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2.4 Zum Zusammenhang zwischen Störungen des Sozialisationsprozesses und Drogenabhängigkeit

2.4.2 Akzeptanz konsensueller Normen und Werte und Drogenabhängigkeit – Themenrelevante Untersuchungen und Befunde

Im folgenden werden Forschungsergebnisse vorgestellt, die den Zusammenhang zwischen der Übernahme und Akzeptanz konsensueller Normen und Werte und Drogenabhängigkeit untersuchen.

In einer Langzeitstudie über zwei Testzeitpunkte im Abstand von fünf bis sechs Monaten wurde bei Schülern von High-Schools (n = 1.879) mit Fragebogen erhoben, welche Rauschmittel sie konsumiert hatten und welche Gründe sie dafür nannten (Kandel, Kessler

& Margulies, 1978). Zusätzlich wurden die Eltern und der beste Freund des jeweiligen Schülers zu dessen Rauschmittelkonsum, seinen Einstellungen gegenüber Drogen und der Qualität der Beziehung zu ihm befragt. Als Prädiktor für den Konsum von Spirituosen ergab sich der Konsum der Eltern, wobei die Beziehung zu den Eltern und deren

Wertesystem keine Rolle spielten. Die subjektive Wahrnehmung des Konsums der Freunde war ebenfalls ein Faktor, deren tatsächlicher Konsum hatte aber keinen Einfluß. Die Einschätzung des Verhaltens von Eltern und Freunden bietet damit Modelle für den Konsum von Alkohol. Ein Bedürfnis nach Rebellion war bei diesen Jugendlichen nicht erkennbar. Als Prädiktor für den Konsum von Marihuana ergab sich ein geringer elterlicher Einfluß insofern, daß klare Verbote der Eltern dem Konsum entgegenwirkten, die Entscheidung zum Konsum den Jugendlichen zu überlassen dagegen nicht. Der Konsum der Freunde und deren positive Einstellung gegenüber dem Konsum wie auch die leichte Verfügbarkeit von Marihuana förderten den Konsum. Der deutlichste Prädiktor war die Einschätzung, Marihuana sei unschädlich. Auch ein Mangel an Konformität mit den Erwartungen Erwachsener spielte eine gewisse Rolle. Andere illegale Drogen wurden am häufigsten von Jugendlichen konsumiert, die die geringste Nähe zu ihren Eltern empfanden. Hier hatte das Ausmaß der elterlichen Kontrolle, operationalisiert durch Regeln bezüglich der Wahl der Freunde und einseitige Entscheidungen der Eltern, besondere Bedeutung. Je stärker die Restriktionen der Eltern, um so höher war die Wahrscheinlichkeit für den Konsum. Der elterliche Konsum von Spirituosen oder Beruhigungsmitteln hatte ebenso Modellcharakter wie der selbstberichtete Konsum des besten Freundes. Auch vorangegangener Marihuanakonsum, der Wunsch, sich selbst zu verstehen, und der Versuch, Depressionen zu reduzieren, hatten Einfluß.

Die „Kontingenz-Konsistenz-Hypothese“, nach der bestimmte Einstellungen nicht zwangs-läufig zu einem kontingenten Verhalten führen, sondern auch situationale Faktoren, insbesondere Gruppennormen, eine Rolle spielen, wurde für die Einstellung gegenüber Marihuana und den tatsächlichen Konsum überprüft (Andrews & Kandel, 1979, 298). Der Marihuanakonsum und die Einstellung gegenüber der Droge wurden zu zwei verschiedenen Testzeitpunkten im Abstand von fünf bis sechs Monaten bei Angehörigen von High-Schools (n = 5.258) mit Fragebogen erhoben. Es zeigte sich, daß weder die mögliche Toleranz der Eltern gegenüber der Droge noch die Einstellungen der Jugendlichen selbst die Entscheidung über den Konsum beeinflußten. Die Zahl der Haschisch rauchenden Freunde hatte einen drei- bis fünfmal stärkeren Einfluß auf das konkrete Verhalten (ebd., 303). Eine positive Einstellung gegenüber Cannabis und Freunde, die es rauchten, förderten den raschen Einstieg in den exzessiven Konsum (ebd., 305).

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Studie, die die Gültigkeit der "Theory of Planned Action" (Ajzen & Madden, 1986) für Drogen- und Alkoholmißbrauch überprüfte (Laflin, Moore-Hirschl, Weis & Hayes, 1994). Der Theorie zufolge wirkt zusätzlich zu der Intention, ein Verhalten auszuführen, den erwarteten Konsequenzen eines Verhaltens und den normativen Überzeugungen im Hinblick auf diese Konsequenzen auch die wahrgenommene Verhaltenskontrolle auf die Entscheidung ein, eine Handlung auszuführen. Das Selbstwertkonstrukt spielt insofern eine Rolle, als das subjektiv wahrgenommene Vertrauen in die Fähigkeiten, das eigene Verhalten zu beeinflussen, mit

eingeht. Die Autoren gehen davon aus, daß der Konsum bewußtseinsverändernder Substanzen der willkürlichen Entscheidung unterliegt und damit die „Theorie des geplanten Verhaltens“ anwendbar ist. Untersucht wurden an College-Studenten (n = 2.227) der Selbstwert mit dem Fragebogen von Rosenberg (1965), die Einstellung gegenüber Alkohol und Drogen, die subjektiven Normen bezüglich des Konsums von Rauschmitteln und ob und welche Substanzen die Versuchspersonen in ihrem Leben konsumiert hatten.

Die Einstellung gegenüber den Stoffen und die subjektiven Normen bezüglich deren Einnahme korrelierten hoch (r = .83). Das Selbstwertkonstrukt klärte keine Varianz der abhängigen Variablen auf.

Das Selbstkonzept von Schülern von Secondary Schools (n = 208) mit einem Durchschnittsalter von 17,9 Jahren und die Persönlichkeitsmerkmale ihrer Freunde, zu denen sie die befriedigendsten Beziehungen unterhielten, erhob Zbigniew (1985). Als befriedigende Beziehung galten "reducing anxiety, giving security and the chance of feeling one's own identity and dignity" (Zbigniew, 1985, 58). Die Jugendlichen wurden unterschieden in eine Gruppe, die sozial angepaßte Freunde hatte (n = 110), und eine Gruppe mit Freunden aus der Drogenszene (n = 98). Die Wahl bestimmter Peers hing von der gegenseitigen Unterstützung und Akzeptanz der Einstellungen ab. Eine mögliche Ablehnung der Freunde durch die Eltern hatte keinen Einfluß oder bestärkte die Jugendlichen in ihrer Hinwendung zu Angehörigen der Subkultur, was als Bedürfnis nach Unabhängigkeit von den Eltern interpretiert wurde. Den entscheidenden Faktor bildete die angstreduzierende Funktion von Peers, die die eigene Weltsicht teilten und damit zur Selbstwertsteigerung beitrugen. Diese Ergebnisse werden durch eine Untersuchung gestützt, die unter anderem die Beziehung zwischen der Orientierung an den Wertvorstellungen von Peers oder Eltern und der Befriedigung der Bedürfnisse Jugendlicher durch die jeweils als bedeutungsvoll erachteten anderen überprüfte. Befragt wurden Schüler (n = 409) der Klassen sechs bis zwölf. Es ergab sich ein statistisch hochsignifikanter Zusammenhang zwischen der Befriedigung der salienten Bedürfnisse des Individuums und der Akzeptanz der Referenzgruppe (Floyd & South, 1972, 631).

Die Annahme, daß Opiatkonsumenten dazu tendieren, sich mit der Drogensubkultur zu identifizieren, wurde an 100 männlichen Morphinisten, die sich in stationärer Behandlung befanden, überprüft (Monroe & Astin, 1961). Ein Fragebogen mit 30 Items wurde in zwei Versionen dargeboten, zum einen mit der Fragestellung in der ersten Person und zum anderen in Form von "Most addicts ..." (ebd., 215). Die Stereotype der Mitarbeiter der Einrichtung wurden mit der zweiten Form des Fragebogens erhoben. Zur Ergänzung wurden biographische Interviews durchgeführt. Als Maß für die Identifikation mit der Subkultur diente die Diskrepanz zwischen dem Selbstkonzept des Betreffenden und seinem Stereotyp von der Gruppe der Süchtigen im allgemeinen. Es zeigte sich, daß Opiatkonsumenten, die sich stark mit der Szene identifizierten, schlechter sozial angepaßt waren, über einen längeren Zeitraum abhängig waren, in der Vergangenheit mit höherer Wahrscheinlichkeit rückfällig wurden und im Kontakt mit dem Interviewer weniger offen

waren. Die Ergebnisse wurden als geringere "ability to develop relationships with middle class society" (ebd., 217) interpretiert. Die betreffenden Versuchspersonen wurden als weniger geeignet für eine Psychotherapie eingeschätzt, und ihre Vorstellung von einem typischen Drogenabhängigen wich stärker von der der Mitarbeiter und der zweiten Patientengruppe ab. Bei dieser Untersuchung stand der Aspekt der Rehabilitation im Vordergrund des Forschungsinteresses; die Gründe der Probanden, sich von dem durch die Gesellschaft vorgegebenen kulturellen Bezugssystem abzuwenden, fanden keine Beachtung.

Eine katamnestische Untersuchung vier Jahre nach Beendigung (n = 61) oder Abbruch (n = 41) einer mindestens achtmonatigen stationären Entwöhnungsbehandlung (Herbst, 1992) stützt die Ergebnisse von Monroe und Astin (1961). Es zeigte sich, daß das Rückfallrisiko mit zunehmender Behandlungsdauer signifikant abnimmt. Je länger die Probanden nach dem Verlassen der Einrichtung drogenfrei lebten, um so unwahrscheinlicher wurde ein Rückfall. „Der stärkste Effekt der stationären Behandlung und der durch sie insgesamt induzierten Zeit ohne harte Drogen liegt aber in der Legalitätsbewahrung“ (Herbst, 1992, 153).

Im Rahmen der wissenschaftlichen Betrachtung der Drogenabhängigkeit werden die Wertvorstellungen Drogengefährdeter und -abhängiger häufig als nonkonformistisch und

„auf der Suche nach alternativen Lebensstilen“ (Kappeler et al., 1999, 191) beschrieben.

Als Begründung werden unter anderem Defizite beim Sozialisationsprozeß und die mangelnde Akzeptanz des allgemein akzeptierten kulturellen Weltbildes genannt. Auch wird die Drogenbeschaffung häufig als der einzige Lebensinhalt eines Süchtigen beschrieben, solange er körperlich abhängig ist. Damit werde die Frage nach dem Lebenssinn von den Betreffenden beantwortet beziehungsweise vermieden. Die Suche nach persönlichen Werten oder einer Position innerhalb der Gesellschaft klingt dabei in den Forschungsergebnissen implizit mit an, wird allerdings nicht ausreichend bearbeitet.

Dies könnte unter anderem mit der Schwierigkeit zusammenhängen, Wertesysteme voneinander zu unterscheiden und angemessen zu erheben (vgl. Peele, 1987, 188).

Aussagen wie: Phasen der Abstinenz könnten um so länger andauern, je höher das "overall adjustment" (Waldorf, 1970, 236) eines Drogenabhängigen und je besser seine Beziehung zur Familie immer noch sei, erscheinen zu allgemein und wenig befriedigend. Einige Autoren stellen Zusammenhänge zwischen dem persönlichen Wertesystem und der Drogenabstinenz her, gehen allerdings nicht auf die zugrundeliegenden Prozesse ein. So stellt zum Beispiel Peele (1987) fest, daß "[...] the relationship of therapeutic and natural remission to personal value resolutions by addicts and to life changes they make that evoke values which compete with addiction" (ebd., 189).

Die Betrachtung der Wertvorstellungen Drogengefährdeter und -konsumenten könnte insbesondere für die Suchtprävention und -therapie hilfreich sein. Die dargestellten Befunde sprechen in Zusammenhang mit dem Konsum von Cannabisprodukten für die

Bedeutung der Suche nach Bestätigung und Anerkennung durch die Peer-Group, die zur Selbstwertsteigerung beiträgt. Die Übernahme eines „subkulturellen Wertesystems“

scheint für den Beginn des Gebrauchs „harter“ Drogen wie für die Beendigung, als einer Rückkehr zum konsensuellen Wertesystem oder dessen Akzeptanz, von Bedeutung. Auf mögliche Motive dieser Einstellungsänderung gehen die Autoren früherer Studien allerdings nicht ein. Auch ein theoretisch begründeter Zusammenhang zwischen der mangelnden Orientierung an den allgemein akzeptierten Werten und Normen und dem ebenfalls häufig untersuchten und beschriebenen niedrigen Selbstwertgefühl Heroinabhängiger wird nicht hergestellt.