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Ernährungswende: vegetarisch orientiertes Ernährungsverhalten

Kapitel 3 Empirische Untersuchungsfragen, Methodik und Befunde

A. Eine Gemeinschaft von Erzeugern und Verbrauchern

B.3) Wandel von Selbstversorger zum Anbieter

3.3.2.5 Ernährungswende: vegetarisch orientiertes Ernährungsverhalten

Aus den vorgestellten empirischen Ergebnissen meiner Befragung ergibt sich, dass Sicherheit und Gesundheit die fundamentalen Motive des Öko-Konsums sind. Zudem weist meine Studie auch auf eine prinzipiell gesundheitsorientierte Ernährungsweise hin. 72,6 Prozent der Befragten haben ihre Ernährungsweise auf einen vegetarisch orientierten Ernährungsstil umgestellt: Genauer gesagt geben 35,6 Prozent der Befragten an, Vegetarier zu sein, und 33,3 Prozent sagen, dass sie öfter auf Fleisch verzichten. 31,1 Prozent essen zwar Fleisch, aber deutlich weniger als früher, und wenn sie es essen, dann nur Ökofleisch.

Die folgenden beiden Abbildungen zeigen, wie sich die Ernährungsweise unter den befragten Gruppen in beiden Erhebungsorten verteilt.

In der Studie in Beijing stammen die meisten Vegetarier aus der Interviewgruppe der Ökolieferanten, gefolgt von den Öko-Konsumenten und den Nicht-Öko-Konsumenten. In Bezug auf den Konsum von Ökofleisch sind die Befragten aus der Gruppe der Öko-Konsumenten deutlich zahlreicher als die aus der Gruppe der NGOs. Die Interviewten aus der Gruppe der Ökolieferanten und der Umwelt-NGOs stehen parallel an erster Stelle hinsichtlich des Konsums von weniger Fleisch und mehr Gemüse (siehe folgende Abbildung).

135 Abbildung 28: Verteilung der neuen Ernährungsweise in der Studie in Beijing

Quelle: Eigene Darstellung

Demgegenüber sind Vegetarier in Fujian in erster Linie in der Gruppe der Öko-Konsumenten zu finden, gefolgt von der Gruppe der Ökolieferanten. Es fällt auf, dass in beiden Erhebungsorten kein Vegetarier aus der Gruppe der Umwelt-NGOs kommt.

Abbildung 29: Verteilung der neuen Ernährungsweise in der Studie in Fujian

Quelle: Eigene Darstellung

Vor diesem Hintergrund wird nun näher darauf eingegangen, wie die Interviewten ihre vegetarisch orientierte Ernährungsumstellung begründen. Die Interpretation bezieht sich auf die vegetarische und die fleischarme Ernährung. Hierbei wird zuerst

136 die vegetarische Ernährung bezüglich der Aspekte von Gesundheit, Religion und seelischem Bedarf vorgestellt.

Vegetarische Ernährung: Gesundheit

Frau K. ist die einzige Befragte in der Studie in Beijing, die sowohl selbst Vegetarierin ist, als auch ihr Kind mit vegetarischen Nahrungsmitteln ernährt.

„Im Herbst 2009 begann ich mich vegetarisch zu ernähren, weil ich vegetarische Ernährung gesund finde. Ich bin erst Vegetarierin geworden, nun lebe ich nach der buddhistischen Lehre. Mein Vater ist bereits sehr lange ein Vegetarier. Es könnte mit der Erziehung zu tun haben, weil die Hälfte der Verwandten väterlicherseits Vegetarier sind. Meine Mutter isst jedoch Fleisch [...].

Bis jetzt ist es innerhalb der Familie „umstritten“, ob meine Tochter vegetarisch ernährt werden soll. Ich entschied, dass die Nahrungsmittel für meine Tochter vegetarisch sein müssen. Meine Mutter meint, dass das Kind Fleisch essen sollte. Obwohl mein Vater selber ein Vegetarier ist, ließ er sich von meiner Mutter überzeugen.

Meine Tochter hat mir einmal erzählt, dass meine Mutter ihr Fleisch zu essen gäbe. Ich habe meiner Tochter erklärt, dass das Fleisch aus dem Körper eines Tierchens kommt und sie ein vegetarisches Baby ist. Meine Tochter wurde aufgeregt und fragte neugierig, was passieren könnte, wenn Oma alle Tierchen aufgegessen hätte.

Sie besucht jetzt einen Waldorfkindergarten, dort bekommen alle Kinder nur vegetarisches Essen […].“ (BK031ZHW).

Frau K. ist fest von der Gesundheitsförderlichkeit der vegetarischen Ernährung überzeugt, selbst wenn es Einwände zur Ernährungsweise ihres Kindes innerhalb der Familie gibt. Dabei haben die Waldorfkindergärten und der Buddhismus ihre Umstellung auf fleischlose Ernährung gefördert. Aus der weiteren empirischen Analyse ergibt sich, dass religiöse Gründe — nicht nur der Buddhismus — eine vegetarische Ernährung motivieren können.

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Vegetarische Ernährung: Religion

Nach traditionellen buddhistischen und taoistischen Regeln ist der Fleischverzehr verboten. Zwar leben die Interviewten, die sich als religiös bezeichnen, nicht in einem Tempel, aber sie befolgen zu Hause möglichst genau die strengen religiösen Regeln. Herr J. ist Besitzer eines Ökohofs:

„Ich bin deshalb Vegetarier, weil der Buddhismus den Verzicht von Fleischkonsum fordert. Allerdings ist das gegenwärtige Fleisch wirklich nicht gesund […].“ (BL014JM).

In China ist ein vegetarischer Ernährungsstil nicht nur Merkmal des Buddhismus. Er kann auch für das Christentum bedeutsam sein. Dies lässt sich am Beispiel von Frau C. verdeutlichen.

In den 1980er Jahren wurde Frau C. in einer bäuerlichen Familie in Südchina geboren.

Nach ihrem Studium arbeitete sie in einer IT-Firma. Seit 2011 hat sie einen Vertrag mit einer lokalen Öko-Farm abgeschlossen und bekommt regelmäßige Ökokisten:

„Ich bin gläubige Christin. 2007 wurde meine Mutter Katholikin. Ich habe 2009 angefangen, die Bibel zu lesen. 2010 wurde ich getauft. Beim Gottesdienst wird die Anregung gegeben, sich vegetarisch zu ernähren. Ein Priester in der Kirche hat uns erklärt, dass diejenigen, die Fleisch essen, jähzornig und emotional sind. Die Vegetarier sind ruhig und vernünftig […].“ (FK016CW).

Die Interviewten in Beijing sind stark durch den Buddhismus geprägt. In Fujian ist das Christentum von größerer Bedeutung (siehe auch Abbildung 18). Meinem Interview zufolge gibt es aber auch noch andere Konsumenten, die aus höheren, seelischen Motiven auf Fleisch verzichten.

Vegetarische Ernährung: seelischer Bedarf

Frau Z. hat mit ihrem Vater einen Ökohof eingerichtet. Sie hat mit 12 Jahren bereits angefangen, an die christliche Lehre zu glauben. Sie ist seit vielen Jahren Vegetarierin:

„Ich interessiere mich für das Zeichnen, die Musik, das Schreiben und die Handarbeit […]. Wenn ich fettige Speisen gegessen habe, fühle ich mich

138 wie eine Blinde. Ich kann die Schönheit der Natur nicht mehr sehen. Es fehlt mir auch die Eingebung. Wenn ich (ökologisches Gemüse) gegessen habe, fallen mir all die schönen Dinge auf. Als ich in die Kantine kam, fühlte ich mich wie vom Himmel auf den Boden gestürzt […].“ (FL012ZW).

Herr H. ist Händler und erläutert, was ihn dazu veranlasste, Vegetarier zu werden.

„Ich bin Vegetarier. Im Jahr 1991, als ich gerade mit dem Studium angefangen hatte, interessierte ich mich für die Lehre der Eingebung.

Konfuzius hatte gesagt, dass Vegetarier klug seien. Vegetarisches Essen kann den Geist reinigen und auch Gefäßverschluss vermeiden. Der Aspekt der geistlichen Reinheit bewog mich dazu, Vegetarier zu werden. In der Zeit gab es noch einige Freunde, die sich auch dafür interessierten. Wir haben zusammen angefangen, uns vegetarisch zu ernähren […].“

(XK008HM).

Außer den oben angeführten Gründen werden noch andere Argumente für eine fleischfreie Ernährung von anderen Interviewten erwähnt, z.B. Unverträglichkeit von Fleisch, überzeugende Argumente der Waldorfkindergärten, die Behauptung, Fleisch schmecke gar nicht, oder die Meinung, dass Fleischkonsum zu Fettleibigkeit führen würde. Ethische Gründe werden vor allem von den Ökolieferanten betont. Insgesamt hat der ökologische Aspekt bei Vegetariern eine geringe Bedeutung.

Nach der Darstellung der Begründung für die vegetarische Ernährung wird anschließend auf einen Teilbereich der „Ernährungswende“ eingegangen, nämlich die Reduktion des Fleischkonsums. Argumente dafür sind der allgemeine Naturschutz, die Umstände konventioneller Fleischproduktion und die mangelnde Verfügbarkeit des Ökofleisches.

Weniger Fleisch: Naturschutz

In meiner Studie haben ein Drittel der Befragten aus der Gruppe der Umwelt-NGOs schon immer wenig Fleisch und überwiegend vegetarische Speisen verzehrt. Das zweite Drittel der Interviewten befindet sich in der Gruppe der Ökolieferanten und das restliche Drittel in der Gruppe der Öko-Konsumenten.

139 Herr H. ist in einer bäuerlichen Familie in Südchina aufgewachsen. Seit 1998 pendelt er zwischen seinem Heimatdorf und dem Stadtleben in Xiamen hin und her. Er hatte dort einige Jahre gearbeitet und kehrte wieder nach Hause zurück. Einige Jahre später kam er wieder nach Xiamen. Jetzt arbeitet er bei einer (Umwelt-)NGO in Xiamen. Ihre Zielgruppe sind die Wanderarbeiter. Sie bieten vielfältige Beratungsleistungen an, sowohl um die Wanderarbeiter leichter in das Städteleben zu integrieren, als auch um ihre individuelle Entwicklung zu unterstützen. Herr H., der im Monat ca. 300 Euro verdient, hat sich mit dem Thema ökologische Landwirtschaft bei dieser NGO beschäftigt. Er bekommt die Lebensmittel für seine Familie meist von seinen auf dem Land lebenden Eltern.

„In unserer Familie wird das Essen mit wenig Fett, Salz und Zucker gekocht.

Wir essen sehr wenig Fleisch. Ich habe mehre Freunde, die Vegetarier sind.

Seit 2009 habe ich aus ökologischen Überlegungen wie dem Umweltschutz auch immer weniger Fleisch konsumiert […].“(XE002HM)

Zwar liegt das Einkommen von Herrn H. unter dem Durchschnitt der städtischen Bevölkerung in Xiamen, er hat seine Ernährungsweise aber trotzdem bewusst auf

„naturfreundliche“ Speisen umgestellt. Anders als bei Herrn H. ist die eigene Gesundheit bei vielen Interviewpartnern das primäre Motiv für die Ernährungsumstellung.

Weniger Fleisch: ungesunde konventionelle Fleischproduktion

Frau J. ist Doktorandin an der Universität Xiamen. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Philosophie der traditionellen chinesischen Medizin. Sie hat ihre Ernährungsumstellung folgendermaßen erläutert:

„Ich esse kaum tierische Produkte, da es zu viele potenzielle Bedrohungen für das gesunde Leben gibt. Ich habe einen guten Freund. Seine Eltern bewirtschaften eine Farm mit Hühnerzucht. Von ihm habe ich erfahren, dass ein Huhn nur 32 Tage braucht, bis es auf dem Markt als Fleischprodukt verkauft wird. Den Hühnern werden in verschieden Phasen Antibiotika gegeben. Es gab mehrere Lebensmittelskandale, wie altes Öl in der Nahrung, genmanipuliertes Soja […]. Mein aktueller

140 Gesundheitszustand ist auch nicht gut, da mein Augendruck zu hoch ist. Es ist schrecklich, wenn es immer so läuft. Ich esse sehr selten Fleisch oder Fischprodukte. Ab 2009 habe ich angefangen, mich mit mehr Gemüse zu ernähren [...].“(XK021JW)

Die industrielle Fleischproduktion und wiederkehrende negative Medienberichte haben wesentlich dazu beigetragen, dass die hier interviewten Konsumenten freiwillig den Fleischkonsum reduzieren und Ökofleisch statt konventionellem Fleisch bevorzugen.

Weniger Fleisch, aber ökologisch produziertes

Frau X. ist in den 1970er Jahren auf dem Land geboren. In ihrer Jugend ist sie mit ihren Eltern nach Beijing gezogen. Nach ihrem Studium war sie Lehrerin an einer Schule. Vor einigen Jahren hat sie freiwillig ihre Arbeit gekündigt. Ihr Mann ernährt die ganze Familie und sie kümmert sich um ihren Sohn. Im laufenden Interview hat sie immer wieder betont, dass sie persönlich gerne Fleisch isst. Ihre Familie verzichtet jedoch darauf, konventionell hergestelltes Fleisch zu verzehren.

„Jetzt essen wir zu 99 Prozent zu Hause. Ich kann auf die Herkunft und die Verarbeitung des Essens im Restaurant einfach nicht vertrauen. 2007 und 2008 wurden mehrere Skandale in Bezug auf Milch, Schweine-, Rind- und Lammfleisch durch die Medien bekannt. Dann habe ich mit der Suche nach ökologisch produziertem Fleisch begonnen […].“ (BKX025W)

Obwohl die vegetarisch orientierte Ernährungsumstellung durch vielfältige Aspekte begründet ist, dominiert das Misstrauen gegen die konventionelle Fleischqualität.

Dahinter verbergen sich das Streben nach Sicherheit und das Vermeiden bzw. die Reduktion des Gesundheitsrisikos. Überdies kann ökologisches Fleisch zum einen aufgrund des Herstellungsaufwands nicht massiv produziert bzw. auf dem Markt angeboten werden. Zum anderen ist Ökofleisch jedoch etwa zehnmal teurer als konventionelles Fleisch, weshalb es sich nicht jeder leisten kann, es häufig zu kaufen.

Daher geben einige Interviewte in Fujian an, dass sie konventionelles Fleisch als Ergänzung kaufen, wenn das ökologische Fleisch nicht verfügbar ist.

141 Nach persönlicher Einschätzung eines von mir interviewten Chefs der Biolebensmittelkontrolle liegt der chinesische Bio-Lebensmittelmarkt derzeit noch unter einem Prozent des gesamten Lebensmittelmarkts, selbst wenn die Nachfrage nach ökologisch erzeugten Lebensmitteln seit 2000 kontinuierlich zunimmt. Die Lebensmittelskandale haben nicht bei allen Konsumenten nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Die Mehrheit kauft noch überwiegend konventionelle Lebensmittel.

Das folgende Kapitel wird der Frage nachgehen, wie die Konsumenten die Lebensmittelqualität in China wahrnehmen und inwiefern die Lebensmittelskandale einen Einfluss auf ihren Konsum ausgeübt haben.