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Von Booten, Pfützen und Saugnäpfen

Im Dokument Wasser-Spiele ≈ Wasser-Farben (Seite 25-28)

Erproben wir diese Art Gedankenbewegung zunächst kurz an zwei Beispie-len. Liegt eine leichte Segeljolle an Land, muss man mit dem dünnen Boden des Bootes sehr vorsichtig sein. Im Wasser ist der Boden dann zwar nicht hart, aber fest: es wird spürbar, wie das Wasser trägt. Unter fast allen Bedingungen kommt beim Segeln ja Wasser ins Boot; viele Boote haben sog. Selbstlenzer, klei-ne Klappen am Boden, durch die das Wasser abgesaugt wird, sobald das Boot Fahrt macht, obwohl die Klappen unter dem Wasserspiegel liegen. Im ersten Fall wird der Druck des Wassers als auf dem Bootsboden, der das Eindringen hindert, wirksam erlebt. Auftrieb ist hier nicht abstraktes Konstrukt oder undif-ferenziertes Leichterwerden, sondern konkrete Kraftwirkung. Die Funktion von Lenzklappen erscheint nicht als Ergebnis komplizierter Erwägungen, sondern ist plausibel: die (scheinbare) Strömung um das Boot muss geringeren Druck haben als die (scheinbar) ruhende Pfütze in der Bilge. Ein anderes Beispiel ist der Saugnapf unter Wasser. An Luft ist der überraschend starke Andruck von Luft-druck gegen Vakuum oder verdünnte Lufteinschlüsse ja bekannt und plausibel.

Hält aber ein Saugnapf unter Wasser, wo eingeschlossenes und umschließendes Medium praktische dieselbe Dichte haben? Er hält, und zwar ähnlich stark wie an der Luft – und aus denselben Gründen: Die Spannkraft des Gummis versucht den Saugnapf nach dem Plattdrücken wieder aufzustellen und müsste dazu das umgebende Medium gleichsam einsaugen. Es ist diese Tendenz zum Wiederher-stellen der Form, die die Stärke des gehinderten Fließgeschehens bestimmt und damit die Stärke der Druckwirkung.

Mit Blick auf den Kontext »Mechanik« verdient Folgendes noch Aufmerksam-keit: Auch andere Fluide können ein Fluid beranden, doch wird dabei das Flie-ßen nicht gehindert (und es gibt dort auch keine Kraftwirkungen). In einem Becher oder Teich ist in diesem Sinn immer eine »Seite« des Fluids offen, die Druckwirkung auf die feste Berandung setzt sich zusammen aus ρFluid + pLuft. Gibt es wie im Beispiel mit der Mineralwasserflasche keine offene Seite mehr, hängen die Druckverhältnisse allseitig zusammen:6 Presst man an einer Stelle zu-sätzlich, steigt die Kraftwirkung an allen Rändern. In dieser Situation bestimmen die Spannungszustände der Berandung den Druck im Gefäß.

Nahtlos passen sich übrigens auch die osmotischen Erscheinungen in diese Art Betrachtung ein. Der zugrundeliegende Diffusionsprozess (oder die Diffusi-onstendenz) von Geruchsstoffen in einem Zimmer oder Tinte in Wasser trägt ja – wie ein Gas – den Wesenszug der allseitigen Ausbreitung, hat in diesem Sinn also Gas-Charakter. Wiederum ist es das Hindern dieser Ausbreitungstendenz, z.B. durch semipermeable Membrane, das mechanische Wirkung zeitigt. In der Pfefferschen Zelle, einem klassischen Versuchsaufbau zur Osmose, zeigt sich ein kontinuierlicher Übergang von »Fließdruck« und Diffusionsdruck. Im vorge-stellten Kontext kann man offenbar völlig auf Vorstellungsbilder aus der kineti-schen Theorie der Wärme verzichten, um die Erscheinungen einzuordnen.

Im hier umrissenenen Bild fehlt noch eine höchst bedeutungsvolle »Kleinig-keit«: Betrachtet man einen (vielleicht gefärbten) Wassertropfen, der an einer Spritze hängt, so äußert sich ja zunächst gerade nicht eines der genannten Prinzi-pien: Es wird kein Oberflächenspiegel ausgebildet, es wird auch ohne Berandung nicht geflossen – das Wasser gibt sich selbst die Form! Dies geht einher mit dem Phänomen der Oberflächenspannung; tatsächlich steht der Tropfen durch die allseitige Formung unter Überdruck, wie das Einschießen des Tropfens bei Be-rührung einer ruhenden Wasseroberfläche zeigt. Gerade im kleinen Maßstab tritt diese Tendenz, sich selber Form zu geben, neben die oben genannten »großen«

Wesenszüge. Im Umfeld der Kapillarität stoßen wir z.B. dann auf den Wasser-haushalt der Pflanzen, für den diese Effekte grundlegend sind.

Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild: Druck ist nicht eine irgendwie in-trinsische Größe des Flüssigen oder der Gase, sondern gleichsam der Widerstand gegen die von außen kommende Formung durch feste Berandungen und erscheint nur dort. Für die Richtung und Stärke der Druckwirkung ist entscheidend, inwie-weit diese Formung Fließen hindert oder nicht. Der statische und der dynamische Druck bilden so zwei Ansichten derselben Prinzipien: der Fließtendenz der Flu-ide bzw. der Tendenz zur allseitigen Ausbreitung bei Gasen.7

Die vorgebrachten Gedanken und Betrachtungen entstanden einerseits aus den tausenderlei kleinen alltäglichen Begegnungen mit dem Flüssigen oder Gasigen, haben andererseits meinen Blick auf diese Erlebnisse sehr verändert. Es scheint mir dabei mehr im Spiel zu sein als nur die Freude an einer schlagkräftigen Art, Phänomene zu deuten – nämlich die Freude daran, etwas richtig zu denken.

Schließlich scheint es mir wichtig, diesen Ansatz im Kontext des zweiten Natur-wissenschaftlichen Kurses von Rudolf Steiner zu sehen.8 Dort werden im Umfeld der Frage nach der Natur der Wärme vielerlei vertiefende Gedanken zu unserem Thema gegeben. Erwähnt sei der zweite Vortrag,9 in dem ein Licht auf die sehr verschiedenen kosmischen Bezüge von Festem, Flüssigem und Gasigem gewor-fen wird. In meinem Text wird die Verwandtschaft und Ähnlichkeit der beiden letzteren Reiche des Stofflichen eher betont, eine Differenzierung wäre vielleicht auch unter solchen Gesichtspunkten noch auszuarbeiten (zum Verhältnis Gas-Flüssigkeit in diesem Kontext siehe auch Wilfried Sommer10). Erwähnt sei auch der fünfte Vortag Steiners,11 in dem recht explizit auf das Von-außen-Form-Geben (und Zusammenhänge zur Wärme) eingegangen wird.

Erst kürzlich bin ich auf den Problemkreis »Luftdruck und Wetter« aufmerk-sam geworden. Den Blick von den Druckverhältnissen hin zum Fließgesche-hen in der Luft zu lenken gibt sofort ein ganz anderes, prozessualeres Bild der Vorgänge. Die Meteorologie unter solchen Gesichtspunkten zu beleuchten wäre sicher spannend, steht aber noch aus.

Zum Autor: Dr. Florian Theilmann, Jahrgang 1967, Studium und Promotion in Physik, berufsbegleitendes Lehrerseminar in Kassel. 1998/99 Oberstufenlehrer in Weimar, jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut am Goetheanum in Dornach.

Anmerkungen:

1 Durch Verformung des Querschnitts steigt in beiden Fällen auch noch der Pegel in der Flasche.

2 Hermann Bauer, Zur Physik des Wassers, »Erziehungskunst« 1/1966, sieht dies als eigentliches Urphänomen des Wassers an. Die Druckverhältnisse im fließenden Fluid werden allerdings durch diesen Blickwinkel allein nicht durchsichtig.

3 Rudolf Steiner: Geisteswissenschaftliche Impulse zur Entwicklung der Physik, GA 321, Dornach 1982, Vortrag vom 6. März 1920 in Stuttgart

4 die dann durch elastische Verformung der Berandung ausgeglichen werden muss.

5 Instruktiv ist der Abschnitt über die Boltzmann-Verteilung in Gerthsen und Vogel: Phy-sik (Springer-Lehrbuch), in meiner Ausgabe (17. Auflage) der Abschnitt 5.2.9

6 allerdings nicht ohne Verzögerung: In elastischer Näherung erfolgt die Kopplung mit der Geschwindigkeit c = 1/√kp mit der Kompressibilität k und der Dichte p.

7 Bei Bauer (siehe Anm. 2) und Manfred von Mackensen (Klang, Helligkeit und Wärme;

Arbeitsmaterial der pädagogischen Forschungsstelle Kassel) erscheint der Druck als grundlegenderes Phänomen als das Fließen. Obwohl die Schwere des Wassers und andere Themen gerade bei Bauer ganz ähnlich beleuchtet werden, erlaubt aber erst der Blick auf das Fließen eine einheitliche und schlüssigere Schau auf die Erscheinungen (vgl. auch Anm. 2).

8 Rudolf Steiner: Geisteswissenschaftliche Impulse zur Entwicklung der Physik, GA 321, Dornach 1982

9 a. a. O., Vortrag vom 2. März 1920 in Stuttgart

10 Wilfried Sommer in: Der Merkurstab, März/April 1995 11 H. Bauer (s. Anm. 2), S. 13

12 M. v. Mackensen (s. Anm. 7)

Eine modellfreie Einführung der

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