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Die Rolle der Informationsarchitektur in dieser Arbeit

2.5 Informationsarchitektur

2.5.3 Die Rolle der Informationsarchitektur in dieser Arbeit

Der Begriff der Informationsarchitektur innerhalb dieser Arbeit bezieht sich dabei prim¨ar auf die Bedeutung als

”gestaltete Struktur“ eines Informationsraums. Dabei ist diese Struktur entscheidend f¨ur die usability eines Informationssystems. Sie muss einen effi-zienten Zugriff auf die gesamten Daten oder Wissensobjekte gew¨ahrleisten, indem sie diese benennt, klassifiziert, differenziert oder hierarchisiert. Weiterhin dient sie als Ori-entierungsrahmen und Wegweiser f¨ur die Navigation des Benutzers im Informationsraum und muss Probleme wielost in hypertext odercognitive overload vermeiden [Arndt 2006].

Im R¨uckgriff auf die Diskussion des Nachteils von statischen Strukturen im Informations-raum aus dem Abschnitt 2.3 soll im Rahmen dieser Arbeit dabei eine weitere Differen-zierung zwischen zwei Ebenen der Informationsarchitektur eingef¨uhrt werden, die Ebene derglobalen Informationsarchitektur und die Ebene derlokalen Informationsarchitektur.

Unter der globalen Informationsarchitektur soll hier die vollst¨andige Modellierung aller m¨oglichen Strukturen und Beziehungen zwischen allen Objekten (z.B. Textdokumente, Bilder, Videos, Benutzer, Autoren, Auktionen) im Informationsraum verstanden wer-den. ¨Ahnlich wie entity relationship-Diagramme aus dem Bereich der Datenbanken eine visuelle Modellierung aller Tabellen, Attribute und Beziehungsm¨oglichkeiten innerhalb

3Henrik Arndt liefert in [Arndt 2006] einen anregenden und ¨asthetisch sehr ansprechenden Ge-samt¨uberblick ¨uber seine Vorstellung von

Integrierter Informationsarchitektur“, die in ihrer Band-breite dabei ¨uber diese Kernfragen der Informationsstrukturierung noch weit hinausgeht und dabei fast alle Aspekte der benutzerzentrierten Gestaltung von Websites abdeckt.

einer Datenbank darstellen, so bildet die globale Informationsarchitektur das m¨ogliche Beziehungsgeflecht zwischen allen Objekten im gesamten Informationsraum ab. Dabei erfolgt dies nicht auf der Ebene der Darstellung aller individuellen Objekte und Bezie-hungen in einer riesigen

”Landkarte“ oder sitemap, sondern auf der abstrakten Ebene von Klassen von Objekten und deren m¨oglichen Beziehungen untereinander. Eine der-artige objekt-orientierte Modellierung des Informationsraums wird in Kapitel 5.1 noch im Detail behandelt werden und ist ein zentraler Bestandteil des im weiteren Verlaufs der Arbeit vorgestellten ZOIL-Paradigmas.

F¨ur die Orientierung des Benutzers in einem Informationsraum ist die globale Informa-tionsarchitektur aber wenig geeignet, da sie durch die starke Abstraktion weniger den Charakter einer Landkarte, sondern eher den Charakter einer abstrakten Bauvorschrift hat. Deshalb muss sie an den Benutzer ¨uber eine bzw. viele lokale Informationsarchi-tekturen vermittelt werden, die jeweils eine m¨ogliche Sicht auf den Informationsraum zur Beantwortung eines spezifischen Informationsbed¨urfnisses abbilden und als Orien-tierungsrahmen f¨ur den Benutzer fungieren. Dabei sind lokale Informationsarchitekturen in gewisser Weise mit den views in einer relationalen Datenbank zu vergleichen, die ein einfaches

”Sichtfenster“ in die komplexen Strukturen des Datenmodells bereitstellen, in-dem sie die verstreuten Ergebnisse aus einer komplexen Anfrage an das Datenmodell in einer koh¨arenten sichtbaren Struktur abbilden und aufbereiten. Eine lokale Informations-architektur ist also die sichtbare Manifestation der globalen InformationsInformations-architektur als eine Navigationsstruktur f¨ur den Benutzer, die unter einem bestimmten Gesichtspunkt oder einer spezifischen Sichtweise erstellt wurde.

Eine lokale Informationsarchitektur kann dabei durch den Informationsarchitekten im Gestaltungsprozess aus der globalen Informationsarchitektur extrahiert und statisch vor-gegeben werden, z.B. durch die manuelle Erstellung einer Hierarchie f¨ur einen Waren-katalog. Sie kann aber auch nach bestimmten Regeln automatisch generiert werden, so dass nachtr¨agliche ¨Anderungen keine manuelle Arbeit des Informationsarchitekten nach sich ziehen. Idealerweise wird sie dynamisch unter Ber¨ucksichtigung des individuellen Informationsbed¨urfnisses des Benutzers generiert. In diesem Sinne kann z.B. auch der Ausschnitt aus dem Informationsraum, der durch die Eingabe einer Suchanfrage auf ei-ner Website als Trefferliste erscheint, als eine Form der lokalen Informationsarchitektur betrachtet werden, wobei diese heute typischerweise (aber nicht notwendigerweise) die flache Struktur einer Liste hat.

Das Verh¨altnis zwischen globaler und lokaler Informationsarchitektur wird in Abbil-dung 2.5 schematisch dargestellt. Dabei werden aus einem komplexen Informationsraum (z.B. einer stark vernetzten Produktdatenbank), der ¨uber die globale

Informationsarchi-tektur abgebildet ist, drei lokale InformationsarchiInformationsarchi-tekturen generiert: eine hierarchische Gesamtansicht als

”Komplettkatalog“ (z.B. f¨ur Großkunden), ein Ausschnitt aus der Produktpalette als hierarchischer

”Teilkatalog“ (z.B. f¨ur Privatkunden) oder die nicht-hierarchische Sicht in Form einer flachen Trefferliste als Ergebnis einer individuellen

”Suche“.

Abbildung 2.5: Das Verh¨altnis zwischen globaler und lokaler Informationsarchitektur.

Die Wahl oder Generierung geeigneter lokaler Informationsarchitekturen ist f¨ur die Be-herrschbarkeit eines Informationssystems oder einer Website entscheidend. Die Tatsache, dass gerade hierarchisch strukturierte Webseiten das World Wide Web dominieren (siehe [Arndt 2006]), kann als Indiz f¨ur eine besonders ausgepr¨agte F¨ahigkeit des Menschens f¨ur die Orientierung in hierarchischen Strukturen betrachtet werden und als Hinweis daf¨ur, wie lokale Informationsarchitektur optimalerweise gestaltet sein sollte. Die Erkenntnis der kognitiven Psychlogie, dass wir die Informationen, die wir zur r¨aumlichen Orientie-rung in der realen Welt verwenden, im Gehirn in hierarchisch organisierten kognitiven Karten ablegen (siehe [Gerken 2006]), kann dabei m¨oglicherweise als Erkl¨arung f¨ur die St¨arke hierarchischer Strukturen gelten4. Auf der anderen Seite ist eine Hierarchie aber nur sehr bedingt in der Lage, die oftmals viel komplexere globale Informationsarchitektur und die Vielfalt derer Beziehungen angemessen abzubilden, ohne wichtige Querverbin-dungen auszublenden und Nutzungsm¨oglichkeiten einzuschr¨anken.

Die Informationsarchitektur muss daher zwei Anspr¨uchen gleichzeitig gen¨ugen. Einer-seits sollte sie auf der Ebene derglobalen Informationsarchitektur die Reichhaltigkeit und die vernetzte Struktur eines Informationsraums (z.B. das komplexe Geflecht einer ¨uber Autoren, user tags, Kommentare oder geografische Verortungen vernetzten Bilddaten-bank) in G¨anze abbilden, um somit die Flexibilit¨at f¨ur die Beantwortung einer Vielzahl

4Es bedarf nach [Gerken 2006] allerdings noch einiger weiterer Forschungsarbeit, um dies als Erkennt-nisse f¨ur die Gestaltung von Informationsr¨aumen zu ¨ubertragen.

denkbarer Informationsbed¨urfnisse anzubieten. Andererseits sollte sie deren konkrete Be-antwortung als Sichten auf den Informationsraum in kognitiv beherrschbaren und leicht zu erfassendenlokalen Informationsarchitekturen aufbereiten.

In den Kapiteln 4 und 5 wird dargestellt werden, wie das ZOIL-Paradigma den Informa-tionsarchitekten bei der Modellierung einer komplexen globalen Informationsarchitektur unterst¨utzt und ihm dann auf dieser Basis ein gleichzeitiges Angebot vielf¨altiger lokaler Informationsarchitekturen als visuelle Einstiegspunkte f¨ur den Benutzer in den Informa-tionsraum zu erm¨oglichen. Diese k¨onnnen dabei w¨ahrend der Informationsarbeit vom Benutzer beliebig ver¨andert oder durch ganz neue Einstiegspunkte erweitert werden, so dass die notwendige Flexibilit¨at f¨ur unterschiedlichste Fragestellungen gew¨ahrleistet ist. Dabei setzt ZOIL bei der Orientierung zwischen und in diesen angebotenen lokalen Informationsarchitekturen auf r¨aumliche Organisation und Visualit¨at (Abbildung 4.4).

Die lokalen Informationsarchitekturen werden dazu als Einstiegspunkte auf der Bent-zungsoberfl¨ache angeordnet und durch Techniken der Informationsvisualisierung, deren M¨oglichkeiten im folgenden Abschnitt thematisiert werden, aufbereitet.