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Gruppenprozesse im Unterricht

Im Dokument Wasser-Spiele ≈ Wasser-Farben (Seite 84-87)

In der Unter- und Mittelstufe erleben die Kinder vor allem, wie viel sie »als Klasse« können und was sie als Einzelne nie schaffen würden. Dies gilt nicht nur beim Theaterspielen, auf Monatsfeiern, beim Musizieren oder Rezitieren, sondern auch beim Rechnen oder Schreiben. Wie erstaunt ist dann oft zu Hause das Kind (und die Eltern!), wenn es nicht einmal mehr die elementarsten Sachen weiß – einfachste Rechnungen kann es nicht mehr, »aber in der Schule ging’s«;

dasselbe kann in der Fremdsprache passieren, eigentlich in jedem Fach. Die lern-fördernde Wirkung einer vieljährigen Klassengemeinschaft ist eine Tatsache.

Dies ist die positive Seite, die niemand missen möchte. Die Kehrseite davon kann sein, dass einzelne Schüler zu lange nur träumend »mitschwimmen« und – besonders ab der Mittelstufe – den Weg des geringsten Widerstandes wählen und dadurch zu wenig gefordert werden. Hingegen sollte der Oberstufenschüler

6 Ria Schedlbauer: Zwei Lehrer unterrichten gemeinsam (2. Klasse), in: »Erziehungs-kunst«, Heft 4/2000, S. 407 ff.

mehr und mehr lernen, auch auf eigenen Beinen zu stehen und dabei individu-elle Leistungen anzustreben. Dazu gehören klar definierte Lernziele, schulische Herausforderungen, Prüfungen und eine Leistungsbewertung. Das Bedürfnis des Jugendlichen nach klarer Orientierung ist nicht nur ein Thema der Feldmess-Epoche, sondern ein Teil der Weltbegegnung und Selbsterkenntnis bezüglich der eigenen Leistungsfähigkeit (»Ich will endlich wissen, was ich eigentlich kann, wo ich stehe, was ich gelernt habe und was ich noch lernen muss«). Dieses Bedürfnis ist in diesem Alter legitim und hängt mit dem erwachenden Urteilsvermögen zusammen, das in der Umwelt mit ihren mannigfachen Aufgaben und Forderun-gen immer wieder klare Orientierungspunkte sucht, an denen es sich üben kann.

Dazu gehören auch fachkompetente Lehrkräfte, die den Jugendlichen das Gefühl vermitteln können, dass sie wirklich etwas lernen und Lernziele erreichen, die für sie transparent sind.

Andererseits kann dadurch die Klasse in zwei Lager gespalten werden: auf der einen Seite die »Leistungsstarken, Motivierten, Tüchtigen«, welche bald schon einmal auf das Abitur »hinochsen« wollen – und dann die »Andern«, die das nicht wollen und sich fragen, ob sich das Lernen für sie überhaupt noch lohnt (»Wozu eigentlich, wenn für mich das Abitur sowieso nicht in Frage kommt?«).

An diesem Punkt wächst der Gruppenarbeit große Bedeutung zu. Zuerst lernen die Bequemlinge einmal, dass das Wort »TEAM« kein Kürzel ist für »Toll, Ein Anderer Macht’s!«. Nur ein regelmäßiges Üben dieser Unterrichtsform und kla-re Aufgabenverteilung kann einem solchen Missverständnis abhelfen. Natürlich hat der Frontalunterricht auch in der Oberstufe noch seine Berechtigung, doch kann dies weder die ausschließliche Methode bleiben, noch kann der Frontalun-terricht methodisch in gleicher Weise ansetzen wie für Kinder der Unterstufe, denn Jugendliche nehmen den Frontalunterricht anders wahr als kleinere Kin-der.

Es ist erstaunlich, was bereits Zehntklässler an eigenen »Gruppenprozessen«

beobachten und verarbeiten können (z.B. mit Hilfe eines Gruppenprotokollanten und »Prozessbeobachters« ihrer Gruppe). Solche Lernprozesse sind in der Ober-stufenarbeit für alle wichtig – auch für die »Abituranwärter«, welche vielleicht ihre Tendenz zum eigenen Streben etwas zurückhalten lernen, indem sie auch anders begabte Mitschüler ernst nehmen und in einen gemeinschaftlichen Lern-prozess eintreten. Manche Einseitigkeit kann dadurch noch korrigiert werden, während dies beim Frontalunterricht schwieriger ist. Auch die Zusammenset-zung der Arbeitsgruppe ist von Bedeutung. Wird die Gruppenwahl durch die Schüler selber vorgenommen, so arbeiten meist diejenigen zusammen, die sowie-so schon oft zusammen sind. Dann besteht die Gefahr, dass »Cliquen« verstärkt und Einzelgänger weiter isoliert werden. Es kann trotzdem sinnvoll sein, wenn ein Freundeskreis ein größeres Projekt in Gruppenarbeit angeht, weil oft auch die Freizeit einbezogen wird. Für den Unterricht selber jedoch wird der Lehrer meist andere Gesichtspunkte im Vordergrund sehen und die Gruppenzusammenset-zung selber bestimmen – oder die Gruppen nach dem Zufallsprinzip

zusammen-würfeln. Es können auch kleine »Lerngruppen« sinnvoll eingesetzt werden, in welchen jeweils einer »Nachhilfelehrer« oder »Abfrager« ist, der dem Mitschüler komplizierte mathematische Probleme oder Fremdsprachentexte beibringt oder sie »abfragt«. In einem Klassenzimmer mit einem Dutzend oder mehr solcher kleinen Lerngruppen kann dadurch eine besondere Lernatmosphäre entstehen.

Im besten Falle hat sich dann die Lehrkraft selber »überflüssig gemacht« und kann als Berater bei besonders kniffligen Fragen zu Hilfe gerufen werden.

Schlussgedanke

Wir erleben es bei uns Erwachsenen wie auch schon bei Kindern der untersten Klassen, dass das Wir-Gefühl der großen Gemeinschaft, vielleicht verbunden mit dem Aufblick zu einer charismatischen Persönlichkeit, immer weniger trägt und befriedigt. Jeder möchte individuell angesprochen werden und möglichst viel al-lein tun. Dies führt im Extrem in die Vereinsamung oder den Konkurrenzkampf aller gegen alle. Als Individuum mit einem anderen Individuum (oder einigen wenigen) ein gemeinsames Ziel anzugehen und zu realisieren, könnte – durch das damit verbundene soziale Lernen – ein Schlüssel zu einer neuen Sozialität sein. Jeder eigene Versuch, und ist er noch so bescheiden, zeigt: Im Team-Lernen liegen noch ungehobene Schätze.

Literatur zum Thema:

Norbert Ueberschaer: Mit Teamarbeit zum Erfolg, München, Wien 2000

Coenraad van Houten: Erwachsenenbildung als Schicksalspraxis, Stuttgart 1998 Erziehungsdepartement Aargau: Lernpartnerschaften, Im Tandem und in Gruppen gemeinsam lernen, Aarau 2000

Herbert Altrichter, Peter Posch: Lehrer erforschen ihren Unterricht, Bad Heilbrunn 1994 Höhere Fachschule für anthroposophische Pädagogik, Dornach: Arbeitsmappe zum »Team-Lernen« und »Praxisforschung und Konferenzarbeit«, Dornach 2000ma

Zum Autor: Thomas Stöckli, geboren 1951, verheiratet, 3 Kinder, Waldorflehrer (zwei Klas-senzüge geführt, dann Femdsprachenlehrer der Unter- und Oberstufe), Mitinitiator und Oberstufenlehrer der Regionalen Oberstufe Jurasüdfuss, Dozent und in der Team-Leitung der HFAP (Höhere Fachschule für anthroposophische Pädagogik), Dornach, begleitet und initiiert diverse Forschungsprojekte im Rahmen von ipf (Initiative für Praxisforschung).

haftig: Nur wer es erlebt hat und gefangen genommen wurde von den ungeheuren Weiten des südlichen Afrikas, kann dies sa‑

gen. Wer den dortigen Lebensrhythmus ge‑

fühlt hat und wer über staubige, holpernde Schotterpisten durch das Land gefahren ist, wird wissen, warum Afrika lockt.

Mit dem Anliegen, als Reisende nicht nur das beindruckende Land zu »konsumie‑

ren«, sondern auch mit der Bevölkerung in so engen Kontakt wie möglich zu treten, reiste auch dieses Jahr in den Osterferien eine 20‑köpfige Gruppe von Noch‑(Wal‑

dorf‑) Schülern und Ehemaligen in das südliche Afrika, nach Namibia. Wie in den Jahren 1999 und 2000 wurde die Reise auch dieses Jahr von Aventerra*, einem Anbieter für Kinder‑ und Jugendfreizeiten sowie Stu‑

dien‑ und Erlebnisreisen, organisiert.

Am Morgen des 3. April 2001 setzte unser Flugzeug auf afrikanischem Boden auf ei‑

ner Landebahn mitten in der Trockensa‑

vanne auf, 40 Kilometer von Windhoek, der Hauptstadt Namibias entfernt. Klare, leich‑

te Luft strich uns um die Nase, als wir das Flughafengebäude verließen und uns mit zwei Bussen Richtung Windhoek auf den Weg zur dortigen Waldorfschule machten.

Freudig wurden wir dort von Lehrern so‑

wie Schülern begrüßt. Wir begannen noch am selben Tag mit dem Bau eines Kletter‑

turms auf dem Schulhof. Ursprünglich war ein Arbeitseinsatz in einem der Slums

außerhalb Windhoeks geplant; konkretere Planungsversuche zeigten jedoch, mit wel‑

chen Schwierigkeiten und Hindernissen die Realisation eines solchen Projekts verbun‑

den ist.

Die erste Woche unseres Namibia‑Aufent‑

halts glich einer Sensation: Von vier Tagen Aufenthalt an der Windhoeker Waldorf‑

schule waren dreieinhalb Regentage. Na‑

mibia, ein Land, welches seit Jahrzehnten keinen Regen in solchen Mengen mehr hat‑

te, stand Kopf. Der Regen ließ das Land so aufblühen, dass sich sogar halbwüstenarti‑

ge Gebiete in gründurchsetzte Landstriche verwandelten. Dadurch erlebte die Reise‑

gruppe, was Fauna und Flora anbelangt, ein völlig untypisches Namibia.

Ebenso untypisch für dieses Land ist das Entstehen einer solchen Schule, einer Schu‑

le, in welcher schwarze und weiße Kinder völlig selbstverständlich und harmonisch miteinander umgehen und in welcher ein ungeheuer herzliches und enges Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern herrscht.

Nicht wenige in Namibia blicken jedoch kritisch auf die Entwicklung der Waldorf‑

schule, die eine so wichtige und wertvolle Verständigungsarbeit zwischen Schwarzen und Weißen sowie Schwarzen und Schwar‑

zen leistet. Hier sitzen schwarze und weiße Eltern bei einem Elternabend nebeneinan‑

der, hier kommen schwarze Eltern zweier zerstrittener Stämme zusammen, und hier lernen die Schüler neben Englisch, Afri‑

kaans und Deutsch auch die Stammesspra‑

chen Otjiwambo und Nama‑Dama. Hier an der Waldorfschule Windhoek wird mit wenigen Mitteln versucht, Völkerverständi‑

gung zu betreiben, und trotz aller Schwie‑

rigkeiten, mit denen eine so junge Schule in einem solchen Land zu kämpfen hat, wird mit großer Überzeugung und Hingabe ver‑

Aus der schulbewegung

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