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Interferenzen zwischen chinesischen Heimatdialekten und Deutsch- 84 -

Im Dokument „Ich verstehe nur Chinesisch!“ (Seite 85-95)

4. Ausspracheschwierigkeiten der chinesischen Deutschlernenden

4.1 Spezielle Ausspracheschwierigkeiten der chinesischen Deutschlernenden

4.1.4 Interferenzen zwischen chinesischen Heimatdialekten und Deutsch- 84 -

2006“ sprachen 53,06 % der chinesischen Bevölkerung (etwa 690 Millionen)

„Hochchinesisch“ und verwenden dieses als Muttersprache. Allerdings lässt sich feststellen, dass es eine Muttersprache im weiteren Sinne ist. In dem riesigen Gebiet von der Mandschurei im Nordosten Chinas bis nach Yunnan im Südwes-ten weichen diese Muttersprachen vom Hochchinesischen in der Aussprache in unterschiedlichem Maß ab. Abgesehen von Nachrichtensprechern spricht kaum jemand Hochchinesisch ohne Abweichungen. Wie in Kapitel 2 bereits erwähnt wurde, stimmt die Pekinger Aussprache mit der des Standard-Chinesischen auch nicht vollständig überein. In den acht Dialektgebieten haben die jeweiligen Aus-sprachen eigene phonetische Merkmale. Obwohl alle Chinesen aufgefordert wer-den, Hochchinesisch zu lernen und in der Öffentlichkeit zu sprechen, sprechen die meisten noch mit (starken) Akzenten bzw. phonetischen Merkmalen aus den eigenen Herkunftsgebieten. Für die meisten chinesischen Sprecher ist es eine Herausforderung die Interferenzen sowohl aus dem hochchinesischen

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system als auch aus den Heimatdialekten zu beseitigen. Diese doppelten Schwie-rigkeiten führen zu vermehrten Ausspracheabweichungen. Aus diesem Grund darf man die Interferenzen aus den Heimatdialekten im Phonetikunterricht, ins-besondere bei der Fehleranalyse, nicht außer Acht lassen. Allerdings lässt sich hier hervorheben, dass die Interferenzen aus den Heimatdialekten nicht immer negative Auswirkungen beim Erwerb der Aussprache haben. Einige phonetische Merkmale werden zwar als Abweichungen vom Hochchinesischen betrachtet, sind der deutschen Aussprache jedoch sehr nah. Diese Tatsache könnte einen positiven Effekt auf das Erlernen der deutschen Aussprache haben.

In der folgenden Tabelle werden die potenziellen Einflüsse auf die deutsche Aus-sprache aufgrund der Interferenzen aus den Heimatdialekten aufgelistet.

Tabelle 21: Übersicht potenzieller Einflüsse durch Interferenzen aus den chinesischen Hei-matdialekten

Der rhotische Vokal <r>

[ɹ] ist unter den

[n] oder <l> [l] ersetzt.

<r> [ʁ] im Deutschen

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Die Konsonanten <m>

[m], <p> [p], <t> [t], <k>

Es hat einen positiven

- 87 - wird durch <h> [x] oder

<p> [p] ersetzt.

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Bei der Produktion eines Diphthongs bewegt sich die Zunge nicht ausrei-chend von dem Artikulati-onsort des ersten lautes in Richtung des zweiten

4.1.5 Einfluss von „Englisch als Fremdsprache“ auf das Erlernen der deut-schen Sprache

Die weltweite Dominanz des Englischen als Mutter-, Zweit- und Fremdsprache – als „Weltverkehrssprache“ (Hufeisen 1999:5) schlechthin – hat Deutsch an die Position einer immerhin „starken“ (Krumm 1999:37) Tertiärsprache gerückt.

Dies betrifft China gleichermaßen. Seit 1999 wird Englischunterricht in allen Grundschulen Chinas angeboten, während Guangzhou Huamei International School elf Jahre später als die erste Grundschule Deutschunterricht anbietet (vgl.

Bao 2007). Das bedeutet, dass Deutsch für die meisten Deutschlernenden die Tertiärsprache nach Englisch ist. Das größte Augenmerk im Hinblick auf die praktische Umsetzung der Leitprinzipien der Mehrsprachigkeitsdidaktik gilt der Wortschatzarbeit, insbesondere die Berücksichtigung der „falschen Freun-den“ zur Vermeidung potenzieller Interferenzfehler. Ferner werden die Vermitt-lung von Grammatik sowie die Arbeit an verschiedenen Textsorten diskutiert (Agafonova 2000:10-15). Das Training phonetischer Fertigkeiten beim Erwerb

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von Tertiärsprachen wird, wie Hirschfeld (2011:207) betont, ziemlich selten the-matisiert und ist lediglich ansatzweise erforscht.

Deutsch als Fremdsprache nach Englisch (DaFnE) wird häufig als mögliche Hil-festellungen für die Chinesen beschrieben. Eine große Zahl von DaF-Lernern geht davon aus, dass der sprachliche Verwandheitsgrad zwischen der englischen und der deutschen Sprache hilfreich für das Erlernen des Deutschen als zweite Fremdsprache sein kann. Für das Sprachentripel Chinesisch-Englisch-Deutsch lassen sich z. B. Verbflexion, Tempusbildung und der Einsatz von Präpositionen im Englischen und Deutschen als stark verwandt und vergleichbar darstellen.

Solche Ähnlichkeitsstrukturen sind insbesondere im Anfängerunterricht einzu-setzen (vgl. Hernig 2005:83). Allerdings könnten die Ähnlichkeiten auch poten-zielle Interferenzquellen sein, vor allem im Bereich der Aussprache entstehen eher Probleme als Vorteile. Die Phonemsysteme des Deutschen und Englischen wirken sehr ähnlich, so dass man der Ansicht sein könnte, es gebe viele identi-sche Phoneme. Das heißt jedoch nicht, dass die Realisierung dieser Phoneme auch identisch ist. Angesichts verschiedener Phonem-Graphem-Beziehungen zwischen Deutsch und Englisch werden Einzelphoneme oft abweichend realisiert.

Besonders im Anfängerbereich sind die Interferenzen aus dem Englischen häufig vorkommend.

In den folgenden Tabellen werden die wesentlichen phonetisch-phonologischen Merkmale sowie die potenzielle Interferenz für die chinesischen Deutschlernen-den veranschaulicht (vgl. Reuter 2003:8-13).

Tabelle 22: Interferenz aus dem US-Englischen - Vokalsystem

US-Englisch* Deutsch Potenzielle Interferenz

Vokale: /i, ɪ, u, ʊ, e, ɛ, æ, ə, ʌ, o, ɔ, ɑ/

Vokale: /i:, ɪ, y:, ʏ, u:, ʊ, e:, ɛ:, ɛ, ø:, œ, ə, ɐ, o:, ɔ, a, a:/

Die deutschen Vo-kale werden mit ei-ner niedrigeren Mus-kelspannung artiku-liert als erforderlich.

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- 91 - stimmendes

Merk-mal.

*Die im vorliegenden Beitrag gelieferte phonetisch-phonologische Beschreibung der engli-schen Sprache betrifft die als General American bezeichnete Varietät des Amerikaniengli-schen Eng-lisch, die an chinesischen Schulen und Hochschulen unterrichtet wird.

Tabelle 23: Interferenz aus dem US-Englischen Konsonantensystem

US-Englisch Deutsch Potenzielle Interferenz

24 Konsonantenpho-neme

rund 26 Konsonan-tenphoneme sowie der Glottisplosiv für den Vokalneueinsatz

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totale Assimilation:

ein Laut wird gar nicht realisiert, sondern fun-giert als Nullallophon.

„Dreikonsonantenre-gel“: der mittlere Laut zwischen drei Konso-nanten und Sonoran-ten wird weggelassen.

Ein Laut wird gar nicht realisiert, bspw. das Silbenfi-nal /t/ wird ausge-lassen (Nacht:

[nax…]).

Der mittlere dreier aufeinander fol-gender Konsonan-ten wird nicht rea-lisiert. (singst:

[zɪŋ…t]).

Interferenz der Laut-Buchstaben-Beziehungen:

Im Englischen und Deutschen werden die gleichen Zeichensysteme verwendet, wobei jedoch gleiche Schriftzeichen oftmals unterschiedliche Laute symbolisie-ren. Insbesondere werden gleichgeschriebene Wörter unterschiedlich ausgespro-chen, wie z. B. Student (Deutsch: [ʃtuˈdɛnt] und US-Englisch: [ˈstuːdnt]), Finger (Deutsch: [ˈfɪŋɐ] und US-Englisch: [ˈfɪŋɡər]). Das erschwert es dem chinesi-schen DaFnE Lernenden, die verschiedenen Laute korrekt zu artikulieren. Bei der Artikulation einiger Wörter orientieren sich die Lernenden an ihrer ersten Fremdsprache – Englisch.

Tabelle 24: Interferenz aus dem US-Englischen - Suprasegmentale Ebene (vgl. Grzeszcz-akowska-Pawlikowska 2012:190)

US-Englisch Deutsch Potenzielle Interferenz

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