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Hilfe durch Schuldnerberatung

Im Dokument Lebenslagen im Land Bremen - 2021 (Seite 73-77)

PRIVATE VERSCHULDUNG IM LAND BREMEN

1.6 Private Verschuldung im Land Bremen

1.6.5 Hilfe durch Schuldnerberatung

Die ermittelte hohe Anzahl von Personen mit kritischen Verschuldungsanzeichen bildet prinzipiell ein erhöhtes Nachfragepotential für die Schuldnerberatung als einer klassischen Hilfeform bei akuten Finanzproblemen.

Schuldnerberatung verfolgt das Ziel, Betroffenen durch psychosoziale Unterstützung und fachliche Beratung zu einer individuellen Lösung ihrer Schuldenprobleme zu verhelfen. Zunächst wird eine (außergerichtliche) Einigung mit den Gläubigern über Forderungsverzicht, Tilgungsstreckung bzw. Ratenzahlungen angestrebt. Im Fall des Scheiterns erhöht die Einleitung des gerichtlichen Verbraucherinsolvenzverfahrens die Aussicht auf eine Restschuldbefreiung nach Ablauf einer sogenannten Wohlverhaltensphase93.

Dass diese Art von Hilfe nur von einem – gemessen am Nachfragepotenzial – geringen Anteil in Anspruch genommen wird, zeigt die nachfolgende Übersicht zur Anzahl der in der Stadtgemeinde Bremen in 2018 beratenen Schuldner:innen. Die Fälle verteilen sich auf verschiedene öffentlich finanzierte Angebotsformen in freigemeinnütziger Trägerschaft.

Allen überschuldeten Personen mit einem sozialgesetzlichen Leistungsanspruch nach dem SGB II oder dem SGB XII steht in Bremen der Zugang zu einer qualifizierten Schuldner- (und Insolvenz-) Beratungsstelle (ohne nennens-werte Wartezeiten) kostenfrei offen. Im Jahr 2019 kam diese Leistung 1.145, im Vorjahr 968 Personen zugute.

Zum 01.07.2012 wurde in der Stadtgemeinde Bremen darüber hinaus ein Angebot geschaffen, das sich speziell an Erwerbstätige in prekären Arbeitsverhältnissen und Empfänger:innen von Arbeitslosengeld I mit Verschuldungsproblemen richtet. Deren Einkommen reicht i. d. R. nicht aus94, um die Kosten für eine Schuld-nerberatung selbst aufzubringen, das o. g. Beratungsangebot bleibt ihnen aber aufgrund fehlender sozial-rechtlicher Anspruchsvoraussetzungen verwehrt. Es dabei zu belassen, wäre kontraproduktiv gewesen, da es gerade für diese Zielgruppe von besonderer Bedeutung ist, das Problem der Überschuldung als Vermittlungs-hemmnis und Mitauslöser von Arbeitslosigkeit frühzeitig anzugehen, um so den Eintritt oder die Verfestigung von Arbeitslosigkeit und einer Fürsorgeleistung erfordernden Lebenslage vorzubeugen. Unter dem Titel

„Präventive Schuldner- und Insolvenzberatung“ wurden deshalb bremische Beratungsstellen zusätzlich mit kommunalen Mitteln so ausgestattet, dass rund 600 Schuldner:innen unentgeltlich oder gegen eine geringe Einmalbeteiligung in die Beratung aufgenommen werden können und angesichts der enormen Nachfrage auch tatsächlich aufgenommen werden.

93 Nach aktuellem Insolvenzrecht hat der insolvente Verbraucher eine dreijährige Wohlverhaltensphase zu durchlaufen (neu seit 01.10.2020), während der er zum Beweis seiner Redlichkeit bestimmte Obliegenheitspflichten zu erfüllen hat. Insbesondere muss er sich um eine angemessene Beschäftigung bemühen und jegliches pfändbare Einkommen und Vermögen an einen Treuhänder abführen. Durch Änderung der Insolvenzordnung zum 01.07.2014 gelten verhält-nismäßig kurze und unterschiedliche Fristen für die Wohlverhaltensphase.

94 Betroffen sind insbesondere Beschäftigte im Niedriglohnsektor. Ihr monatliches Nettoeinkommen liegt selbst bei Vollzeitbeschäftigung nicht höher als 850 Euro bis 1.150 Euro, im Durchschnitt bei rund 990 Euro, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ermittelt hat (DIW, Wochenbericht 12/2012). Noch schlechter ist nach Aus-wertungen des Statistischen Bundesamtes die finanzielle Situation überschuldeter Personen, die Arbeitslosengeld I beziehen; ihnen stehen nur rund 700 Euro im Monat zur Verfügung.

Vor diesem Hintergrund ergibt sich für die Stadtgemeinde Bremen eine Zahl von rund 2.000 Personen, die 2019 eine Schuldnerberatung erhalten haben. Das sind etwa 3,2 Prozent, gemessen an dem oben ermittelten Potenzial überschuldeter oder überschuldungsgefährdeter Personen in der Stadtgemeinde Bremen von ca. 60.000 Personen.

Diese sehr niedrig erscheinende Quote darf jedoch nicht in dem Sinne missverstanden werden, dass die restlichen rd. 97 Prozent überschuldeter oder überschuldungsgefährdeter Personen „unversorgt“ sind. Zum einen sind in dieser Zahl die Schuldner:innen nicht erfasst, die statt Schuldnerberatungsstellen die Arbeitneh-merkammer, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und andere, nach dem Insolvenzrecht als geeignet anerkannte Institutionen oder Personen zu Rate gezogen haben.

Zum anderen ist davon auszugehen, dass viele Personen diesen Beratungsweg letztlich nicht gehen müssen.

Entweder weil sie ihre weniger gravierenden Schuldenprobleme selbst zu lösen imstande sind oder weil sie entsprechende Hilfe nicht oder noch nicht aufsuchen wollen. Fest steht, dass sich das (theoretische) Nachfra-gepotenzial nur sukzessive über Jahre hinweg in tatsächliche Nachfrage nach Schuldnerberatung verwandelt.

Dies ist abhängig vom individuellen Problemdruck sowie von der persönlichen Bereitschaft und der Fähigkeit, den durchaus aufwändigen, zeitintensiven und belastenden Schuldenbereinigungsprozess (einschließlich der

„Wohlverhaltensphase“) zu durchlaufen. Der Problemdruck wird sich bei einer überschuldeten Person mit einem Einkommen unterhalb der Pfändungsfreigrenze anders darstellen als bei einer, die sozusagen täglich Teile ihres Einkommens und Vermögens zur Befriedigung der Gläubigeransprüche zu Lasten der eigenen Lebensführung einsetzen muss – und dabei auch von existenziellen Risiken wie Wohnungs- oder Arbeitsplatz-verlust bedroht sein kann.

Allein diese Gründe zeigen: Eine auch nur halbwegs verlässliche Aussage bzw. Prognose darüber, welcher Anteil des Nachfragepotenzials pro Jahr tatsächlich realistisch ist und zur Nachfrage einer professionellen Schuldnerberatung führen könnte, ist – wenn überhaupt – nur schwer möglich. Erfahrungswerte dieser Art sind nicht bekannt.

Unabhängig davon kann es keine sinnvolle politische Strategie sein, die Lösung von Privatverschuldungspro-blemen in einer fortlaufenden Anpassung bzw. Steigerung der „Versorgungsquoten“ für überschuldete bzw.

überschuldungsgefährdete Personen zu suchen. Schuldnerberatung und Verbraucherinsolvenz sind „Repara-turwerkzeuge“ einer nachsorgenden Politik. Strategisch kommt es vielmehr darauf an, sich verfestigenden Verschuldungsspiralen und ausgeprägten Überschuldungstendenzen vorzubeugen und dabei an den Gründen der Überschuldung anzusetzen.

Tabelle 1.6.5-1

Hauptauslöser der Überschuldung im Jahr 2018

Hauptauslöser Schuldner unter 25 Jahren Schuldner ab 65 Jahren Alle beratenen Schuldner

Arbeitslosigkeit 19,1 8,6 20,0

Trennung, Scheidung, Tod des

Partners/ der Partnerin 4,1 14,4 13,1

Erkrankung, Sucht oder Unfall 10,9 15,3 15,8

Unwirtschaftliche

Haushaltsführung 26,8 8,4 12,9

Gescheiterte Selbstständigkeit 1,6 12,9 8,5

Längerfristiges

Niedrigeinkommen 11,7 11,7 8,3

Sonstiges 25,8 28,7 21,4

Anteil an beratenen Personen in % Quelle: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2019/05/PD19_199_635.html

Vor diesem Hintergrund sei auf die Hauptauslöser von Überschuldungsprozessen hingewiesen, die seit 2008 kontinuierlich vom Statistischen Bundesamt erhoben werden. Die Entwicklung zeigt, dass vorwiegend ökonomische Auslöser wie Arbeitslosigkeit (Anteil 2018: 20 %; Abweichung 2008/2018: -31 %) und geschei-terte Selbstständigkeit (Anteil 2018: 8 %; Abweichung 2008/2018: -13 %) zwar nach wie vor einen hohen Stellenwert einnehmen, langfristig jedoch an Bedeutung verloren haben. Zugleich hat sich die Bedeutung der Überschuldungsauslöser Erkrankung, Sucht, Unfall (Anteil 2018: 16 %; Abweichung 2008/2018: +44 %) sowie unwirtschaftliche Haushaltsführung (Anteil 2018: 13 %; Abweichung 2008/2018: +32 %) verstärkt. Daneben sind weiterhin die Auslöser Trennung, Scheidung, Tod des Partners / der Partnerin (Anteil 2018: 13,1 %) sowie längerfristiges Niedrigeinkommen (Anteil 2018: 8,3 %) wichtige Gründe für Überschuldungen.95

Folglich bildet eine aktive, Einkommen und Beschäftigung schaffende sowie sichernde Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik nach wie vor den wichtigsten Handlungsrahmen, um unmittelbare Präventionseffekte zu erzielen. Um durch Lerneffekte und Verhaltensänderungen – zumindest auf längere Sicht – Überschuldungs-prozessen vorzubeugen, bleiben daneben bildungspolitische Maßnahmen zur Förderung der Finanzkom-petenz wichtig. Weitere zentrale Ansatzpunkte sind verbraucherschutzpolitische Programme und Aktivitäten zur vorbeugenden Aufklärung über Risiken bei Finanzgeschäften und zur Durchsetzung von Regeln für eine verantwortungsvolle Kreditvergabe.

Ergebnisse

f Die Überschuldung bzw. Überschuldungsgefährdung von Privatpersonen ist ein Problem auf hohem Fallniveau geblieben.

f Beziehende von Transferleistungen (SGB II und SGB XII) erhalten in Bremen eine für sie kostenlose Schuldner- und Insolvenzberatung.

f Seit Mitte 2012 existiert die präventive Schuldnerberatung, ein Beratungsangebot für Erwerbs-tätige in prekären Arbeitsverhältnissen und ALG beziehende Personen. Das häufig nachgefragte Angebot ist in 2021 ausgeweitet worden, um mehr Personen beraten zu können und so den Transferleistungsbezug möglichst zu vermeiden.

f Zur weiteren Unterstützung von Transferleistungsbeziehenden wurde der Personenkreis, der eine Schuldnerberatung nach § 16a SGB II in Anspruch nehmen kann, ausgeweitet. Nunmehr kann diese beispielsweise auch von (Allein-)Erziehenden während der Elternzeit in Anspruch genommen werden können.

95 Creditreform, Schuldner-Atlas Deutschland 2018, S. 29. Dort folgen auf Platz zwei und drei mit 14,2 % und 12,7 %

„Trennung, Scheidung, Tod des Partners/der Partnerin“ und „Erkrankung, Sucht, Unfall“ als Überschuldungsaus-löser.

TRANSFERLEISTUNGEN

KAPITEL 1 | 1.7

1.7 Transferleistungen

Staatliche Transferleistungen dienen der Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung und sichern ganz oder teilweise den Lebensunterhalt der Menschen, die ihre Existenz nicht durch ausreichendes Einkommen/

Vermögen sicherstellen können. Zu den Leistungen im engeren Sinne96 zählen:

• Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II,97

• Leistung nach dem SGB XII98 und zwar als

• Hilfe zum Lebensunterhalt (3. Kapitel SGB XII),

• Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (4. Kapitel SGB XII),

• Hilfen in besonderen Lebenslagen (SGB XII, 5. bis 9. Kapitel)99,

• Leistungen nach dem AsylbLG100.

Transferleistungen gelten als überwundene Armut. Im Zusammenhang mit Armut und Armutsgefährdung geht es hier um relative Armut. Diese ist eine Bezugsgröße, bei der die Lebens- bzw. Einkommensverhältnisse in den betrachteten Gebieten in Relation zum Wohlstand der jeweiligen Gesellschaft gesetzt wird.101

Nachfolgend werden die Entwicklungen der existenzsichernden Transferleistungen (Arbeitslosengeld II und Sozialgeld, Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Leistungen nach dem AsylbLG) seit dem 2. Armuts- und Reichtumsbericht (2015) im Land Bremen sowie in den Stadt-gemeinden Bremen und Bremerhaven dargestellt.

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