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Zur Herausbildung des technologischen Paradigmas der Massenproduktion - Das Konzept der französischen Regulationstheorie

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Nationale Ebene

4 Zur Herausbildung des technologischen Paradigmas der Massenproduktion - Das Konzept der französischen Regulationstheorie

In den vorangegangenen Abschnitten wurde versucht, ausgewählte ökonomische Ansätze dahin­

gehend zu untersuchen, welchen Beitrag sie für die Analyse der Bedeutung der Technik im In­

dustrialisierungsprozeß der Entwicklungsländer zu leisten vermögen. A uf dieser Grundlage ließen sich einige analytische Kategorien formulieren, mit deren Hilfe im folgenden angestrebt werden soll, konkrete Erscheinungsformen des technischen Wandels in langfristiger historischer Perspektive zu analysieren und zu erklären. Der Begriff des technologischen Paradigmas wird in dieser Arbeit basierend auf den Ausführungen des vorangegangenen Abschnitt verwandt. Da­

mit stehen die Herausbildung und die internationale Durchsetzung oder genauer das Eindringen und die potentielle Durchsetzung eines technologischen Paradigmas in den Entwicklungsländern im Zentrum der Erörterung. Durchsetzung heißt nicht nur, daß innerhalb einer Branche be­

stimmte Produktionstechniken dominieren und momentan die höchste Stufe der Technik dar­

stellen, sondern vor allem, daß diese konkreten technischen Artefakte und die Organisation ihrer Anwendung die Schranken einzelner Branchen "überspringen" und damit zum integralen

Bestandteil der gesamten (industriellen) Produktion werden. Dies ist keineswegs gleichbedeu­

tend mit einer Verallgemeinerung im Sinne der ausschließlichen Nutzung, sondern im Sinne einer Nutzung in großen Teilen der Wirtschaft. Einige Bereiche einer nationalen Ökonomie wer­

den auch nach der Durchsetzung eines technologischen Paradigmas weiterhin in bestimmten

"Nischen" auf Basis des alten Paradigmas produzieren (z.B. handwerkliche Produktion).

Daraus wird deutlich, daß ein einzelnes technisches Artefakt nur dann zum Ausgangspunkt eines technologischen Paradigmas wird, wenn es weitreichende Veränderungen in möglichst vielen Bereichen hervorruft. Eines der historisch frühesten und wichtigsten technischen Artefakte, das eine solche W irkung hatte, war die Dampfmaschine.“

1. Von Dosi selbst wird dieser Aspekt speziell im Zusammenhang mit internationalem Handel aufgenommen (vgl.

Dosi 1984 a, S.219ff).

Er definiert den Begriff "technology paradigm" in Anlehnung an die Bedeutung des Paradigmen-Begriffs in der Wissenschaftsforschung "as a model and a pattern of solution of selected technological problems, based on selected principles derived from natural sciences and on selected material technologies" (Dosi 1984 b, S.83). Demzufolge werden in der wissenschaftlichen Forschung die Gebiete ausgewählt, die für eine mögliche technische Entwicklung genutzt werden.

Im Unterschied zu Dosi wird im folgenden der Begriff des Paradigmas nicht mit der Entstehung einer Technik in Zusammenhang gebracht, sondern im Mittelpunkt steht die Durchsetzung, speziell der internationalen

Verallgemeinerung eines technischen Paradigmas im 20. Jahrhundert.

Der hier verwendete Paradigma-Begriff lehnt sich stärker an die Bestimmung des Begriffs von Piore; Sabel (1985) an: "Ein neues technologisches Paradigma bringt - wie eine revolutionäre wissenschaftliche Theorie - Ordnung in das konfuse Handeln der vorausgegangenen Periode; und indem es im Widerstreit der Tendenzen die relevanten von den irrelevanten trennt, schafft das Paradigma die Voraussetzung für eine neue Orthodoxie." (ebenda S. 55)

Während Piore und Sabel ihre Analyse aber in erster Linie auf die Herausbildung eines technologischen Paradigmas in den Industrieländern beziehen, stehen hier die Entwicklungsländer im Mittelpunkt.

2. Genau dieser Sachverhalt kommt zum Ausdruck, wenn Marx schreibt: "Das große Genie Watts zeigt sich in der Spezifikation des Patents, das er April 1784 nahm, und worin seine Dampfmaschine nicht als eine Erfindung zu besonderen Zwecken, sondern als allgemeiner A gent der großen Industrie geschildert wird. Er deutet hier Awendungen an, wovon manche, wie z.B. der Dampfhammer, mehr als ein halbes Jahrhundert später erst eingeführt wurden.”(MEW 23,S.398)

Die Dampfmaschine stellte den technischen "Ausgangspunkt" für die Durchsetzung der kapitali­

stischen Akkumulation und die Herausbildung des ersten Akkumulationsregimes dar. Der Begriff Akkumulationsregime ist einer der zentralen Begriffe der Regulationstheorie. Diese Theorie beansprucht für sich, "(...) die Marxsche Akkumulationstheorie mit der Akkumulations­

geschichte des metropolitanen Kapitalismus zu verbinden. Sie will damit den Widerspruch zwi­

schen einem ahistorischen Ökonomismus (...) und einem unökonomischen Historismus (...) überwinden". (Hurtienne 1986, S.69)^

Die Regulationstheorie unternimmt den Versuch, langfristige sowohl ökonomische als auch sozioökonomische Diskontinuitäten zu erfassen. Historisch unterschiedliche Phasen werden als Akkumulationsregime bezeichnet, denen jeweils spezifische Regulationsformen entsprechen (vgl. Hübner, M ahnkopf 1988, S.10).

Ein Akkumulationsregime ist dadurch gekennzeichnet, daß es über eine lange Periode Transfor­

mation von Produktionsnormen und Konsumtionsnormen in Übereinstimmung bringt. Hierzu bestehen jew eils spezifische Regulationsformen, z.B. das Lohnverhältnis oder die Staatsinter­

ventionen, die die Kohärenz zwischen den Formen der ökonomischen und institutioneilen Orga­

nisationen hersteilen. Die Gesamtheit aller Regulationsformen wird charakterisiert als die jeweils historisch spezifische Regulationsweise (vgl. insbesondere ebenda, S .l l f).

Sowohl von Boyer (1987 a,b) als auch von Lipietz (1982, 1985, 1986) werden die Akkumula­

tionsregime historisch zugeordnet. Dabei unterscheiden sie extensive und intensive Akkumula­

tionsformen, die jede für sich in einer spezifischen historischen Phase dominant sind. Die Über­

gangsphase, also von dominant extensiv zu dominant intensiv, wird als krisenhafter Prozeß beschrieben, der sich dadurch aus zeichnet, daß einem Akkumulationsregime nicht mehr eine spezifische Regulationsform zugeordnet werden kann.

"Mit Hilfe dieses Theorems sollen die veränderten Wachstumsbedingungen des Kapitalismus in der postulierten 'technisch-wissenschaftlichen Revolution' bestimmt und Entwicklungsnotwen­

digkeiten aufgezeigt werden (...)." (Lutz 1984, S.53)

Das extensive Akkumulationsregime korrespondiert m it der (ersten) industriellen Revolution, also der Ausbreitung der Mechanisierung großer Teile der industriellen Produktion. Es ist gekennzeichnet durch "a significant use o f science and technology in production processes, but the firms mainly try to apply existing knowledges to their business, without trying to improve them continously. Similarly, the time horizon o f firms is generally rather short, whereas the wage earners in the industry are mainly producers o f commodities, and not that much consumers of them. Thus from 1895 to 1920, average productivity is quasistagnating, so does real wages, while the growth is only obtained by a lengthening o f the working hours or by the hiring of more workers. (...) This quasistagnating may be related to numerous factors: lack o f technological opportunities, limitations of the home and world markets, consequences of competitive regula­

tion upon the boldness o f investment in brand new industries, ruinous impact o f the war." (Boyer 1987, a, S.460 f)

Die Krise der extensiven Akkumulation setzte sich im letzten Jahrzehnt des 19.Jahrhunderts durch und nahm ihren Verlauf bis in die ersten beiden Jahrzehnte dieses Jahrhunderts. Während dieser Zeit wurden die "Grundsteine" für gravierende Veränderungen innerhalb der

3. Vgl. hierzu im weiteren auch Hurtienne 1988

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-Produktionssphäre, oder genauer, innerhalb der Produktionsorganisation gelegt (vgl. Aglietta 1979, S .l 14). Die Mechanisierung, basierend auf der Nutzung zentraler Antriebsaggregate, und die langsame Durchsetzung der Elektrifizierung hatten keine so weitgehenden Konsequenzen gezeitigt wie die Neuorganisation des Produktionsapparates oder die wissenschaftliche Betriebs­

führung, die heute überwiegend mit dem Namen Taylors verbunden wird.

Das tayloristische System basiert auf der wissenschaftlichen Zergliederung des gesamten Arbeitsprozesses und damit auf der Reduktion der Arbeit auf einfachste Teiloperationen.

Dadurch war die Produktion in vollem Umfang außerhalb des eigentlichen Produktionsprozesses planbar.^ Die verschiedenen Teiloperationen wurden nicht nur planmäßig aufeinander abge­

stimmt, sondern sie konnten auch von weniger qualifizierten Arbeitskräften ausgeführt werden.

M it einer erheblichen Steigerung der Arbeitsintensität ging gleichzeitig eine Senkung der Löhne einher (vgl. Hurtienne 1984, S.273 ff).

Aber erst das "Taylorsche" Prinzip der Arbeitszerlegung zusammen mit dem Fließprinzip des Werkstücktransportes als optimale Rationalisierungsform des menschlichen Arbeitseinsatzes (da der Arbeitsrhythmus nun direkt von der Bandgeschwindigkeit abhängig wurde, vgl. ebenda, S.277), schaffte den Durchbruch zur Massenproduktion. Dies stellte "bezüglich des Arbeitspro­

zesses (...) eine Inkorporation des vorher enteigneten Wissens in das automatische System der Maschine selbst" (Lipietz 1985, S.123) dar und war eine Entwicklung, die sich zuerst schwer­

punktmäßig in den USA vollzog. Die Massenproduktion wurde hier begünstigt durch den - im Vergleich zu Europa - sehr großen und homogenen Markt. Parallel dazu entwickelte sich in den USA, eben unter anderem bedingt durch die sehr große Nachfrage nach Massenkonsumgütem, eine differenzierte und hochspezialisierte Investitionsgüterindustrie (vgl. Hurtienne 1984, S.270). Der "Umschlag" von einem dominant extensiven zu einem dominant intensiven Akku­

mulationsregime hatte sich auf der ökonomisch-technischen Ebene bis in die 20er Jahre dieses Jahrhunderts vollzogen (vgl. Perez 1983, S.369f). Dieses Akkumulationsregime als Massenpro­

duktionssystem entwickelte sich fortan zu dem ökonomisch-technischen "Paradigma" (vgl.

Roobeek 1987, S.133), das, ausgehend von den USA, sich m it Hilfe verschiedenster Medien eben nicht nur innerhalb der Vereinigten Staaten ausbreitete, sondern auch weltweit zum maßge­

benden Standard w u rd e t

Das Akkumulationsregime hatte sich zwar grundlegend verändert, die Regulations weise jedoch - also die politisch-institutionellen Formen - entsprach(en) zunächst noch der extensiven Akku­

mulation. Diese Diskrepanz zeigt sich unter anderem daran, daß zwar die Wachstumsraten der Produktivität erheblich waren, die Wachstumsraten der Kaufkraft aber hinter denen der Produk­

tivität zurückblieben. Diese fehlende Kohärenz - so Lipietz - ist dafür verantwortlich, daß die Krise 1929/30 nicht nur als eine zyklische Krise, sondern als eine große (Struktur-)Krise zu werten ist (vgl. Lipietz 1985, S.123). Die Kohärenz des intensiven Akkumulationsregimes mit dessen spezifischen Regulationsweise, die sich als historischer Prozeß in Folge dieser Krise her­

ausbildete, basierte auf dem System der tayloristischen Arbeitsorganisation in Verbindung mit der Anwendung von Massenproduktionstechniken.

4. Damit war die Trennung von Hand- und Kopfarbeit vollzogen und so zwangsläufig auch die Abwertung der manuellen Tätigkeit in der Produktion.

5. "In den Zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts wurde die Massenproduktion wegen ihres durchschlagenden Erfolgs als Paradigma fast unwiderstehlich." (Piore; Sabel 1984, S.58 siehe auch ebenda S.150ff.).

Ebenso wie diese technischen Erneuerungen sich zuerst in den USA entwickelten, ging auch von dort die Entstehung einer - in gewisser Weise neuen - Regulationsform aus, die sich in den frühen 30er Jahren unter der Regierung Roosevelts herausbildete und gemeinhin bekannt gewor­

den ist unter der Bezeichnung 'New Deal' (vgl. Hübner 1986, S.184 f). Der zentrale Punkt hierbei ist, daß basierend auf diesem technischen System Produktivitätsfortschritte realisierbar wurden, die bedingt durch die - aufgrund der offiziellen Anerkennung der Gewerkschaften erst möglich gewordenen - gestiegenen Löhne zum Teil absorbiert werden konnten. Die steigenden Löhne wurden die Basis der kaufkräftigen Nachfrage nach den unter Anwendung der "economies of scale" erheblich billiger produzierten Massenkonsumgütem.

Von Aglietta wurde die Bedeutung des Konsums treffend zusammengefaßt: "Through the social consumption norm, the mode of consumption is integrated into the conditions o f production."

(Aglietta 1979, S.152)

Solange bei den vor diesem Hintergrund getätigten Investitionen der Kapazitätseffekt höher als der Produktivitätseffekt war, ging diese Entwicklung mit annähernder Vollbeschäftigung bei hoher Akkumulationsdynamik einher. Dies heißt, daß die Investitionen darauf ausgerichtet waren, die Output-Menge stärker zu steigern als dies durch Produktivitätssteigerungen möglich wäre. Dadurch sinkt zwar relativ der Anteil der Arbeit gemessen am Output, absolut jedoch kann der Arbeitsbedarf steigen.

"According to this view, the major difference with the interwar period lies in the regulation mode and not that much in the technological system". (Boyer 1987 a, S.467)

D er letztendliche Erfolg der breiten nationalen Durchsetzung bestand in der jeweils national spe­

zifischen Ausprägung der Regulationsformen. Die sich durchsetzende intensive Akkumulation war gleichbedeutend mit einer radikalen Modernisierung der US-amerikanischen Ökonomie, die, bedingt durch den inneren Mechanismus der intensiven Akkumulation, eine sehr hohe Produkti­

vitätsdynamik aufwies. Da die USA hierbei eine "Vorreiterrolle" übernahmen, waren sie nach dem Zweiten W eltkrieg die sowohl ökonomisch-technisch als auch militärisch allen anderen Nationen überlegen (vgl. Davis 1986, S.47 und Aglietta 1979, S.72).

Diese Überlegenheit stellte das Fundament dar für die Durchsetzung der USA als Hegemonial- macht. Flankiert von den in den 40er Jahren geschaffenen multinationalen institutionellen Rah­

menbedingungen, wie zum Beispiel GATT, Bretton Woods und dem Marshall-Plan, vollzog sich, von den Vereinigten Staaten ausgehend, die Intemationalisierung des fordistischen Akku­

mulationsregimes.

W ährend der 50er und 60er Jahre konnten die USA durchgängig Handelsbilanzüberschüsse realisieren, und dies unter den Bedingungen eines sehr schnellen W achstums des Welthandels.

In den 60er Jahren flössen überwiegend von den USA aus Direktinvestitionen nach Europa und ebenso in einige Entwicklungsländer, wobei der weitaus größte Teil auf die europäischen Länder entfiel. Diese Entwicklung in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg hat zu einer Angleichung des technologischen Niveaus geführt und damit parallel zu einem sukzessiven Verlust der US-amerikanischen Überlegenheit (vgl. Altvater 1987, S.229 ).

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-Diese Angleichung an den US-amerikanischen technischen Standard wurde " v o llstä n d ig "n u r von den europäischen Ländern vollzogen. Die Länder der Peripherie blieben sowohl hinsichtlich des Akkumulationsregimes als auch der Regulationsweise "unvollständig" involviert (vgl.

Lipietz 1984).

5 Differenzierungs- und Hierarchisierungsprozess der Entwicklungsländer - Das

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