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2 Grundstruktur des Zusammenwirkens von Natur- und Anthroposphäre

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Der globale Wandel hat seinen Ursprung in dramatischen Entwicklungen innerhalb der Anthroposphäre (Bevölke-rungswachstum, Expansion der technisch-industriellen Zivilisation, Nord-Süd-Konflikt usw.), welche über die „Um-welt“ auf die Natursphäre ausstrahlen und den Charakter des planetarischen Ökosystems (= Gesamtheit des irdischen Lebens + direkt genutzte, beeinflußte oder beeinflussende abiotische Komponenten) zu verändern drohen. Dies ist um so bemerkenswerter, als die Menschheit als physischer Faktor im Erdsystem „bedeutungslos“ ist. Im Sinne eines Re-lais, d. h. durch zielgerichtetes Umlenken von Energie- und Stoffflüssen, verändert sie jedoch Struktur und Leistung fragiler, aber relevanter Subsysteme der Natursphäre – mit ungewollt weitreichenden Folgen für Stabilität und Verfüg-barkeit der eigenen Lebensgrundlagen.

Rationales Handeln, das lokal und im aktuellen Zusammenhang schlüssig wirkt, kann zu globalen und historischen Torheiten führen. Daher ist eine „Ganzheitsbetrachtung“ der menschlichen Umwelt notwendig: Wie sonst sollten zi-vilisatorische Entwicklungspfade identifiziert und vermieden werden, welche – mit nicht vernachlässigbarer Wahr-scheinlichkeit – das Fließgleichgewicht des planetarischen Ökosystems erschüttern könnten ? Der Beirat wird deshalb die Zusammenschau der Antriebskräfte und Rückkopplungseffekte des globalen Wandels in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellen und in den nächsten Jahren zu einer systematischen Analyse ausbauen. Auf dieser Grundlage wird es möglich sein, die Bedeutung neuer Umweltentwicklungen abzuschätzen und die Notwendigkeit bzw. Wirk-samkeit politischer Strategien zu bewerten.

In der höchstaggregierten Stufe der Synopse setzt sich das Erdsystem aus Natur- und Anthroposphäre zusammen, de-ren Metabolismen ineinandergeflochten sind. Dieser Komplex ist im Grunddiagramm (Abbildung 1) dargestellt: Da-bei wird die Anthroposphäre symbolisch aus der Natursphäre herausgelöst, ohne jedoch die verbindenden „Fäden“ zu durchtrennen. Die gewählte Darstellungsweise soll die wesentlichen Wechselwirkungen zwischen den beiden Sphären identifizieren und hervorheben.

Die Natursphäre selbst ist in diesem Bild aus folgenden Teilsystemen zusammengesetzt:

Atmosphäre

Umweltrelevant sind die Troposphäre (unterste Schicht, Hauptreservoir der für das irdische Leben relevanten Gase sowie Medium des Wettergeschehens) und die Stratosphäre (vertikal stabile Schicht oberhalb der Troposphäre mit dem Ozonschild gegen UV-B-Strahlung).

Hydrosphäre

Umfaßt das in den Ozeanen, den terrestrischen Reservoirs (Seen, Flüsse, Böden, usw.) sowie den organischen Sub-stanzen enthaltene flüssige Wasser. Von besonderer Bedeutung für das planetarische Ökosystem ist die Struktur der großen Meeresströmungen. Einen wesentlichen Bestandteil der Hydrosphäre bildet die Kryosphäre, also das gefro-rene Wasser der polaren Eisschilde, des Meereises, der Gebirgsgletscher und der Permafrostböden. Nur ein ver-schwindend kleiner Teil der Hydrosphäre liegt als Süßwasser vor, und zwar überwiegend in gefrorener Form.

Lithosphäre

Bezeichnet die Erdkruste inklusive aller biogenen Ablagerungen wie Sedimente oder fossile Brennstoffe. Die Li-thosphäre ist Fundament, wichtigste Stoffquelle und – neben der Sonne – Motor für die Evolution der Natursphäre (Vulkanismus, Plattentektonik usw.).

Pedosphäre

Umfaßt die Böden als Überlappungsraum von Lithosphäre, Hydrosphäre, Atmosphäre und Biosphäre mit eigen-ständigem Charakter und bildet das Substrat der terrestrischen Vegetation.

● Biosphäre

Umfaßt die Gesamtheit des irdischen Lebens, das sich aus der Fauna und Flora der Kontinente und Meere sowie dem Regime der Mikroorganismen (Bakterien, Viren) zusammensetzt.

Abbildung 1:Grunddiagramm Natur – Anthroposphäre

14 Grundstruktur

Innerhalb der Natursphäre finden unzählige Austauschprozesse zwischen den aufgeführten Subsphären statt. Die wichtigsten sind im Diagramm (Abbildung 1) entweder durch Pfeile (z. B. Verdunstung bzw. Niederschlag) oder durch ineinander verschränkte Grenzlinien zwischen wechselwirkenden Systemen (z. B. Stoffaustausch zwischen Meerwasser und Erdkruste) symbolisiert.

Die Anthroposphäre umfaßt die Menschheit im Sinne einer Population mitsamt ihren Aktivitäten und Produkten. Der Übergang zur Natursphäre ist fließend – man denke nur an bewirtschaftete Ökosysteme wie Getreidefelder. Dies be-reitet jedoch keine konzeptionellen Schwierigkeiten, wenn man die Übergangsräume, wie oben erläutert, unter dem Begriff „Umwelt“ zusammenfaßt.

Für systemanalytische Zwecke ist es sinnvoll, die Anthroposphäre in folgende Komponenten einzuteilen:

Bevölkerung

sowohl physische als auch psychische Aspekte, insbesondere Werte, Einstellungen und Verhalten.

Soziale Organisation

auf allen Ebenen bis hin zu Institutionen der nationalen und internationalen Politik.

Wissenssysteme

insbesondere Wissenschaft, Technologie, Religion, Bildung und Kunst.

Wirtschaft

Erzeugung von Nahrungsmitteln und Rohstoffen (Primärsektor); Handwerk und Industrie (Sekundärsektor);

Dienstleistungen (Tertiärsektor).

Verkehr

Nur wenn man umfassende quantitative Kenntnisse über die Kopplung von Natur- und Anthroposphäre besitzt, kann man die zentrale Frage nach der eventuellen Destabilisierung der Natursphäre durch die Dynamik der Anthroposphäre beantworten. Das Grunddiagramm identifiziert zunächst die dominierenden Wechselwirkungen und kennzeichnet sie durch verschiedenfarbige Pfeilscharen. Ein- bzw. Wechselwirkungen innerhalb der Anthroposphäre sind im Dia-gramm durch rote Einfach- bzw. Doppelpfeile gekennzeichnet.

Die wesentlichen Interaktionen sind:

● Nutzung natürlicher Ressourcen in ökonomischen Prozessen.

● (Schad-)Stoffemissionen sowie Manipulation und Degradation natürlicher Schutzgüter1durch Ökonomie einsch-ließlich der Verkehrssysteme.

● Veränderung von natürlichen Systemen (Gewässern, Vegetationsdecke, Böden usw.) durch direkte menschliche Einwirkung oder im Rahmen der Subsistenzsicherung (Unterkunft, Brennholzbedarf usw.).

● Schutz von Landschaften, Ökosystemen oder Arten durch rechtliche Maßnahmen.

● Konsumtion essentieller Lebens-Mittel (Atemluft, Trinkwasser, Spurenelemente usw.) und ästhetischer Reize (Großwild, Landschaften usw.) durch Individuen.

● Klimawirkungen auf Bevölkerung, Verkehr und Wirtschaft.

In Teil D werden die Systemkomponenten und Wechselwirkungen näher analysiert.

1Schutzgüter sind Güter der Umwelt (Luft, Wasser, Böden etc.), die aufgrund ihres Nutzungswertes oder Eigenwertes vor Schäden oder Gefahren zu bewahren sind.

Atmosphäre 15

D Globaler Wandel: Elemente einer Systemanalyse

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