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IV. Witwenkasten und Witwenkassen

1.2 Johann Christian Schuster aus Grevesmühlen

Gott zu ehren, und aus Mitleyden vor denen hiesigen künftigen Wittwen, beginnt Johann Christian Schusters Entwurf zu einer Predigerwitwenkasse in Grevesmühlen.435 Die Stadt liegt an der ehemaligen Handelsstraße von Lübeck nach Wismar, im Nordwesten des Herzogtums Mecklenburg-Schwerin.

Johann Christian Schuster, mit einer Amtsschreiberwitwe verheiratet, war seit 1705 zweiter, von 1722 bis 1739 erster Pastor und Präpositus in Grevesmühlen. Sein lediger Sohn Johann Christian stand ihm in seinen beiden letzten Amtsjahren als Adjunkt zur Seite. Er wurde 1739 nach der Emeritierung des Vaters, der aber das Präposituramt bis zu seinem Tod 1745 behielt, zweiter Pastor. 1746 wurde er Präpositus und amtierte von 1750 bis 1755 als erster Pastor.436

Schuster beschloß 1725, eine Predigerwitwen-Stiftung zu Grevesmühlen zu gründen.

Sein Entwurf gliedert sich in neun Punkte, von denen die wichtigsten erwähnt werden sollen. Aus Mitleyden vor denen hiesigen künftigen Wittwen Ehrn Pastorum, verzichtete er auf die ihm in seinen Funktionen als Kirchenoeconomicus und Structuarius zustehende Einnahme von 29 Talern und zwei Schillingen. Er wollte das Geld vier Jahre lang sammeln, damit von den errechneten Zinsen 20 Thaler einer Wittwen auf jedes Jahr werden könne. 437 Es ist nicht überliefert, wie Schuster das Geld angelegt hat.

432 Schubert Anno 1704. Lfg. H2 Boizenburg S. 179ff.

433 Ebd. S. 166ff.

434 Ebd. S. 115ff.

435 LKA Schwerin. Akte Grevesmühlen. Predigerwitwenkasse /65.

436 Willgeroth, Bd. II. S. 1192.

437 LKA Schwerin. Akte Grevesmühlen /65.

Schuster verzichtete insgesamt auf folgende Einnahmen:

Vor Speisekosten beym sitzen 10 Thaler

Salarii loco 12 Thaler

alte Gerechtigkeit 1 Thaler und 2 Schillinge

Vor 2 stück Acker welche er (=Schuster) ümsonst brauchet,

nun aber zu verheuren wären 6 Thaler Dazu kamen:

Der Seel. Fr. Wittwen Gefälle gewesen folgende:

An haußheüer aus der Oeconomie 6Thaler

Structur Rechnung 6 Thaler

Ambtsgefällen, (die mir vorerst auch zugestanden)

ebenfalls 6 Thaler

Aus dem Armenhäuser Register 1 Thaler und 8 Schillinge An Ackerheüer vor vier Morgen 12 Thaler

An Heüer vors Wittwenhaus und der Wittwen

Scheüer 22 Thaler.

Endtlich ex speciali gracia á Deo Crasule438 derselben vom Armenhause oder Klingbeutel Gelde quartaliter vermachte 2 Th. aufs Jahr

also 8 Thaler.

Damit wurde die Summe von 29 Talern und zwei Schillingen noch um insgesamt 61 Thaler und 8 Schillinge vermehrt.439

Im fünften Punkt seiner Ausführungen legt er dar, daß bei 90 Talern jährlich in vier Jahren bereits die Summe von 360 Talern ohne Berücksichtigung von Zinsen der Predigerwitwen Stiftung zur Verfügung stehen würde. In Punkt sechs heißt es: Die Approbation solches Vortrags und Verordnung auf 4 Jahr Vorerwehnte Gefälle aus denen piis corporibus zu nehmen.

438In der handschriftlichen Abschrift der Stiftungsurkunde vom Jahre 1729, die im Jahre 1903 hergestellt wurde, heißt es: Endlich ex speciali gracia a Deo crasule. (Endlich aus besonderer göttlicher Gnade künftig...).

Freundlicher Hinweis von Herrn Archivrat Dr. Piersig.

439 LKA Schwerin. Akte Grevesmühlen /65. Vgl. Schubert Anno 1704 Lfg.

G2 (Grevesmühlen) S. 121 ff: In der Beichtkinderliste sind weder Oeconomicus noch Structuarius verzeichnet, so daß vermutet werden kann, daß der Ortspastor diese beiden Ämter ausgeübt hat.

In dem siebten Punkt hofft er, daß von Spendengeldern für Kirchenbauten, Die itzt noch Vorhandenen 200 Thaler mit zum Wittwen Capital zu nehmen vergönnet seyn möchte.

Im folgenden achten Punkt führt Schuster aus, daß zur Zeit keine baulichen Veränderungen an den Kirchengebäuden nötig und geplant seien, so daß, wenn die erwähnten 200 Taler zum Witwenkapital kämen, nur unnötiges Bauen verwehret würde.

Im letzten Punkt bat er die Hochfürstl. H. Kirchen-Commissarii, daß sie ohne meldung bey der Regierung dieses concediren möchten, indem keinem pio corpori hierdurch etwas abgehet, und nichts neues auferleget, vielmehr alles im vorigen stande gelassen, und doch etwas heylsames beschaffet wird. Präpositus Johann Christian Schuster und Pastor Johann Heinrich Buttstädt haben am 20. Januar 1729 diesen Entwurf unterzeichnet. Bereits acht Tage später erfolgte die Anweisung der zuständigen Parchimer Superintendentur, daß die Predigerwitwen Stiftung in Grevesmühlen ihren Anfang nehmen könne. Weil dieser Vorschlag Schusters der Christlichen Billigkeit und der Kirchenordnung Cap. IV § 5 conform geachtet wurde, erfolgte keine Meldung an die Regierung.440 Dazu die Ausführungen des Archivdirektors Grotefend vom 8. April 1903: „Vermutlich ist eine solche (sc.

Meldung) gar nicht erfolgt, da die Prediger in Punkt 9 der Stiftung eine Meldung bei der Regierung nicht für nötig hielten und der Superintendent Engelken zu Parchim und der Visitationssekretär Goldschmied die Stiftung vi commissionis generalis genehmigt haben.“441

In Grevesmühlen lebten die Witwen nicht von Almosen, ihnen kam zu Beginn des 18. Jahrhunderts bereits oben genanntes Witwengefälle zu. Das von Schuster gesammelte Geld wurde vermehrt durch freiwillige Gaben und der Tatsache, daß in den folgenden Jahren keine Witwe versorgt werden mußte. Von 1729 bis 1750 wurden keine Zahlungen an Witwen geleistet. Die Witwe des Pastors Johann Heinrich Buttstädt (Erste und Zweite Pfarre 1739-1750) erhielt von 1750 bis 1762 alle Einnahmen aus Zinsen, Hausmiete und Ackerpacht. Nach 1762 war wiederum keine Witwe zu versorgen; erst die Witwe des Pastors Christian Lorenz Kräpelin (Zweite Pfarre 1756-1786) erhielt bis zu ihrem Tode 1827 etwa 220 bis 230 Mark

440 LKA Schwerin. Akte Grevesmühlen/65.

441 Piersig, Erhard, in: Rechtsnatur und Rechtsnachfolger der Prediger -witwenkasse zu Grevesmühlen. Schwerin 1999. S. 1. Anlage zur Akte Grevesmühlen PW-Kasse/20.

N2/3.442 Ab 1803 wurde diese Summe um drei Reichstaler N2/3 erhöht. Zusätzlich erhielten die Witwe des Pastors Jakob Bandelin (Erste und Zweite Pfarre 1786-1821) bis 1843 und die Witwe des Präpositus Magister Bernhard Christian Kosegarten (Erste und Zweite Pfarre 1750-1803) Wittumsbezüge. Von 1844 bis 1875 gab es keine Witwe. An die Witwe des Pastors Wilhelm Martens (Erste und Zweite Pfarre 1846-1875) wurden von 1876 bis 1880 jährlich 500 Mark gezahlt. Sie war die letzte versorgungsberechtigte Witwe.443 Die Kasse leistete von den Zinsen großzügig Beihilfen an Pastoren und deren Familienangehörige: Aus Damshagen kam am 4. August 1873 das Dankschreiben einer Witwe Ost wegen einer reichlichen Gabe von 150 Reichstaler.444 Für ihre fünf Kinder im Alter von elf bis zu zweiundzwanzig Jahren bat die Witwe des Pastors Bernhard Christian Walzberg (1864-1866)445 am 22. April 1873 um Unterstützung, die ihr wenige Wochen später gewährt wurde.446 Pastoren und ihren Ehefrauen wurden Kuraufenthalte genehmigt.

Otto Münster, seit 1906 Erster Pastor in Grevesmühlen, erhielt eine Zulage von 200 Mark für Reisebegleitung, da er Furcht hat, allein zu reisen.447 Sogar noch im Jahre 1922 wurde die ledige und bedürftige Tochter des Grevesmühlener Pastors Löscher mit 1000 Mark unterstützt.448

Die Grevesmühlener Pfarrwitwen Stiftung war die einzige mecklenburgische Predigerwitwenkasse, die ihre Anfangsjahre überlebte und bis in das 20. Jahrhundert unrenoviert bestand. 1892 betrug das Stiftungsvermögen mehr als 32000 Mark. Mit oberbischöflicher Verfügung vom 26. Mai 1903 wurde die Verwendung des Aufkommens der Stiftung für den Fall geregelt, daß keine Witwe vorhanden ist. Die Aufkünfte sollten für diesen Fall kapitalisiert werden. Ende 1917 war das Kapital bei einem jährlichen Zinsertrag von mehr als 2000 Mark auf 64.405.89 Mark

442 Schrötter, Frh. Von, Friedrich: Wörterbuch der Münzkunde. Berlin, Leipzig 1930. S. 457. Neuer 2/3 Taler, dessen Wert, in Mark ausgedrückt, Schwankungen unterlag. Neue Zweidrittel Taler wurden wegen Mangels an eigenen Gulden diesen gleichgestellt.

443 LKA Schwerin. Akte Grevesmühlen/19. Brief vom 19. April 1901 von der Kirchenoekonomie Grevesmühlen an den hohen Oberkirchenrat in Schwerin. Vgl. Willgeroth Bd. III. Grevesmühlen 1. und 2. Pfarre S. 1192 ff.

444 LKA Schwerin. Akte Grevesmühlen /25.

445 Willgeroth Bd. II. S. 768.

446 LKA Schwerin. Akte Grevesmühlen/24.

447 Ebd./40. Vgl. Willgeroth Bd. III. S. 1195.

448 LKA Schwerin. Akte Grevesmühlen/59. Vgl. Willgeroth, Bd. III. S. 1195.

angewachsen. Der Erste Weltkrieg und die nachfolgende Inflation bewirkten einen Einbruch der Vermögensverhältnisse. Nach 1935 wurden die Überschüsse der Predigerwitwenkasse an die Landeskirchenkasse abgeführt, da die Predigerwitwen aus dem landeskirchlichen Haushalt ihre Witwenversorgung erhielten. Das Kapital betrug 1943 insgesamt 17000 RM. In einem Rechtsstreit darüber, wem das Vermögen zustünde, wurde 1943 entschieden, daß Wertpapiere, zehn Grundschuldbriefe und das Guthaben eines Sparbuchs der Landeskirchenkasse zu überstellen seien. Zur Ausführung kam jedoch nur der Beschluß, das Sparguthaben von 2900 RM der Landeskirchenkasse zu überweisen. 1944 hatte der Oberkirchenrat im Zusammenhang mit einer Anfechtung der Vermögens- und Grundsteuerbescheide für die Predigerwitwenkasse festgestellt, daß die Predigerwitwenkasse kein selbstständiges Rechtssubjekt ist, auch nie ein selbstständiges Rechtsobjekt war. Sie stellt insbesondere auch keine Stiftung im Rechtssinne dar. Es handelt sich vielmehr um einen Teil des Vermögens der Kirche zu Grevesmühlen.449 Zweifellos war das so formuliert, um den Kassenbestand der steuerlichen Veranlagung zu entziehen. Mit Verfügung vom 8. Dezember 1947 änderte der Oberkirchenrat einen vorausgegangenen Entscheid, nach dem nunmehr nur die angesammelten Kapitalien und die jährlichen Überschüsse abzuführen seien. Nach 1955, als das Rechnungs-und Kassenwesen der Mecklenburgischen Landeskirche umgestellt wurde, sah man das Restvermögen als Teil des Kirchenärars der Ortskirche Grevesmühlen an. Damit wurde diese zum Rechtsnachfolger der Predigerwitwen-Stiftung zu Grevesmühlen.450 Die Grevesmühlener Pfarrwitwen, bei Gelegenheit bis 1922 im Genuß einer

„Zusatzrente“, waren künftig anderen Mecklenburgischen Witwen gleichgestellt.