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2.4 Chronische idiopathische Darmentzündungen der Katze

2.4.4 Immunpathogenese der Inflammatory Bowel Disease

Die Hauptmechanismen des intestinalen Immunsystems beruhen auf Minimierung des Antigenkontakts mit der Mukosa, einer intakten Mukosabarriere und oraler Toleranz (JAMES 1993). Die orale Toleranz basiert bei der Aufnahme geringer Antigenmengen maßgeblich auf der Suppression einer Immunantwort durch T-Lymphozyten, während sie bei Aufnahme großer Antigenmengen vor allem durch klonale Anergie oder Deletion reaktiver Lymphozyten mediiert wird. Im Folgenden werden die wahrscheinlichsten Pathogenesemechanismen bei IBD beschrieben.

2.4.4.1 Dysregulation des Immunsystems

Das Immunsystem des regulären Darms reagiert auf Pathogene mit einer protektiven Immunantwort, während es gegenüber harmlosen Antigenen tolerant ist. Eine Störung dieses diffizilen Gleichgewichts kann zu einer chronischen, unkontrollierten Entzündung führen (GERMAN et al. 2003). Ein Verlust der oralen Toleranz infolge einer veränderten Suppression bzw. Regulation der Immunantwort gilt derzeit als einer der hauptsächlich an der Persistenz und Pathogenese der IBD beteiligten Mechanismen (MAGNE 1992; GUILFORD 1996c; JERGENS 2002; CAVE 2003). Ein Zusammenbruch der suppressiven Wirkungen auf TH1- und TH2-dominierte Immunantworten führt wegen des Toleranzverlusts gegenüber intestinalen Antigenen zur Ausbildung einer lang anhaltenden entzündlichen Überreaktion des Immunsystems auf harmlose enterische Antigene in Form von Hypersensitivitätsreaktionen (MAGNE 1992; GUILFORD 1996c; JERGENS 2002).

Infolge von freigesetzten proinflammatorischen Zytokinen einer TH1-polarisierten Immunantwort steigt die Durchlässigkeit der Mukosabarriere an. Es erfolgt ein zusätzlicher Einstrom von Antigenen in die Lamina propria mucosae, und daraus resultiert eine Überforderung des suppressiven Zweigs des Immunsystems mit perpetuierender Zerstörung von Gewebe. Der entstehende Circulus vitiosus ist in Abbildung 2.4.2 dargestellt (MAGNE 1992; GUILFORD 1996c; ALLENSPACH u.

GASCHEN 2003; SPILLMANN et al. 2006). Bereits 1986 stellten STROBER u.

JAMES die Hypothese auf, dass ein Defekt in der Antigen-spezifischen T-Suppressorzellfunktion der Grund für eine perpetuierende Entzündung als Folge auf einen harmlosen ersten Insult wie beispielsweise eine transiente Virusinfektion sein könnte. Weiterhin fanden MAYER u. EISENHARDT (1990) heraus, dass die intestinalen Epithelzellen im gesunden Darm selektiv Antigen-unspezifisch suppressorische CD8+ T-Lymphozyten aktivieren. Bei der IBD des Menschen hingegen aktivieren sie sowohl in den unveränderten als auch den veränderten Darmabschnitten CD4+ T-Lymphozyten. Die Autoren leiten daraus einen intrinsischen Defekt in den Epithelzellen bei der Aktivierung von T-Suppressorzellen bei IBD Patienten ab.

Ob ein Defekt in der Unterdrückung von TH1- bzw. TH2-dominierten Immunantworten entweder durch fehlerhafte TH3-Zellaktivität oder durch fehlerhafte Aktivierung suppressorisch wirkender CD8+ T-Zellen durch das Darmepithel vorliegt, ist für die IBD der Katze unbekannt und sollte in weiteren Studien untersucht werden.

Abbildung 2.4.2: Schematische Darstellung immunpathogenetischer Zusammenhänge bei IBD;

modifiziert nach GUILFORD (1996c)

Unbekannte Ursache, transiente Infektion oder leichte Verletzung der Mukosa

Erhöhte Exposition des GALT gegenüber luminalen Antigenen

Normale Immunregulation

Immunreaktion durch Antigen-unspezifische und -spezifische suppressorische

TH3-Zellen; IgA-Produktion

Genetisch bedingter Defekt der Immunregulation

In Mukosa eingedrungene harmlose Antigene

überfordern das Immunsystem und werden

wie Pathogene bekämpft

intestinale Entzündung mit Ansammlung von Immunzellen;

IgG-Produktion

2.4.4.2 Permeabilitätserhöhung des Darmepithels

Eine weitere aktuelle Theorie zur Entstehung der IBD favorisiert eine gestörte Mukosabarriere mit erhöhter Permeabilität für intestinale Antigene als Ursache (MAGNE 1992; GUILFORD 1996c; JERGENS 2002; CAVE 2003). Ob primär eine Permeabilitätserhöhung vorliegt, die eine Entzündungsreaktion auslöst oder ob sie als Folge aus einem inflammatorischen Zytokinmilieu resultiert, ist bisher nicht bekannt. Zu diesen entzündungsfördernden Zytokinen gehören Interferon-γ (IFN-γ) und Tumor Nekrose Faktor-α (TNF-α), die eine vermehrte Permeabilität des intestinalen Epithels verursachen. TNF-α induziert eine vorzeitige Apoptose des Zottenepithels, während IFN-γ durch verstärkte Durchlässigkeit der epithelialen tight junctions die parazelluläre Integrität beeinflusst (GUILFORD 1996c; CAVE 2003;

SPILLMANN et al. 2006). Da IFN-γ besonders bei viralen Infektionen freigesetzt wird, wäre es möglich, dass transiente virale Infektionen eine primäre Ursache für einige Fälle von IBD darstellen könnten. Eine infektionsbedingte, erhöhte Zellerneuerungsrate mit nachfolgender epithelialer Unreife könnte ebenfalls ein leichteres Eindringen von Antigenen in die Mukosa ermöglichen (GUILFORD 1996c).

GITTER et al. (2001) fanden heraus, dass die Permeabilität des Epithels bei Kolitis ulzerosa des Menschen zunimmt und führen dies auf eine reduzierte Komplexität der tight junctions sowie eine erhöhte Apoptose der Epithelzellen zurück. Die parazelluläre Durchlässigkeit wird auch durch die Freisetzung von Mastzellmediatoren beeinflusst. Daher wird vermutet, dass eine gestörte Permeabilität und daraus resultierend eine chronische exzessive Antigenbelastung der Mukosa in einer chronischen Entzündung der Schleimhaut resultiert und somit entscheidend an der Pathogenese der IBD beteiligt ist (MAGNE 1992; GUILFORD 1996c; CAVE 2003).

2.4.4.3 Autoimmunität

Es wird vermutet, dass eine autoimmune Komponente an der Entstehung von IBD beteiligt sein könnte, weil autoreaktive Lymphozyten und Autoantikörper, die eine Antikörper-abhängige Zytotoxizität induzieren können, bei Menschen und Hunden mit IBD festgestellt wurden. Durch den Verlust der Toleranzmechanismen wird die klonale Expansion von Lymphozyten, die nach Kontakt mit intestinalen Antigenen mit körpereigenen Antigenen der Schleimhaut kreuzreagieren, nicht mehr durch Anergie oder Deletion verhindert. Es gibt jedoch keine Korrelation zwischen Antikörpertiter und Schweregrad der IBD. Daher ist es wahrscheinlich, dass es sich um ein Epiphänomen handelt, das sich sekundär als Konsequenz aus der Entzündung entwickelt. Autoimmunität ist jedoch vermutlich an der perpetuierenden Gewebszerstörung und somit an der Chronizität der Entzündung beteiligt (MAGNE 1992; GUILFORD 1996c).

2.4.4.4 Genetische Einflüsse

Beim Menschen ist eine familiäre Häufung an IBD Erkrankungen bekannt, und auch beim Hund gibt es Rassen, die häufiger an IBD erkranken oder eine ganz spezielle Form der IBD entwickeln wie Basenjis, Boxer oder der norwegische Lundehund (GUILFORD 1996c). Dies lässt auf eine genetische Prädisposition mit einer erhöhten Empfänglichkeit schließen (JERGENS 2002). Bei der Katze existieren keine Rassendispositionen, jedoch beschreiben einzelne Autoren ein häufigeres Auftreten von IBD bei reinrassigen Katzen (DENNIS 1992, 1993; JERGENS 1999). Des Weiteren konnten bei Menschen mit IBD und ihren Verwandten familiär gehäuft vermehrt Störungen der intestinalen Permeabilität sowie eine fehlerhafte Aktivierung suppressorisch wirkender T-Lymphozyten durch Epithelzellen festgestellt werden (STROBER u. JAMES 1986; MAYER u. EISENHARDT 1990). Dies weist ebenfalls auf genetische Einflüsse hinsichtlich der Empfänglichkeit für die Entstehung von IBD hin.

2.4.4.5 Diätetische Einflüsse

Futtermittel üben einen Einfluss auf die Darmmorphologie und -physiologie wie beispielsweise die Darmperistaltik, die Zusammensetzung und Dichte der kommensalen Mikroflora, die Geschwindigkeit der Epithelzellerneuerung, die Mukussekretion sowie auf die Flüssigkeits- und Elektrolytabsorption aus. Bei vielen an IBD erkrankten Tieren hat eine Futterumstellung einen positiven Effekt und resultiert in einer Verbesserung der klinischen Symptome. Dieser Effekt basiert meist auf einer verbesserten Versorgungssituation des Tiers, so dass keine ätiologische Beteiligung an der Entstehung von IBD daraus abgeleitet werden kann. Treten nach einer Futterumstellung ohne zusätzliche Medikamentengabe keinerlei gastrointestinale Symptome mehr auf, liegt meistens eine Futtermittelallergie bzw.

-unverträglichkeit zugrunde (MAGNE 1992; GUILFORD 1996c). Jedoch können sich Futtermittelallergien auch im Laufe chronischer idiopathischer Darmentzündungen entwickeln. Es ist daher anzunehmen, dass infolge erhöhter intestinaler Permeabilität Hypersensitivitätsreaktionen auf vermehrt in die Mukosa eingedrungene diätetische Antigene an der Pathogenese der IBD beteiligt sind. Die eosinophile Gastroenterokolitis/Enteritis/Enterokolitis bzw. das Hypereosinophilie-Syndrom ist die einzige IBD Form, bei der eine primäre Hypersensitivität gegenüber diätetischen Antigenen favorisiert wird (GUILFORD 1996c).

2.4.4.6 Mikrobielle Einflüsse

Aus dem Schrifttum ist bekannt, dass verschiedene Mikroorganismen aus dem Darm IBD erkrankter Menschen, Hunde und Katzen isoliert und als Auslöser verdächtigt wurden; allerdings existiert bis heute kein eindeutiger Nachweis, dass es sich bei ihnen oder den von ihnen produzierten Toxinen wirklich um das auslösende Agens handelt. Vielmehr scheinen sie Teil der kommensalen Mikroflora zu sein, weil der fehlgeschlagene Nachweis eines konstant bei allen IBD Patienten vorhandenen Mikroorganismus, eine bisher nicht nachgewiesene Kontagiosität sowie das Ansprechen auf eine immunsuppressive Therapie eher gegen eine mikrobielle Komponente als primär auslösenden Faktor von IBD sprechen (GUILFORD 1996c).

Dennoch wird eine kofaktorielle Beteiligung an der Pathogenese von IBD diskutiert,

da Mikroorganismen auf morphologische, physiologische und immunologische Funktionen des Darms Einfluss nehmen und der Verlust der oralen Toleranz gegenüber mikrobiellen Antigenen einen entscheidenden Einfluss auf die Perpetuation des Entzündungsgeschehens in Form von Hypersensitivitätsreaktionen hat (JERGENS 2002; ZENTEK et al. 2007). Es wurde gezeigt, dass eine Sensibilisierung gegenüber der bakteriellen Flora sowohl Schwere als auch Dauer von intestinalen Entzündungen erhöht (MAGNE 1992). Neben den überschießenden Immunreaktionen bei Toleranzverlust kann auch eine Vermehrung der enterischen Kommensalen eine Entzündungsreaktion der Mukosa hervorrufen. Diese bakterielle Überwucherung des Dünndarms (small intestinal bacterial overgrowth, SIBO) kann zu einer lymphoplasmazellulären Infiltration der Lamina propria mucosae führen, wenn von den Bakterien proinflammatorische Peptide freigesetzt werden, die Leukozyten anlocken (JERGENS et al. 1992; GUILFORD 1996c). Bei der IBD der Katze scheint SIBO jedoch keine Rolle zu spielen, da JOHNSTON et al. (2001) weder bei darmgesunden Katzen noch bei Katzen mit chronischen Enteritiden eine erhöhte Bakterienzahl nachweisen konnten. In verschiedenen Studien wurden jedoch widersprüchliche Feststellungen über den Bakteriengehalt im felinen Intestinum publiziert (JOHNSTON et al. 2001; INNESS et al. 2007; JANECZKO et al. 2008).

Für das Erkennen der Anwesenheit von Mikroorganismen und ihrer Produkte sind die TLR und NOD-Rezeptoren verantwortlich. Bei Mensch und Hund konnte beim Vorliegen von IBD eine erhöhte Expression von verschiedenen TLR festgestellt werden (HAUSMANN et al. 2002; BURGENER et al. 2008). Die Aktivierung dieser Rezeptoren führt zur Expression der proinflammatorischen Zytokine IL-1, IL-6, IL-8 und IL-12 sowie zur Expression der kostimulatorischen Rezeptoren CD80 und CD86.

Es ist unklar, ob es sich bei der Aufregulation der TLR bei IBD um ein Epiphänomen handelt oder ob eine Dysregulation des Expressionsmusters zugrunde liegt, welches zu einer verstärkten Entzündungsreaktion durch Interaktion mit der kommensalen luminalen Mikroflora führt (CAVE 2003; BURGENER et al. 2008). Die von BURGENER et al. (2008) publizierten Ergebnisse, dass sich das Expressionsmuster der hoch regulierten TLR-2, -4 und -9 nach Therapie und klinischer Besserung der

Symptome nicht verändert, lässt die Autoren eine genetische Prädisposition für IBD vermuten.

2.4.4.7 Hypersensitivitätsreaktionen auf diätetische und mikrobielle Antigene Infolge der Entzündungsreaktionen wird Darmgewebe zerstört, und es erfolgt eine Überflutung der Lamina propria mucosae mit luminalen Antigenen. Inzwischen ist bekannt, dass das Immunsystem auf diese mikrobiellen und diätetischen Antigene mit den verschiedenen Typen der Hypersensitivitätsreaktionen reagiert (GUILFORD 1996c). Die Typ I Hypersensitivität (Soforttyp, anaphylaktischer Typ) wird durch Degranulation von Mastzellen infolge einer Quervernetzung gebundener IgE-Antikörper durch Antigene ausgelöst. Die freigesetzten, zahlreichen Mediatoren, vor allem aber Eotaxin, locken eosinophile Granulozyten und weitere Entzündungszellen an. Sowohl die von Mastzellen als auch von eosinophilen Granulozyten sezernierten toxischen Stoffe wie beispielsweise major basic protein führen zu massiven Schäden an den Enterozyten. Es wird angenommen, dass eine Hypersensitivitätsreaktion vom Typ I gegenüber parasitären oder diätetischen Antigenen an der Entstehung der eosinophilen Gastroenterokolitis, Enteritis bzw. Enterokolitis beteiligt ist (MAGNE 1992; WILLARD 1992; JERGENS 1999). Eine solche Reaktion wird aufgrund einer genetischen Prädisposition gegenüber Antigenen von Pollen, Bakterien oder Parasiten ausgelöst (GUILFORD 1996c). Bei der Hypersensitivität vom Typ II (zytotoxischer Typ) kommt es entweder durch Antikörper vermittelte Zytotoxizität oder über Komplementaktivierung zur Lyse körpereigener Zellen. Dieser Abwehrmechanismus legt den Verdacht der Beteiligung autoimmuner Prozesse an der Gewebszerstörung bei IBD nahe (siehe Abschnitt 2.4.4.3 „Autoimmunität“). Die Typ III Hypersensitivität (Immunkomplextyp, Arthus-Typ) entsteht durch die Ablagerung von Immunkomplexen im Gewebe, die zur Aktivierung der Komplementkaskade mit resultierender Schädigung des entsprechenden Gewebes führen. Bei der Hypersensitivitätsreaktion vom Typ IV (verzögerter Typ, zellvermittelte Allergie) sezernieren sensibilisierte T-Lymphozyten nach erneutem Kontakt mit ihrem spezifischen Antigen zahlreiche chemotaktische Faktoren, die zur Entzündung, Rekrutierung von Makrophagen und zum Zelltod führen. Diese

Mechanismen verlaufen über einen Zeitraum von mehreren Tagen im Gegensatz zu den Immunreaktionen des Soforttyps.