4. M OLEKULARE E RKENNUNG IN DER KLEINEN F URCHE
4.1 Hintergründe und Evolution
Für kleine Moleküle sind verschiedene Möglichkeiten der DNA‐Erkennung bekannt[49]:
• Interkalation zwischen Nukleobasen‐Paaren
• Bildung von Tripel‐Helices in der großen Furche
• sogenannte Zinkfinger‐Proteine, die ebenso in der großen Furche binden
• Bildung von Komplexen in der kleinen Furche mit kleinen Molekülen wie Netropsin und Distamycin (gilt nur für die B‐Form der DNA)
Hier soll nur das letzte Gebiet näher beleuchtet werden, auf dem vor allem in der Arbeitsgruppe von Peter B. Dervan intensiv geforscht wird.
4.1 Hintergründe und Evolution
Schon vor längerer Zeit hat man bei Naturstoffen wie Netropsin 41 und Distamycin 42 eine besondere Präferenz für A,T‐reiche DNA‐Sequenzen festgestellt. Besonders interessant sind die beiden Moleküle, und vor allem Distamycin, weil sie u. a. durch Transkriptions‐
Inhibierung vielfältige Wirkungen entfalten: sie wirken gegen Bakterien, Malaria, Pilze und Viren, wobei sie leider durch ihre hohe Toxizität nur von beschränktem Nutzen sind.
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Abbildung 4‐1: Die Naturstoffe Netropsin 41 und Distamycin 42 sind die Basis der Arbeiten von P. B. Dervan zur Darstellung sequenzselektiver Polyamide.
28 4. MOLEKULARE ERKENNUNG IN DER KLEINEN FURCHE
Das erste Molekül, welches detailliert charakterisiert wurde, war das Netropsin. NMR‐
Experimente zeigten direkte Wechselwirkungen zwischen Protonen auf der konkaven Molekülseite mit den Adenosin‐Bausteinen der DNA[50,51].
Abbildung 4‐2: Schematische Darstellung des Komplexes von Netropsin mit der DNA‐Sequenz AATT. Die Kreise mit den Punkten repräsentieren freie Elektronenpaare am N3 der Purine und am O2 der Pyrimidine (entnommen aus [51]).
Diese Erkenntnis wurde durch eine Kristallstruktur von Netropsin mit einem Tetramer der Sequenz AATT bestätigt[52].
Das Distamycin stellt eine homologe Verbindung zu Netropsin dar. Der Unterschied liegt in der Anwesenheit eines dritten Pyrrol‐Ringes und der Abwesenheit einer zweiten Amidin‐
Funktionalität. Die Bindungsaffinität ist jedoch annähernd dieselbe. Auch für das Distamycin hat man eine Röntgenstruktur aufklären können[53].
Man hat Untersuchungen an Distamycin durchgeführt, welche zu einem Komplex von Distamycin mit einem DNA‐Duplex führten, der die Tetramer‐Sequenz AATT enthält[54,55]. Man variierte dann die DNA‐Sequenz und erhielt ein erstaunliches Ergebnis: Mit dem Penta‐
mer AAATT bildete Distamycin einen 2:1‐Komplex. Dies wurde dann von D. E. Wemmer durch NOE‐NMR‐Experimente weiter untersucht. Man kam zu der Erkenntnis, dass sich bei kleinen Konzentrationen 1:1‐Komplexe bilden, sich aber bei höheren Konzentrationen 2:1‐
Komplexe bilden, bei denen zwei Distamycin‐Moleküle antiparallel nebeneinander in der kleinen Furche gebunden sind[56], was zu einer Aufweitung der kleinen Furche um 3,5 bis 4 Å führt[57].
Bei Studien an der Sequenz ATATA fand man heraus, dass sich 2:1‐Komplexe schon bei kleinen Konzentrationen von Distamycin bilden. Man schätzte, dass die Bindungskonstante des zweiten Distamycins etwa 100fach höher liegen musste als die des ersten. Die Sequenz AAAAA bildete erst 2:1‐Komplexe, nachdem jede Helix einfach mit Distamycin komplexiert war[58].
Abbildung 4‐3: 1:1‐Komplex von Distamycin A und DNA (links) und zum Vergleich der 2:1‐Komplex (rechts).
Man erkennt rechts deutlich eine Aufweitung der kleinen Furche (entnommen aus [57]).
Mit Netropsin beobachtete man keine 2:1‐Komplexe, was durch die beiden positiv geladenen Enden des Moleküls erklärt wird: befänden sich 2 Netropsin‐Moleküle in der kleinen Furche, wären die positiven Ladungen sowohl bei paralleler als auch bei anti‐
paralleler Orientierung benachbart, was zu elektrostatischer Abstoßung führt.
Abbildung 4‐4: Distamycin‐Derivat mit Imidazol‐Einheiten gebunden an das Pentamer TGTCA.
Mit diesen Erkenntnissen kam natürlich die Frage auf, wie man die Sequenzerkennung auf die anderen Nukleobasen ausweiten könnte. Die Gruppen von Dickerson[59] und Lown[60]
schlugen vor, Pyrrol‐Einheiten (Py) durch Imidazol‐Einheiten (Im) zu ersetzen, um auch an C‐
G‐Paare binden zu können[61].
30 4. MOLEKULARE ERKENNUNG IN DER KLEINEN FURCHE
Die Gruppe von P. B. Dervan führte Affinitätsspaltungs‐ und Footprinting‐Experimente mit Distamycin‐Derivaten durch[51] um so die Affinitäten der Verbindungen zu bestimmen.
Weitere Studien führten zu dem Ergebnis, dass man mit dem Py/Im‐Paar C‐G, mit dem Im/Py‐Paar G‐C erkennen kann.
Um nun eine DNA wirklich sequenzspezifisch auslesen zu können, musste man noch A‐T von T‐A unterscheiden können. Wieder war es die Gruppe von Dervan, die Modifikationen an den Heterozyklen vornahm und letztendlich Hydroxypyrrol einsetzte, um in Kombination mit Pyrrol A‐T von T‐A unterscheiden zu können[62,63].
Mit diesen Heterozyklen hat man nun ein Repertoire, mit dem man Polyamide so herstellen kann, dass sie an vorgegebene DNA‐Sequenzen binden. Die Affinität und Spezifität ist hierbei mit DNA‐bindenden Proteinen vergleichbar[64].
Abbildung 4‐5: Links ein Polyamid, welches jede der 4 möglichen Basenpaare erkennen kann (Donor‐Akzeptor‐
Wechselwirkungen sind gestrichelt eingezeichnet); rechts sind freie Elektronenpaare und Wasserstoffbrücken‐
Donoren der einzelnen Nukleobasen gezeigt (entnommen aus [63]).
Zusammengefasst hat man die folgenden Korrelationen herausgefunden:
Tabelle 4‐1: Übersicht über die jeweiligen Heterozyklen‐Paare und deren Bindungspräferenz (+ = begünstigt, ‐ = ungünstig)
G‐C C‐G T‐A A‐T
Im/Py + – – –
Py/Im – + – –
Hp/Py – – + –
Py/Hp – – – +
Aus der Erkenntnis, dass distamycinartige Amide 2:1‐Komplexe mit DNA‐Duplexen bilden, entstand die Idee, 2 Moleküle aneinander zu kuppeln. Dervan´s Gruppe hat diese Arbeiten erfolgreich durchgeführt[65,66] und verwendet nun GABA‐Linker, um die Amid‐Stränge zum Polyamid zu verbinden, weil der GABA‐Linker für die Bildung einer Hairpin‐Struktur in der minor groove die optimale Länge aufweist. Diese Modifikation hat zu einer weiteren Erhöhung der Affinität um ca. das 100fache geführt.
Abbildung 4‐6: Im‐Py‐Py‐γ‐Py‐Py‐Py‐β‐Dp‐Polyamid, welches an die Sequenz 5´‐TGTTA‐3´ bindet.
Ein Nebeneffekt dieses GABA‐Linkers ist die Selektivität für A/T‐Basenpaare, die durch sterische Repulsion mit der exozyklischen Amino‐Funktion von Guanin erklärt wird[67].
Solche Hairpin‐Polyamide haben genauso wie zwei einzelne antiparallel gebundene Ver‐
bindungen eine N→C‐ Orientierung in Bezug auf die 5´→3´‐Richtung der DNA.
Diese Chemie wurde immer weiter entwickelt; so hat die Gruppe um P. Dervan etwa den GABA‐Linker mit einer zweiten Amino‐Funktion versehen, um noch andere Moleküle – wie etwa ein zweites Hairpin‐Polyamid ‐ daran zu kuppeln. Daneben erhöht diese Amino‐Gruppe die Affinität des Polyamids zur DNA und gleichzeitig verhindert sie durch sterische Wechselwirkung eine falsche Orientierung in der minor groove, die bei einigen Molekülen beobachtet wurde[68,69].
Um diese Chemie auch für biologische Anwendungen attraktiv zu gestalten, muss die Bindungsstelle möglichst selten in der DNA vorkommen. Sie sollte daher nicht zu kurz sein.
Das von Dervan verwendete Standard‐Polyamid bindet mit den Beiträgen von GABA und β‐
Alanin aber nur an 6 Basenpaare. Die Erweiterung auf längere Bindungssequenzen ist zunächst durch Verlängerung der Polyamid‐Kette erforscht worden. So sind viele Distamycin‐
Derivate hergestellt worden, die 4, 5 oder gar 6 Pyrrol‐Einheiten enthielten. Man erkannte dabei, dass die Moleküle mit 4 oder 5 Pyrrol‐Einheiten besser, die mit 6 Pyrrolen jedoch
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schlechter an DNA binden. Die Ursache hierfür ist in der Krümmung des Polyamids zu suchen, welche ab 6 Pyrrol‐Einheiten nicht mehr mit der Krümmung der DNA in der kleinen Furche überein stimmt, was zu einer niedrigeren Affinität führt[70].
Man hat dann einige Pyrrol‐Einheiten durch das flexible β‐Alanin ersetzt und so 16 Basen‐
paare adressieren können[71]. Ein anderer Ansatz ist die Verbindung von 2 Hairpin‐Poly‐
amiden, womit die Erkennung auf 10 Basenpaare ausgeweitet werden konnte[72,73,74].
Diese und weitere Versuche[75] zur Steigerung der Affinität bzw. der Länge der Bindungs‐
sequenz sind in Abbildung 4‐7 in der von Dervan gebräuchlichen Kurzdarstellung aufgelistet.
c) Hairpin mit β‐Ala d) U‐Pin
4.0*109 4.4*108
e) H‐pin f) Homodimer
4.3*1010 1.4*1010
g) Tandem‐Hairpin: turn‐to‐turn h) Tandem‐Hairpin: turn‐to‐tail
7.5*1010 3.2*1010
Abbildung 4‐7: Die verschiedenen Polyamid‐Strukturen im Überblick: die schwarzen Kreise stehen für Imidazol, weiße Kreise für Pyrrol, Rauten für β‐Alanin, gebogene Linien bedeuten Linker (im Fall von d und e) über die Ring‐Stickstoffe verbrückt. Die Zahlen unter den Abbildungen sind die Ka in M‐1. Abbildungen und Werte entnommen aus [63].
Über dieses systematische Vorgehen[76] unter Einbeziehung von strukturbasiertem Liganden‐
design ist es Dervan gelungen, die bisher vielversprechendste Methode zu entwickeln, um doppelsträngige DNA sequenzspezifisch auszulesen.
4.2 Weiterführende Experimente
Das eigentliche Ziel von P. Dervan ist die Manipulation der Gen‐Expression unter Zuhilfenahme der Polyamide. Dabei sind sowohl die Unterdrückung als auch die Verstärkung der Transkription von Interesse. Die Polyamide sind auch von anderen Arbeitsgruppen aufge‐
griffen und für die eigenen Zwecke geeignet derivatisiert worden.
Abbildung 4‐8: Einflussnahme auf die Gen‐Expression: speziell designte Polyamide können die Transkription sowohl verhindern als auch verstärken. Beim oberen Pfeil werden natürliche Aktivatoren und TFs durch Polyamide verdrängt bzw. blockiert. Beim unteren Pfeil werden natürliche Aktivatoren durch künstliche Polyamid‐TFs ersetzt (entnommen aus [63]).
Die vielfältigen Einsatzgebiete sollen hier (in einer nicht vollständigen Übersicht) kurz darge‐
stellt werden. Eine vollständigere Übersicht ist in einem Review von P. Dervan zu finden[77,78].
4.2.1 Unterdrückung der Gen‐Expression
DNA‐bindende Proteine sind oft an der Regulation der Transkription beteiligt. Solche Proteine werden Transkriptionsfaktoren (TF) genannt und sind lohnende Ziele der Manipulation, weil es wesentlich weniger onkogene Transkriptionsfaktoren als onkogene Signaling‐Proteine gibt.