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4. D IE WEIBLICHEN B ESTATTUNGEN VON G EMEINLEBARN A

4.1 Die Gräber

4.1.1 Orientierung und Anlage der Gräber

Die hier zur Untersuchung herangezogenen Gräber streuen regellos über das gesamte Gräberfeld und „respektieren“ sich gegenseitig, was vor allem durch die – da

ausschließlich anthropologisch eindeutig einem Geschlecht zuzuordnende Bestattungen zur Auswertung herangezogen wurden – Auswahl der ausgewerteten Bestattungen erklärt werden kann.

Sämtliche der 43 der Auswertung zugrunde gelegten Grabgruben waren in S-N Richtung orientiert. Lediglich vier Gräber weichen – allerdings nur geringfügig – von dieser

Ausrichtung ab (Grab Nr. 80 (SSW-NNO), 176 (SO-NW), 187 (SSO-NNW) und Grab Nr. 253 (SW-NO)).

In den Grabgruben Nr. 44 und 144 befanden sich jeweils zwei eindeutig weibliche Individuen. In beiden Fällen handelt es sich nicht um eine gleichzeitig erfolgte

Doppelbestattung, sondern um jeweils eine Primärbestattung und eine zu einem späteren Zeitpunkt in die Grabgrube eingebrachte Nachbestattung.

Eine solche Nachbestattung kann durch unterschiedliche Motivationen bedingt sein.

Ältere Gräber können bewusst für eine Nachbestattung ausgewählt werden, wenn beispielsweise eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen den verstorbenen Individuen besteht (z.B. Eltern-Kind, Geschwister, Großeltern usw.). Ungeklärt bleibt dabei in den meisten Fällen, in welchem zeitlichen Abstand zur Primärbestattung die jeweilige Nachbestattung in das bereits vorhandenes Grab eingebracht wurde.

Bei den hier vorliegenden beiden Fällen von Gräbern mit Nachbestattungen handelt es sich um zwei mature Frauen in Grab Nr. 44 sowie die Bestattung eines Kindes (Infans II) und einer adulten Frau in Grab Nr. 144.

Eine weitere Erklärung für die immer wieder auftretende Sitte der Nachbestattungen kann ein religiöses oder gesellschaftlich bedingtes Motiv sein. In diesem Zusammenhang wurde angenommen, dass die Bestattung einer herausragenden Persönlichkeit (z.B.

eines „Fürsten“/einer „Fürstin“ oder eines Priesters/einer Priesterin) benutzt wurde, um den Schutz der Primärbestattung für die Nachbestattung zu nutzen und/oder auf diese zu übertragen132. Anhand der aus den hier untersuchten beiden Gräbern mit

Nachbestattungen gewonnenen Erkenntnisse können jedoch keine eindeutigen Schlussfolgerungen bezüglich der Motivation für die jeweils erfolgte Nachbestattung gezogen werden. In keinem der beiden untersuchten Gräber mit eindeutig weiblichen Bestattungen und Nachbestattungen in Gemeinlebarn A konnte aufgrund der

vorhandenen Beigaben oder des Bestattungsritus’ die Primärbestattung beispielsweise als herausragende Persönlichkeit ermittelt werden – was aber nicht bedeuten muss, dass es sich hierbei nicht doch um eine herausragende Persönlichkeit gehandelt haben könnte, welche besonderen Aufgaben nachging beziehungsweise über „Schutzmöglichkeiten“

innerhalb der Gesellschaft der Bestattungsgemeinschaft verfügt hat.

Es ist daher eher eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen der Sekundärbestattung und dem primär bestatteten Individuum als wahrscheinlich anzusehen. Dies könnte für Gemeinlebarn A insbesondere bei den Bestattungen in Grab Nr. 144 der Fall sein, in dem eine adulte Frau und ein Kind beigesetzt wurden. Eventuell könnte in diesem Fall eine Mutter-Kind Beziehung Ursache für die Beisetzung beider Individuen in einer Grabgrube ausschlaggebend gewesen sein. Jedoch lässt sich diese Vermutung nur durch genetische Untersuchungen am Knochenmaterial untermauern, welche im vorliegenden Fall für Gemeinlebarn A nicht durchgeführt wurden. Eine weitere Besonderheit der Bestattungen in Grab Nr. 144 ist die Tatsache, dass die Primärbestattung des Kindes (nach Angaben des Ausgräbers weiblichen Geschlechts133), welches im Alter von etwa 6-15 Jahren verstorben ist, entgegen der für weibliche Individuen regelhaft beobachteten Ausrichtung mit dem Kopf nach Norden und auf der linken Körperseite liegend bestattet wurde.

Dahingegen wurde die Nachbestattung einer adulten Frau, die lediglich wenige Zentimeter über der Primärbestattung in die Grabgrube eingebracht wurde, „richtig“

orientiert, nämlich mit dem Kopf im Süden und auf der rechten Körperseite liegend134. Eine Erklärung für die „falsch“ orientierte Primärbestattung ergibt sich, wenn man die anthropologische Bestimmung des Kindes als weiblich in Frage stellt. Da es äußerst diffizil ist, anhand der Skelettreste eines Kindes eine eindeutig Bestimmung des Geschlechts durchzuführen, muss in diesem Fall die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass es sich hier unter Umständen auch um ein männliches Kind handeln

132 Bertemes, 1989, 28.

133 Bertemes, 1989, Katalog, 65.

134 Bertemes, 1989, Katalog, 65.

könnte, womit die Orientierung der Bestattung dem regelhaften Ritus für Angehörige des männlichen Geschlechts entspräche.

4.1.2 Die Grabgruben

Die insgesamt 45 ausgewerteten weiblichen Bestattungen des Gräberfeldes

Gemeinlebarn A befinden sich in 43 Grabgruben. Wie bereits oben vermerkt (Kap. 4.1.1), wurden in den Gräbern Nr. 44 und 144 jeweils zwei weibliche Individuen in einer

Grabgrube bestattet.

Von diesen 43 Grabgruben weisen 12 eine eher langovale Form135, 28 eine

langrechteckige Form136 auf; bei drei Grabgruben konnte die genaue Form nicht näher bestimmt werden137 (s. Diagramm 5).

Dies entspricht einer prozentualen Verteilung von 27,9 % für langovale Grabgruben, 65,1 % für langrechteckige Grabgruben und 6,9 % für Grabgruben von unbestimmter Form.

Die Länge der untersuchten Grabgruben schwankt zwischen 1,20 m (Grab Nr. 29 und 253) und 2,40 m (Grab Nr. 215). Es ergibt sich eine mittlere Länge für Gräber mit eindeutig weiblichen Bestattungen aus Gemeinlebarn A von 1,88 m. Wie Diagramm 1 zeigt, weisen die meisten der untersuchten Grabgruben eine Länge zwischen 1,60 und 2,00 m auf.

Die Grabgruben waren zwischen 0,70 m (Grab Nr. 50 und 58) und 1,60 m (Grab Nr. 174) breit. Daraus ergibt sich eine mittlere Breite von 1,11 m für die untersuchten 43

Grabgruben. Aus Diagramm 2 wird deutlich ersichtlich, dass die meisten der untersuchten Grabgruben eine Breite von 0,85 bis 1,30 m aufweisen.

Die Tiefe der jeweiligen Grabgrube wurde von Szombathy von der Schotteroberkante ausgehend ermittelt138. Wie bereits Stein139 und Bertemes140 feststellten, lassen sich die unterschiedlichen Tiefen der Grabgruben vermutlich auf intentionelle Beweggründe

135 Gräber Nr.: 40, 44, 76, 109, 177, 236, 237, 238, 246, 253, 259, B12.

136 Gräber Nr.: 29, 80, 92, 108b, 123, 126, 134, 139, 144, 147, 166, 174, 176, 184, 187, 193, 195, 198, 199, 214, 215, 217, 224, 227, 239, 241, 252, 263.

137 Gräber Nr.: 42, 50, 58.

138 Bertemes, 1989, 28.

139 Stein, 1968, 3.

140 Bertemes, 1989, 28.

zurückführen. Diese Vermutung wird dadurch begründet, dass die differierenden

Grabtiefen nicht durch eine Hanglage des Gräberfeldes (das Gräberfeld befindet sich auf einer ebenen Fläche der Niederterrasse) oder durch sekundäre

Oberflächen-veränderungen, wie Erosion oder Anschwemmung, erklärt werden können, da diese stets das gesamte Gräberfeld (oder zumindest größerer Teile des Gräberfeldes) gleichermaßen betroffen hätten. Aus den genannten Gründen ist folglich zu vermuten, dass die

unterschiedlichen Grabgrubentiefen (wie auch jeweilige die Breite und Länge) intentionell gewählt wurden.

Die geringste Tiefe einer Grabgrube einer eindeutig weiblichen Bestattung weist Grab Nr. 166 mit lediglich 0,45 m auf. Die größte Tiefe mit 2,30 m erreicht dagegen die

Grabgrube des Grabes Nr. 92. Betrachtet man die Tiefen aller 43 Grabgruben, ergibt sich eine durchschnittliche Tiefe von 1,29 m. Bertemes141 gibt in seiner Publikation für die Tiefe aller Grabgruben von Gemeinlebarn A eine Variationsbreite von 0,30 m bis 2,80 m an, was den oben genannten Ergebnissen für die untersuchten weiblichen Bestattungen weitgehend entspricht.

Bei den Grabtiefen lassen sich zwei Gruppen herausstellen (s. Diagramm 3). Zur ersten Gruppe gehören Gräber mit einer geringen Tiefe von 0,45 m bis 0,75 m. Die zweite Gruppe lässt sich mit den Grabtiefen zwischen 1,05 m und 2,30 m bilden. In dieser – von der Varianz der Grabtiefen aus gesehenen – größeren Gruppe zeigen sich bei einer Staffelung von je 0,30 m pro Einheit, dass in jeder der so entstandenen Einheiten nahezu eine gleich große Anzahl Gräber enthalten ist.

Wichtig für einen Vergleich der Grabgrubengrößen und daraus evtl. zu ziehender, möglicherweise gesellschaftlich motivierter Unterscheidungen oder „Wertungen“ der bestatteten Individuen ist jedoch vor allem das Volumen der einzelnen Grabgruben. Im Fall der hier untersuchten Grabgruben schwankt das Volumen zwischen 0,27 m³ (Grab Nr. 253) und 7,728 m³ (Grab Nr. 174).

Für die Berechnung des Volumens der Grabgruben muss die Form der Grabgrube berücksichtigt werden. Bei rechteckigen Grabgruben wird das Volumen mit der Formel:

Länge x Breite x Tiefe, bei ovalen dagegen Länge/2 x Breite/2 x Tiefe142 berechnet. Für Grabgruben mit unbestimmter Form werden jeweils die Ergebnisse für eine ovale und eine rechteckige Grube entsprechend den erwähnten Formeln ermittelt, addiert und durch den Faktor Zwei dividiert.

141 Bertemes, 1989, 28f.

142 Bertemes, 1989, 30.

Diese Formeln werden den von Sprenger143 für die Untersuchung des Gräberfeldes von Franzhausen I verwendeten, zu genaueren Ergebnissen führenden Formeln vorgezogen, da für die Anwendung der von ihr verwendeten Formeln im Fall des Gräberfeldes von Gemeinlebarn A nicht alle notwendigen Angaben (z.B. Länge und Breite des ersten Planums) vorliegen. Da jedoch eine Vergleichbarkeit der errechneten Werte aus allen vier Gräberfeldern gewährleistet werden soll, werden auch für die Berechnungen der

Grabvolumina der drei übrigen Gräberfelder – obwohl in deren Fall die jeweils

notwendigen Angaben vorliegen – die oben genannten, einfacheren Formeln verwendet.

Die so berechneten Volumina jeder Grabgrube ergeben einen Größenvergleich, der wiederum die Ermittlung des Arbeitsaufwandes beim Anlegen der Grube ermöglicht.

Diagramm 4 zeigt deutlich, dass 31 der Grabgruben mit eindeutig weiblichen Bestattungen von Gemeinlebarn A nur ein geringes Grabvolumen von bis zu 1,8 m³ aufweisen. 12 Grabgruben weisen ein Grabvolumen zwischen 1,8 m³ und 6 m³ auf.

Lediglich drei der untersuchten Grabgruben können mit einem Volumen von mehr als 6 m³ in die Kategorie der großen Grabgruben eingeordnet werden, wobei das

durchschnittliche Grabvolumen für die eindeutig weiblichen Bestattungen von Gemeinlebarn A 2,332 m³ beträgt.

Bertemes macht vor allem bisher unbekannte kultische oder sozial bedingte Gründe für den durch das Volumen der Grabgruben repräsentierten Arbeitsaufwand verantwortlich144.

Der eventuell vorhandene Zusammenhang zwischen dem Volumen der Grabgrube und dem Grad der Beraubung wird in Kapitel 4.1.4 weiter untersucht, der Zusammenhang zwischen dem Grabvolumen und dem Alter der Bestatteten in Kapitel 4.1.5.

Einbauten in den Grabgruben, beispielsweise durch einzelne Steine, Steinsetzungen, Steinpackungen oder Ähnliches lassen sich in Gemeinlebarn A nicht nachweisen. Zudem fehlen Hinweise auf Särge aus Holz oder Leichenbehältnisse aus anderen organischen Stoffen wie zum Beispiel Leder oder Stoff145. Der Meinung von Bertemes, der die mangelnde Aufmerksamkeit bei der Aufdeckung der Gräber als Grund für die fehlenden

143 Sprenger, 1999, 77, Anm. 55.

144 Bertemes, 1989, 34.

145 Bertemes, 1989, 35.

Nachweise solcher organischer Materialien verantwortlich macht, ist somit zuzustimmen146.

Dass Särge oder ähnliche Leichenbehältnisse in der frühen Bronzezeit und in dieser Region durchaus verwendet wurden, zeigen die Nachweise solcher Befunde in den übrigen untersuchten Gräberfeldern (s. u.).

4.1.3 Lage und Ausrichtung der Bestattungen

Von den 45 eindeutig als weibliche Individuen bestimmten Bestattungen im Gräberfeld Gemeinlebarn A wurden 29 in süd-nördlicher Richtung bestattet – dies entspricht einem Anteil von 64,4 %. Dabei war das jeweils bestattete Individuum mit dem Kopf im Süden beigesetzt worden147.

In nur einem Fall – der Bestattung in Grab Nr. 44b – weicht die Ausrichtung geringfügig von der S-N Ausrichtung ab. Hier wurde die Bestattung in SO-NW Richtung ausgerichtet, wobei sich der Kopf im SO befand.

In sieben Fällen (15,5 %) konnten keine Angaben über die ursprüngliche Orientierung der jeweiligen Bestattung mehr gemacht werden148.

Bei neun weiblichen Bestattungen (20 %) wurde die jeweils in der Grabgrube befindliche Bestattung in N-S Richtung mit dem Kopf im Norden bestattet149.

Daraus ergibt sich, dass die Bestattung in S-N Richtung (wobei der Kopf der Bestattung im Süden lag) die regelhafte Art der Orientierung von weiblichen Individuen in

Gemeinlebarn A war150.

Ferner ist zu konstatieren, dass von den eindeutig als weibliche Individuen bestimmten Bestattungen 25 als rechte Hocker (also auf der rechten Körperseite liegend) bestattet wurden, was einem Anteil von 55,6 % entspricht151. Nur fünf Bestattungen (11,2 %) können als linke Hocker angesprochen werden152. Bei diesen fünf Bestattungen handelt es sich zudem in allen Fällen um N-S orientierte, aber eindeutig weibliche Individuen. Es bleibt folglich festzuhalten, dass fünf der neun (55,6 %) Individuen, welche N-S orientiert waren, auch gleichzeitig als linke Hocker bestattet wurden. Sie wurden somit sowohl was

146 Bertemes, 1989, 35.

147 Gräber Nr.: 29, 40, 42, 44a, 58, 76, 80, 92, 123, 134, 144b, 147, 166, 174, 177, 184, 187, 195, 199, 215, 217, 224, 227, 236, 241, 246, 252, 263, B12.

148 Gräber Nr.: 108b, 109, 126, 214, 238, 239, 259.

149 Gräber Nr.: 50, 139, 144b, 176, 193, 198, 237, 253.

150 auch: Bertemes, 1989, 59; Stein, 1968, 9.

151 Gräber Nr.: 29, 44b, 50, 58, 76, 80, 92, 123, 134, 139, 144b, 147, 166, 174, 177, 184, 187, 195, 217, 227, 236, 246, 252, 263, B12.

152 Gräber Nr.: 144a, 176, 193, 198, 237.

die Orientierung als auch die Haltung der Bestattung (als linke Hocker) betrifft, wie die männlichen Individuen dieses Gräberfeldes bestattet. Drei der neun N-S orientierten Individuen wurden als rechte Hocker bestattet, bei einem weiteren konnte nicht mehr festgestellt werden, ob es sich ursprünglich um einen rechten oder einen linken Hocker gehandelt hat153.

Wie in den folgenden Kapiteln zu den Beigaben und Trachtbestandteilen deutlich wird, unterscheiden sich die gemäß der „männlichen“ Bestattungssitte orientierten eindeutig weiblichen Bestattungen in ihrer Ausstattung nicht von den anderen weiblichen

Bestattungen. Es konnte in keinem der hier genannten neun Fälle eine von der Regel abweichende oder auffällige Ausstattung beobachtet werden. Auch was das Alter der auf diese Weise – nämlich nicht dem für weibliche Bestattungen entsprechenden Ritus’ – bestatteten, dennoch eindeutig weiblichen Individuen betrifft, kann kein Zusammenhang erkannt werden, da bei diesen neun Bestattungen nahezu alle Altersklassen vertreten sind.

Zudem fand sich in Grab Nr. 215 eine als Rückenhocker beigesetzte weibliche Bestattung, welche somit ebenfalls nicht der üblichen Bestattungsform entspricht. In diesem Fall waren die Beine der Bestattung nach Osten ausgerichtet, während sich der Schädel im Westen der Grabgrube befand.

Bei den übrigen 14 Bestattungen (31,2 %) lässt sich keine eindeutige Ansprache, ob es sich jeweils um einen rechten oder linken Hocker handelte, machen154.

Es bleibt folglich festzuhalten, dass die Bestattungsform als seitlicher, rechter Hocker in S-N Richtung für eindeutig weibliche Individuen von Gemeinlebarn A die am häufigsten auftretende ist.

Davon abweichend kommen weibliche Bestattungen als linke oder rechte Hocker in N-S Ausrichtung sowie in einem Fall ein Rückenhocker vor. Dagegen wurde keine der hier untersuchten weiblichen Bestattungen mit der Ausrichtung S-N zugleich auf der linken Körperseite liegend festgestellt.

Wie Bertemes und Stein bereits festgestellt haben, liegt somit in Gemeinlebarn A eine bipolar geschlechtsdifferenzierte Bestattungssitte vor, bei der Männer regelhaft mit dem Kopf im Norden (N-S-Ausrichtung) als linke Hocker und die Frauen mit dem Kopf im

153 Gräber Nr.: 50, 58, 139 (rechte Hocker); Grab Nr.: 253 keine Angaben, ob es sich um einen rechten oder linken Hocker handelt.

154 Gräber Nr.: 40, 42, 44a, 108b, 109, 126, 199, 214, 224, 238, 239, 241, 253, 259.

Süden (S-N-Ausrichtung) als rechte Hocker bestattet wurden155. Diese Feststellung lässt sich anhand der untersuchten eindeutig weiblichen Bestattungen bestätigen.

Die Frage nach den Gründen für eine von dieser Regel abweichende Bestattung der hier genannten weiblichen Individuen birgt einige Probleme.

Für Stein zeigte sich in den weiblichen Bestattungen, die nach den Bestattungssitten für männliche Individuen beigesetzt worden waren, eine Lockerung der vorherrschenden Bestattungssitten156. Die hier untersuchten „falsch“ orientierten weiblichen Bestattungen, gehören chronologisch betrachtet ausschließlich in die Stufen 1 und 2 nach Bertemes, lediglich Grab Nr. 50 kann keiner Stufe zugewiesen werden157. Die frühen Stufen 1 und 2 zeichnen sich gegenüber den späteren Stufen 3 und 4 vor allem dadurch aus, dass sich keine Beigaben oder Trachtbestandteile aus Metall feststellen lassen. Es scheint also, nach dem Ende der Stufe 2 einen Wechsel in der Ausstattung von vor allem nicht-metallischen Beigaben zu nicht-metallischen Beigaben gegeben zu haben. Unter

Berücksichtigung der Tatsache, dass einige der oben genannten „falsch“ orientierten weiblichen Bestattungen aus der Stufe 1 und 2 – und damit aus einer Phase sich verändernder Ausstattungsregeln – stammen, ist die Annahme, dass in diesem

Zusammenhang auch eine vorübergehende Lockerung der Bestattungssitten der Grund für die andere Orientierung der wenigen weiblichen Individuen nach „männlicher Art“ sein kann, wobei dies allerdings keine in jedem Fall gültige Schlussfolgerung sein darf.

Ebenfalls als Interpretationsmöglichkeit anzusehen wäre, dass die „falsch“ bestatteten Individuen entweder sozial als für die Gemeinschaft (lebens-)wichtig zu betrachtende Stellungen innehatten oder Funktionen ausübten, für die beispielsweise besondere Fähigkeiten notwendig waren (Priester/innen, Seher/innen, Heiler/innen o.ä.) und aus diesem Grund eine von der geschlechtsspezifischen Norm abweichende Behandlung im Bestattungsritual erfuhren, um sie gegenüber den anderen gleichgeschlechtlichen Individuen hervorzuheben.

Im Umkehrschluss hierzu bietet sich allerdings auch die Interpretation an, dass „falsch“

orientierte Individuen einen besonders niedrigen gesellschaftlichen „Wert“ hatten oder gar außerhalb der Bestattungsgemeinschaft standen und somit auch nach ihrem Tod als von der Gesellschaft Ausgegrenzte anzusehen sein sollten.

Bertemes führt wie bereits Neugebauer die „falsch“ orientierten Bestattungen von Gemeinlebarn auf ein nicht konsequent eingehaltenes Totenritual zurück158.

Neugebauer wies in diesem Zusammenhang ebenfalls darauf hin, dass bei den meisten der bekannten frühbronzezeitlichen Nekropolen Abweichungen von der regelhaften

155 Stein, 1968, 7ff.; Bertemes, 1989, 37ff.

156 Stein, 1968, 67.

157 Bertemes, 1989, 110f.

158 Bertemes, 1989, 67.

Bestattungssitte festgestellt werden konnten159. Welche möglichen weiteren Ursachen, die zu abweichenden Bestattungssitten geführt haben können, denkbar sind, wird im

Folgenden in Kap. 17 detaillierter analysiert.

Die Hockerlagen weisen – unabhängig von ihrer Ausrichtung – noch weiterführende Unterscheidungsmerkmale auf.

Im Gegensatz zu den übrigen in der vorliegenden Arbeit untersuchten Gräberfeldern, welche ab den 1980er Jahren freigelegt und untersucht werden konnten, gibt es für die Haltung der Bestattungen von Gemeinlebarn A aufgrund der Mängel in der

Dokumentation und der Störung des Gräberfeldes nur wenige sowohl exakte als auch zuverlässige Angaben.

So lassen sich nur aufgrund der ursprünglichen, von Szombathy angefertigten Notizen und Zeichnungen kaum Aussagen darüber machen, ob es sich um extreme, mäßige oder lockere Hocker handelt.

Bertemes hat trotz dieser Dokumentationslücken in seiner Bearbeitung des Gräberfeldes von Gemeinlebarn A in einer schematischen Darstellung die möglichen unterschiedlichen Haltungen der Bestattungen dieses Gräberfeldes erschlossen160.

Dabei stützte er sich auf den Text der originalen Grabungsdokumentation sowie einige wenige während der Grabung vor Ort angefertigte Befundskizzen Szombathys.

Somit konnte Bertemes anhand einer Gradeinteilung, welche die Haltung bzw.

Abwinklung der Arme und Beine einer Bestattung verdeutlichen sollte, einen vier- bzw.

fünfstelligen Zahlencode für die Haltung jeder einzelnen Bestattung entwickeln. Dieser Zahlencode – der von Bertemes als „Typ“ bezeichnet wird – liegt den im Folgenden gemachten Angaben zur Haltung der Bestattung zugrunde161.

Bei neun weiblichen Bestattungen (23 %) konnten allerdings selbst unter Zuhilfenahme des genannten Systems aufgrund der starken Störung und der nicht immer

ausreichenden Dokumentation der Befunde keine detaillierten Angaben über die

Totenhaltung gemacht werden162. Für diese Gräber lässt sich lediglich feststellen, dass in Grab Nr. 50 und 139 jeweils ein rechter Hocker beigesetzt wurde sowie in Grab Nr. 193 ein linker Hocker. Bei den übrigen sechs der neun Gräber dieser Gruppe waren keinerlei Angaben über die Haltung der Bestattung möglich.

159 Neugebauer, 1991, 86f.

160 Bertemes, 1989, 37ff.

161 Bertemes, 1989, 37ff. sowie Liste 4 und 5.

162 Gräber Nr.: 50, 108b, 109, 126, 139, 193, 214, 239, 259

Zu der Gruppe der extremen Hocker (nach Bertemes, Typ 111 und 2111) können fünf der hier untersuchten weiblichen Bestattungen (11,2 %) gezählt werden163.

Zusammen mit der Gruppe von acht Bestattungen (17,8 %) der „halbextremen“ Hocker (nach Bertemes, Typ 1121, 2121, 21121) gehören sie für Bertemes164 zu den

Bestattungen, bei denen eine eventuelle Bandagierung der Extremitäten, die Bestattung in einem engen (Baum-)Sarg oder das Einnähen des Verstorbenen in eine organische Hülle in Betracht gezogen werden muss. Begründet werden kann diese Annahme durch die extrem starke Anwinkelung der Arme und Beine.

Die übrigen der hier betrachteten weiblichen Bestattungen verteilen sich auf die

„mäßigen“ Hocker (nach Bertemes, Typ 1000, 1333, 2000, 2110, 2120, 2220, 2230, 2330), bei denen die Arme und/oder die Beine vergleichsweise lediglich mäßig angewinkelt waren165 sowie die als „leichte“ Hocker zu bezeichnenden (Typen 2222, 2331, 22312), bei denen eine geringe Anwinkelung der Arme und/oder Beine festzustellen war166.

Dabei stellen die „leichten“ Hocker mit sechs Bestattungen etwa 13,4 % der Gesamtzahl der 45 weiblichen Bestattungen, während die mäßigen Hocker mit 16 Bestattungen etwa 35,5 % aller hier untersuchten weiblichen Bestattungen ausmachen.

Bertemes kam in seinen Untersuchungen aller Bestattungen des Gräberfeldes Gemeinlebarn A zu dem Ergebnis, dass die extremen und halbextremen Hocker am häufigsten auftreten167.

Dieses Ergebnis lässt sich zum Teil aus der Tatsache heraus erklären, dass die extremen Hocker auf den wenigen von Szombathy angefertigten Zeichnungen und Beschreibungen besser zu erkennen sind als die übrigen der erwähnten Haltungstypen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die regelhafte Bestattungsart für weibliche Individuen in Gemeinlebarn A der auf der rechten Körperseite, S-N orientierte Hocker war.

Bei der Haltung der eindeutig weiblichen Individuen tritt am häufigsten der mäßige Hocker auf. Wenn man die extremen und halbextremen Hocker zusammengefasst betrachtet – da diese sich in ihrer Haltung einander ähneln und sich so von den mäßigen und leichten Hockern auf der anderen Seite gut unterscheiden lassen – kommen diese prozentual

163 Gräber Nr.: 42, 44a, 176, 187, 253.

164 Bertemes, 1989, 40ff.; Gräber Nr.: 29, 40, 44b, 76, 80, 92, 184, 237.

165 Gräber Nr.: 134, 144a, 147, 174, 215, 217.

166 Gräber Nr.: 58,123, 144b, 166, 177, 195, 198, 199, 224, 227, 236, 241, 246, 252, 263, B12.

167 Bertemes, 1989, 40.

gesehen zwar weniger, aber doch annähernd genauso häufig vor wie die mäßigen Hocker (29 % extreme und halbextreme Hocker, 35,5 % mäßige Hocker).

Was einen eventuell vorliegenden Zusammenhang zwischen der Haltung der

Bestattungen und der chronologischen Einordnung betrifft, stellte Bertemes fest, dass in der Stufe 1 und am Beginn der Stufe 2 „mit Vorliebe“ die Bestattungen als „leichte“ Hocker (Typen 1121, 2121, 1221, 2221) beigesetzt wurden168. Allerdings konnte bei keiner der in der vorliegenden Arbeit untersuchten Bestattungen die Haltung des von ihm genannten Typus der „leichten“ Hocker aus diesen Stufen festgestellt werden.

4.1.4 Beraubung

Zunächst sollen hier einige allgemeine Anmerkungen zur Störung und „Beraubung“ von Bestattungen erfolgen.

Im Falle einer vorliegenden Störung von Gräbern wird grundsätzlich zwischen einer

„primären“ und einer „sekundären“ Grabstörung unterschieden169. Dabei ist vor allem der Zeitpunkt der Beraubung des Grabes und der darin befindlichen Bestattung von

Bedeutung.

Die primäre Grabstörung ereignet sich im Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt des Todes und der endgültigen Verschließung der Grabgrube. Bei dieser Form der Grabstörung wird die eigentliche Grabanlage nach der Bestattung nicht wieder geöffnet.

Die primäre Grabstörung lässt sich durch unterschiedlich motivierte Merkmale

nachweisen. Dabei lassen sich als Gründe für eine primäre Störung Besonderheiten, die im Bestattungsritual auftreten, wie beispielsweise ein zeitverzögertes Bestatten (die Bestattung wird erst nach einer teilweisen oder vollständigen Verwesung der Weichteile durchgeführt), Teilbestattungen (z.B. nur des Schädels oder anderer „wichtige“

Körperteile) oder vor der Bestattung erfolgtes Abtrennen von Körperteilen nennen.

In den meisten Fällen kann von einer „sekundären“ Grabstörung im eigentlichen Sinne gesprochen werden. Dabei wird nach Abschluss der eigentlichen Bestattung, aller damit zusammenhängenden Rituale und Vorkehrungen und dem Verschließen der Grabgrube bzw. Grabanlage die Bestattung gestört.

168 Bertemes, 1989, 112.

169 Bertemes, 1989, 121.

Diese Störung kann verschiedentlich motiviert sein. Neben durch den Verwesungsprozess auftretenden postmortalen Verlagerungen des Skelettes (also ohne Fremdeinwirkung erfolgte Verlagerungen der Bestattung)170 kommen die Fälle in Betracht, in denen eine Störung etwa durch das Einbringen von Nachbestattungen und der Entnahme der Grabbeigaben zur Gewinnung von Wertgegenständen und die „Schändung“ oder

„Entehrung“ des Verstorbenen erfolgte.

Aber auch nicht beabsichtigte Störungen, wie zum Beispiel das Umpflügen von Befunden durch landwirtschaftliche Maßnahmen, können als sekundäre Störungen betrachtet werden.

Nicht-anthropogene Störungen, zum Beispiel durch Tiere hervorgerufene Verwerfungen beim Bau von Gängen oder unter dem Laufhorizont angelegten Nestern, werden ebenfalls als sekundäre Störungen bezeichnet, sind allerdings in den allermeisten Fällen von durch den Menschen beigebrachten Störungen gut abzugrenzen.

Grundsätzlich ist die genaue Unterscheidung, ob eine primäre oder sekundäre Störung des Befundes vorliegt, nicht immer eindeutig zu treffen. Meist liegt eine Zuordnung zum einen oder anderen Fall im Ermessen des Ausgräbers. Nur wenn etwa ein sekundär eingebrachter Störungstrichter oder –schacht nachzuweisen ist und/oder beispielsweise grünliche Verfärbungen am Skelett festzustellen sind, kann mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine sekundäre Störung (und die Entnahme metallener Beigaben) geschlossen werden.

Wie Sprenger und Neugebauer bemerkten, unterscheidet man zusätzlich auch zwischen den Begriffen Gräberschädigung/Grabfrevel, Grabraub/Grabplünderung und

Grabentleerung171. Diese Begrifflichkeiten lassen sich vor allem durch die ihnen zugrunde liegende unterschiedliche Motivation für eine Störung des Grabes voneinander

unterscheiden.

Unter Gräberschädigung/Grabfrevel versteht man demnach die sekundäre Öffnung eines Grabes mit dem Ziel einer „Schändung“ oder Entehrung des Bestatteten oder seiner Hinterbliebenen. Dabei ist die Entnahme von Wertgegenständen und die dadurch erfolgte

„Bereicherung“ desjenigen, der die Schädigung durchführt, von keiner oder nur untergeordneter Bedeutung.

Dagegen ist die Entnahme von wertvollen Beigaben aus dem Bestattungszusammenhang das primäre Ziel bei einem Grabraub oder einer Plünderung des Grabes.

170 Herrmann, 1990, 36ff.

171 Sprenger, 1999, 15; Neugebauer, 1991, 112ff.; ders., 1994, 117ff.