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3.2 Anforderungen an Post-WIMP Paradigmen

3.2.4 Grenzen der menschlichen Kognition

Wie im vorigen Abschnitt thematisiert, ist eine Betrachtung der menschlichen Perzeption f¨ur die Diskussion der Mensch-Computer-Interaktion nur ein Teilaspekt. Die Reaktion des Systems muss nach der Phase der visuellen Wahrnehmung durch den Menschen interpretiert, eingeordnet und weiterverarbeitet werden, damit er sich f¨ur zielf¨uhrende Handlungen entscheiden und diese ¨uber die Benutzungschnittstelle ausf¨uhren kann.

Zur Beschreibung dieses kognitiven Prozesses hat Bennett sein Modell des user-compu-ter-interfaceaufgestellt [Bennett 1983]. Darin wird die Basis, auf der die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine stattfindet, vom System vorgegeben:

Als ersten Schritt muss der Benutzer die Ausgabe des Systems in dessen presentati-on language interpretieren k¨onnen. Diese Interpretation muss dann vom Benutzer vor dem Hintergrund seiner ¨ubergeordneten Aufgabenstellung und der dazu notwendigen konkreten Ziele bei der Systembenutzung beurteilt werden. Sind seine konkreten Ziele mit dem System noch nicht erreicht (z.B. die Befriedigung seines Informationsbed¨ urf-nisses), entwickelt der Benutzer einen action plan, den er dann in die action language des Systems ¨ubersetzen und ausf¨uhren muss. Diese Aktionen des Benutzers werden vom System wieder zu neuen Systemausgaben in derpresentation language weiterverarbeitet und dargestellt. Dieser Kreislauf wird dabei bis zur Erreichung der Benutzerziele immer wieder durchlaufen.

Collins erweitert dieses Modell um dasconceptual model des Benutzers, das entscheidend f¨ur die Erstellung desaction plan ist [Collins 1995].15Dasconceptual model repr¨asentiert dabei das individuelle Verst¨andnis, das ein Benutzer von seiner Aufgabenstellung hat.

Es umfasst dabei seine konkreten Ziele bei der Benutzung des Systems und das Wissen dar¨uber, wie die F¨ahigkeiten des Systems zu seiner ¨ubergeordneten Aufgabenstellung in Beziehung stehen. Collins schreibt dazu:

”The user’s conceptual model is a roadmap of the system. It provides an overview of objects and capabilities, gives ’driving instructions’ for specific trips through the functions of the system, and helps users to reason about navigation through unfamiliar areas.“

Weiterhin f¨uhrt Collins das implementational model ein, das dabei die vom System ge-leistete Aufbereitung und deren Anwendungslogik repr¨asentiert, wie sie durch die

Pro-15Collins vereinfacht dabei die nach Norman an sich komplexere Beziehung zwischendesigner’s con-ceptual model,user’s mental model undsystem image [Norman 1983].

grammierung und Architektur im realen System vorgegeben ist.

Abbildung 3.4: Bennetts Modell des

”User-Computer-Interface“ in Kombination mit dem gulf of evaluation und dem gulf of execution von Hutchins et al.

und dem conceptual und implementational model von Collins.

Das Modell macht deutlich, welche Anspr¨uche die Benutzung eines Informationssystems an die Kognition eines Benutzers stellt: Es m¨ussen nicht nur die jeweiligen Pr¨ asentati-onsformen und Aktionsm¨oglichkeiten erlernt werden, sondern es wird auch der Aufbau einer Modellvorstellung von der Funktionsweise des Systems verlangt, um die notwen-digen Handlungsschritte zur Erf¨ullung des Informationsbed¨urfnisses und zur Erreichung der Benutzerziele zu planen.

Dabei ist die kognitive Kapazit¨at des Menschens begrenzt und stellt im Umgang mit Informationstechnik eine wertvolle und sch¨utzenswerte Ressource dar. Sie sollte f¨ur die prim¨are Aufgabe der Wissensarbeit bereitstehen. Die Beanspruchung durch die se-kund¨are Aufgabe der Bedienung des Systems sollte daher m¨oglichst minimiert werden.

Zentrales Ziel bei der Entwicklung von Benutzungsschnittstellen von Informationssyste-men muss daher nicht nur die Wahl einer perzeptiv-g¨unstigenpresentation language sein, sondern auch die kognitive Entlastung des Benutzers bei deren inhaltlichen Interpretati-on und bei der Formulierung seiner ReaktiInterpretati-on in deraction languagedurch ein schl¨ussiges und in sich konsistentesconceptual model als

”Roadmap“ im Sinne von Collins.

Hutchins, Hollan und Norman haben diesen Aktions- und Reaktionsprozess im Be-nutzer in ihrem Modell des gulf of evaluation und des gulf of execution beschrieben [Hutchins u. a. 1986]. Dabei besteht dergulf of evaluation aus drei Handlungsschritten,

die der ¨Uberbr¨uckung der Kluft zwischen der Darstellung des Systemzustands und dem Vergleich mit den zu erreichenden Benutzerzielen dienen (1. Wahrnehmung eines neuen Zustands, 2. Interpretierens des Zustands und 3. Vergleichen des Zustands mit dem Ziel).

Im gulf of execution erfolgen drei Handlungsschritte, um die Kluft zwischen den zu er-reichenden Benutzerzielen und der Planung und Ausf¨uhrung der notwendigen Aktionen zu ¨uberbr¨ucken (1. Formulieren einer Absicht, 2. Planen einer Aktion, 3. Ausf¨uhren der Aktion).

In Abbildung 3.4 sind das Modell von Bennett, dessen Erweiterung durch Collins und das Modell von Hutchins et al. zum leichteren Verst¨andnis kombiniert dargestellt.

Die kognitive Belastung des Benutzers sinkt nach Hutchins et al., wenn der gulf of eva-luation und gulf of execution eine geringe

”Distanz“ ¨uberbr¨ucken m¨ussen. Minimal ist die kognitive Belastung bei der Bedienung eines Systems dann, wenn sich sowohl pre-sentation language und action language als auch conceptual model und implementation model

”semantisch“ und

”artikulatorisch“ stark ann¨ahern.

Ein User Interface, das dies erreicht, vermittelt dem Benutzer den Eindruck einer

” Di-rektheit“ seiner Interaktion. Die Interpretation der Systemausgabe und die Entscheidung f¨ur eine Reaktion erscheint leicht und wenig belastend oder geschieht sogar vollkom-men unbewusst. Die Art der Interaktion w¨urde vom Benutzer als

”nat¨urlich“,

”intuitiv“

und in sich

”logisch“ bezeichnet werden, er hat das Gef¨uhl einer direkten Einflußnahme auf die Darstellung. Benutzungsschnittstellen, die dies leisten, werden daher als direct manipulation interfaces bezeichnet. Beispiele f¨ur derartige Schnittstellen finden sich in den ”Urformen“ der Desktop-Metapher oder im Bereich der Informationsvisualisierung (z.B. bei [Ahlberg u. a. 1992] oder [Ahlberg und Shneiderman 1994]). Auch innerhalb des Kapitels 4 werden Beispiele f¨ur

”direkte Manipulation“ gezeigt, in denenaction und presentation language durch

”anfassbare“ Interaktionselemente verschmelzen und de-ren imimplementational model verankerte Verhaltensweise und Logik dem Benutzer ein konsistentes conceptual model vermitteln.

Der Begriff der direct manipulation interfaces wurde dabei von Ben Shneiderman ge-pr¨agt, der in [Shneiderman 1997] die Vorz¨uge dieser Benutzungsschnittstellen diskutiert.

Dabei nennt er unter anderem die schnelle Erlernbarkeit f¨ur Anf¨anger, die hohe Effizi-enz f¨ur Experten und eine schnell wachsende Sicherheit im Umgang mit dem System als zentrale Vorteile.

”Users gain confidence and mastery because they are the initiators of ac-tion, they feel in control, and the system responses are predictable.“

Im Hinblick auf ein zuk¨unftiges User Interface Paradigma sollte der Gestaltung der verwendeten Interface-Sprachen und der Vermittlung einer in sich konsistenten und lo-gischen Modellvorstellung gr¨oßte Aufmerksamkeit gewidmet werden. Das in Abschnitt 3.1.1 vorgestellte Modell der Interaktionsebenen mit dem PC kann vor diesem Hinter-grund als weitverbreitetes Negativbeispiel dienen, da es vom Benutzer die gleichzeitige Verwendung unterschiedlichster inkonsistenter und sehr indirekter Interface-Sprachen verlangt und eine ausreichende Modellvorstellung vom System erst nach viel Anwen-dungspraxis ¨uber einen langen Zeitraum aufgebaut werden kann.

Insbesondere die Interaktionsebene des World Wide Web vermittelt in ihrer heute g¨ angi-gen Form als HTML-Hypertext aufgrund der sehr stark an Sprache orientierten action language und ihrem Charakter als conversational interface (siehe [Hutchins u. a. 1986]) kein Gef¨uhl der direkten Einflußnahme. Komplexe Hypertext-basierte Applikationen sind daher aus einer kognitiven Betrachtungsweise in Frage zu stellen.16

In Kapitel 5.1 wird daher diskutiert werden, wie die Anwendung von Prinzipien der Objekt-Orientierung auf die Gestaltung der Benutzungsschnittstelle und auf die Mo-dellierung des Informationsraums in der Lage sind, alternative model-world interfaces mit großer Direktheit und Konsistenz in deren presentation language, action language und implementational model zu entwerfen. Diese Direktheit und Konsistenz ist dabei entscheidend f¨ur die Erreichung einer kognitiv entlastenden und

”intuitiven“ Interaktion mit der zuk¨unftigen Informationstechnologie [Kellog 1987].