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Diskriminierungen durch Behördenpersonal

Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe

1.3.6.1.3 Diskriminierungen durch Behördenpersonal

Benachteiligungen, die von Behördenpersonal ausgehen, kommen in der Praxis häufig vor und sollen in diesem Kapitel nochmals kurz dargestellt werden. Dies bestätigt auch die Auswertung der Betroffe-nenbefragung, in der in einem Fallbild auf soziale Herabwürdigungen wie Beleidigungen als häufige Diskriminierungsform im Bereich Ämter und Behörden eingegangen wird (siehe auch Kapitel 1.5.5.5.1).

Diesbezügliche Beratungsanfragen werden vor allem von Menschen mit Behinderungen (26 %) an die An-tidiskriminierungsstelle des Bundes herangetragen, gefolgt von Anfragen zu Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft mit 13 Prozent. Benachteiligungen gegen das Geschlecht befinden sich mit 6 Prozent im mittleren Häufigkeitsbereich.

Petent_innen melden häufig, dass sie vor allem durch das Personal der Sozialämter und Jobcenter (ca. 40 %) diskriminiert werden (siehe auch ausführlicher Kapitel 2.3.1). Am zweithäufigsten erhält die ADS Mel-dungen über Diskriminierungen behinderter Menschen in den Integrationsämtern und Arbeitsämtern (13 %). Jugendämter (8 %) machen den drittgrößten Bereich aus.

Ein Ehepaar, das ein Kind mit einer Behinderung pflegt, wandte sich an die Beratung der ADS. Das Paar gab an, durch die Sachbearbeiterin eines Jugendamtes auf höchst unfreundliche und abweisende Art be-handelt worden zu sein. Die angestellte Frau machte herabwürdigende Bemerkungen bezüglich der „Un-fähigkeit und Unnatürlichkeit“ von Pflegeeltern. Die ADS riet dem Paar eine Dienstaufsichtsbeschwerde einzuleiten und zwecks Informationsaustauschs einen Verband von Pflegeeltern zu kontaktieren.

Über folgenden Vorfall hat eine Frau die ADS in Kenntnis gesetzt: Bei einem Besuch im Jugendamt wur-de sie Zeugin wur-dessen, wie eine junge schwangere Rumänin (Roma) von einer Mitarbeiterin auf sehr ag-gressive Weise angeschrien worden ist. Die Mitarbeiterin bezeichnete die Frau als „Schmarotzerin“ und

„Sozialstaat aussaugerin“. Sie solle schnellstens dahin zurück, woher sie komme.

Insgesamt zeigt sich bei den Beratungsanfragen zu Ämtern und Behörden, dass es sich sowohl um Fälle handelt, die an als diskriminierend empfundene Gesetze und Regelungen anknüpfen, auf denen die Arbeit der einzelnen Ämter und Behörden beruht. Ebenso zentral ist aber auch herabwürdigendes Verhalten, wie beispielsweise Beleidigungen in Anknüpfung an ein im AGG geschütztes Merkmal, mit dem sich Betroffe-ne im Kontakt mit Behörden und Ämter konfrontiert sehen.

1.3.6.2 Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen

Im Berichtszeitraum gingen bei der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen insgesamt rund 2.550 Beratungsanfragen zum Themenfeld Ämter und Behörden ein. Ent-sprechend ist dieses Themenfeld im Vergleich zu allen bei der Beauftragten im Betrachtungszeitraum ein-gegangenen Anfragen als quantitativ bedeutend einzustufen. Die gegenüber der Behindertenbeauftragten geäußerten Anliegen, Beratungsanfragen und Beschwerden sind dabei thematisch breit gefächert. Die Rat-suchenden, die sich im Bereich Ämter und Behörden an die Behindertenbeauftragte wandten, kritisierten zum überwiegenden Teil unzureichende Leistungsgewährungen, lange Bearbeitungszeiten und Probleme im Rahmen des Schnittstellenmanagements.

Gesetzliche Krankenversicherung

Die Beauftragte erhielt regelmäßig Beratungsanfragen aufgrund von negativen Leistungsbescheiden bei der Beantragung von Hilfsmitteln, wie beispielsweise von Sehhilfen. Im Sozialgesetzbuch (SGB) V – Ge-setzliche Krankenversicherung – ist geregelt, inwieweit gesetzlich Versicherte Ansprüche auf Sehhilfen ge-genüber der Krankenkasse haben. Für Erwachsene sieht das Gesetz danach eine Beteiligung nur unter sehr engen Voraussetzungen vor. Erfreulicherweise enthält das im April 2017 in Kraft getretene Heil- und Hilfs-mittelversorgungsstärkungsgesetz diesbezüglich Verbesserungen. Vereinzelt wandten sich Bürger_innen an die Behindertenbeauftragte, weil die Krankenkasse die Fahrtkosten bei Fahrten zu ambulanten Heilbe-handlungen nicht übernahm. Typischerweise handelt es sich dabei um Fälle von Menschen mit körperli-chen Beeinträchtigungen, deren Zugang zum öffentlikörperli-chen Nahverkehr durch die Infrastruktur in ländli-chen Regionen vergleichsweise schlecht ist. Den Bürger_innen wurde die Rechtslage wie folgt dargelegt:

Die Krankenkasse übernimmt die Kosten für Fahrten einschließlich der Kosten für Krankentransporte, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Grün-den notwendig sind. Fahrtkosten zu einer ambulanten Behandlung sind vorab durch die Krankenkasse zu genehmigen und werden in besonderen Ausnahmefällen, die der Gemeinsame Bundesausschuss in seinen

Krankentransport-Richtlinien festgelegt hat, übernommen. Nach der Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses, in welchem neben den vier großen Spitzenorganisationen der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen auch Patientenvertreter_innen beteiligt sind, übernehmen die Krankenkas-sen die Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung für folgende Ausnahmefälle: Fahrten zur Strahlen-/Che-motherapie, zur Dialyse und für Patient_innen, die einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzei-chen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung), „Bl“ (blind) oder „H“ (hilflos) besitzen bzw. in Pflegegrad 3, 4 oder 5 eingestuft sind.

Soziale Pflegeversicherung

Einige Bürger_innen wandten sich an die Beauftragte, da die Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung nicht die im Einzelfall entstehenden Pflegekosten abdecken.

Die Soziale Pflegeversicherung stellt mit den Budgetbeträgen der verschiedenen Pflegegrade lediglich eine Teilabsicherung dar. Deshalb müssen die Betroffenen bedauerlicherweise regelmäßig hohe Eigenanteile tragen. Nur im Falle von Bedürftigkeit werden nach den Voraussetzungen des SGB XII („Sozialhilfe“) wei-tergehende Kosten übernommen. Einige Ratsuchende äußerten ihren Unmut über den höheren Beitrag, den kinderlose Menschen in der Sozialen Pflegeversicherung zu tragen haben. Insbesondere wenn die Kinderlosigkeit unerwünscht ist, wurde diese Regelung als diskriminierend empfunden. In Fällen, in de-nen ungewollte Kinderlosigkeit möglicherweise in einem Zusammenhang mit einer Behinderung steht, erscheint diese Ungerechtigkeit deutlich erhöht. Die Beauftragte führt in diesen Beschwerdefällen die Hintergründe des Beitragszuschlags für Kinderlose aus. Hintergrund für die Einführung des Beitragszu-schlages für Kinderlose war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2001. Das Gericht ent-schied, dass Personen, die Kinder erziehen, neben dem finanziellen Beitrag zur Pflegeversicherung einen zusätzlichen tatsächlichen Beitrag erbringen, da sie für zukünftige Beitragszahlende sorgen. Das Gericht sah es als verfassungswidrig an, wenn Menschen mit und ohne Kinder den gleichen Beitrag zur Pflegever-sicherung zahlen. Das Bundesverfassungsgericht verpflichtete damit den Gesetzgeber, die Beitragsbemes-sungsregelungen der Sozialen Pflegeversicherung entsprechend zu ändern. Es liegt auf der Hand, dass der Gesetzgeber die Unterteilung des erhöhten Beitrages nicht am subjektiven Kriterium des Kinderwunsches festmachen konnte, sondern nur am objektiven Kriterium des Kinderhabens. Das subjektive Kriterium des Kinderwunsches wäre für die Einzugsstellen des Pflegeversicherungsbeitrages nicht überprüfbar und eine Äußerung der Beitragszahlenden zu den Hintergründen der Kinderlosigkeit unzumutbar.

Gesetzliche Rentenversicherung

Einige Bürger_innen machten auf die Situation von Erwerbsminderungsrentner_innen aufmerksam und baten die Beauftragte darum, sich für diese einzusetzen. Insbesondere wird es als diskriminierend empfunden, dass Erwerbsminderungsrentner_innen Abschläge hinnehmen müssen und dass von verbes-sernden Reformen wie dem aktuellen Gesetzesvorhaben des Erwerbsminderungsrentenverbesserungsge-setzes die Bestandsrentner_innen nicht profitieren können. Diese Kritik wurde von der Beauftragten auch gesehen, letztlich muss die nun vorgesehene weitere Anhebung der Zurechnungszeit aber insgesamt als positiv bewertet werden, weil damit das Armutsrisiko bei Erwerbsminderung weiter reduziert wird. Dies gilt auch, wenn bedauerlicherweise Bestandsrentner_innen keine Berücksichtigung finden. Eine geeignete Maßnahme ist noch keine ausreichende, geschweige denn eine befriedigende Maßnahme, dennoch han-delt es sich um einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung.

Eine Reihe von Beschwerden thematisierten nicht gewährte berufliche Teilhabeleistungen durch die Deutsche Rentenversicherung. Die Palette reichte von Bewerbungskosten, Eingliederungszuschüssen, Arbeitsplatzausstattungen und -hilfen über Hilfen zum Umbau eines behindertengerechten Pkw (Kraft-fahrzeughilfe) bis hin zu Qualifizierungen und Weiterbildungen. Weiterhin kritisierten Ratsuchende, dass ihnen Weiterbildungsmaßnahmen dann nicht gewährt wurden, wenn sie das 50. Lebensjahr überschritten

hatten. Soweit die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorlagen, konnten durch Überprüfungsbit-ten und Argumentationshilfen in Einzelfällen positive Leistungsentscheidungen erreicht werden.

Grundsicherung für Arbeitsuchende und Sozialhilfe

In der Vergangenheit hatte die Beauftragte mehrfach aufgrund zahlreicher Zuschriften die Ungleichbe-handlung bei der Gewährung von Lebenshaltungskosten von über 25-jährigen vollerwerbsgeminder-ten Personen, die bei ihren Eltern wohnen, und von über 25-jährigen erwerbsfähigen Personen im Ar-beitslosengeld-II-Bezug in gleicher Wohnsituation gerügt. Während die Leistungsempfänger_innen mit Behinderungen lediglich 80 % des Regelbedarfs erhielten, wurde den erwerbsfähigen Personen in gleicher Wohnsituation der volle Arbeitslosengeld-II-Regelsatz gewährt. Trotz der wegweisenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2009, die vorübergehend zu einer Gleichbehandlung der Personen-kreise führte, wurden mit Einführung des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes (RBEG) zum 1. Januar 2011 die Menschen mit Behinderungen in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII erneut einer ungünstigeren Regelbedarfsstufe zugeordnet als die vergleichbare Personengruppe in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Trotz aller Kritik an der Entscheidung und einem erneuten Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. Juli 2014 wurde erst mit Weisung vom 31. März 2015 an die Länder in der strittigen Frage um die Grundsicherung für Menschen mit Behinderungen eine pragmatische Entscheidung getroffen, um hier eine Gleichbehandlung herzustellen. Gesetzlich vollzogen wurde sie erst mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz vom 22. Dezember 2016.

Die zur Grundsicherung nach SGB XII eingegangenen Beratungsanfragen betrafen Behördenentschei-dungen zu verschiedensten Leistungsanträgen bzw. zu langen Bearbeitungszeiten in den Sozialämtern. In Einzelfällen wurde das generelle Verhalten einzelner Behördenmitarbeiter_innen als wenig wertschätzend beanstandet. Die Ratsuchenden erfragten schwerpunktmäßig die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen.

Durch die Beauftragte wurden sie auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme rechtlicher Beratungsange-bote und des Widerspruchs- bzw. Klageverfahrens aufmerksam gemacht.

Einige Beratungsanfragen betrafen auch die Unterstützung zum Erwerb des Führerscheins bzw. zur Anschaffung eines Fahrzeugs. Hier fühlten sich die Ratsuchenden benachteiligt, wenn sie aufgrund der Behinderungen nicht mehr berufstätig bzw. in Ausbildung waren. Als diskriminierende gesetzliche Grundlage wurde die Verordnung über Kraftfahrzeughilfe zur beruflichen Rehabilitation (Kraftfahrzeug-hilfe-Verordnung – KfzHV) angeführt. Die rechtliche Möglichkeit der Beantragung einer Leistung zur Teil-habe am Leben in der Gemeinschaft, auf die die Ratsuchenden in den vorliegenden Fällen hingewiesen wurden, war ihnen bis dahin nicht bekannt. Der Behindertenbeauftragten liegen allerdings bislang keine Rückmeldungen in den betreffenden Fällen vor, wie Anträge zur Unterstützung des Erwerbs des Führer-scheins bzw. der Anschaffung eines Fahrzeugs im Rahmen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft entschieden wurden.

Leistungen der Teilhabe nach SGB IX

Beschwerden von Ratsuchenden erreichten die Beauftragte auch im Zusammenhang mit fehlenden Här-tefallregelungen in der KfzHV. Nach der KfzHV können Menschen mit einer Mobilitätseinschränkung u. a. zum Ausgleich ihrer Behinderungen Beförderungskosten zum Erreichen des Arbeitsplatzes erhalten, allerdings mit einer gewissen Kostenbeteiligung. Hintergrund der Kostenbeteiligung ist, dass bei der Nut-zung eines Fahrdienstes/Taxis diejenigen laufenden Kosten für Betrieb und Unterhaltung des Kraftfahr-zeugs (einschließlich Reparaturkosten) betrachtet werden, die Menschen mit und ohne Behinderungen gleichermaßen für die Nutzung von Pkw für den Arbeitsweg zu tragen haben. Den dazu eingehenden An-liegen nach zu urteilen, kann diese dem Grunde nach nachvollziehbare Regelung in bestimmt gelagerten Einzelfällen zu unbilligen Härten führen. In einem Beispielfall war eine blinde Arbeitnehmerin

vorüberge-hend auf eine Beförderung zum Arbeitsort angewiesen, da aufgrund einer Baumaßnahme der Personen-nahverkehr zeitweilig verändert organisiert war und den bisherigen durch Mobilitätstraining eingeübten Arbeitsweg für sie unpassierbar machte. Ein Ausweichen auf alternative Verkehrsverbindungen ist blinden Menschen ohne vorheriges Mobilitätstraining nicht möglich. Im vorliegenden Fall betrug die Baumaß-nahme rund vier Wochen. In diesem und vergleichbaren Fällen sieht die Beauftragte ungewollte Härten, die durch den Verordnungsgeber zu beheben sind.

Im Bereich des SGB IX erreichten die Beauftragte des Weiteren vermehrt Beratungsanfragen zum Per-sönlichen Budget nach § 17 SGB IX. Zu einem großen Teil wurden Informationen zur Voraussetzung der Leistungsgewährung unter Berücksichtigung der individuellen Situation erfragt. Hier wurde seitens der Beauftragten an die jeweils örtlichen „Gemeinsamen Servicestellen für Rehabilitation“ verwiesen, die ent-sprechende Beratungen anbieten. Einige Anfragen betrafen die behördliche Entscheidung zu Art und Um-fang. In Einzelfällen beklagten die Bürger_innen die unzureichende rechtliche Beratung durch die örtlich zuständige Behörde.

Abschließend sei erwähnt, dass sich auch Arbeitgeber an die Beauftragte wandten. Insbesondere kleine Unternehmen kritisierten im Zusammenhang mit anstehenden Einstellungen von Menschen mit Behin-derungen, dass es erhebliche bürokratische Hürden und lange Bearbeitungszeiten zu überwinden gelte, um notwendige Unterstützungsleistungen (Lohnkostenzuschüsse, Arbeitsplatzanpassungen, Arbeitshil-fen etc.) von den zuständigen Leistungsträger zu erhalten. Eine große Rolle spielte dabei die mangelnde Transparenz über die Zuständigkeiten der einzelnen Leistungsträger, die unzureichende Zusammenarbeit der Leistungsträger untereinander, aber auch eine mangelnde Zusammenarbeit innerhalb der Behörden, z. B. bei den Arbeitsagenturen (Arbeitgeberservice/Reha-Abteilung). Die Bewilligungsverzögerung stellte für Arbeitgeber ein bedeutsames Hemmnis in Hinblick auf die Einstellung von Menschen mit Behinde-rungen und damit einen (mittelbaren) Diskriminierungstatbestand für Menschen mit BehindeBehinde-rungen dar.

Weitere Einzelheiten zu wahrgenommenen Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen im Zu-sammenhang mit der Arbeitsverwaltung finden sich in Kapitel 2.3.2 (Beratungsanfragen Beauftragte der Bundesregierung für die Belange mit Behinderungen in Bezug auf Jobcenter und Arbeitsagenturen) des Berichts.

1.3.6.3 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration

Oft werden Ungleichbehandlungen aufgrund gesetzlicher Vorschriften in der Verwaltungspraxis sichtbar und von den Betroffenen als Diskriminierung von Behörden wahrgenommen. So können sich Ungleichbe-handlungen von Ausländer_innen und Inländer_innen beispielsweise beim Zugang zu Teilhaberechten oder zu Ausbildungs- und Arbeitsförderungsleistungen ergeben, welche für bestimmte Gruppen von Ausländer_innen gesetzlich beschränkt sind.42 Diese sog. „Ausländerklauseln“ betreffen vorwiegend Ausländer_innen aus Dritt-staaten mit humanitären Aufenthaltserlaubnissen, Asylsuchende oder Geduldete. Es handelt sich dann um eine Schlechterstellung gegenüber Inländer_innen, nicht aber um Diskriminierung im rechtlichen Sinne.

Aber auch außerhalb dieser Ausländerklauseln können rechtliche Voraussetzungen mittelbar zu einer Be-nachteiligung von Migrant_innen führen. Beispielsweise setzt das normale Verfahren zum Erhalt einer

42 Unionsbürger_innen und andere ausländische Personen mit rechtmäßigem Wohnsitz in der EU, die innerhalb der EU gewandert sind, sind in vielen Bereichen der sozialen Sicherungen Inländer_innen gleichzustellen. Ausführlich dazu siehe 11. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2016. Kapitel II, 2.1.3.

Steueridentifikationsnummer einen melderechtlichen Wohnsitz, mithin eine Wohnung, im Inland vo-raus. Gerade beim Zugang zum Wohnungsmarkt kommt es allerdings häufig zu Diskriminierungen auf-grund der ethnischen Herkunft (vgl. Kapitel 1.3.4.3), sodass die Betroffenen hier faktisch benachteiligt sind.

Behördliche Entscheidungen und Verfahren, die für die Betroffenen nicht nachvollziehbar sind, können die Integration hemmen. Aus Sicht der Beauftragten müssen sich daher gesetzliche Regelungen, die zu einer Benachteiligung von Ausländer_innen führen können, auch an integrationspolitischen Maßstäben messen lassen (vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2016, Ka-pitel III, 3.7).

1.3.6.4 Andere staatliche und nichtstaatliche Antidiskriminierungsberatungsstellen

Insgesamt spielt der Lebensbereich der Ämter und Behörden für die Arbeit der Beratungsstellen eine sehr große Rolle. Drei Viertel (76 %) der Stellen gaben an, Beschwerden zu Diskriminierungen in diesem Le-bensbereich zu erhalten. Somit steht der LeLe-bensbereich der Ämter und Behörden in Bezug auf von Dis-kriminierung betroffene Lebensbereiche an vierter Stelle nach Bildung, Arbeit/Ausbildung sowie priva-te Dienstleistungen/Öffentliche Güpriva-ter. Einzelne Teilbereiche, zu denen die Beratungsspriva-tellen unpriva-ter dem Stichwort Ämter und Behörden Angaben gemacht haben, sind: Kranken-, Renten- oder Pflegeversiche-rungen, Sozialamt, Jobcenter/Arbeitsagentur, Jugendamt, Ausländerbehörde, Bürgeramt/Einwohner-meldeamt, Standesamt, Finanzamt sowie sonstige Ämter und Behörden.

Teilbereiche von Ämter und Behörden

Über alle Ämter und Behörden hinweg sind es vor allem zwei Fallbilder, die sich wiederfinden: das Ver-wehren von Leistungen oder die Schlechterbehandlung dabei sowie die unfreundliche, abwertende und mitunter offen beleidigende Behandlung durch Mitarbeiter_innen in den Ämtern und Behörden. Da-rüber hinaus wird die fehlende Barrierefreiheit beklagt sowie mangelnde Sensibilität mit anderen Spra-chen als Deutsch (siehe auch Kapitel 2.3.1).

Abbildung 30: Häufigkeit von Beratungsfällen nach Teilbereichen von Ämtern und Behörden (n=34)

Basis: Alle Beratungsstellen, die Fälle aus dem Bereich Ämter und Behörden erreichen.

Quelle: Abfrage unter Antidiskriminierungsberatungsstellen 2017

Die deutlich meisten Beschwerden bezüglich Benachteiligungen in Ämtern und Behörden erreichen die Beratungsstellen zu Jobcentern und Arbeitsagenturen (Abbildung 30). Über ein Drittel (35 %) gab an, hier oft Ratsuchende zu unterstützen. Bezieht man zusätzlich die 32 Prozent Stellen mit ein, die manchmal zu Diskriminierungen in Jobcentern und Arbeitsagenturen beraten, zeichnet sich ein deutliches Bild ab: Zwei Drittel (67 %) der Beratungsstellen, die Diskriminierungsfälle bezüglich Ämter und Behörden begleiten, beraten oft oder manchmal zu Benachteiligungen in Jobcentern und Arbeitsagenturen. Auf das konkrete Beschwerdeaufkommen in Antidiskriminierungsberatungsstellen im Kontext öffentlicher Arbeitsverwal-tung wird in Kapitel 2.3.1 eingegangen.

Diskriminierungen im Bereich Kranken-, Renten- oder Pflegeversicherungen werden ebenfalls von den Beratungsstellen berichtet. Von 34 Stellen gab fast die Hälfte (46 %) an, oft (17 %) oder manchmal (29 %) Betroffene in diesem Bereich zu beraten.

Die Beratungsstellen berichteten typische Fallkonstellationen, bei denen Ratsuchenden Leistungen durch Kassen verweigert oder nicht anerkannt werden oder Personen aufgrund ihrer Migrationsgeschichte der Zugang zum Gesundheitssystem verwehrt wird.

„Frau V. stellte bei der Rentenversicherung einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

Für die ärztliche Untersuchung wurden ihr drei Ärzte vorgeschlagen. Sie entschied sich für den Kölner Arzt aufgrund der örtlichen Nähe. Dieser war über die ganze Zeit der Untersuchung zynisch und respektlos. Er

gab ihr während der gesamten Behandlung das Gefühl, dass sie der RV mit ihrem Reha-Wunsch zur Last fallen würde. Im Laufe des Gesprächs benutzte er dann das N-Wort ihr gegenüber. Frau V. fühlte sich auf-grund ihrer Hautfarbe diskriminiert und wandte sich an das ADB Köln.“ (AntiDiskriminierungsBüro Köln/

Öffentlichkeit gegen Gewalt – Abfrage ADS 2017)

„Ablehnung von Personen mit Migrationshintergrund bei Abschluss einer Krankenversicherung.“ (Antidis-kriminierungsstelle der Stadt Frankfurt am Main im Amt für multikulturelle Angelegenheiten – Abfrage ADS 2017)

„Ein Mann mit Sehbehinderung wandte sich an die AD-Beratung, da seine Krankenkasse ihm die Teilnah-me an den hauseigenen Fitnessgeräten aufgrund seiner Blindheit verweigerte. Mit der Begründung, dass es für die zuständigen TrainerInnen unzumutbar sei, die Geräte für ihn einzustellen und ihn während seines Rückentrainings zu beaufsichtigen. Er ging daraufhin in ein privates Fitnessstudio, dort war seine Seh-behinderung kein Ausschlusskriterium.“ (Netzwerk Antidiskriminierung Region Reutlingen/Tübingen – Abfrage ADS 2017)

„Der Vater eines schwerbehinderten Jungen wandte sich an uns, da seinem Sohn notwendige Hilfsmittel seitens der Pflegekasse vorenthalten wurden, da sich die amtliche Betreuerin seines Sohnes weigerte, die notwendigen Formulare auszufüllen. Die Betreuerin wollte keinen Zusammenhang zwischen der Behin-derung ihres Mandanten und der nötigen Hilfsmittel herstellen, um der Pflegekasse Kosten zu ersparen.“

(Netzwerk Antidiskriminierung Region Reutlingen/Tübingen – Abfrage ADS 2017)

Viele Beratungsfälle erreichen die Stellen ebenfalls von Ratsuchenden, die sich in und durch Ausländer-behörden diskriminiert sehen. Immerhin 41 Prozent der Stellen haben oft Beratungsfälle bezüglich dieser Behörde, noch 18 Prozent der Stellen beraten hier manchmal. Insgesamt haben somit sechs von zehn Stellen (59 %) oft oder manchmal Beratungsanfragen wegen Diskriminierung in und durch Ausländerbehörden.

„Begleiter*innen bei der Ausländerbehörde unterstehen der Willkür der Sachbearbeiter*innen, ihnen wird der Zugang verwehrt, sie werden kriminalisiert.“ (Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des TBB – Abfrage ADS 2017)

„Typische Fallkonstellationen sind rassistische Kommentare, Betrugsunterstellungen und die Schlechter-stellung bei Anerkennungsverfahren für ausländische Abschlüsse.“ (amira von verikom und basis & woge Hamburg – Abfrage ADS 2017)

„Unzulässige Forderungen durch die Ausländerbehörde, beispielsweise eine Studierprognose, führen zur Ausstellung von Duldung statt Aufenthalt.“ (Antidiskriminierungsberatung HU Berlin – Abfrage ADS 2017)

„Frau X., eine Muslimin türkischer Herkunft, sprach bezüglich der Passdokumente ihrer Schwiegermutter beim Amt für Ausländerangelegenheiten vor. Der Sachbearbeiter verstieg sich bei der Bearbeitung ihrer Anfrage ohne ersichtlichen Grund zu der Aussage: ‚Wissen Sie, Deutschland bricht zusammen. Die Politiker machen einen großen Fehler und in der Agentur für Arbeit wurde ein Drittel des Personals entlassen. Es gibt zu viele Ausländer.‘ Frau X. wies darauf hin, dass diese Problematik nicht ihr persönliches Verschulden sei.

„Frau X., eine Muslimin türkischer Herkunft, sprach bezüglich der Passdokumente ihrer Schwiegermutter beim Amt für Ausländerangelegenheiten vor. Der Sachbearbeiter verstieg sich bei der Bearbeitung ihrer Anfrage ohne ersichtlichen Grund zu der Aussage: ‚Wissen Sie, Deutschland bricht zusammen. Die Politiker machen einen großen Fehler und in der Agentur für Arbeit wurde ein Drittel des Personals entlassen. Es gibt zu viele Ausländer.‘ Frau X. wies darauf hin, dass diese Problematik nicht ihr persönliches Verschulden sei.