden eine Benachteiligung wegen eines oder meh-rerer der in § 1 AGG genannten Diskriminierungsmerkmale vermutet. Umgekehrt bedeutet dies, dass in 2.625 Fällen die geschilderten Sachverhalte keine der im AGG geschützten Merkmale betrafen. Als perso-nenbezogene Gründe für eine Benachteiligung, die nicht vom AGG erfasst werden, wurden häufig die Her-kunft (z. B. Staatsangehörigkeit oder HerHer-kunft aus einem bestimmten Bundesland), die „soziale HerHer-kunft“, die Gesundheit oder der Familienstand genannt, aber auch die äußere Erscheinung und die politischen Ansichten wurden als Gründe angegeben. In vielen Fällen gaben die Anfragenden aber auch keinen Grund an, an den die Diskriminierung anknüpft. In den meisten Fällen wenden sich die Betroffenen selbst an die Antidiskriminierungsstelle. Soweit Fälle lediglich zur Kenntnis gegeben werden, wird darüber hinaus auch häufig von Beobachtungen berichtet, bei denen die Petent_innen nicht selbst betroffen sind, aber eine Si-tuation nichtsdestotrotz als nicht hinnehmbar ansehen. Diese sind in der Statistik ebenfalls berücksichtigt.

Bezogen auf die einzelnen Jahre des Berichtszeitraums ist im Vergleich zum Vorjahr ein leichter Rückgang der Anfragen im Jahr 2014, dafür ein deutlicher Anstieg im Jahr 2016 zu verzeichnen (Abbildung 4). Das Mehr der Anfragen von 2015 auf 2016 könnte vor allem auf die Durchführung der Studie „Diskriminie-rungserfahrungen in Deutschland“ Ende 2015 zurückzuführen sein, durch die das Bewusstsein für Diskri-minierung wesentlich geschärft wurde.

Abbildung 4: Anzahl Beratungsanfragen in den Jahren 2013 bis 2016 (inkl. Anfragen ohne Bezug zu AGG-Merkmalen)

0 500 1.000 1.500 2.000 2.500 3.000

2.178

2013

2.011

2014

2.117

2015

2.793

2016

Anzahl Beratungsanfragen

Quelle: Beratungsanfragen an die ADS im Berichtszeitraum 2013–2016

Tabelle 1 zeigt die Anteile der einzelnen im AGG genannten Diskriminierungsgründe über die Jahre des Berichtszeitraums. Anfragen ohne Bezug zu AGG-Merkmalen sind hier nicht berücksichtigt. Da in man-chen Fällen von den Anfragenden mehrere Diskriminierungsmerkmale gleichzeitig angegeben wurden, enthält die Verteilung auch Mehrfachnennungen. Dementsprechend liegt die Summe der genannten Merkmale über 100 Prozent. Im Durchschnitt der berücksichtigten Jahre handelte es sich bei rund 5 Pro-zent aller Anfragen mit AGG-Bezug um mehrdimensionale Diskriminierungen, wobei die Anteile zwi-schen knapp 3 Prozent im Jahr 2016 und gut 7 Prozent im Jahr 2014 schwanken.

Mit Blick auf die Tabelle zeigt sich, dass die Anteile der einzelnen Merkmale im Vergleich der Jahre rela-tiv konstant ausfallen. Die meistgenannten Merkmale sind durchweg ethnische Herkunft bzw. rassisti-sche Zuschreibungen, Behinderung und Geschlecht bzw. Geschlechtsidentität.15 Die Beratungsanfragen hierzu nehmen jeweils ca. ein Viertel bzw. gut ein Viertel der Gesamtanfragen ein, wobei Anfragen wegen Benachteiligung aufgrund von Behinderungen in den Jahren 2013 und 2015, Anfragen wegen Benach-teiligungen aufgrund der – zugeschriebenen – ethnischen Herkunft in den anderen Jahren an der Spitze liegen. Anfragen wegen geschlechtsspezifischer Diskriminierung folgen knapp dahinter. Das danach am häufigsten genannte Merkmal ist das Alter. Mit etwas mehr Abstand folgen Benachteiligungen aufgrund

15 Beratungsanfragen zu Diskriminierung aufgrund der geschlechtlichen Identität (z. B. Trans* oder Intergeschlechtlichkeit) kön-nen nicht separat ausgewiesen werden.

der Religion oder Weltanschauung sowie der sexuellen Identität. Im Vergleich zu der Berichtsperiode des Zweiten Gemeinsamen Berichts für die Jahre 2010 bis 2012 ist festzustellen, dass es einen leichten Anstieg (3 Prozentpunkte) von Beratungsanfragen im Hinblick auf die Merkmale ethnische Herkunft bzw. rassisti-sche Diskriminierung, Behinderung und Geschlecht gab, während Beratungsanfragen zu Diskriminierung aufgrund des Alters zurückgingen (vgl. ADS 2013, S. 46).

Tabelle 1: Häufigkeit der in den Beratungsanfragen genannten AGG-Diskriminierungsmerkmale (inkl. Mehrfachnennungen; Anfragen ohne Bezug zu AGG-Merkmalen nicht enthalten)

Diskriminierungsmerkmal Jahr Durchschnitt

2013–2016

2013 2014 2015 2016

Ethnische Herkunft/

rassistische Gründe 25 % 29 % 25 % 27 % 27 %

Geschlecht bzw.

Geschlechts identität 24 % 23 % 24 % 24 % 24 %

Religion 7 % 8 % 7 % 7 % 7 %

Weltanschauung 1 % 1 % 1 % 2 % 1 %

Behinderung 29 % 27 % 31 % 25 % 28 %

Alter 17 % 16 % 13 % 15 % 15 %

Sexuelle Identität 4 % 4 % 4 % 4 % 4 %

Quelle: Beratungsanfragen an die ADS im Berichtszeitraum 2013–2016

Schwankungen innerhalb dieser Merkmalsbereiche sind voraussichtlich in erster Linie auf die von der ADS durchgeführten Themenjahre16 zurückzuführen. So stiegen z. B. im Jahr 2014 die Anfragen zum Merk-mal ethnische Herkunft auf 29 Prozent gegenüber einem Anteil von 25 Prozent im Jahr 2013. Gleichzeitig stiegen Anfragen mit Bezug zum Merkmal Religion leicht (+1 Prozentpunkt) an, was die häufige Verknüp-fung der ethnischen Herkunft mit einer bestimmten Religionszugehörigkeit widerspiegelt. Im Themen-jahr 2016 „Freier Glaube. Freies Denken. Gleiches Recht“, das die Merkmale Religion und Weltanschauung in den Mittelpunkt stellte, ist dagegen nur noch ein Anstieg bei Religion in absoluten Zahlen zu verzeich-nen, der sich in der prozentualen Verteilung nicht mehr widerspiegelt. Dafür kann ein – für die insgesamt vergleichsweise kleine Anzahl Anfragen – deutlicher Zuwachs im Bereich Weltanschauung konstatiert werden. Für das Jahr 2015 ist auffällig, dass die Anfragen zum Thema „Menschen mit Behinderungen“ we-sentlich zugenommen haben, sodass deren Anteil an den Gesamtanfragen von 27 Prozent auf 31 Prozent steigt. Die absolute Anzahl Anfragen hat im Jahr 2016 noch einmal etwas zugenommen, allerdings nehmen die Anfragen von bzw. für Menschen mit Behinderungen prozentual nicht mehr den gleichen Stellenwert

16 Seit 2012 führt die ADS Themenjahre zu den Diskriminierungskategorien des AGG durch. Dabei wurde in alphabetischer Rei-henfolge 2012 mit dem Jahr gegen Altersdiskriminierung begonnen, gefolgt von Behinderung im Jahr 2013, ethnischer Her-kunft/Rassismus 2014 und Geschlecht im Jahr 2015. Im Jahr 2016 widmete sich die ADS dem Thema Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung. Aktuell wird 2017 das Themenjahr gegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität veranstaltet (siehe http://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ThemenUndForschung/Projekte/Themenjahre/Themenjahre_

node.html).

ein. Der Anstieg im Jahr 2015 ist eventuell auf den Umstand zurückzuführen, dass in diesem Jahr die erste Prüfung des Staatenberichts Deutschlands zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention anstand und damit die Frage der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen stärker in das Bewusst-sein der Öffentlichkeit und der Betroffenen gerückt wurde.

Überwiegend handelt es sich bei den eingegangenen Anfragen um unmittelbare Diskriminierungen. Hier knüpft die schlechtere Behandlung ausdrücklich an das Diskriminierungsmerkmal an (siehe Kapitel 1.2.1).

Zu Diskriminierung gehören aber auch die Fälle, in denen das benachteiligende Verhalten oder auch eine schlechterstellende Regelung an kein Diskriminierungsmerkmal ansetzt, aber in seiner Wirkung überwie-gend Personen einer bestimmten Merkmalsgruppe trifft (mittelbare Diskriminierung) (ebd.). Fälle von mittelbarer Diskriminierung wurden aber deutlich seltener gemeldet. Diese Diskrepanz ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass eine direkte, unmittelbare Diskriminierung offensichtlicher und leichter wahr-zunehmen ist. Damit eine mittelbare Benachteiligung deutlich wird, braucht es vergleichbare Situationen, in denen Personen, die nach den übrigen Umständen eigentlich gleichbehandelt werden müssten, tat-sächlich unterschiedlich betroffen sind. Nur so wird deutlich, dass die Unterscheidung mit dem Merkmal zusammenhängt, in dem sich die beiden Personen unterscheiden. Am ehesten gibt es diese vergleichbaren Situationen im Bereich der Arbeit. Zum einen gibt es hier viele Regelungen, z. B. zur Bezahlung oder Ab-findung, zur Bestimmung der Arbeitszeit und der Arbeitsleistung, die nicht explizit an ein im AGG ge-nanntes Merkmal anknüpfen, die sich aber faktisch auf eine bestimmte, abgrenzbare Gruppe besonders auswirken. Zum anderen sind hier durch dieselbe Regelung mehrere Personen in ähnlichen Situationen betroffen. Damit können die Auswirkungen auf die einzelnen Personen leichter als in anderen Lebensbe-reichen miteinander verglichen werden und eine ungleiche Behandlung, die eine ganze Gruppe betrifft, ist augenfälliger. Eine mittelbare Diskriminierung ist z. B. möglich, wenn die Merkmale, anhand derer ein Arbeitsplatz einer bestimmten Gehaltsgruppe zugeordnet wird, zwar objektiv gehalten sind, in der Praxis sich aber zeigt, dass der weibliche Teil der Beschäftigten im Durchschnitt die geringer bewerteten Tätigkei-ten ausführt, der männliche Teil dagegen die höher bewerteTätigkei-ten. Hier müsste geprüft werden, ob die Merk-malsbewertung tatsächlich objektiv gerechtfertigt ist. Ansonsten kann es sich um eine mittelbare Diskri-minierung aufgrund des (weiblichen) Geschlechts handeln. Eine mittelbare DiskriDiskri-minierung wegen des Geschlechts ist auch immer wieder Thema bei Beförderungen. Die Entscheidungen über eine Beförderung werden nicht ausdrücklich vom Geschlecht abhängig gemacht. Allerdings ergeben statistische Auswertun-gen, dass wesentlich mehr Männer als Frauen höhere Posten bekleiden.

In Bezug auf die Verteilung der Beratungsanfragen über die einzelnen Lebensbereiche fällt auf, dass sich die an die ADS herangetragenen Fälle überwiegend im Bereich der Arbeit abspielen (Abbildung 5): 41 Pro-zent der Anfragen im Berichtszeitraum bezogen sich auf das Berufsleben. Als Nächstes folgt der Bereich des Zugangs zu Gütern und Dienstleistungen (18 %), zu dem in rechtlicher Hinsicht auch die Anfragen zu Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt (5 %) zählen. Dass vor allem Beratungsanfragen zu diesen Bereichen eingehen, ist u. a. auch darauf zurückzuführen, dass diese vom Schutzbereich des AGG umfasst sind. Vergleichsweise viele Anfragen beziehen sich darüber hinaus auf die Beziehungen zu Ämtern und Be-hörden (16 %). Auch Anfragen zu weiteren staatlichen Bereichen wie Bildung (6 %) sowie Justiz und Polizei (5 %) sind in nennenswerter Zahl vertreten. Schließlich gibt es auch Anfragen zu den Bereichen Öffentlich-keit und Freizeit (5 %) sowie Medien und Internet (2 %). Die Beratungsanfragen aus dem Gesundheits- und Pflegesektor sind entweder dem Lebensbereich Ämter und Behörden zugeordnet, sofern sie im Kontext von Krankenversicherungen verortet sind; oder sie sind bei benachteiligenden Behandlungen durch Ärzt_

innen und Pflege- bzw. Betreuungspersonal dem Lebensbereich Güter und Dienstleistungen zugeordnet, da Behandlungsverträge zwischen Ärzt_innen und Privatpatient_innen ebenfalls in den Anwendungsbe-reich des AGG fallen, da sie rechtlich betrachtet Dienstverträge sind.

Abbildung 5: Verteilung der Beratungsanfragen auf Lebensbereiche (inkl. Anfragen ohne Bezug zu AGG-Merkmalen)

Arbeitsleben

Güter und Dienstleistungen

Ämter und Behörden

Justiz und Polizei Bildung

Öffentlichkeit und Freizeit

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

Prozent 41 18

16 6 5 5

Wohnungsmarkt 5

Medien und Internet 2

Quelle: Beratungsanfragen an die ADS im Berichtszeitraum 2013–2016

Dieses Bild entspricht in wesentlichen Teilen auch den Ergebnissen der bevölkerungsrepräsentativen Stu-die der ADS zu „Diskriminierungserfahrungen in Deutschland“. Dort zeigte sich ebenfalls ein hohes Dis-kriminierungsrisiko im Arbeitsleben und beim Zugang zu Geschäften und Dienstleistungen (siehe Kapitel 1.5.4.1).17 Zum einen ist der Bereich der Arbeit durch seine wirtschaftliche Bedeutung für die_den Ein-zelne_n und den Zeitumfang, der am Arbeitsplatz verbracht wird, einer der wichtigsten Lebensbereiche.

Zum anderen gibt es in diesem Bereich viele Regelungen – durch Gesetz, Vertrag oder innerbetriebliche Vorschriften, – sodass die Maßstäbe, nach denen die Arbeitgeber vorgehen oder vorgehen sollten, klarer sind als in anderen Lebensbereichen. Eine Rolle wird hier auch spielen, dass der Schutz vor Ungleichbe-handlungen im arbeitsrechtlichen Kontext schon vor dem Inkrafttreten des AGG bestand, sodass die Be-troffenen am ehesten mit der Idee vertraut sind, gegen Benachteiligungen etwas unternehmen zu können.

In diesem Bereich verfügt auch das AGG über den am detailliertesten ausgestalteten diskriminierungs-rechtlichen Schutz. Die ADS kann bei Beratungsanfragen in den Bereichen des Arbeitslebens sowie Güter und Dienstleistungen im Rahmen ihrer Beratungstätigkeit eine rechtliche Erstberatung leisten. Sie kann weiterhin eine Stellungnahme mit dem Ziel der gütlichen Beilegung (§ 28 Abs. 1 AGG) einholen und durch diese ihr übertragene Aufgabe eine Gerichtsverhandlung vermeiden und die Möglichkeit einer außerge-richtlichen Einigung unterstützen.

17 Im Gegensatz zu den an die ADS gerichteten Anfragen wird in der bevölkerungsrepräsentativen Umfrage jedoch sehr viel häufi-ger von Diskriminierungserfahrungen im Bereich Öffentlichkeit und Freizeit berichtet.

Dagegen bietet das AGG keine Möglichkeiten, gegen Diskriminierungen in Ämtern und Behörden, im Bil-dungsbereich oder im Bereich Medien und Internet vorzugehen – soweit diese nicht als Arbeitgeber auf-treten. Neben der rechtlichen Erstberatung kann in der Beratung hier häufig nur auf die formalen Rechts-behelfe oder den Klageweg verwiesen werden, der in vielen Fällen jedoch nicht erfolgversprechend ist oder gerade nicht die tatsächliche Beschwerde betrifft – z. B. bei diskriminierenden Äußerungen von Behörden-personal (siehe Kapitel 2.4.7.6). Betroffenen wird beispielsweise geraten, Fachanwält_innen aufzusuchen, eine Dienstaufsichtsbeschwerde einzuleiten, eine staatliche Schlichtungsstelle einzuschalten oder sich an eine (potenzielle) Beschwerdestelle beispielsweise einer Behörde zu wenden. In geeigneten Fällen werden Petent_innen auch an Antidiskriminierungsberatungsstellen vor Ort verwiesen.

In Bereichen, in denen antidiskriminierungsrechtliche Bestimmungen ganz fehlen, wie z. B. im Bereich des Vereinswesens, des Ehrenamts oder in nachbarschaftlichen Konflikten, kann die Beratung der ADS in diesen Fällen häufig nur begrenzt oder kaum unterstützen. Insoweit ist ihr Handlungs- und Aufgabenbe-reich auf die Durchsetzung der „Rechte zum Schutz vor Benachteiligungen“ beschränkt, § 27 Abs. 2 AGG.

Ausgangspunkt der Antidiskriminierungsberatung können insoweit nur Sachverhalte in Bereichen sein, in denen Diskriminierungsverbote existieren.

1.3.1.2 Beratungsanfragen mit Diskriminierungsbezug an die Beauftragte der