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Chinesische Dialekte und die chinesische Standardsprache

Im Dokument „Ich verstehe nur Chinesisch!“ (Seite 21-25)

2. Die gegenwärtige deutsche und chinesische Standardsprache

2.2 Die moderne chinesische Standardsprache

2.2.1 Chinesische Dialekte und die chinesische Standardsprache

„Beim Dialekt fängt die gesprochene Sprache an.“

(J. W. Goethe nach Schöffl-Pöll 2011:7)

Die gesprochene Sprache verändert sich ständig. Dies trifft auf China, einem Land mit 9,6 Millionen Quadratmetern, 1,34 Mrd. Einwohnern und über 50 eth-nische Minderheiten, zu. Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet der chinesischen Sprache ist schwer zu rekonstruieren, da die Sprachen der Nachbarn des antiken

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Chinas fast unbekannt sind und sich somit nicht festmachen lässt, ob chinesische Sprachen außerhalb derjenigen chinesischen Staaten verbreitet waren, die Schriftzeugnisse hinterlassen haben. Vor allem weite Teile Südchinas scheinen noch im 1. Jahrhundert n. Chr. außerhalb des chinesischen Sprachgebiets gelegen zu haben. Bereits in der Zeit der Zhou-Dynastie (11. – 3. Jahrhundert v. Chr.) finden sich Hinweise auf eine dialektale Gliederung des Chinesischen, die sich in den folgenden Jahrhunderten wesentlich verstärkte. Nach Wang (1993:37f) werden in China insgesamt acht wichtige Dialekte unterschieden, die sich in pho-nologischen, aber auch lexikalischen und syntaktischen Merkmalen stark vonei-nander unterscheiden. Sie weisen so große Unterschiede auf, dass sich die Spre-cher verschiedener Dialekte mündlich nicht miteinander verständigen können.

Die Unterschiede zwischen den Dialekten sind in Aussprache und Wortschatz vergleichbar mit den Unterschieden zwischen den einzelnen romanischen Spra-chen. Dagegen sind die chinesischen Schriften dialektübergreifend gleich (außer den Langzeichen benutzenden Gebieten wie Hongkong, Macao und Taiwan) und ermöglichen die Verständigung zwischen Sprechern verschiedener Dialekte. Die folgende Tabelle zeigt, welcher Dialekt in welchen Gebieten anzutreffen ist.

Tabelle 1: Chinesische Dialekte und deren gesprochene Gebieten (Quelle: Wang 1993:20; Huang/Liao 2012:4f)

Dialekte Gesprochen in diesen Gebieten Anteil der

Bevölkerung Nordchinesischer

Dialekt

nördlich vom Yangtse-Fluss, in den Pro-vinzen Hubei (ausschließlich Südosten), Sichuan, Yunnan, Guizhou und im Nord-osten der Provinz Hunan

73 %

Wu-Dialekt in Südjiangsu und in der Provinz Zhejiang 7,2 % Xiang-Dialekt im größten Teil der Provinz Hunan 3,2 % Gan-Dialekt hauptsächlich in der Provinz Jiangxi und

im Südosten der Provinz Hubei

3,3 %

Kejia-Dialekt in Teilgebieten der Provinzen Guangdong, Guangxi, Fujian und Jiangxi

3,6 %

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Minnan-Dialekt in Südfujian, im Osten der Provinzen Gu-angdong, in den meisten Gebieten von Taiwan und auf der Insel Hainan

5,7 %

Minbei-Dialekt in Nordfujian und einigen winzigen Teilen in Taiwan

Yue-Dialekt in den übrigen Teilen der Provinzen Guangdong und Guangxi

4 %

Nordchina war die Wiege der Kultur der Han-Chinesen, die zu der größten eth-nischen Gruppe Chinas zählt, und bleibt bis heute das politische und kulturelle Zentrum Chinas. Aus diesem Grund gilt der nordchinesische Dialekt wegen der relevanten Position und auch der Anzahl seiner Sprecher als der bedeutendste der acht Gruppen. Schon nach der Gründung der Qing-Dynastie im Jahr 1644 wurde der nordchinesische Dialekt als Guānhuà (Beamtensprache) bezeichnet und die Aussprache von der Hauptstadt Peking wird daher auch als die repräsentativste des nordchinesischen Dialekts betrachtet (vgl. Wang 1993:21).

Da die Unterschiede zwischen den verschiedenen Dialekten, besonders im pho-netischen Bereich, sehr groß sind, können sich mitunter Bewohner derselben Pro-vinz nicht problemlos miteinander verständigen und die distinktiven Dialekte können sogar zu Missverständnissen führen. Um solche Kommunikationsbarrie-ren zu vermeiden, benötigte die chinesische Sprache eine Standardisierung. Im Oktober 1955 wurde die chinesische Standardsprache vom Bildungsministerium als „Pǔtōnghuà“ bezeichnet und wie folgt definiert: „Die Pekinger Aussprache als Standardaussprache, die Sprache der nördlichen Regionalsprachen als Stan-dardsprache, die Grammatik aus den vorbildlichen modernen báihuàwén-Werken als Standardgrammatik.“2 Seitdem fungiert die moderne chinesische Pǔtōnghuà als Standardsprache für eine allgemeine Verständigung im ganzen Land.

2 Ergebnisse der nationalen Konferenz der Sprachreform und der akademischen Konferenz der Standardfragen zur modernen chinesischen Sprache im Jahr 1955

- 23 - Aussprachestandard und Pekinger Dialekt:

Durch die offizielle Definition durch das Bildungsministerium der Volksrepublik China lässt sich feststellen, dass die Standardaussprache der chinesischen Spra-che auf der Pekinger AusspraSpra-che basiert. Allerdings kann man „Pǔtōnghuà“ nicht hundertprozentig mit dem Pekinger Dialekt gleichsetzen, da es feine Nuancen zwischen den beiden gibt. So stimmen z. B. bestimmte Töne im Pekinger Dialekt nicht mit denen im „Pǔtōnghuà“ überein: yóujú (Post), fùjìn (Nähe), qīnlüè (An-griff) werden im Pekinger Dialekt yōujú, fǔjìn und qǐnlüè realisiert. Ein weiteres Beispiel ist das übliche „swallowing“ Phänomen. Dieses kommt häufig im Pe-kinger Dialekt vor und entsteht durch das Sprechen mit erhöhter Geschwindigkeit.

Bsp.: 不知道 [pu51 tʂʅ55 tau51] (keine Ahnung) wird im Pekinger Dialekt [55 tau51] ausgesprochen, 西红柿 [ɕi55 xɔŋ35 ʂʅ51] (Tomate) wie [ɕɔŋ55 ʂʅ51] und 涮羊 肉 [ʂuan51 iaŋ35 ʐɔu̯51] (Feuertopf) wie [ʂuaŋ55 ʐɔu̯51]. Auf supersegmentaler Ebene sprechen die Pekinger mit einem schnelleren Tempo im Vergleich zu den-jenigen, die Pǔtōnghuà sprechen. Außerdem sind die Töne einer Silbe, die von Pekingern produzieret werden, höher und stärker. Daher werden die steigenden und fallenden Satzmelodien auch von den Pekingern intensiver präsentiert. Je-doch führt dies nicht zu Kommunikationsbarrieren und stellt lediglich eine Be-sonderheit des Pekinger Dialekts dar. Darüber hinaus hat ein Zeichen manchmal zwei oder mehr Aussprachen im Pekinger Dialekt, die jedoch nicht alle von Pǔtōnghuà vorgesehen sind, beispielsweise kann 和 (und) im Pekinger Dialekt auch [xan51] statt [xɤ51] ausgesprochen werden, was in Pǔtōnghuà allerdings in-akzeptabel ist. Weiterhin ist zu beachten, dass die Pekinger 玩 wán oft gewohn-heitsmäßig wánr lesen, indem sie nämlich immer ein Suffix –r hinter einem Verb oder einem Wort hinzufügen, obwohl das –r entsprechende Zeichen 儿 gar nicht vorkommt (vgl. Cremerius 2012:33ff). Dieses Phänomen, dass der rhotische Vo-kal [] verbreitet ist, nennt man Erhua oder Erization. Anstatt 哪儿 (nǎr, wo) 一 点儿 (yì diǎnr, ein bisschen) und 好玩儿 (hǎo wánr, Spaß haben) werden in Pǔtōnghuà 哪里 (nǎ lǐ), 一点 (yì diǎn), und 好玩 (hǎo wán) verwendet.

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2.2.2 Die Entstehung und die Verbreitung des Umschriftsystems Pinyin

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