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5.3 Qualitative Ergebnisse der Hauptuntersuchung: Interviews

5.3.2 Interviewergebnisse für die Angehörigen der Selbsthilfe von Synanon

Die folgenden Angaben beziehen sich für alle Forschungshypothesen jeweils auf die zehn befragten Angehörigen der Selbsthilfe von Synanon.

Forschungshypothese 1: Ein rigides Elternhaus vermittelte den Interviewten in der Kindheit wenig Geborgenheit. Sie fühlten sich nicht angenommen und entwickelten kein stabiles Selbstwertgefühl.

Tabelle 14: Angaben zu Forschungshypothese 1 für die Gruppe der Angehörigen der Selbsthilfe von Synanon

(n = 10, Angaben = Anzahl der Nennungen)

Bedingung: ja nein keine Angabe

Bedingung: ja nein keine Angabe nicht Kind, wie von Eltern gewünscht 7 2 1

Kein Wunschkind 6 1 3

geringes Gefühl der Geborgenheit als Kind 8 2 0

Aufgewachsen bei Eltern 8 2 0

als Kind einsam oder unverstanden gefühlt 9 1 0 als Kind Wunsch, jemand anderer/anders zu sein 9 1 0 Von zu Hause weggelaufen oder daran gedacht, wegzulaufen 8 2 0 Eltern inkonsistent erlebt 9 0 1 ein oder beide Elternteile streng bei Erziehung 7 2 1 Erziehung eigener Kinder anders, als selbst erzogen 10 0 0 wenig/ungern Unternehmungen mit den Eltern 6 2 2 Unzufriedenheit zumindest eines Elternteils mit dem eigenen Leben 8 2 0 Alkohol-/Drogenkonsum zumindest eines Elternteils 6 4 0

Scheidung der Eltern 3 6 1

Tod eines Elternteils in der Kindheit 0 10 0

Kind, wie von den Eltern gewünscht

Sieben der befragten Angehörigen der Selbsthilfe von Synanon glauben, nicht den Vorstellungen ihrer Eltern entsprochen zu haben. „Kann ich nicht so sagen, weil, naja, ich kann es so vergleichen: Mein jüngerer Bruder – mein Vater hatte so eine Vorstellung gehabt, der ist es, so, wie er sich einen Jungen vorstellt“ (SYN m2). Sechs Interviewpartner geben an, kein Wunschkind gewesen zu sein. „Die wollten mich gar nicht. Das hat meine Mutter mir dann auch irgendwann gesagt“ (SYN w1). Ein Interviewter wurde als Säugling ausgesetzt und wuchs bei Pflegeeltern auf.

Geborgenheit als Kind

Ein Gefühl geringer oder fehlender Geborgenheit empfanden acht Befragte in ihrer Kernfamilie. „Nein, zu Hause sowieso nicht, also auch weil meine Mutter viel geschlagen hat und ich ja auch irgendwie wußte, daß sie mich nicht haben wollte und daß ich da nicht hingehöre“ (SYN w3).

Sechs Interviewpartner wuchsen bei ihren Eltern auf, zwei bei den Eltern und Großeltern, und in jeweils einem Fall übernahmen Pflege- beziehungsweise Urgroßeltern die Erziehung und Betreuung.

Einsamkeit als Kind

Neun der Befragten fühlten sich als Kind zumindest zeitweise einsam oder unverstanden.

„Ja, ich glaube sehr oft [...] aber ich war sowieso ein ganz stilles Kind und habe ganz viel gelesen und ganz viel auch so für mich gemacht“ (SYN w3).

Fünf der Interviewten wünschten sich als Kind, anders zu sein, als sie waren, „cool und lässig“ (SYN m5) oder „lockerer“ (SYN w4). Andere Eltern wünschten sich vier der befragten Angehörigen der Selbsthilfe von Synanon „Bei Freundinnen so, wenn ich da

essen durfte, dann habe ich mir gewünscht: Mann, die hat aber eine tolle Mutter. Die hätte ich auch gerne. Aber ich selbst wollte, glaube ich, nicht anders sein. [...] Ich hätte mit der reden müssen können“ (SYN w5).

In acht Fällen wird ein- oder mehrmaliges Weglaufen von zu Hause oder über Gedanken daran berichtet.

Erziehungsstil

Inkonsistentes Verhalten der Eltern nennen acht Interviewpartner. In allen Fällen wird ein Elternteil als dominant beschrieben, während der andere als eher „hilflos“ (SYN m1),

„still“ (SYN w1) oder emotional wenig präsent beschrieben wird: „Ja, ich würde meine Mutter berechnend – also böse, bösartig. Mein Vater eher hilflos“ (SYN m1). Und: „Ich habe ziemlich früh meine Mutter als sehr distanziert und hart empfunden, [...] als jemand, der einfach nach Geld und Macht strebt. Und meinen Vater ganz früh als unzuverlässig und ... eben doch mehr mit Gefühl und Phantasie“ (SYN w3).

Sieben der Befragten bezeichnen den Erziehungsstil ihrer Eltern als streng. „Ich weiß, daß ich immer schon Angst vor denen hatte, ohne daß die mich gehauen haben oder so. ... Mein Vater war sehr zurückhaltend und hatte ... ich würde das einen autoritären Blick nennen.

Also der konnte ganz kalt gucken. Und da lief es mir die Leber runter. [...] und [ich] habe alles versucht, um ja nicht auffällig zu sein“ (SYN w5). Eine andere Form der Strenge wird in dieser Beschreibung deutlich: „Streng in dem Sinne, indem sie mich andauernd irgendwie verprügelt haben. So was empfindet man als streng“ (SYN m1).

Alle interviewten Angehörigen der Selbsthilfe von Synanon gehen bei der Erziehung eigener Kinder anders vor als ihre Eltern oder würden es tun, wenn sie Kinder hätten. Sie geben an, ihren Kindern mehr Zeit widmen, keine Schläge als Erziehungsmittel einsetzen und mehr mit ihnen reden zu wollen. Auch sie nicht in eine „Richtung pressen“ (SYN w3) wird sinngemäß dreimal angesprochen.

Unternehmungen mit den Eltern

Sechs Interviewte erinnern sich, selten und/oder ungern etwas mit ihren Eltern unternommen zu haben. „Das war alles so, weiß ich nicht, kam mir manchmal so ein bißchen gezwungen vor. Als wenn da jemand gesagt hätte: Nun macht mal wieder irgendwie wieder was“ (SYN m4). Eine Befragte hätte sich häufigere Unternehmungen gewünscht.

Lebenszufriedenheit der Eltern

Aus Sicht von acht Interviewpartnern erschienen ein oder beide Elternteile mit ihrem Leben nicht zufrieden: „Zufrieden waren sie auf keinen Fall. Glücklich auch nicht“ (SYN m1). Und: „Irgendwo habe ich wohl auch gedacht, daß sie [Mutter] gerne mal was

anderes machen möchte. Und mein Vater, der hat eigentlich seinen Launen freien Lauf gelassen“ (SYN m2).

Zwei Väter und eine Mutter werden als „Alkoholiker“ beschrieben, ein Vater als

„Quartalsäufer“ (SYN w3), und zwei tranken viel beziehungsweise regelmäßig Alkohol.

Eine Mutter litt unter einer Eßstörung. Alle Elternteile, die regelmäßig Alkohol tranken oder unter einer anderen Störung litten, werden aus Sicht der Befragten als mit ihrem Leben nicht zufrieden geschildert.

Trennung oder Verlust der Eltern

Drei Elternpaare wurden in der Kindheit oder Jugend der Befragten geschieden. Vier Väter waren zum Erhebungszeitpunkt verstorben, einer von ihnen in der Jugend des Betreffenden.

Die Interviewpartner empfanden sich in ihrer Kindheit überwiegend nicht als geborgen oder erwünscht. Aufgrund der Ergebnisse erscheint Forschungshypothese 1 für die Gruppe der Angehörigen der Selbsthilfe von Synanon bestätigt.

Forschungshypothese 2: In der Kindheit und Jugend erfuhren die Interviewten aus ihrer Sicht wenig oder keine Anerkennung durch die Eltern. Der Einstieg in die Drogenszene und die Orientierung an dem dort vertretenen Weltbild stellten eine Suche nach Autonomie gegenüber den Eltern wie auch nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe und Selbstwertbestätigung im Rahmen eines alternativen Bezugssystems dar.

Tabelle 15: Angaben zu Forschungshypothese 2 für die Gruppe der Angehörigen der Selbsthilfe von Synanon

(n = 10, Angaben = Anzahl der Nennungen)

Bedingung: ja nein keine Angabe

Orientierung nicht an Ansichten der Eltern 8 0 2 Herabschauen von seiten der Mitschüler 2 8 0 wenig Interesse der Eltern an Schulleistung 5 5 0

Schule schwänzen 5 5 0

klarer Berufswunsch als Schüler 9 1 0 Berufsvorstellung der Eltern anders als eigener Wunsch 1 9 0 keine Berufsausbildung in Wunschberuf abgeschlossen 9 1 0 Ausbildung wegen Drogen nicht aufgenommen/abgebrochen 7 3 0 nicht vorstellbar, zu leben wie die Eltern 9 1 0 Sucht als Suche nach Geborgenheit/Identität 10 0 0

Referenzgruppe

Acht der befragten Angehörigen der Selbsthilfe von Synanon geben an, sich überwiegend an den Ansichten ihrer Freunde oder ihren eigenen Ansichten orientiert zu haben. In der Antwort einer Interviewpartnerin wird ihre Orientierungslosigkeit deutlich: „Also ich hatte

nicht so besonders viele Freunde. [...] Also, wenn ich heute so drüber nachdenke, dann habe ich immer so das Gefühl, ich habe viel Leere in meinem Kopf gehabt [...] Aber sonst hatte ich nicht unbedingt irgendwelche Ansichten“ (SYN w1).

Schulischer Bereich

Sieben Befragte hatten den Eindruck, von ihren Mitschülern akzeptiert zu sein. Ein Interviewter erkämpfte sich die Anerkennung und sieht einen Zusammenhang mit seinem Drogenkonsum: „[...] aber dann habe ich mich halt durchgesetzt. Mit Gewalt ... Ich habe dann schon Tabletten und Alkohol regelmäßig reingetan und war an einigen Stellen einfach unzurechenbar, denke ich mal“ (SYN m4). Zwei berichten, wegen ihrer roten Haare beziehungsweise schlechter schulischer Leistungen nicht akzeptiert worden zu sein.

In fünf Fällen maßen die Eltern den schulischen Leistungen der Befragten wenig oder keine Bedeutung bei oder reagierten nur auf schlechte Leistungen. Die Eltern von zwei Interviewpartnern interessierten sich für deren schulische Leistungen, und drei wurden für gute Noten belohnt, hatten aber bei schlechten Noten nicht mit Sanktionen zu rechnen.

Fünf Interviewpartner berichten, alleine oder mit Freuden die Schule geschwänzt zu haben.

Beruflicher Bereich

Mit einer Ausnahme hatten alle Befragten als Schüler einen Berufswunsch. Nur in einem Fall entsprachen die Vorstellungen der Eltern nicht dem Wunsch der Betreffenden. Sieben Interviewpartner brachen die Schul- oder Berufsausbildung wegen ihres Haschisch-, Medikamenten- oder Heroinkonsums ab, zwei von erlernten ihren Wunschberuf. „Da fing das an mit dem Haschisch. Da habe ich auch noch mal irgendwelche Versuche gemacht, Lehre zu finden, habe auch eine Malerlehre [Wunschberuf] angefangen, das war meine erste, hat aber nicht hingehauen. Weil man hat keine Linie, und dann der Malermeister zu streng, und Strenge kennt man ja, das wollte ich dann nicht, also kein Durchhalten“ (SYN m1). Drei der befragten Angehörigen der Selbsthilfe von Synanon schlossen vor dem ersten Kontakt zu Heroin eine Berufsausbildung ab. Vier Interviewpartner erwarben zum Teil erst nach einer Phase der Drogenabhängigkeit eine berufliche Qualifikation.

Suche nach Geborgenheit und Identität

Für neun der Befragten erscheint es nicht vorstellbar, zu leben wie ihre Eltern. Sie äußern unter anderem folgende Assoziationen zu dieser Vorstellung: „Nein. So spießig nicht“

(SYN m3). Und: „Also fallen mir einfach nur Schwierigkeiten ein, Streit und Mangel an Liebe und an Zuwendung und Nicht-miteinander-reden-Können und ... ja, Einsamkeit vielleicht auch, Schwierigkeiten, Arbeit, Streß“ (SYN w3).

Die Antworten auf die Frage, was die Interviewpartner mit der Sucht gesucht haben, weisen für alle Interviewten auf eine Steigerung des Selbstwerts und/oder die Suche nach Geborgenheit hin. Beide Aspekte werden angesprochen: „dadurch auf eine Art auf mich

aufmerksam zu machen, [...] vielleicht auch ein bißchen bewundert zu werden, anerkannt zu sein [...] ein bißchen Geborgenheit“ (SYN m4). Und: „Sucht gleich Sehnsucht. Ja. Klar.

Sagen wir mal so: Suche nach – also ich bin derjenige, der sucht nach Harmonie, Liebe, usw., also nach Geborgenheit“ (SYN m1). Auch die Suche nach dem „wahren Ich“ (SYN w5) und dem „Sinn des Lebens“ (SYN w3) werden genannt.

Die befragten Angehörigen der Selbsthilfe von Synanon erfuhren seitens der Eltern für ihre schulischen und beruflichen Belange überwiegend wenig Beachtung und schenkten ihnen auch selbst eher wenig Beachtung. Der Lebensentwurf ihrer Eltern erschien neun der Befragten nicht nachahmenswert. Der Kontakt zu Drogen ermöglichte die Orientierung an einem alternativen Wertesystem und eine Steigerung des Selbstwertgefühls. Aufgrund der Ergebnisse erscheint Forschungshypothese 2 für diese Gruppe bestätigt.

Forschungshypothese 3: Der Wechsel von anderen Drogen zu Opiaten erfolgt, da die Abgrenzung von „Normalbürgern“ zur Selbstwertsteigerung beiträgt und gleichzeitig durch die pharmakologische Wirkung von Heroin Gefühle von Geborgenheit und Sicherheit evoziert werden.

Tabelle 16: Angaben zu Forschungshypothese 3 für die Gruppe der Angehörigen der Selbsthilfe von Synanon

(n = 10, Angaben = Anzahl der Nennungen) Bedingung:

Gründe, Drogen zu probieren* Selbstwertsteigerung Neugier dazugehören andere

7 1 2 0

ja nein keine Angabe

Konsum von Haschisch 10 0 0

Konsum von Alkohol 8 2 0

Konsum von Medikamenten 3 7 0

Konsum von LSD 5 5 0

Konsum von Ecstasy, Speed etc. 5 5 0

Konsum von Kokain 4 6 0

Alter beim ersten Heroinkonsum in Jahren unter 18 18-25 über 25

4 3 3 21,3

ja nein keine Angabe Wirkung von Heroin: Gefühl von Geborgenheit/Selbstwertsteigerung 10 0 0

bewußte Entscheidung, Junkie zu werden 3 7 0 Gefühl, wegen Heroinkonsum etwas Besonderes zu sein 7 3 0 Risiko einer Überdosis vermieden 4 6 0 bereut, mit Heroin angefangen zu haben 6 4 0 Heroin als Hilfe bei persönlichen Problemen 7 3 0

Rückfall möglich 10 0 0

* Mehrfachnennungen möglich

Rauschmittelkonsum vor dem Kontakt zu Heroin

Vier der Interviewten bei Synanon geben an, mit ihrem Drogenkonsum positive Gefühle und eine Möglichkeit zur Steigerung des Selbstwertgefühls gesucht zu haben. „Also mir fehlte das Selbstbewußtsein. Ich war immer unzufrieden mit mir, hatte Schwierigkeiten auch, mit Leuten umzugehen [...] also mit Alkohol sowieso schon mal viel einfacher, ja, und hinterher dann auch mit Drogen ..., also man war halt irgendwie besser drauf“ (SYN w2). Und: „Und ich denke, genauso habe ich dann angefangen, Drogen zu nehmen, daß ich nicht mehr drüber nachdenken muß, ob ich wirklich so unwichtig bin, wie ich mich immer fühle“ (SYN w1). Das Gefühl dazuzugehören wird zweimal angesprochen: „Und das ist eine Welt, wo ich hingehören kann“ (SYN w3), Neugier einmal.

Acht Interviewpartner nahmen als erstes Rauschmittel überhaupt Alkohol zu sich. Alle Befragten hatten Kontakt zu Cannabisprodukten, drei mochten diese Droge ausdrücklich nicht. „Okay, ich habe mitgeraucht, aber so richtig den Kick hat mir das nicht gegeben.

Das war mehr so nebenbei, weil es alle gemacht haben“ (SYN m4). Beruhigungs- und Schmerzmittel beziehungsweise Barbiturate konsumierten drei Interviewte. LSD wurde von fünf Probanden zumindest probiert, spielte aber wie auch Ecstasy in keinem der Fälle eine besondere Rolle. Kokain wurde von drei Interviewpartnern vor Heroin gebraucht, eine Befragte kam erst nach Heroin damit in Kontakt.

Kontakt zu Heroin

Das Alter zum Zeitpunkt des ersten Kontakts mit Heroin liegt zwischen 14 und 38 Jahren (x¯ = 21,3). Der erste Heroinkonsum stand für vier der Interviewpartner in direktem Zusammenhang zum Gebrauch von Kokain. Sie nahmen vorsätzlich oder zufällig eine Mischung aus beiden Stoffen zu sich. Zwei von ihnen setzten es als eine Art Therapeutikum gegen die Kokainwirkung ein. „Weil ich bekam dann zweimal eine Paranoia [...] Und dann habe ich mit Heroin angefangen, und das half mir natürlich dann auch, von dieser Paranoia dann wieder runterzukommen“ (SYN m3). Fünf weitere Befragte hatten Kontakt zu Heroingebrauchern und hatten darüber die Gelegenheit, die Droge zu probieren.

Als Motiv für den Heroinkonsum geben sie in sechs Fällen Neugier an und den Wunsch, nicht außen vor stehen zu wollen. „Ich wußte gar nicht, daß ein Freund von mir eigentlich auch schon drauf war. Der hat mich eigentlich eingeladen, er sagt, er hätte was, was ziemlich gut ist. [...] Ziemlich aufgeregt, die ganze Vorbereitung war ja schon beeindruckend. Mit der Kerze, mit dem Löffel und das ganze Drum und Dran und so. Es war schon – ja, ich fand das richtig gut. [...] Und er hat mir dann ’nen Schuß gemacht.

[...] Es war einfach – es war gut. Und es war der Anfang vom Ende sozusagen“ (SYN m1).

Eine Interviewte handelte bereits mit Haschisch und anderen Drogen. Nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit ihren Kontaktpersonen wollte sie nicht nach Hause zurückkehren: „Und ich war dann ganz hilflos. Und dann habe ich, an dem Abend

noch habe ich gesagt: Jetzt ist sowieso alles egal. Ich weiß sowieso nicht mehr, wo ich hin soll, und hin und her. Und habe mir dann von einem von diesen Typen einen Druck machen lassen. [...] Und ich wollte auch, glaube ich, einen direkten Cut machen. Das war mir damals nicht so bewußt. Aber zu dem, was bisher so war, das einfach abschneiden“

(SYN w3). Sie lebte von diesem Zeitpunkt an für mehrere Jahre auf der Straße.

Pharmakologische Wirkung von Heroin

Die pharmakologische Wirkung von Heroin beschreiben vier der Befragten als entspannend oder beruhigend. Ebenfalls vier geben an, es ermögliche die Verdrängung oder Abwehr negativer Gefühle, Ängste und Anforderungen von außen. Die direkte Steigerung des Selbstwertgefühls wird von vier Interviewpartnern angesprochen. „Man fühlt sich leicht, und es ist völlig unwichtig, was vorher war. Das ist egal, ob einen jemand mag oder ob er einen nicht mag. Man hat das Gefühl, daß man jemand ist“ (SYN w1).

Eine bewußte Entscheidung für die Identität eines Fixers trafen drei der Befragten. Vier weitere Interviewpartner geben an, sich nicht bewußt entschieden, es aber akzeptiert zu haben. „Nein, kann ich nicht sagen. Ich habe so eine Erfahrung gemacht, und ich wußte, das ist gut“ (SYN m1).

Selbstwertsteigerung durch Heroinkonsum

Sieben Interviewte geben an, sich als Heroinkonsumenten als etwas Besonderes gefühlt zu haben. Vier von ihnen nennen ausdrücklich die Abgrenzung von „Normalbürgern“ als Ursache. „Man hebt sich so ein bißchen ab auch. Von den Leuten, die sogenannt ‚normal‘

sind“ (SYN m1). Eine Befragte nimmt auch auf ihre aktuelle Situation Bezug: „Und gut, ich weiß natürlich, daß es zum Teil heute auch noch stimmt, weil das [...] auf Heroin erlebt, ist natürlich schon was, was ein normaler Mensch nie erleben wird“ (SYN w3).

Die Hinnahme des Risikos einer Überdosierung von Heroin könnte, indem sie zu einem heroischen Selbstbild beiträgt, möglicherweise ebenfalls als Versuch der Selbstwertsteigerung betrachtet werden: „Zweimal. [...] Zuerst hab ich gedacht, Scheiße, das hätte es jetzt gewesen sein können. Da hab’ ich auch teilweise drüber nachgedacht, wie das gewesen wäre, wenn es das jetzt gewesen wäre und was da passiert wäre. [...]

aber ansonsten nö, bin dann halt raus aus dem Krankenhaus und hab’ direkt weitergemacht. Meistens sogar noch im Krankenhaus wieder“ (SYN m4). Sechs Angehörige von Synanon versuchten nicht, das Risiko durch ihr Verhalten zu reduzieren.

Akzeptanz des eigenen Heroinkonsums

Den Heroinkonsum bedauern oder bedauerten sechs Interviewpartner zumindest zeitweise.

„Ja. Ich bereue das eigentlich immer noch, weil ich die Ziele, die ich hatte [...] durch meinen Drogenkonsum natürlich nicht erreicht habe“ (SYN m4). Eine Befragte sieht auch

positive Aspekte des Konsums: „[...] es sind halt auch Lebenserfahrungen, [...] teilweise war es auch nicht schlecht“ (SYN w2).

Als Hilfe bei persönlichen Problemen erlebten sieben Interviewte die Droge. Einen positiven Einfluß auf ihre persönliche Entwicklung beschreiben drei von ihnen. „... wenn ich keine Drogen genommen hätte, dann wäre mein Leben – hätte wahrscheinlich keine Gestalt angenommen. Es wäre wahrscheinlich nur eine Linie gewesen“ (SYN m1). Die Reduktion von Ängsten im „Umgang mit anderen Menschen“ (SYN w2) wird zweimal angesprochen.

Wahrscheinlichkeit erneuten Heroinkonsums

Zum Interviewzeitpunkt schließt keiner der befragten Angehörigen der Selbsthilfe von Synanon die Möglichkeit eines Rückfalls völlig aus, eine denkt dabei allerdings ausdrücklich nur an Kokain. Als Anlaß nennen drei Interviewpartner Beziehungskonflikte oder vom Partner verlassen zu werden und zwei den Tod eines Kindes oder der Mutter. In einem Fall wird keine konkrete Situation beschrieben, aber die Betreffende sagt: „Ja, doch, kann ich mir vorstellen. Ich habe manchmal sogar ganz knallhart den Wunsch. Und davor habe ich tierische Angst“ (SYN w5). Das Bewußtsein bezüglich der eigenen Gefährdung wird auch in der Antwort einer weiteren Interviewpartnerin deutlich: „Also, wenn ich eine Zeitlang clean bin, und daß ich dann so überheblich werde und denke: Ja, einmal geht ja. Also das wäre jetzt wirklich, wo ich so denke, daß mir das passieren kann“

(SYN w2).

Der Konsum von Heroin trug nach den Erfahrungen der Angehörigen der Selbsthilfe von Synanon deutlicher zur Steigerung des Selbstwertgefühls bei als der anderer Rauschmittel.

Aufgrund der Ergebnisse erscheint Forschungshypothese 3 für diese Gruppe bestätigt.

Forschungshypothese 4: Die Motivation für das Verlassen der Drogenszene basiert auf der zunehmenden Frustration über den „Szenealltag“ und dem Absinken des Selbstwertgefühls durch die Identität als Fixer.

Tabelle 17: Angaben zu Forschungshypothese 4 für die Gruppe der Angehörigen der Selbsthilfe von Synanon

(n = 10, Angaben = Anzahl der Nennungen)

Bedingung: ja nein keine Angabe

Leben als Junkie gefährlich 10 0 0

„Normalbürger“ sehen Drogenabhängige negativ 9 1 0 sich selbst gesehen, wie „Normalbürger“ Drogenabhängige sehen 7 3 0 nicht getan, um Drogen zu beschaffen* Gewalt Prostitution anderes nichts

5 4 0 2

Anstoß zur Aufgabe der Sucht Sorgerecht Verelendung § 35 BtmG behördlicher Druck

2 6 1 1

aufgegeben, als Sucht aufgegeben wurde* Droge Freunde Verdrängung anderes nichts

3 3 2 2 3

* Mehrfachnennungen möglich

Leben als Drogenabhängiger gefährlich

Alle Interviewpartner bei Synanon betrachten das Leben eines Junkie als gefährlich. Am häufigsten nennen sie die Kriminalität in Zusammenhang mit der Drogenbeschaffung und die Gewaltbereitschaft und den Umgang innerhalb der Drogenszene. Gesundheitliche Risiken und Gefahren für das Leben überhaupt sprechen drei der Befragten an. Vier Befragte nennen die unbekannte Qualität des Heroins oder das Risiko einer Überdosis, allerdings verhielt sich keiner von ihnen diesbezüglich vorsichtig. Zwei Interviewpartnerinnen sprechen implizit die längerfristigen Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl an. „Das Allergefährlichste ist, daß sie immer weniger Ich sind, also

Alle Interviewpartner bei Synanon betrachten das Leben eines Junkie als gefährlich. Am häufigsten nennen sie die Kriminalität in Zusammenhang mit der Drogenbeschaffung und die Gewaltbereitschaft und den Umgang innerhalb der Drogenszene. Gesundheitliche Risiken und Gefahren für das Leben überhaupt sprechen drei der Befragten an. Vier Befragte nennen die unbekannte Qualität des Heroins oder das Risiko einer Überdosis, allerdings verhielt sich keiner von ihnen diesbezüglich vorsichtig. Zwei Interviewpartnerinnen sprechen implizit die längerfristigen Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl an. „Das Allergefährlichste ist, daß sie immer weniger Ich sind, also