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Hybride Zugänge zu ökologischen Lebensmitteln

Kapitel 3 Empirische Untersuchungsfragen, Methodik und Befunde

3.3 Darstellung der qualitativen Studienergebnisse

3.3.2 Charakter des Öko-Konsums

3.3.2.4 Hybride Zugänge zu ökologischen Lebensmitteln

Die Befragten beziehen ihre ökologischen Lebensmittel aus unterschiedlichen Quellen. Die folgende Abbildung 28 stellt einen überschaubaren Einblick dar.

Die Interviewten bevorzugten Nahrungsmittel wie Gemüse, Getreide und Eier direkt von der Öko-Farm. Danach folgt in der Liste der am meisten präferierten Bezugsquellen das private Netzwerk, wie der Verwandten- und Freundeskreis auf dem Land (besonders als alternative Anbieter für Getreide).

103 Abbildung 27: Hybride Zugänge zu den Lebensmitteln

Quelle: Eigene Darstellung

Für die meisten Interviewten dienen die Bioabteilung im Supermarkt bzw. der Bioladen im Internet als ergänzende Quelle für Nahrungsmittel wie Biofleisch und Getreide. Im Vergleich zu den Interviewten in Beijing haben die Interviewten in Fujian mehr Geld für Biowaren im Supermarkt ausgegeben, weil sie erstens mehr Vertrauen zum Bio-Label haben und es zweitens dort weniger Möglichkeiten für die Beschaffung von Biowaren gibt: z.B. gibt es keinen Ökofarmer-Wochenmarkt in Fujian, wie er in Beijing regelmäßig stattfindet.

Bio-Konsumenten beschaffen ihre Nahrungsmittel ebenfalls auf Straßen-Lebensmittelmärkten und in konventionellen Supermärkten, wohl auch deshalb, weil Bio-Produkte in China mehrfach teurer als konventionelle Produkte sind. Für die befragte Arbeiterfamilie ist üblich, dass das Kind durch ökologische Lebensmittel ernährt wird. Ein Hinweis darauf ist:

„Als ich die Kinder bekam, wurden die meisten Öko-Nahrungsmittel für unsere Kinder gekauft. Wir (sie und ihr Ehemann) haben unsere Nahrungsmittel von zuvor ökologischen auf konventionelle herabgestuft, aus finanziellen Gründen […].“(BK030ZHW)

Im Folgenden wird auf die relevanten Zugänge der Reihenfolge nach eingegangen:

Bio-Abteilung im Supermarkt/Bioladen, privates Netzwerk, Internet, Ökofarmer Wochenmarkt, ökologische Farm. Es geht letztendlich nicht darum darzustellen, wie

104 mühsam und aufwändig die Interviewten ihre Lebensmittel beschaffen, sondern vielmehr darum, die dynamische Wechselwirkung zwischen dem Konsum und der Produktion zu verdeutlichen. Insbesondere soll auf die sie begleitenden Phänomene in der ökologisch orientierten Konsumbewegung hingedeutet werden, die als reflexive Reaktion auf Lebensmittelskandale und schwache Regierungskontrolle, somit auf das Misstrauen gegen die Regierung verstanden werden kann. Hierbei wird in erster Linie auf die Bio-Abteilung im Supermarkt/Bioladen eingegangen, weil die meisten Interviewten als Kunden von Supermärkten angefangen haben, Bioprodukte zu kaufen.

Bio-Abteilung im Supermarkt /Bioladen

Damit sich die ökologisch hergestellten Produkte im Supermarkt verkaufen lassen, müssen sie zunächst zertifiziert werden, um die Erlaubnis für die Verwendung des Bio-Labels zu erhalten. Die meisten Interviewten in Beijing haben eine routinemäßige Erfahrung gemacht: sie sind auf Bioprodukte von Supermärkten umgestiegen.

Nachdem sie die Bio-Ware internationaler Supermärkte wie Carrefour und Wal-Mart sowie die Bio-Ware einheimischer Ketten getestet hatten, haben die Interviewten Erfahrungswerte gewonnen, wo man was am besten besorgen kann.

Etwa die schwangere Frau M.:

„Ich kaufe deshalb Bio-Produkte, weil ich ihnen vertraue. Z. B. gehe ich zur Metro-Filiale in Beijing, weil die Qualität und der Einkauf relativ streng kontrolliert werden. Es ist dort besser als in anderen Supermärkten […].“ (BK016MW)

Oder der Manager Herr T.:

„Ich kaufe mehr Gemüse. (Bio) Fleisch ist relativ schwer zu erhalten, weil das Ökofleisch nicht massenhaft produziert werden kann. Ich gehe zu einer Metro-Filiale in Beijing und kaufe Biofleisch. Metro ist deutscher Lebensmittelhändler. Der Grad des Vertrauens ist ziemlich hoch. Die Gemüsesorten bekomme ich direkt von einer Öko-Farm. Ich bin Mitglied einer Öko-Farm und erhalte regelmäßig Lieferungen. Dort gibt es jedoch zu wenige Gemüsesorten […].“(BK022TM)

105 Darüber hinaus haben sich immer wieder neue Bioläden in unterschiedlichen Stadtteilen Beijings etabliert. Beispielsweise eröffnete Le Huo City (ein Bioladen) im Jahr 2006 in Beijing. In der Folge wurde dieser Laden mit weiteren fünf Filialen zu einem der größten Bio-Anbieter der Metropole. Die meisten Bioläden in Beijing können jedoch in Bezug auf Größe und Ausstattung mit den ehemaligen Tante-Emma-Läden in Deutschland verglichen werden.

Privates Netzwerk

Mit der Urbanisierung ist die ländliche Bevölkerung zunehmend in die Städte abgewandert. Trotzdem leben aktuell noch fast 50 Prozent der Chinesen in ländlichen Gebieten. Derzeit sehen immer mehr städtische Einwohner die entfernt liegenden Dörfer nicht nur als arm und zurückgeblieben an, sondern vielmehr wegen ihrer natürlichen Umwelt als die idealen Gebiete für die Produktion sauberer Nahrungsmittel.

Herr H. ist Wanderarbeiter und lebt mit seiner Familie in Xiamen. Seine Eltern leben noch auf dem Land und pflanzen viele Gemüsesorten an. Sie züchten auch Hühner.

Davon profitiert Herr H.:

„Ich esse immer das Gemüse aus eigener Produktion, weil ich öfter ins Hinterland fahre. Manchmal erhalte ich auch Agrarprodukte als Geschenk und manchmal kaufe ich sie von einer bäuerlichen Familie [...].“(XE002HM) Herr H. ist ebenfalls Wanderarbeiter. Er beschäftigt sich mit dem „soilless“ Anbau (Anbau ohne Erde):

“Im Gegensatz zu meinen Eltern habe ich möglichst zu Hause gegessen.

Wir produzieren Fleisch, Speiseöl und Reis für den eigenen Bedarf. Wir kaufen sehr selten von Dritten. Es gibt dafür zwei Gründe: Geldsparen und Sicherheit. Meine Cousinen bewirtschaften den Gemüseanbau im Dorf. Sie verwenden regelmäßig chemischen Dünger, und die Ernten werden verkauft. Auf einer kleinen Fläche des Gemüsefeldes wird nur natürlich gedüngt. Die Gemüseernten von dieser kleinen Fläche sind hauptsächlich für den Verwandtenkreis bestimmt. Außerdem werden auch Schweine und Hühner ökologisch für den eigenen Bedarf gezüchtet[…].“ (XK011HM)

106 Seit der Wirtschaftsreform hat sich China ziemlich schnell, aber asymmetrisch entwickelt: in den Städten gibt es eine rasch wachsende Mittelschicht, aber in den ländlichen Gebieten leben noch Millionen Menschen am Rande des Existenzminimums.

Die ungleiche regionale Entwicklung führte dazu, dass die ländliche Bevölkerung in die Metropolen abwandert, um ihren Lebensstandard zu verbessern. Aktuell hat die ländliche Bevölkerung üblich die beiden Aufstiegsmöglichkeiten: entweder sich zu qualifizieren oder als Wanderarbeiter in die wirtschaftlich entwickelten Städte zu gehen.

In China sind die Küstengebiete sehr viel weiter entwickelt als die Gebiete in Mittel- und Nordchina. Es ist allgemein üblich, dass die Landjugend in die Küstengebiete abwandert und dass ihre Eltern oder Verwandten Hunderte, ja sogar Tausende Kilometer entfernt leben. Daher züchten die Großeltern häufig ein natürlich ernährtes Schwein für ihr Enkelkind und schenken es ihm beim Familienbesuch. Auch Getreide, Tee und Speiseöl sind häufige und beliebte Geschenke. Innerhalb der Familie und im engeren Freundeskreis werden (regelmäßig) ökologisch hergestellte Agrarprodukte angeboten.

Mit der Verbreitung des Internets eröffnet sich den Konsumenten jedoch die Möglichkeit, die Agrarprodukte direkt aus ländlichen Gebieten zu bekommen, auch wenn man dort keine Verwandten hat.

Internet

In der Regel haben die Chinesen drei klassische Möglichkeiten ihre Nahrungsmitteln zu besorgen: 1) durch das Lebensmittelangebot des Straßenhandels, 2) im Supermarkt, 3) direkt von bäuerlichen Höfen.

Bevor die Supermärkte in den 1990er Jahren in China eingeführt wurden, kauften Chinesen die frischen landwirtschaftlichen Produkte direkt auf dem Straßen-Lebensmittelmarkt, wo Bauern bzw. Zwischenhändler die Lebensmittel häufig anbieten.

107 Die Entwicklung der Informationstechnologie hat es den Konsumenten ermöglicht, ihre Nahrungsmittel über das Internet zu beschaffen. Darauf wird in den folgenden Erzählungen verwiesen. Herr Y. ist Rentner und bestellt Bio- bzw. Ökonahrungsmittel über das Internet:

„Ich kaufe Speiseöl und Getreide bei Herrn L. oder bei Internethändlern, die ich kenne oder denen ich vertraue. Wenn ich als Tourist unterwegs bin, achte ich auch auf Öko-Produkte. Ich kaufe Produkte möglichst direkt bei Bauern im Berggebiet. Sie verwenden kaum chemischen Dünger. Zudem kaufe ich per Internet auch Produkte wie Walnüsse in Yunnan und Datteln in Xinjiang. In der Regel weiß ich, wer was bewirtschaftet. Zum anderen kaufe ich auch Biowaren über das Internet, wie beim Boyang Shop. Die dort vertriebenen Produkte haben ein Bio-Zertifikat. Deshalb kaufe ich dort aufgrund meiner Erfahrung z.B. Trauben-Kernöl. Ich will aber kein Risiko eingehen, Sojaöl und Erdnussöl übers Internet zu bestellen, weil genmanipulierte Sojabohnen oder Erdnüsse eingesetzt werden könnten [...]. So sind die Lebensmittel in meiner Familie fast zu 90 Prozent ökologisch […].“ (BK001YM)

Frau Z. ist Redakteurin und arbeitet in einem Umweltverlag.

„Ich kaufe über das Internet ein, wie z.B. bei COFCO.com und JD.com. Vor allem JD.com bietet von elektronischen Produkten bis hin zu Lebensmitteln alles an. Die bestellten Waren werden direkt an die Tür geliefert. Wenn Kunden mit den Waren unzufrieden sind, können sie sie einfach zurückgeben. JD.com41 hat eine eigene Logistik eingerichtet und wirbt mit dem niedrigsten Preis im E-Business. Die Umsätze waren 12,5 Milliarden Yuan (2010) und 25 Milliarden Yuan (2011)[...].“ (BK021ZHW)

Es ist erkennbar, dass die Interviewten wegen des günstigen Preises einerseits und der besseren Qualität in Bezug auf regionale Spezialitäten wie Getreide, Speiseöl oder Trockenfrüchte andererseits über das Internet einkaufen wollen. Aufgrund der Lebensmittelskandale der vergangenen Jahre wird der direkte Kontakt zwischen Lieferanten und Konsumenten zum Aufbau des Vertrauens immer wieder als

41 Es ist zweite größte Internethandel

108 positives Merkmal hervorgehoben. Aus diesem Anlass gibt es die direkte Vermarktung bzw. den Ökobauern-Wochenmarkt. Inzwischen wird der Direktverkauf bzw. -kauf immer beliebter.

Ökobauern-Markt

Der Ökobauern-Markt ist relativ neu in China. Bisher findet man solche Wochenmärkte fast nur in Metropolen am Samstag oder Sonntag, wie in Beijing und Shanghai. Als die Studie durchgeführt wurde, gab es in Fujian noch keinen solchen Markt. In Beijing fand zum ersten Mal im Jahre 2010 ein Ökofarmer-Wochenmarkt statt. Er wurde von folgenden Personen ins Leben gerufen: einer aus den USA zurückgekehrten Chinesin, einem japanischen Ehepaar, einem Amerikaner.

Am Anfang fand der Farmer-Wochenmarkt wegen Mangels an Teilnehmern, sowohl Lieferanten als auch an Konsumenten, nur unregelmäßig statt. Zudem mussten Termine öfter verschoben werden, weil kein entsprechender Raum zur Verfügung stand.

Seit 2012 findet dieser Markt regelmäßig statt. Auf diesem Ökofarmer-Markt bieten Unternehmen am Wochenende ihre Öko-Produkte an: Nahrungsmittel wie Gemüse (meist aus der Überschuss-produktion), Getreide, Fleischprodukte, aber auch Schönheitsprodukte wie handgemachte ökologisch abbaubare Seifen und Öko-Cremes. In der Regel dürfen die Produzenten für ihre Produkte nur mit dem Etikett

„natürlich“ oder „ökologisch“ werben, falls sie kein Bio-Zertifikat haben.

Alle Interessenten an diesem Öko-Farmer-Wochenmarkt informieren sich über den Termin und den Ort sowie über die teilnehmenden Produzenten per Internet, durch sog. Blogs http://blog.sina.com.cn/farmersmarketbj.

Für viele Interviewte in Beijing gilt der Öko-Farmer-Wochenmarkt als eine Ergänzungsquelle ihrer Nahrungsmittelkäufe. Herr Y. arbeitet seit Jahren allein als Wanderarbeiter in Beijing. Seine Eltern und Verwandten leben noch auf dem Lande.

Sein Getreide beschafft er sich durch seine Eltern, durch den Freundeskreis oder auch durch den Öko-Farmer-Wochenmarkt. Die Eier besorgt er bei einem neueröffneten Öko-Laden in einer benachbarten Wohnsiedlung.

109 Der Hochschullehrer Herr X. ist einer von ganz wenigen Interviewten, der die Nahrungsmittel für seine Familie grundsätzlich auf dem Wochenmarkt besorgt.

„Unsere Nahrungsmittel sind zu 90 Prozent ökologisch. Ich glaube nicht, dass alle Bio-Zertifikate auf den chinesischen Märkten echt sind. Daher kaufe ich die Nahrungsmittel möglichst direkt von einer bäuerlichen Familie oder auf dem Farmer-Wochenmarkt. Über 6 Jahre schon gehe ich nicht mehr zu den Anbietern des Straßenhandels. Seit zwei Jahren gehe ich auch kaum noch zum Supermarkt. Wenn ich doch hingehe, kaufe ich dort nur die Artikel, die keine Nahrungsmittel sind. Jetzt kaufe ich fast zu 90 Prozent Nahrungsmittel auf diesem Farmer-Wochenmarkt.

Manchmal bestelle ich auch über das Internet beim Bio/Öko-Shop wie Le Huo City oder ich kaufe direkt vom kleinen Ökohof auf dem Lande.

Ökologische Nahrungsmittel sind für uns sehr wichtig […].“ (BK015XM)

Im Interview betonte er noch, dass ihm der Ökofarmer-Wochenmarkt nicht nur wegen der frischen Biowaren gefällt, sondern auch wegen der harmonischen Beziehung von Händlern und Käufern untereinander.

„In Beijing ist die Beziehung zwischen den Menschen sehr angespannt. Auf der Straße sieht man sehr selten ein Lächeln auf den Gesichtern42 . Aber wenn man zum Wochenmarkt geht, fällt einem das Lächeln überall auf.

Die Stimmung ist sehr angenehm. Jetzt bin ich von diesem Wochenmarkt sehr abhängig. Wenn dieser eine Woche Pause macht, frage ich, warum er eine Woche pausieren musste. Ich gehe fast jede Woche hin, wenn dieser stattfindet[…].“(BK015XM)

Im Chinesischen gibt es eine Redewendung: „

民以食为天

“—„Für die Bevölkerung steht das Essen an erster Stelle“—wörtlich zu Deutsch: "Dem Volk ist das Essen der Himmel.“ Nicht nur für Herrn X., sondern für viele der Interviewten sind ökologische Nahrungsmittel sehr wichtig. Ob sie mehr Nährwert enthalten, spielt bislang noch eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger ist, dass die Nahrungsmittel in erster Linie pestizidfrei und schadstofffrei produziert werden.

42 Der Lebensdruck ist in Metropolen wie Beijing sehr hoch

110

Direktkauf von der Öko-Farm: CSA-Modell

Wegen des Misstrauens gegenüber der konventionellen Lebensmittelqualität streben immer mehr Interviewte danach, ihre Nahrungsmittel auf dem kürzesten Weg von der Produktion bis zum Teller zu erhalten. Die Öko-Farm wird von den Interviewten als die häufigste und am stärksten bevorzugte Quelle der Belieferung genannt, vor allem bezüglich des Gemüses, der Eier und des Getreides.

Für die Interviewten sind zwei Möglichkeiten gegeben ihre Nahrungsmittel unmittelbar von der Öko-Farm zu besorgen: entweder mittels direkter Lieferung durch die Öko-Farm oder durch Eigenproduktion auf dem Feld. Dies wird im Folgenden näher erläutert: