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Der Held im Theater

Die Inszenierung einer „Leistung aus Leidenschaft“ und die Leistungslüge

3. Der Held im Theater

Im Gegensatz zur Manager-Selbstdarstellung hatte und hat Theater bei der Inszenierung fiktiver und auch realer Rollen schon immer subversivere Vorstellungen von Persönlichkeit. Die Charaktere der Kunst verweigern sich ihren starren gesellschaftlichen Rollen, machen „das Spiel nicht mit“. Diese Masken der Verunsicherung kann das Theater der selbstsicheren Pose wirtschaftlicher Helden entgegen halten, die ihre Arbeit souverän lächelnd als „Leidenschaft“, nicht als bloßen Job, betrachten wollen.

Das Prinzip zeigt sich im gesamten theatergeschichtlichen Prozess: Auf der dramatischen Bühne werden tragische Helden inszeniert, die wie „Antigone“

die Welt aus der Perspektive der Opfer zeigen und damit die Herrschaft infrage stellen. Eine Beurteilung des Gesehenen und eine Lösung des Konflikts wird von der Bühne aus nicht vorgeben und auf eine gemein-schaftliche Interpretation wird nicht hingesteuert. Die Kommunikation des Theaters ist eine künstlerische Kommunikation und als solche nicht ziel-orientiert, es zählt nicht wie bei einer wirtschaftlichen Kommunikation das, was sich aus der Bilanz ergibt, da schwankende Subjekte sprechen, die keine Bilanz ziehen können (Stichwort: Hamletproblem, „Sein oder Nichtsein“).

Der Effekt auf das Publikum lässt sich mit der Formel: „Vorhang zu und alle

Fragen offen“ beschreiben. Damit wird nicht nur auf der Bühne, sondern auch zwischen Bühne und Saal unter Nachdenklichen kommuniziert.

Die Rollenfigur selbst erscheint in einer nachdenklichen Haltung, im epischen Theater bei Brecht steht der untragische Held auf Distanz zu seiner Rolle (Verfremdungs-Effekt). Das Wechselspiel zwischen Rolle und Selbst, Schauspieler und Rolle und der klassische Rollenbegriff müssen überdacht werden, denn in neuesten und neueren Theaterformen, in Performance und im postdramatischen Theater werden Handlungen nicht wie im dramatischen Theater fingiert, sondern real vollzogen. Denn auf statische literarische Vorlagen und die Darstellung ihres Gesamtzusammenhangs wird weitest-gehend verzichtet. Anders als im dramatischen Theater verliert im postdra-matischen Theater der Text seine Einheit und wird zerstreut, verschiedene Kunstarten, Sprache und Körperbewegung, Musik und Bilder vereinigen sich nicht zu einem Gesamtkunstwerk, sondern zu einem simultanen Neben-einander.4 In postdramatischen Performances verhalten sich die Performer privat und ungezwungen, illusionieren keine Charaktere, auch wenn sie in einer Rolle agieren, sondern erzählen beispielsweise von eigenen Erfah-rungen, blicken und sprechen den Zuschauer auch direkt an. Der reale Vorgang der „Performance“ tritt an die Stelle des Schauspielens, die Realität des Akteurs, seine Präsenz und seine Ausstrahlung sind für diese Form der Darstellung maßgeblich. Hier verzichten Autoren auch mal auf eine schlüs-sige Identitätsdarstellung und werfen Fragen auf. Dazu ein Beispiel.

3.1 Postdramatische Performance: „Leistung, die Leiden schafft“

Das Theater kann gesellschaftliche Rollenbilder bewusst machen, wie auch das hier diskutierte Rollenmodell des Managers. An ihm orientieren sich die Menschen bewusst und unbewusst und vor allem gezwungenermaßen, wenn man davon ausgeht, dass Leistungsforderungen bis ins Privatleben vordringen. Der Bürger avanciert von der Arbeitskraft zum Unternehmer seiner selbst und soll seine ganze Persönlichkeit als Ware auf den Markt bringen, sein Leben als so genannte Ich-AG an wirtschaftlichen Effizienz-kriterien ausrichten. Das zeigt sich vordergründig in der Alltagssprache, an klingelnden Handys und Blackberrys und freundlich-verbissenem Net-working. Die angekündigte „Leidenschaft“, welche hinter der Leistung stehen soll, ist aber nicht ganz freiwillig.

Der Begriff „appellative Subjektivierung von Arbeit“ beschreibt, dass normative Erwartungen der Beschäftigten hinsichtlich befriedigender und

4 Vgl. Lehmann: Postdramatisches Theater. Frankfurt 1999. S. 263.

sinnvoll erfahrener Tätigkeit ihrerseits normativ erwartet und durch entspre-chende Sozialtechniken aktiviert werden.5 Dabei wird die innere Einstellung mit dem Wunsch, arbeiten zu wollen um sich selbst zu verwirklichen, vorge-schrieben und fremd bestimmt. Subjekte werden von Evaluationen und Feedbacks eingekreist, Leistung und Verhalten permanent rundum durch die Blicke der anderen bewertet. Auf der Bühne der Wirtschaft muss sich nicht nur der CEO, sondern jeder einfache Angestellte als seine eigene Marke, als so genanntes „brand called you“ vermarkten. Es scheint ein performativer Leistungsbegriff zu entstehen, bei dem es nicht nur auf die Fähigkeiten im operativen Geschäft ankommt, sondern auf gekonnte Selbstvermarktung. Der Angestellte wird sozusagen zwangstheatralisiert, sieht sich gezwungen, seinen angeblichen Arbeitseifer zu inszenieren, auch das Motto „Leistung aus Leidenschaft“6, und das bittschön ohne sich zu verstellen. Dieser Anspruch verpflichtet auf Ehrlichkeit und macht den Einzelnen sozial und ökonomisch berechenbar.

Ein Motto wie die „Leistung aus Leidenschaft“ verdreht die Wahrheit, indem es suggeriert, der Angestellte täte alles aus eigener Motivation. Darüber hinaus stellt es eine disziplinierende Leistungslüge dar: Nicht jeder findet Anerkennung für seine Leistung, auch wenn viel Leidenschaft dahinter steckt. Denn keiner ist ausschließlich alleine seiner geglückten Performance Schmied. Hier zeigt sich das Paradox neoliberaler Leistungsideologie, die in unserer Gesellschaft zunehmend eine nicht existierende Behandlungs-gleichheit suggeriert. Der Mensch müsse nur mehr Leistung bringen und sei für seinen Erfolg selbstverantwortlich.

Für das Vorankommen durch Selbstdarstellung gerade in Dienstleistungs-berufen wollen Hoch- und Unterjubler mit 5-Punkte-Rhetorik-Ratgeber und Körpersprach-Tipps helfen, ein geborgtes Ich-Modell zu präsentieren. Die dabei gemachten Versprechen lassen sich aber nicht halten. Jene sind im Vorteil, die kulturelles Kapital schon im Voraus leistungslos erhalten haben,

5 Vgl. Voswinkel, Stephan: Bewunderung ohne Würdigung? Paradoxien der Anerkennung doppelt subjektivierter Arbeit. In: Honneth, Axel (Hg.): Befreiung aus der Mündigkeit. Paradoxien des gegenwärtigen Kapitalismus Mündigkeit. Frankfurt 2002. S.78

6 Ich möchte dem Leser die Definition von Bank-Chef Ackermann nicht vorenthalten. Ackermann betont in seiner Rede auf der Hauptversammlung 2004 (Redemanuskript: www.deutsche-bank.de, weiter: Investor Relations, Hauptversammlungen): „Die Deutsche Bank ist heute bereits eine der stärksten Marken in der Finanzindustrie - und zwar weltweit. Dies hilft uns wesentlich bei der Umsetzung unserer Wachstumsinitiativen. Auf der anderen Seite stärken wir durch einen Ausbau unseres Geschäfts und eine noch festere Verankerung bei unseren Kunden die Marke. Diese Motivation spiegelt sich in dem Motto unserer laufenden Kampagne „Leistung aus Leidenschaft ...“,

es investieren und im Kleingeld des (Berufs-)Alltags ausgeben. Vorne liegt, wer sich eine habituelle „Typik“ zulegen und sich geschmeidig verhalten kann, die Herkunft begünstigt das, Beziehungen helfen dabei.

Da reproduziert sich die herrschende Schicht und dieser „Matthäus-Effekt“

(Wer hat, dem wird gegeben) zeigt sich gerade an den Top-Managern.

Erfolglose CEOs verlassen ihre Positionen nicht oder mit jahrelanger Verzö-gerung (Jürgen Schrempp), auch gern mit hoher Abfindung (siehe die Manager im Mannesmann-Prozess). Geld durch Insiderhandel und Job-Rochaden sind ebenfalls nicht „meritokratisch“. Normale Arbeitnehmer wer-den nebenbei unabhängig von ihrer Leistung mit einer Standortdiskussion konfrontiert. Das Shareholder Value-Prinzip belohnt nur Leistung, die sich sofort als Markterfolg bemerkbar macht.

Die Perspektive der Angestellten auf die eben umrissene Situation werden beispielsweise von den Figuren des Autors und Regisseurs René Pollesch beschrieben. Sie sprechen über eine Leistung, die Leiden schafft: Darüber, dass sie Gefühle darstellen müssen, die sie nicht wirklich fühlen, und zum Emotionsarbeitsdienst verpflichtet werden. Wirtschaftliche Prozesse wirken sich auf Körper aus und innerste Lebensbereiche werden ökonomisiert. Sie stellen dar, wie Dienstleistung verkauft werden muss, die „echte“ Wärme ausstrahlen und wie persönliche Anteilnahme wirken soll.7 Die Suche nach der Echtheit der eigenen Empfindungen läuft ins Leere. Wie alle Theater-helden wissen die Figuren von Pollesch auch, dass sie „krank“ sind und stellen dies im Gegensatz zu „Helden der Wirtschaft“ wie CEOs auch dar.

Sie wechseln permanent ihre inauthentische Identität und drücken mit wiederum authentischen Schrei-Orgien ihre unsicheren Empfindungen aus.

Ein Ausweg, beziehungsweise ein Ende dieser Jagd und Flucht, ist in solchen Verhältnissen nicht in Sicht. Nicht nur die Arbeitsleistung wird ausgebeutet, sondern selbst das Innerste des Menschen.