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1. Einleitung

1.2 Signaltransduktion in höheren Eukaryonten

1.2.2 CMGC-Proteinkinasen

1.2.2.2 Glykogensynthase-Kinasen

Ihren Namen verdankt die Glykogensynthase-Kinase 3 (GSK3) ihrer Erstbeschreibung als Enzym, welches die Glykogensynthase phosphoryliert und dadurch inhibiert. Sie wurde erst-mals aus Skelettmuskel isoliert (Embi et al., 1980; Rylatt et al., 1980; Woodgett und Cohen, 1984). Ihr Name sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass GSK3 bei einer Vielzahl von zellulären Vorgängen eine wichtige regulatorische Rolle übernimmt. Neben ihrer Funktion im Glykogenstoffwechsel und Insulinsignalweg kommen ihr Aufgaben bei der Zell-proliferation, dem Zellzyklus, der Apoptose und der Zellmotilität zu. Sie spielt eine Rolle bei Entzündungsprozessen, bei der Embryonalentwicklung und beim Funktionserhalt von Nervenzellen (Frame und Cohen 2001; Doble und Woodgett 2003; Jope und Johnson, 2004). Eine Fehlregulation auf Ebene von GSK3 scheint von Bedeutung zu sein bei der Ausbildung oder Progression unterschiedlicher Erkrankungen, wie Diabetes mellitus Typ II (Eldar-Finkelman et al., 1999), Alzheimer Krankheit (De Ferrari und Inestrosa, 2000;

Maccioni et al., 2001), bipolaren Störungen (Chen et al., 1999; Gould et al., 2004) und einer Reihe von Krebsentitäten (Manoukian und Woodgett, 2002) unter anderem.

GSK3 ist eine evolutionär hochkonservierte Proteinkinase. Homologe finden sich in Wirbel-tieren, Pflanzen, Pilzen, Würmern, Fliegen, Seescheiden (Ali et al., 2001) und in daraufhin untersuchten Protozoen. In Säugetieren besteht die GSK3-Familie aus zwei, von verschiedenen Genen codierten Isoformen − alpha und beta. Beide Genprodukte werden ubiquitär in allen Säugetiergeweben exprimiert, wenn sich auch ihr Expressionsniveau von Gewebe zu Gewebe unterscheidet. Das Molekulargewicht von humaner (hs) GSK3α beträgt 51 kDa, das von GSK3β 47 kDa. Die Ähnlichkeit der Aminosäuresequenz innerhalb der Kinase-Domäne beider beträgt 97 %. Die hsGSK3α besitzt als wesentlichen Unterschied zur hsGSK3β einen längeren, glycinreichen der katalytischen Domäne vorangehenden N-terminalen Bereich (Frame und Cohen, 2001).

Beide Isoformen weisen ähnliche biochemische- und Substrat-Eigenschaften auf. In ihrer Funktion scheinen sich GSK3α und GSK3β im Wnt/β-Catenin-Signalweg vollständig redun-dant zu verhalten (Doble et al., 2007), und sie übernehmen eine wichtige, wenn auch nicht vollständig deckungsgleiche Funktion bei der Regulation von Stoffwechselvorgängen (Force und Woodgett, 2008). Doppeldeletionsstudien in Mäusen haben gezeigt, dass GSK3α und GSK3β in ihrer Funktion nicht als äquivalent zu betrachten sind. Eine fehlende Expression von GSK3β verhält sich in Mäusen bereits während der Embryogenese letal. Neben einer

schweren Zellschädigung der Leber durch Apoptose finden sich Herzanomalien (Hoeflich et al., 2000; Kerkela et al., 2008). Daneben überleben GSK3α-knock-out-Mäuse und sind zur Fortpflanzung fähig, zeigen jedoch eine erhöhte Insulinsensitivität und Glukosetoleranz, be-gleitet von einer gesteigerten Glykogeneinlagerung in der Leber (MacAulay et al., 2007).

Eine Besonderheit weist GSK3 bei ihrer Substratwahl auf. Bei der Mehrheit der Substrate geht der Phosphorylierung durch GSK3 eine Phosphorylierung des Substrats durch eine andere Kinase voran, dies wird als „priming“ bezeichnet (Fiol et al., 1987). Durch diese prä-Phosphorylierung wird die Effizienz der Substratphosphorylierung durch GSK3 um das 100-1000fache gesteigert (Thomas et al., 1999). Der von GSK3 phosphorylierte Serin- bzw.

Threonin-Rest (pS/T2) liegt vier (Fiol et al., 1990) bzw. fünf (Cole et al., 2006) Aminosäure-reste N-terminal des durch die „priming“ Kinase phosphorylierten Serin- bzw. Threonin-Rests (pS/T1): pS/T2xxxpS/T1 (x entspricht jeder beliebigen Aminosäure, ist aber häufig Prolin). Gut etablierte Beispiele für GSK3-Substrate für die ein „priming“ Mechanismus belegt ist, ist die Glykogensynthase mit der Caseinkinase 2 als „priming“ Kinase (Fiol et al., 1987), der Eukaryonten Translations-Initiationsfaktor 2B (elF2b) nach Phosphorylierung durch DYRK1A (Woods et al., 2001) und Phosphorylierung des Mikrotubuli-assoziierten Proteins Tau (Sengupta et al., 1997; Noble et al., 2003) als auch CRMP2 (collapsin response mediator protein) (Cole et al., 2006) durch CDK-5, mit nachfolgender Hyperphosphorylierung durch GSK3 als möglicher Bestandteil des Pathomechanismus von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer.

Abb. 8: Schematische Darstellung des „priming“ Vorgangs.

Daneben wurde eine kleinere Anzahl an GSK3-Substraten charakterisiert, bei welchen keine prä-Phosphorylierung stattfindet, sie werden auch als „nonprimed“-Substrate bezeichnet.

Beispiele sind c-Myc (Saksela et al., 1992) und Histon H1.5 (Happel et al., 2009). Für das Mikrotubuli-assoziierte Phosphoprotein MAP1B konnten beides, „nonprimed“- und

DYRK1A-„primed“-Phosphorylierungsstellen von GSK3 identifiziert werden (Scales et al., 2009). Bis dato wurden für GSK3 über 100 Substrate identifiziert. Zu ihnen gehören Stoffwechsel-enzyme, Signalmoleküle, Strukturproteine und Transkriptionsfaktoren. Ob es sich bei in vitro identifizierten Substraten tatsächlich um physiologische Substrate von GSK3 in vivo handelt, sollte anhand der Erfüllung bestimmter Kriterien festgelegt werden (Frame und Cohen, 2001). Es wird gefordert, dass in vivo gefundene phosphorylierte Reste auch in vitro von GSK3 phosphoryliert werden und eine Inhibition von GSK3 sollte zur Verminderung der Substratphosphorylierung in der Zelle führen.

Die große Zahl an Zielproteinen und die Teilnahme der Glykogensynthase-Kinase 3 an mehr als nur einem zellulären Prozess machen das Vorhandensein von Kontrollinstanzen notwen-dig. Es konnten bereits vier maßgebliche Mechanismen identifiziert werden, welche einen Beitrag zur Regulation der GSK3-Funktion leisten: Positive und negative Regulation durch Phosphorylierung von GSK3, das bereits besprochene “priming“ des Substrats, Wechselwir-kung mit Bindungsproteinen und Ausbildung von Proteinkomplexen sowie Unterschiede in der zellulären Lokalisation. In unstimulierten, ruhenden Zellen liegt GSK3 im aktiven Zustand vor. Eine Stimulation der Zellen durch beispielsweise Insulin oder Wachstumsfaktoren führt zu einer signifikanten Verminderung der Kinase-Aktivität (Sutherland et al., 1993).

GSK3 wird sowohl durch Tyrosin- als auch durch Serin/Threonin-Phosphorylierung in unterschiedlicher Weise reguliert (Wang et al., 1994). Die Kinase-Aktivität wird negativ reguliert durch Phosphorylierung an einem Serin-Rest im N-Terminus des Enzyms, dem Serin-21 der humanen GSK3α bzw. Serin-9 der humanen GSK3β (Sutherland und Cohen, 1994; Sutherland et al., 1993). Insulin führt über den Akt-(Proteinkinase B-)Signalweg zu einer Inaktivierung von GSK3β, was zu einer Aktivierung der Glykogensynthase und somit Aufbau von Glykogen führt. In diesem Signalweg inhibiert Akt GSK3β durch Phosphory-lierung an S9 (Cross et al., 1995). Weitere Kinasen, die durch Modifikation an den genannten Serin-Resten zu einer Verminderung der GSK3-Aktivität führen sind u. a. PKA, PKC und p90RSK (90 kDa ribosomale S6 Kinase) (Jope und Johnson, 2004). Eine Aktivierung von GSK3 wird durch Dephosphorylierung des N-terminalen Phosphoserin-Rests durch die Proteinphosphatase 1 (PP1) (Zhang et al., 2003; Morfini et al., 2004, King et al., 2006) und Proteinphosphatase 2A (PP2A) (Sutherland et al., 1993; Welsh und Proud, 1993; Qian et al., 2010) erreicht. Dajani et al. führten 2001 Untersuchungen zur Aufklärung der strukturellen Grundlage der Inhibition durch Serin-9-Phosphorylierung durch. Als Mechanismus wird eine Autoinhibition vorgeschlagen, bei welcher der phosphorylierte N-Terminus kompetitiv die Substratbindungsstelle blockiert. Das Phosphoserin belegt hierbei die Bindungsstelle des üblicherweise nach „priming“ phosphorylierten Serin-/Threonin-Rests (pS/T1) des Substrats.

Es wurde gezeigt, dass die MAP-Kinase p38 ebenfalls zur Phosphorylierung und dadurch Inaktivierung von GSK3β fähig ist. Hier liegt die Phosphorylierungsstelle jedoch im C-termi-nalen Bereich von GSK3β (T390). Diese Art der Modifikation wurde primär im Gehirn und in Thymozyten nachgewiesen und scheint auf den β-Catenin-Signalweg Einfluss zu nehmen.

GSK3α wurde interessanterweise in vitro nicht von p38 phosphoryliert (Thornton et al., 2008). Auch gibt es Hinweise, dass Threonin-43 in der N-terminalen Domäne der humanen Kinase von Erk phosphoryliert und GSK3β dadurch inhibiert wird (Ding et al., 2005).

GSK3 ist eine dual-spezifische Kinase. Ihre enzymatische Aktivität wird durch Phospho-rylierung an Tyrosin innerhalb der T-Schleife, in der Subdomäne VIII gesteigert. Diese positive Regulation findet für die humane GSK3α an Tyrosin-279 und die humane GSK3β an

Tyrosin-216 statt (Hughes et al., 1993). Es ist nicht vollständig geklärt, ob diese Phospho-rylierung von GSK3 selbst (AutophosphoPhospho-rylierung) oder von einer anderen Tyrosin-Kinase vorgenommen wird (Kaidanovich-Beilin und Woodgett, 2011). Zumindest in Säugetieren gibt es Anhaltspunkte, dass die genannte Tyrosin-Phosphorylierung auf einer intramolekularen Autophosphorylierung (Cole et al., 2004) der neu synthetisierten GSK3 während der Protein-faltung beruht (Lochhead et al., 2006).

Im Wnt-Signalweg kommt eine andere Art der Regulation zum Tragen, hier ist die Ausbil-dung eines Multiproteinkomplexes der zentrale Bestandteil. Der Wnt-Signalweg spielt bei einer Vielzahl von Entwicklungsprozessen eine Rolle und Dysregulation kann zur malignen Entartung der Zelle und somit Krebs führen (Polakis, 2000). Die Endstrecke des Signalwegs besteht aus der Aktivierung von Transkriptionsfaktoren durch β-Catenin und dadurch Änderung des Proteinexpressionsmusters (Cadigan und Nusse, 1997). Ein kleiner Teil (< 5-10 %) der zellulären GSK3 organisiert sich zusammen mit dem Gerüstprotein Axin, dem Adenomatosis polyposis coli (APC)-Protein, der Caseinkinase-1 (CK1) und β-Catenin in einem Multiproteinkomplex. In diesem Komplex wird β-Catenin nach „priming“ durch CK1 von GSK3 phosphoryliert und dadurch für den Abbau durch Ubiquitin-abhängige Proteolyse markiert. Axin und APC werden ebenfalls von GSK3 phosphoryliert wodurch eine Stabili-sierung des Proteinkomplexes erreicht wird. Die Bindung der Wnt-Liganden an den Rezeptor führen zur Rekrutierung von Axin und dadurch zum Zerfall des Multiproteinkomplexes.

β-Catenin erfährt durch GSK3 keine Phosphorylierung mehr und akkumuliert, was letzt-endlich zur Proliferation der Zelle führt (Kaidanovich-Beilin und Woodgett, 2011).

Neben den drei genannten Mechanismen wird die Funktion von GSK3 durch Vorgänge reguliert, die sich auf ihre intrazelluläre Verteilung und somit auf die Zugänglichkeit ihrer Substrate auswirken − zum Beispiel auf den Zugang zu Transkriptionsfaktoren im Zellkern.

GSK3 ist überwiegend im Cytosol lokalisiert. Im Zellkern und den Mitochondrien findet sich vergleichsweise viel weniger GSK3, jedoch ist dort der Anteil an aktivierter Kinase verhältnis-mäßig höher als im Cytosol (Bijur und Jope, 2003). Die Menge an GSK3 im Zellkern ist nicht statisch. Eine erhöhte Menge an nukleärer GSK3 findet sich während der S-Phase des Zellzyklus (Diehl et al., 1998) und eine schnelle Zunahme des nukleären GSK3-Niveaus ist während früher Prozesse der Apoptose zu beobachten (Bijur und Jope, 2001).

Die mittels Röntgenstrukturanalyse bestimmte dreidimensionale Struktur der humanen GSK3β wurde 2001 veröffentlicht (Bax et al.; Dajani et al.; ter Haar et al.). GSK3β teilt die ge-meinsame Grundstruktur eukaryontischer Proteinkinasen. Die kleinere N-terminale Unter-einheit (Aminosäure 25-138) umfasst eine siebensträngige, antiparallele β-Falltblattstruktur.

Strang zwei bis sechs bilden räumlich die Form eines Fasses (β-barrel) aus (Abb. 9). Hierin unterscheidet sich die Struktur von GSK3β von der verwandter Serin-/Threonin-Kinasen und

ähnelt mehr derer von Tyrosin-Kinasen wie Src und Abl, welche N-terminal ebenso ein

„β-barrel“ aufweisen. Der vierte und fünfte Strang des „Fasses“ wird durch eine, mit zwei Windungen kurz ausfallende, α-Helix verbunden (Aminosäure 94-104) – dem Äquivalent der αC-Helix (Dajani et al., 2001; ter Haar et al., 2001). Das Kernstück der α-helikalen Domäne von GSK3β (Aminosäure 152-342) weist eine ähnliche räumliche Anordnung auf, wie sie bei MAP-Kinasen zu finden ist. Die Aktivierungsschleife umfasst die Aminosäuren 200-226. Der sich an den Aminosäurerest 342 anschließende Bereich der C-terminalen Domäne weist eine einzigartige Konformation auf. Er besteht aus einer Serie von kurzen Helices und Schleifen. Diese bilden eine Einheit aus, welche an die lange α-Helix (Aminosäure 155-175) der großen Untereinheit angrenzt. Hier besteht einer der Unterschiede zur räumlichen Anord-nung von MAPKs, bei denen sich die C-terminale Untereinheit im Verlauf mit ihrem Ende wieder der N-terminalen Untereinheit anschließt (Dajani et al., 2001).

Abb. 9: Strukturmodell der humanen GSK3β. Dargestellt ist ein Molekül von Aminosäure 35-384.

Die rechte Ansicht ist zur linken um 90° in der Vertikalen gedreht. Quelle: modifiziert nach Dajani et al., 2001.

Zur GSK3 verwandte Serin-/Threonin-Kinasen, wie CDK2, ERK2 und p38γ, werden durch die Phosphorylierung von Resten innerhalb ihrer Aktivierungsschleife in den aktiven Zustand überführt (Brown et al., 1999; Canagarajah et al., 1997; Raingeaud et al., 1995): Die Phosphorylierung an einem Threonin-Rest bewerkstelligt die richtige Positionierung beider Kinase-Untereinheiten zueinander. Für p38γ und ERK2 erfolgt zusätzlich eine lierung an einem Tyrosin-Rest. hsGSK3 weist in seiner Aktivierungsschleife eine Phosphory-lierung an einem Tyrosin- (α: Y279 und β: Y216), jedoch an keinem Threonin-Rest auf. Die Abbildung der räumlichen Struktur der Aktivierungsschleife von GSK3β auf der verwandter Proteinkinasen zeigt, dass pY216 dieselbe Position belegt, wie das Phosphotyrosin pY185 von p38γ (ter Haar et al., 2001) oder pY185 von ERK2 (Bax et al, 2001). Der Phosphat-Rest von pY216 interagiert mit R220 und R223, dadurch wird die Aktivierungsschleife stabilisiert, der Zugang für das Substrat erleichtert (Buch et al., 2010) und somit die enzymatische Aktivität der Kinase gesteigert. Es wird angenommen, dass die Funktion des in der

Akti-vierungsschleife von GSK3 nicht vorhandenen Phosphothreonin-Rests vom prä-phospho-rylierten Rest des „primed“-Substrats übernommen wird. Dieser phosphorylierte Serin- bzw.

Threonin-Rest wird in einer positiv geladenen Tasche, bestehend aus R96, R180 und K205 aufgenommen und führt so zur korrekten Orientierung des Substrats im katalytischen Zen-trum und der beiden Kinasedomänen zueinander. Substrate für deren Phosphorylierung kein vorangehendes „priming“ notwendig erscheint, weisen häufig negativ geladene Reste an oder in der Nähe der „priming“ Position auf. Diese imitieren möglicherweise den phospho-rylierten Rest (Doble und Woodgett, 2003).