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3. Usus Modernus Pandectarum und Naturrecht

3.2. Hugo Grotius

Das Naturrecht wird oft mit dem Erscheinungsjahr des berühmten Werkes von Hugo Grotius „De jure belli ac pacis“ von 1625 gleichgesetzt. Hugo Grotius gilt als der Vorläufer der modernen Theorie über die Verträge zugunsten Dritter. 77 Grotius gelang der Durchbruch zur Anerkennung der vertraglichen Drittbegünstigung. 78 In seinem bekannten Werk „De jure belli ac pacis“ legte Grotius dar, dass alleine durch Parteieneinigung eine vertragliche und klagbare Verbindlichkeit entsteht und eine Drittbegünstigung durch Akzeptation des Dritten zulässig ist. 79 Dadurch entfernte sich die neue, auf die natürliche Vernunft gestützte Vertragsordnung vom Corpus Iuris und dessen Kontraktsystem. Der Konsens der Parteien stellte nun den natürlichen Geltungsgrund für eine vertragliche Verbindlichkeit dar. Die Folge war die Verabschiedung des der ratio naturalis widersprechenden Grundsatzes alteri stipulari nemo potest.

Der Dritte konnte somit durch eine vertragliche Vereinbarung begünstigt werden. Grotius stellte Überlegungen an, unter welchen Voraussetzungen der Promissar und der begünstigte Dritte die Leistung vom Promittenten fordern konnten.

Daraus bildeten sich drei Fallgruppen. 80 Hugo Grotius gelang die Unterscheidung zwischen direkter Stellvertretung und Vertrag zugunsten Dritter.81

3.2.1. Annahme eines Versprechens im eigenen Namen für einen Anderen

Wurde das Versprechen im eigenen Namen für einen Anderen angenommen, erwarb der Annehmende das Forderungsrecht, das an den Dritten geleistet wurde. Es kam zu einer obligatorischen Verpflichtung zwischen dem Promissar und dem Promittenten. Keine Bedeutung wurde mehr dem Interesse des Promissars beigemessen. Er konnte ohne jegliche Beschränkung das Versprechen annehmen.

77 Vgl. Wesenberg, Verträge 114.

78 Vgl. Bayer, Vertrag 37.

79 Vgl. Parapatits, Vertrag 9 f.

80 Vgl. Bayer, Vertrag 37 f.

81 Vgl. Müller, Entwicklung 128.

Der Dritte erwarb jedoch nur ein unmittelbares Recht gegen den Promittenten, wenn er seine Zustimmung zum Vertrag erteilte. Für den Dritten war sein Konsens die Voraussetzung für den Rechtserwerb. Solange der Dritte seine Zustimmung nicht kundgetan hatte, trat ein Schwebezustand ein. Der Promissar konnte von dem Vertrag zurücktreten, dem Promittenten blieb es jedoch verwehrt sein Versprechen zu widerrufen, weil er an sein Wort gebunden war. Der Promissar konnte demnach, wenn die Zustimmung des Dritten fehlte, einseitig den Promittenten von seiner Verpflichtung befreien. Diese Konstruktion stellt eine beachtliche Annäherung an das Rechtsinstitut des Vertrags zugunsten Dritter dar.

Gareis sah in dem Dritten nach der Lehre von Grotius einen Rechtsparasit, der über kein eigenes Recht verfügt, sondern nur als Leistungsempfänger bezeichnet werden kann. Die Annahmeerklärung des Dritten nach Grotius wäre aber ohne Sinn, hätte er dem Dritten nicht ein Recht zugedacht. Außerdem würde die Lehre von Grotius über die Widerruflichkeit im Schwebezustand die Bedeutung verlieren.

Wesenberg sah die Lehre von Grotius als verfehlt für den Vertrag zugunsten Dritter. Da der Dritte seine Zustimmung und sein Einverständniszum Vertrag kundtun musste, erwarb der Dritte das Recht, laut Wesenberg, aus seinem eigenen Rechtsgeschäft. Es handelte sich demnach um einen Fall der Vertretung ohne Vertretungsmacht. Wesenberg hatte hierbei jedoch übersehen, dass der Versprechensempfänger im eigenen Namen handelte. Die Vertretung ohne Vertretungsmacht bedarf jedoch der Annahme eines Versprechens im fremden Namen. 82

Nach Bayer führte die Zustimmung des Dritten zum Vertrag nicht dazu, dass dieser selbst forderungsberechtigt war. Die Zustimmung des Dritten sah Bayer als Voraussetzung an, damit der Promissar vom Promittenten die Leistung überhaupt fordern konnte. 83

82 Vgl. Müller, Entwicklung 128 f.

83 Vgl. Bayer, Vertrag 39.

3.2.2. Annahme eines Versprechens im fremden Namen

Wurde das Versprechen im fremden Namen angenommen, benötigte der Annehmende einen diesbezüglichen Auftrag. Abweichend vom römischen Recht war nicht mehr entscheidend, ob der Annehmende ein extraneus oder ein Gewaltunterworfener war. Die Vertragsbeziehung erstreckte sich durch den Annehmenden unmittelbar auf den begünstigten Dritten, also den Auftraggeber. Der Auftrag und der damit einhergehende Konsens des Dritten genügten nach Grotius, dass der Dritte unmittelbar das Recht erwarb. Grotius kam damit der Rechtsfigur der direkten Stellvertretung sehr nahe. 84

3.2.3. Vertretung ohne Vertretungsmacht

Fehlte ein Auftrag des Vertretenen und hatte der Promittent dennoch ein Versprechen an den Dritten gerichtet und der Promissar das Versprechen angenommen, trat ein Schwebezustand ein. Weder der Promittent noch der Promissar konnte vom Vertrag zurücktreten, da der Dritte noch keinen Gebrauch von seinem Gestaltungsrecht machte. Der Dritte konnte jedoch den vom vollmachtslosen Vertreter geschlossenen Vertrag genehmigen. Dadurch erwirkte er einen unmittelbaren Forderungserwerb. 85

3.2.4. Bedeutung der juristischen Leistung von Grotius

Der Verdienst von Hugo Grotius war es, dass der unechte Vertrag zugunsten Dritter ohne Vorbehalte anerkannt wurde. Nunmehr war es aber auch möglich, dass der Dritte ein unmittelbares Forderungsrecht, vorausgesetzt er stimmte dem Vertrag zu und der Vertragsinhalt ermöglichte dies, erwarb. Grotius hatte auf das besondere Eigeninteresse des Promissars verzichtet, womit er sich von der Regel alteri stipulari nemo potest entfernte. Grotius arbeitete erstmals die begriffliche Unterscheidung zwischen dem Vertrag zugunsten Dritter und der direkten Stellvertretung heraus.

84 Vgl. Müller, Entwicklung 130 f.

85 Vgl. Müller, Entwicklung 131 f.

Seine Untersuchungen hatten Einfluss auf die gesamte Naturrechtsperiode und wurden vom Usus Modernus Pandectarum übernommen. Teile seiner damals neuen und fortschrittlichen Gedankengänge leben heute noch in gültigen Gesetzen fort. Die nach Grotius nachfolgenden naturrechtlichen Juristen waren voll und ganz damit beschäftigt die Lehre von Grotius auf ihre Richtigkeit und Stichhaltigkeit zu überprüfen.86